XXVIII.

[292] Alles gut! Alles sicher! sagte Monsieur Schlicht, indem er mit geriebenen Händen und frohem Angesichte wieder hereintrat. – Der Knecht hat seinen Ausputzer, und hat sein Trinkgeld weg; der verwünschte, nachlässige Kerl!

Den Ausputzer, sagte Herr Stark, hättest du sparen können.

Nein, nein! Das Trinkgeld eher; denn das hatte der Zufall verdient, aber den Ausputzer er selbst. – – Ach, was ich mich freue, mein lieber, lieber Herr Stark, dass Sie wieder zurück sind! Ich war in gewaltiger Noth.

Um mich? – Mir fehlte nichts, lieber Vater.

Aber mir desto mehr. – Denken Sie[293] Sich nur um's Himmels willen! was für einen Auftrag mir da der alte Herr giebt.

Nun? –

Ich soll zu Ihnen heraufgehn – zu Ihnen, den ich nicht hier wusste! Wie ward mir dabei? – und soll Sie recht genau und recht umständlich befragen, wie es mit der Handlung der Madam Lyk steht, um derentwillen ich so oft habe wachen müssen.

Was? rief Herr Stark, und fuhr mit grosser Bewegung vom Stuhle.

Jaja! – Ob die Activa die Passiva wenigstens balanciren, und in wie kurzer oder wie langer Zeit sie etwa realisirt haben werde?

Schlicht! – Er fasste den alten Handlungsdiener bei beiden Armen. – Mich, mich sollst du darum befragen? Mich?

Wen denn sonst? – Ihr Vater weiss[294] alle Ihre Gänge zur Witwe. Sie selbst scheint ihm davon gesprochen zu haben.

Sie selbst? – Ich glaube bei Gott, Alter! es ist nicht richtig mit dir; du bist von Sinnen. – Wie kömmt mein Vater zur Witwe? –

Hören Sie, junger Herr! sagte Monsieur Schlicht, und schüttelte ärgerlich mit dem Kopfe; das von Sinnen seyn lassen Sie weg! Das bitt' ich mir aus. Ich habe Gottlob! so alt ich bin, meine fünf Sinne so gut, wie ein Andrer.

Aber noch einmal, Schlicht! – Antworte, und sei dann böse so viel du willst! Wie kömmt mein Vater zur Witwe?

Hab' ich denn schon gesagt, dass Er zu ihr kam? Sie kam zu ihm.

Sie zu ihm? –

Gestern Vormittag. Hieher in's Haus. – Und kam hier schlimm genug wieder weg.[295]

Ha! rief Herr Stark, und erröthete über und über.

Oder eigentlich stattlich genug. Denn die Frau Doctorinn und ich brachten sie in einer Kutsche nach Hause.

In einer Kutsche! Warum? – Er fing an, zu erblassen.

Je, sie lag ja in einer Ohnmacht, die arme Frau! dass man geschworen hätte, sie wachte vor dem jüngsten Tage nicht wieder auf.

Grosser Gott! – Vielleicht der Vorbote von einer Krankheit, von einer tödtlichen Krankheit!

Ach, hat sich etwas! – Er warf den Kopf in den Nacken. – Sie denkt Ihnen an keine Krankheit. Sie war kaum wieder zu Hause; so war sie flink, wie ein Vogel.

Ist das wahr? Ist das sicher?[296]

Wird denn Schlicht Sie belügen? – Aber sagen muss ich Ihnen noch, mein lieber, lieber junger Herr, was ich für eine grosse, für eine ausnehmende Freude gehabt habe.

Du? –

Ihr Vater hat in Ausdrücken von Ihnen gesprochen; in Ausdrücken! – Er nahm hier einen pathetischen Ton an. – »Mein Sohn hat so rechtschaffen gehandelt – mein Sohn hat sich so brav bewiesen – mein Sohn hat die Grossmuth gehabt.« – – Sehn Sie, mein lieber, lieber junger Herr! So hatt' ich noch in meinem Leben von Ihnen nicht reden hören.

Herr Stark hätte sich gern ein wenig geschämt, wenn er vor Vergnügen dazu hätte kommen können. Er sah den Nebel, der über seiner Zukunft lag, sich[297] schon ziemlich erheitern, sah den liebsten seiner Wünsche zur Hoffnung werden, und bestürmte nun den alten Schlicht mit einer Menge von Fragen, die aber grösstentheils ohne Antwort blieben. – Wenn ich doch nur wüsste, sagte er endlich, was in aller Welt die Witwe hieher gebracht, was sie gewollt hat?

O, was das betrifft; damit kann ich aus dem Munde des alten Herrn Ihnen dienen. Sie ist in Verlegenheit wegen eines gewissen Horn, der ihr zusetzt.

Horn? rief Herr Stark, und trat mit Heftigkeit gegen den Boden. – Ha! der elende, nichtswürdige Geizhals! So hat er mir doch das Wort nicht gehalten, das ich so mühsam, mit so vielem Zureden, von ihm erpresste! – Ich Thor! Warum bezahlt' ich auch den Bettel nicht gleich? – Und was beschliesst denn mein Vater? Was will er thun?[298]

Er reisst die Witwe heraus; ganz gewiss! – Ich werde schon hören, sobald er von der Börse zurückkömmt.

Bleibt er dort lange? Was meinst du?

Ich denke. Er schien ein Geschäft von Wichtigkeit vorzuhaben. Er eilte sehr.

So will ich zu meiner Mutter hinunter. Vielleicht weiss sie mehr, lieber Alter, als du. Oder, wenn auch sie nichts weiss – dann zum Schwager, zur Schwester, zur Witwe selbst!

Halt! halt! rief Monsieur Schlicht, indem er ihn noch glücklich bei dem einen Rockschoss erwischte: so haben wir nicht gewettet, junger Herr; so kommen Sie mir nicht fort! – Erst Nachricht, ob die Activa der Witwe ihre Passiva – –

Nur decken, meinst du? – Es bleibt noch Capital-Conto. Nicht wenig.

Schön! – Und die Zeit, wann sie realisirt haben wird?[299]

Drei, vier Monate längstens.

Vortrefflich! – Aber nun mögt' ich noch einige Umstände wissen; als erstens – –

Fort war Herr Stark.

Fort ist er! brummte Monsieur Schlicht, und sah mit Kopsschütteln hinter ihm her. – Das ist mir denn doch wahrlich zu bunt. Dahinter liegt mehr verborgen. – Junger Herr! junger Herr! Sie haben der Witwe zu tief in die Augen gesehen. Sie sind verliebt. – – Je nun – wenn er's denn einmal ist – was für ein Unglück? – Eine hübsche, wackere Frau ist die Witwe; das ist gewiss: und wenn sie ihm ansteht – – Sie hat viel Lebensart, muss ich sagen; sie dankte mir gestern gar höflich; sie nannte mich einen lieben Herrn Schlicht über den andern: – Also – wenn sie ihm ansteht – warum soll er[300] sie nicht zur Frau nehmen? Wer wird's ihm wehren? – Immer zu, mein Herr Stark! Immer zum Werk geschritten! Das Junggesellenleben ist ein langweiliges Leben. – Haha! – Da kann ich alter Kindernarre noch in meinen siebziger Jahren etwas zu tragen und zu hätscheln bekommen. – In Gottes Namen! – Ich wollte, sie wären schon da, die kleinen niedlichen Püppchen, und könnten schon laufen.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 292-301.
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