[395] Wirklich hatten sich bei der Mutter auch der Doctor und die Doctorinn eingefunden, um von dem Ausgange der Unterredung, von der sie wussten dass sie vorfallen würde, desto eher unterrichtet zu seyn. Wie gespannt ihre Erwartung war, lässt sich aus dem grossen Antheil, den sie bisher an dem Bruder genommen, und aus der mannichfaltigen Mühe, die sie sich seinetwegen gegeben hatten, ermessen. Sie glaubten überwiegende Gründe zu haben, den besten Ausgang zu hoffen; und doch liessen sie, eben wegen der Grösse ihres Interesse, sich ein wenig in die Furcht und Ängstlichkeit der Mutter hineinziehen, die, weil ihr Interesse das noch grössere, noch lebhaftere war, nichts als traurige Ahnungen hatte. –[396]
Desto angenehmer war für Alle der Überraschung, als jetzt der Vater in Gesellschaft des Sohnes hereintrat, und ihnen, sogleich durch sein Lächeln seine Zufriedenheit, durch seine feuchten, gerötheten Augen seine Rührung verrieth. Er hielt den Sohn an der Hand, der sein Gesicht noch mit dem Tuche verdeckte, und führte ihn der Alten mit den Worten zu: Hier, liebe Mutter! hier bring' ich dir einen guten, einen würdigen Sohn, der auf dein Alter Bedacht nimmt, und dich von den Wirthschaftsorgen befreien will, die dir schon lange zu lästig fielen. Er will sie einer jungen, wackern Frau übertragen, die er dich bittet zur Tochter anzunehmen, und deinen Muttersegen über seine Liebe zu sprechen. – Errathen wirst du wohl seine Wahl nimmermehr; – und du gewiss auch nicht, indem er[397] sich gegen die Tochter umwandte, und beide zwar anlächelte, aber ihnen zugleich mit dem Finger drohte.
Der Sohn konnte unter den Segenswünschen der Mutter, und den Antheilsbezeugungen der Schwester und des Schwagers seine Augen so bald nicht trocknen. – Alle vereinigten sich endlich, dem Vater zu danken und ihm zu liebkosen, der sie der Reihe nach küsste, aber in seine gewöhnliche muntre Laune für diesen Abend nicht wieder hineinkam. Die Empfindungen, die bei der Unterredung mit dem Sohne ihn tief durchdrungen hatten, waren von zu ernsthafter Natur gewesen, als dass er sogleich wieder zu den muthwilligen kleinen Scherzen hätte zurückkehren können, womit er sonst seine Gespräche zu würzen pflegte.
Er liess es sich nicht nehmen, am folgenden[398] Tage in eigner Person den Freiwerber seines Sohnes zu machen. – Ob Madam Lyk von diesem Besuche angenehm oder unangenehm überrascht war; ob sie eine bejahende oder verneinende Antwort gab? wird wohl niemand erst fragen. – Die Ehe ward eine der glücklichsten in der Stadt. Die Familie hing, jedes Glied mit jedem, durch die zärtlichste Liebe zusammen. Herr Stark erfreute sich, bis in's höchste Alter hinauf, des Wohlstandes und der vollkommenen Eintracht aller der Seinigen, und genoss das süsse, kaum mehr gehoffte Glück, Enkel an seine Brust zu drücken, die nicht bloss seines Bluts waren, sondern auch seinen Namen trugen.
ENDE.[399]
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
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