[242] Trat Herr Specht in das Zimmer, und ward von dem Doctor sogleich als derjenige Mann, an den er sich halten müsste, auf's Korn genommen. Es sei nun, dass die süsse Miene und die schmeichlerischen Demüthigungen des Herrn Specht, oder dass gewisse Äusserungen des Schwagers, die ihm noch dunkel im Gedächtniss schwebten, diesen Verdacht bei ihm, rege machten.
Herr Specht setzte mit wichtiger Miene einen grossen Beutel Geld auf den Tisch: äusserst froh, wie es schien, dem liebwerthesten Herrn Pathen seine bisherige Schuld bei Heller und Pfennig abtragen zu können. – Er hatte bei einer kleinen Speculation mit Waaren, die gerade[243] damal gesucht wurden, ein ansehnliches Sümmchen gewonnen; er eilte also, sich durch Abbezahlung die Geldquelle zu reinigen, die er bei längerer Vernachlässigung leicht einmal hätte verstopft finden können. –
Ei potz, potztausend! sagte der Alte, indem Herr Specht den Beutel ausschüttete: das ist ja gewaltig viel Geld! Das ist ja ein Reichthum, wie des Mannes im Evangelium! Wo hat Er das Alles her?
Hehehe! Liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch immer so gerne spassen! – Reichthum? Daran fehlt viel. – Lieber Gott! – Aber man thut denn das Seinige; und wenn ein Körnchen zum andern kömmt, sagte einmal der Herr Pathe, und immer neue Körnchen dazu – –
Ja, sieht Er? Da wird am Ende ein Haufen. Das ist ganz richtig. – Indessen[244] zählte Herr Specht munter fort, und sah sich dann und wann nach dem Sohne um, den er diesmal eben so gern, als sonst ungern, hätte kommen sehen, um sich einmal in seinem Glanze vor ihm zu zeigen. – Die Summen wurden richtig befunden, das Geld wieder eingesackt, und die eingerissnen Papiere zurückgegeben.
Nun! sagte der Doctor – weil ich sehe, dass Sie mit Ihrem Geschäfte fertig sind, mein Herr Specht – wie geht's Ihnen? wie befinden Sie Sich?
Specht, unter tiefer Verbeugung, wobei sein Kopf eine Art von Schneckenlinie beschrieb, dankte tausendmal für gütige Nachfrage, und versicherte: er sei wohl.
Und zu Hause – die Frau Liebste? die Kinder?[245]
Alles, alles wohl, mein verehrtester Herr Doctor.
Nun, das ist schön; das erfreut mich. – Wie sieht's denn jetzt in Ihrer Nachbarschaft ans? Was macht Madam Lyk?
Hehehe! Die lebt denn immer so fort, ganz im Stillen. – Wie's einer Witwe denn auch nicht anders ziemt. Ganz im Stillen.
Vormal war es dort nicht so stille. Da war gewaltiger Lärm.
Ach, das sagen nur der Herr Doctor noch einmal! Lärm bei Nacht, wie bei Tage. Keinen Augenblick hatte man Ruhe. – Das war ein Geschrei, Gefahre, Gelaufe, Getümmel; und wenn Ball oder Maskerade war, ein Gefiedel, Geflöte, Geblase, Gepauke – man hätte mögen von Sinnen kommen. Meine Frau hat dabei in dem einen Wochenbette[246] was Rechts gelitten. Sie nahm es dem Herrn nicht so sehr übel, als der Madam, dass man so gar keine Rücksicht hatte, und so schnell nach ihrer Niederkunft ein solches Spectakel anfing. – Sie konnte seitdem die Frau nicht mehr ansehn. – Es war auch wirklich recht gottlos.
Freilich! Die kurzen sechs Wochen über hätte man sich schon ein wenig still halten können. – Aber ob denn die Wirthschaft nicht bald wieder angehen wird?
Damit hat's denn wohl so seinen Haken. – Er kniff das eine Auge ein wenig, und glaubte Wunder, wie verschlagen er aussähe.
Wie so? – Der Mann ist doch lange genug unter der Erde. Die grosse Trauer ist aus.
Das wohl; aber – – Er schob den[247] Daumen der rechten Hand ein paar mal über den Zeigefinger, und zuckte dabei die Achseln. – Wo einmal das fehlt, mein lieber Herr Doctor – –
Ja, das ist wahr; da fehlt Alles. – Und aufgeräumt mag die Frau unter den Beuteln des alten Schwiegervaters ein wenig haben; das will ich glauben.
Ein wenig? Hehehehe! –
Aber wenn nur noch etwas, auch nur noch ganz wenig da ist; ein kleines, unbedeutendes Restchen: – solche Menschen, die einmal in der Jugend nicht rechnen gelernt haben, sind wie vom Bösen besessen. Sie haben nicht eher Ruhe noch Rast, als bis sie Alles, schlechterdings Alles, auch den letzten Pfennig durchgebracht haben. Erst müssen die Gerichtssiegel an Kisten und Kasten kleben; eher ist kein Aufhören bei ihnen.[248]
Ja, das kann auch hier noch so kommen. Ich widerspreche keinen Augenblick, mein Herr Doctor. –
Der Alte, der sehr wohl merkte, wo der Doctor hin wollte, hatte sich im Rücken des Herrn Specht auf seinen Sorgenstuhl gesetzt, und hielt sich ganz ruhig. –
Eins wüsst' ich nur für mein Leben gerne, hob der Doctor wieder an: nicht, wer von beiden Theilen allein und ausschliessend; – denn dass beide nicht viel getaugt haben, ist mir gewiss – aber wer wohl so am meisten und vorzüglich, an dem ewigen Schmausen und Tanzen und Tollen in dem Hause Schuld gewesen ist: ob die Frau, oder der Mann?
Die Frau! die Frau, mein lieber Herr Doctor!
Doch? – Sie sind freilich der nächste Nachbar; Sie können das wissen.[249]
So wie die Frau nur den Fuss ins Haus setzte, ging's los.
Ja, das sagt man. – Aber ich habe neulich ein paar recht wackre Männer über die Frage streiten hören, und da meinte der eine: dieser Umstand beweise wenig, beweise nichts; es sei ganz und gar nicht die Frau, sondern – was ich nun freilich für übertrieben halte – einzig und allein der Mann gewesen, der allen den Unfug getrieben.
Ach, wer das auch mag gesagt haben, mein liebwerthester Herr Doctor – mit aller Hochachtung von ihm gesprochen –
Nehm' Er Sich in Acht, sagte der Alte aus seinem Hinterhalte. Red' Er nicht allzuviel!
Wie so? wie so, mein bester Herr Pathe? Ich hatte nichts Böses im Sinne. – Die Frau ist von Ansehn recht artig,[250] und ich mögte fast sagen, schön – was ich mich zwar zu Hause bei Leibe nicht dürfte merken lassen, hehehe! – und da, meint' ich, könnte einer der jungen Herren, die immer um sie herum waren – –
Sich in sie vergafft haben? rief der Alte mit Lachen; jaja! – Und so einer will denn nichts auf sie kommen lassen. Das ist begreiflich. – Ich selbst kenne einen sonst braven Mann, der sich gewisser vertraulicher Augenblicke mit allerlei Damen rühmt; und eben der – –
Der wird's seyn, sagte Herr Specht: der wird's seyn; ganz gewiss!
Der Alte und der Doctor lachten von Herzen, und Herr Specht blieb ihnen sein Hehehe! auch nicht schuldig. – Er trocknete sich die thränenden Augen, und versicherte, dass er nirgend in der Welt[251] so froh sei, als bei dem liebwerthesten Herrn Pathen.
Aber, nahm der Doctor wieder das Wort: nun einmal im Ernst, lieber Herr Specht! – Dass Sie keinen Grund zu Ihrer Behauptung haben sollten, lässt sich von einem so vernünftigen Manne wie Sie, nicht wohl denken. Vermuthlich hat einmal, in einem vertraulichen Abendstündchen, der selige Lyk Ihnen geklagt, dass er mit dem Wildfang von Frau gar nicht fertig zu werden, sie gar nicht zu bändigen wisse.
Geklagt, mein Herr Doctor? Mir? In einem vertraulichen Abendstündchen?
So vor der Thüre, mein' ich. – Bei einem Pfeifchen. – Da schwatzen ja Nachbarn wohl eins zusammen.
Ach mein Gott, lieber Herr Doctor! Wo denken Sie hin? – So ein vollwichtiger[252] Mann bei der Börse, so ein angesehener Kaufherr; der sollte sich gegen mich kleinen Anfänger so herabgelassen, so erniedriget haben? – Nein, da ist nur unser einziger Herr Stark, der gegen jedes Kind freundlich ist, und der auch den kleinsten Bürger etwas gelten lässt; den Ruhm hat er ganz allgemein. –
Sehr verbunden! sagte der Alte.
Die andern Herrn – es scheint ihnen schon zu viel, unser Einen nur ansehen zu sollen. Der höflichste, unterthänigste gute Morgen wird mit einem Wesen erwiedert, mit einer Miene – – Er quälte sich, eine recht stolze, recht verachtende anzunehmen; aber einmal ging in sein Gesicht, ausser der Spechtischen Original-Miene, keine andre hinein.
Nun, dann merke ich schon – dann haben, gewiß die Handlungsdiener, oder[253] Andre im Hause, die um die Sache Bescheid wussten, ein wenig geplaudert.
Die Handlungsdiener? – Ja mein Gott! das sind nun vollends die rechten. Die sind, wo möglich, noch ausgeblas'ner, als ihre Herrn, oder wenigstens unerträglicher; denn mit allen ihren hohen Salairs – was sind sie? – Diener, sagt meine Frau, weiter nichts. Unser Einer, sagt sie, wenn er auch nur schmale Bissen isst, schneidet sie doch von seinem eigenen Brote; aber ein solcher Miethling – – keinem zu nah gesprochen! setzte er furchtsam hinzu –
Alles wahr! Alles schön, mein Herr Specht! Aber ich habe damit immer noch keine Antwort. – Sie wissen die Gesinnung der Frau und ihren Hang zum Verschwenden nicht durch den Mann, nicht durch Vertraute des Hauses; und[254] woher denn sonst? – muss ich Sie fragen.
Durch Ohrenbeichte, sagte der Alte ein wenig bitter, weil er schon merkte, dass ihn Specht hintergangen habe. – Die Lyk ist heimlich katholisch, und dieser Specht ist ihr Pater.
Ach um Gottes willen! rief Specht, indem er mit wahrhaft protestantischem Schrecken zurücktrat: wenn das der Herr Hauptpastor hörte! oder gar meine Frau! – Ich ein Pater?
Das Lachen der beiden Herrn, das zwar bei dem Alten ein wenig verstimmt klang, brachte ihn bald wieder zu sich. – Nein! sagte er: mein Herr Doctor: was ich weiss, das weiss ich aus sehr erlaubter und sehr zuverlässiger Quelle.
Nun? – Darf man denn nicht erfahren – –[255] Kaum, dass ich Herrn Stark von der tollen Wirthschaft im Lykischen Hause die erste Nachricht brachte; so rief der Herr Pathe sogleich: das kömmt von der Frau her! Das ist die neue Modewirthschaft der Weiber! Da geht nun wieder einmal, unter Tanzen und Frohlocken, ein Haus, und ein so herrliches Haus zu Grunde. – Und als ich das bei Tische wieder erzählte, sagte meine Frau augenblicklich: Er hat Recht, der Herr Pathe! Er hat ganz Recht!
Ja so – allerliebst! – Und da schoben Sie denn nachher jede ähnliche Ausschweifung ganz getrost der Frau auf den, Hals?
Lieber Gott! Wie denn anders? – Meinem Herrn Pathen muss ich doch glauben; denn der hat Erfahrung – o, der kennt die Welt; der weiss Alles.[256]
Ist Er toll? fragte der Alte, indem er, zu grossem Schrecken des armen Specht, sich voll Unmuths aus seinem Sessel aufhobt.
Liebster, bester Herr Pathe – –
Wahrlich! das wird lustig, sagte der Doctor. Sie, mein lieber Vater, haben die Sache von Herrn Specht, und Herr Specht hat die Sache von Ihnen.
Der Doctor bekam einen sehr unfreundlichen, und der Pathe, der wie versteinert dastand, einen ganz vernichtenden Blick. – Er ist – murmelte der Alte zwischen den Zähnen – mit allen seinen Höflichkeiten und Reverenzen – – Hier begriff er sich noch, riss den Geldbeutel mit Heftigkeit zu sich, und ging davon.
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
|
Buchempfehlung
Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.
298 Seiten, 15.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro