[179] Abend desselben Tages.
Ein abseits vom Festgewoge liegender Teil des Eispalastes auf der Newa. Farben: Eisblau, weiß und silbern. – Kaltes Licht. – Die rechte Hälfte des Hintergrundes nimmt ein zugezogener schwerfaltiger Vorhang in dunkelroter Farbe ein. – Ein Narrenwagen steht davor. – Links hinten eine Galerie, die nach links hinaus verlaufend zu denken ist. – Rechts vorn Thron mit Stufen und Baldachin. Daneben Tischchen mit Glaspokal.
Abgänge: Von der Galerie und rechts und links vorn. – Die Aussicht von der Galerie ist nach unten in den Hauptsaal des Palastes zu denken.
Es ist Nacht: daher künstliche Beleuchtung anzunehmen, die durch Laternen gegeben ist. Auch in den Lichtern ist die kalte Klarheit der Farbenstimmung festzuhalten.
ANATOL UND OSTERMANN kommen von der Galerie links im Gespräch. Sie sind beide – wie alle Personen dieses Aktes – in großer Festtracht mit Pelzmantel und Hut.
OSTERMANN. Vortrefflich! Ganz vortrefflich, mein Freund! Ich darf Sie doch so nennen, Durchlaucht?
ANATOL. Sie machen mir die größte Freude damit, Exzellenz!
OSTERMANN. Sie haben meinem alten Kopf viel zugemutet in dieser kurzen Stunde – aber Sie haben ihn auch förmlich wieder jung gemacht, Sie möchten einem am liebsten die ganze Welt in einem einzigen ungeheuren Satz in die Seele schütten.[179]
ANATOL. Was soll alles? Alle Pläne, Gerüste, Vorschläge? Sie sind Papier und Tinte, wenn sie den Weg nicht finden zu den lebendigen Millionen, die darauf warten. Und dieser Weg geht über Sie, Exzellenz, über die Zarin – über so viele, die alle auf sich selbst vergessen müssen um der Sache willen.
OSTERMANN. Die Zarin darf an diesen reichen Möglichkeiten nicht vorübergehen! Dafür will ich Sorge tragen – so schwer es auch zur Stunde sein mag. Deutet auf die Dekoration. Denn sehen Sie selbst: Dieses Fest! Diese Maskenlaune! – Ach ja – wenn es das Große gilt, hält uns ein Narrenspiel davon ab. – Heute jedenfalls wäre die Zarin geneigt, die besten Gedanken für einen Scherz zu halten und Ihnen am Ende dafür die Narrenkrone anzubieten. – Es wäre wohl auch nicht das erste Mal, daß eine Frau den Mann, in dessen Hirn sich ringend eine Welt gebiert, zu ihrem Narren machte. – Ich will aber trotzdem einen günstigen Augenblick erlauern – –
Beide im Gespräch ab nach rechts.
Nach einer kleinen Pause – von ferne setzt leise Musik ein – kommt von links vorn die Zarin Anna, gefolgt von Wolinski. Die Zarin ist in großer Festtracht, in weißer Seide, mit Gold und Edelsteinen übersät, ein blitzendes Diadem auf der Perücke. Einen reichen Hermelinmantel hat sie über. Wolinski ist ebenfalls in prächtiger Kleidung, seinem Rang entsprechend.
ANNA geht einen Schritt gegen die Galerie und sieht überall unruhig umher; plötzlich bleibt sie vor dem roten Vorhang stehen und sieht auf den Narrenwagen.
WOLINSKI folgt ihren Bewegungen und Blicken mit lauernden Augen; dann sagt er. Zarin – tat ich's dir zu Gefallen?
ANNA. Still – –!
WOLINSKI sieht ihrem Blicke nach.
ANNA. Es folgt uns einer nach – –
WOLINSKI. Niemand folgt uns, Kaiserin – Wir sind allein, Anna – – Nähert sich.
ANNA wehrt heftig ab. – – durch die Galerie – – ein leiser Schritt – – immer – immer – hörst du –?
WOLINSKI. Nichts – Nur von fern her die ersten Laute des Festes. Draußen fahren die Schlitten vor, überall regt sich die Freude – das Leben – – Sie zuckt. Wen fürchtest du –?
ANNA sieht ihn lange an; dann sagt sie zögernd. Ich brauche einen, der mir hilft – –
WOLINSKI. Und da suchst du –?!
ANNA indem sie ihn unausgesetzt ansieht, langsam. Mein – schwarzer Knecht –
WOLINSKI. Deine Augen sprechen so viel – Warum schweigst du, Zarin?[180]
ANNA. Still! Hörst du? Die leisen Schritte – –
WOLINSKI. Nichts rührt sich. Warum erschrickst du vor jedem Hauch –? Sprich, Kaiserin! Vertrau dich mir!
ANNA nach kurzer Pause; jäh. Schaff sie mir fort!
WOLINSKI steht ohne Verstehen. –?
ANNA. Töte die Fremde –!
WOLINSKI mit Staunen und Schreck. Das Weib des Galizyn?
ANNA. Schaff sie mir fort! Hörst du? Schaff sie fort – –
WOLINSKI. Kaiserin – muß es –?
ANNA sieht weg. Ich will keine Frage hören – – kein Wort – Du sollst nicht davon sprechen, – Sieht ihn an. – auch mit den Augen nicht, – – Geht nach der Galerie und sieht hinunter; er kommt ihr nach. Warum schleichst du mir nach, du hast Augen wie ein Wolf – – so feig und lüstern – –!
WOLINSKI halb zu sich. Muß dieses Opfer sein –?
ANNA. Was redest du da? Du läßt mich lange warten – viel zu lange! Als es um Worte ging, da warst du schneller – Worte sind leicht, wie ein Hauch – und Worte hast du viele, an die ich glauben soll. Auch das Wörtchen »Liebe« ist darunter – und noch eines – – Auf das warte ich jetzt. Er schweigt, sie ändert den Ton. Oder sollte Kurakin in seinem Rausch heller sehen als der ganze Hof!? Er zuckt zusammen. Wie –? Nun liegt die Tat in deiner Hand, mit der du den Verdacht zerbrechen kannst. Du zögerst? Seh' ich dich jetzt? Sollte es wahr sein –? Greift ihn am Arm.
WOLINSKI kalt entschlossen. Kaiserin – deine Befehle!
ANNA. Du kennst sie. Auf den Wagen deutend. Hier ist das Totenbett, wo ich sie sehen will. Nimmt den Glaspokal. Diesen Pokal, mit blutrotem Wein bis an den Rand gefüllt, sollst du mir reichen, wenn du der Pflicht genügt hast. Merke das Zeichen wohl. Reicht ihm den Pokal.
WOLINSKI kalt. Blutroter Wein – deute den Tod.
ANNA. Den Fürsten halte ich hier, du wirst es leicht haben Verächtlich. ein Held zu sein.
WOLINSKI lauernd. Und der Lohn meiner Tat?
ANNA. Deiner Kaiserin Gnade.
WOLINSKI näher. Und die Gunst meiner Dame – Anna –
ANNA. Was willst du?
WOLINSKI. Das fragst du noch? Will sie an sich ziehen.
ANNA reißt sich los und stößt ihn zurück. Deine Kaiserin steht vor dir! Gehorche und schweig', schwarzer Knecht. Und wenn Du einen Schritt seitwärts gehst von dem Weg, den ich dir gewiesen habe, so siehst du die Lichter dieses Festes nicht mehr erlöschen![181]
WOLINSKI zu tiefst getroffen. Anna – –!
ANNA abweisend. Hörst du –?! Stimmen näher. Noch soll mich keiner hier sehen! Da er mit will. Bleib und halte sie hier. Forteilend. Denke des Bechers voll Wein!
Rasch ab nach rechts.
WOLINSKI von ihr nicht mehr gesehen, mit feindseligem Blick. Dein schwarzer Knecht will Herr sein! Wenn nicht mit dir, – so gegen dich. Blutroter Wein deute dir Tod! –
Lärm vieler Stimmen rasch näher. Von der Galerie links Herren und Damen des Hofes in Kostüm und Maske. Unruhige, stets bewegte Gruppe. Man schäkert, küßt und lacht während der ganzen folgenden Szene. – Auch die Verschwörer sowie die Fürsten sind in der Gruppe. Das Gehaben der Festgäste, von denen einige sichtlich betrunken sind, verrät im ganzen eine schlecht verschminkte
Derbheit, die immer mehr zunimmt, je weiter der Abend fortschreitet.
KURAKIN erblickt als erster Wolinski. Hoho! Da haben wir ihn! Dich suchen wir –!
EINIGE nachdrängend. Des Festes Meister –!
ALLE zurufend. Heil! Heil! Des Festes Meister, Graf Artenau.
TRUBETZKOJ einen Weinkelch in der Hand, drängt sich vor. Meister des Festes! Graf Artenau! Wir bringen dir unsere Huldigung! Wein her!
ALLE. Wein! Schenkt ein –! Diener mit Goldkannen und Kelchen servieren Wein.
TRUBETZKOJ. Ihm aber sei er gebracht – dem Meister des Festes, dem König der schäumenden Nacht –!
ALLE rufen und trinken. Heil –! Graf Artenau –! Meister –! Heil!! Sie haben Wolinski gegen den Thron gedrängt, so daß er die Stufen hinaufsteigt und nun mit der einen Hand nach dem Thronsessel greift.
BIRON führt Wolinski am Arm die Stufen herab. Kaiserlein! Laß deine Hand vom Thron! So – steig nur herab –!
ALLE ihn unter Gedränge befreiend. Loslassen! Laßt ihn frei!
PUSCHKIN. Heut' ist er unser Zar! Der Kaiser dieser Nacht!
BIRON. Ei wohl! Fast hätt' ich es vergessen! Heut' will die Zarin ja den Narrenkönig krönen!
KURAKIN. Wie –? Was –? Den Narrenkönig? Den laß ich mir nicht nehmen! Da bin ich Prätendent! Die Krone gebührt mir – sonst keinem!
ALLE lachen. Heil! König Kurakin! Heil seiner Narrenkrone!
WOLINSKI spöttisch. Eine Narrenkrone – Haha –
BIRON schlägt ihm auf die Schulter. Besser die als keine.
KURAKIN zur Gesellschaft, die ihn umtanzt und neckt. Auf die Knie! Gesindel! Wollt ihr wohl –? Fährt unter sie. Ich will euch ducken –! Wartet –!
[182] Sie fliehen lachend nach allen Seiten; es bleiben nur die Verschwörer – mit Kurakin – auf der Szene.
WOLINSKI den Davoneilenden nachsehend. Es drängt! Es drängt – Ihr alle werdet's noch erleben. Zu den anderen, die sich nähern. Er soll nicht mehr lange spotten, der Stallknecht mit dem Herzogshut!
ALLE gedämpft. Wie geht das Werk –?
WOLINSKI. Es drängt von selbst zum Ziele. In dieser Stunde noch. Weist den Becher vor. Sie selbst gab mir den Kelch, der sie mir liefern soll.
DIE ANDERN. Gift?
EICHLER. Da laß mich aus dem Spiele.
PUSCHKIN. Auch mich –
CHRUSCHTSCHOW. Mich auch – –
JEROPKIN beißt sich auf die Lippen und schweigt.
KURAKIN steht schweigend etwas abseits und beobachtet alles.
WOLINSKI voll Verachtung. Es soll sich keiner seine Hand um mich beflecken. Ich war allein – und werde allein sein – – auch hier. Aber wir müssen erst den Weg dahin ebnen, daß wir nicht einen Schritt vor dem Ziel noch straucheln.
EICHLER. Ich will alles tun – – Wir tun alles – nur dies eine –
PUSCHKIN. Ich hoffe auf das Weib in ihr –
WOLINSKI. Das gerade spielt uns den bösen Streich. Wäre dieser Galizyn nicht gekommen –! Zehn Jahre schlief sie – heute ist sie aufgewacht. Und nun lebt es gefährlich in ihr. – Uns bleibt nur dieser eine Weg – und er muß rasch gegangen werden. – Eines brauchen wir jetzt – diese eine Stunde noch, wenn nicht alles über uns einstürzen soll. Alle nähern sich fragend. Vertrauen –!
EICHLER lacht kurz. Ein rares Ding –!
WOLINSKI. Wir müssen es erkaufen! Wir müssen.
PUSCHKIN. Es steht gar hoch im Preise.
WOLINSKI. Einerlei! Wir brauchen es. Da ist kein Preis zu hoch.
JEROPKIN. Kannst du ihn nennen?
WOLINSKI. Und wenn ich's könnte –?
ALLE. Sprich –!
WOLINSKI. Ihr könnt nicht mehr zurück. Vergeßt das nicht!
DIE ANDEREN finster. Wir wissen es. Der Preis! Der Preis!
WOLINSKI. Ein Leben.
PUSCHKIN. Noch eines?
WOLINSKI. Es muß sein. Sonst fallen unsere Köpfe. Wäre einer von euch vor der Zarin gestanden, wie ich gerade früher, ich wette, es wäre aus mit uns. Ich fühlte die Schlinge schon um die Kehle. Sagt' ich nicht ja – sie hätte zugezogen. Und das Seil läg auch um euren Hälsen – Wir müssen's tun. Kleine Pause.[183]
JEROPKIN. Wer ist es?
WOLINSKI. Die fremde Frau – – Das Weib des Galizyn –
KURAKIN. Was hat die Fremde –?
WOLINSKI. Daß du gerade fragst –? Denk an die Rosen von Mitau! Kann sein, sie will uns heute einen Zaren geben, der Anatol der Erste heißen wird – – Unwillige Geste allseits.
KURAKIN. Das soll sie nimmer –!
WOLINSKI. Wer soll's verhindern, wenn nicht wir?
PUSCHKIN. Ein fremdes Leben – ohne Schuld –
WOLINSKI. Tun wir es nicht, so findet leicht sich eine andere Hand für sie – und auch für uns! Die Zarin sieht auf jeden unsrer Schritte. Wir können nicht zurück. Nach kurzer Pause. Wer übernimmt es? Alle stehen schweigend.
JEROPKIN nach Pause; finster. Schick mich in die Hölle, – aber nenn mich einen Mann. Ich tu's.
WOLINSKI. Brav, Peter Jeropkin! Doch deinem Werke folgt die Vergeltung an ihr, die es verlangt. Legt ihm die Hand auf die Schulter. Zur Tat! Erst du – dann ich!
Ab mit Jeropkin links vorn; Eichler, Chruschtschow und Puschkin folgen nach.
KURAKIN bleibt etwas zurück. Zwei Leben – –? Er ist offenbar in größter Bestürzung, völlig ratlos, fährt sich mit der Hand über Stirn, gibt sich schließlich einen Ruck, den andern nachzufolgen. Im selben Augenblick aber kommt eine Schar Masken von der Galerie hereingelaufen. Trubetzkoj, Löwenwolde, die Narren La Costa, Pedrillo, Apraxin und Balakyrew sind unter ihnen; auch mehrere Damen in Kostüm und Maske. Sie halten einander an den Händen und laufen taumelnd und lachend auf Kurakin zu, den sie sofort einkreisen und am Fortgehen hindern.
TRUBETZKOJ. Hallo! Halt! Der König! – Narrenvolk – hieher! Dein neuer König!
LA COSTA packt Kurakin beim Rock und zieht ihn rücklings in die Mitte der Bühne. Halt! Wer einen König fängt, der hält ihn! Zu allen. Kommt, wir wollen unserer Majestät ein Liedchen singen –!
ALLE indem sie einen Kreis um ihn drehen und wie Kinder zum Ringelreihen halb sprechend singen.
König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand
ohne Thron und Schranzen –,
wähle dir nach deinem Sinn
eine schöne Königin
für die Nacht zum Tanzen![184]
Sag uns: Welche soll es sein?
Jede fangen wir dir ein!
KURAKIN sucht die Kette zu durchbrechen. Gebt mich frei, sag' ich Laßt mich aus dem Ring, Narrengesindel!
Sie drehen und singen weiter, indem sie ihn gegen die Galerie führen und ganz taumelig machen; in der Galerie kommen ihm Anatol und seine Gattin Maria entgegen, die eben eintreten.
KURAKIN sieht Maria. Wer ist die Dame –?
LA COSTA. Die Fürstin Galizyn –
KURAKIN zu den Narren, die ihn noch immer festhalten. Auf der Stelle laßt mich frei!
LA COSTA. Warum nicht gar!?
ALLE indem sie ihn nach links in die Galerie hinaus drängen und um ihn her hüpfen. Such dir eine Königin – Sag uns, welche soll es sein – für die Nacht zum Tanzen –?
KURAKIN. Laßt los – –!
DIE NARREN schon draußen.
König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand
komm, wir wollen tanzen –!
Alle ab in die Galerie.
Anatol – Maria.
MARIA eine lichte, junge Erscheinung; den Narren nachsehend. Was wollen sie mit ihm –?
ANATOL. Zum Narrenkönig soll er sich krönen lassen, doch es scheint, er will nicht recht.
MARIA. Das war Fürst Kurakin –?
ANATOL. Ein wilder Säufer – ja! 's ist schade. Doch laß sie erst alle nüchtern sein, dann sollst du sehen, was in diesen Menschen steckt!
MARIA sieht gegen links, woher Lärm dringt. Wie toll sie's treiben!
ANATOL. Laß sie nur. Sie sind maßlos im Rausch, wie sie auch im Verlangen nicht Grenzen haben. Gibst du ihnen Schnaps, so sind sie Tiere. Aber wer dies Volk in seiner gläubigen Unendlichkeit mit reinem Willen fassen kann, der macht ein Reich von Glücklichen aus ihnen. Denn in diesem Land ward viel entbehrt und viel ersehnt. Und nur wer beides kennt: Das Leiden und das Verlangen, ist zum Sieger reif. – Mir ist nicht bang um sie. Ein fester Griff reißt sie zum Höchsten. Und es brennt in mir, mit ihnen viel zu wagen – ach, so viel, daß keiner sagen kann, es gäbe mehr!
MARIA zärtlich. Nun glühst du wieder –
ANATOL. Soll ich's nicht? Nimmt sie in die Arme. Es reißt und fordert![185] Unser Herz soll nicht für uns allein mehr pochen. Jeder Schlag muß tausend, hunderttausend – Millionen befreite Herzen mit uns schwingen machen! Nimmt ihre Hand. Gib deine Hand mir. So – Es ist zu Zeiten in einer Frauenhand die stille Kraft der Gotteshand, die einst uns sicher führte durch's Kinderparadies. – Sie soll mich führen, die liebe, kleine Mutterhand; soll kühl auf meiner Stirne ruhen, wenn es heiß – zu heiß drin hämmert.
MARIA. Wird sie es auch können –? Ich bange drum.
ANATOL. Du sollst darum nicht sorgen. Erdenken wirst du's nicht – doch wirst du's finden, weil ich es zwingen will – und weil du rein wie die Madonna bist. Kuß. Denn alles Große entstand aus Wollen und aus reiner Liebe. – Erschaffen heißt das Glück der tiefsten Einheit. Gedanken, Keime, Ströme bleiben Teil. Doch daß es treibt, Gestalt wird, wächst und lebt, daß ein begrenztes Festes steigt aus dem Unendlichen, Vermengten – alles Leben sich in der kleinen Einheit eig'ner Farben vielfältig spiegelt – dieses Wunder hat der ewig kreisende, erhabne Wille nicht einsam dem Geschied'nen vorbehalten. Er schuf von sich zur Erde eine Brücke vom Strömenden zum Hastenden den Weg, von Sinn und Form, von Seele und Erscheinung ein Band – und nannte es mit Namen: Weib. Ja, du bist viel, Maria! Quelle bist du und Blüte, Sinn und Seele meines Lebens und meines Werdens, heilige Muttererde. –
MARIA in seinen Armen. Wie einen Mantel breitest du die Worte um mich – und in mir schaudert es vor Lust. Ich möchte immer so mich an dich halten und gar nichts sein, als was ich in dir bin. Da wird mir alles fern, was heut' und gestern Gestalt und Farbe hatte. Weit zurück quellaufwärts geh' ich da in's Kinderland, wo eine grüne Sonnenwiese und ein großer, blauer Himmel alles war – und bin ein Teil von beiden. – Zweimal schenkt uns Gott die ganze Welt: Im Paradies der ersten Jahre – und zum zweiten Mal im Auge dessen, der uns liebt. –
ANATOL. In dir. –
Sie küssen sich; Pause seliger Versunkenheit.
Rechts vorn und links hinten erscheinen zugleich
Maskengruppen, die einander zuwinken und sogleich näher laufen. Trubetzkoj, Ostermann, die vier Narren und Kurakin sind darunter.
LA COSTA im Auftreten. Du führst uns, Oberschranze! Wird mit Ostermann sichtbar. Wo ist sie? Du kennst sie! Unser König will keine andere!
TRUBETZKOJ. Gefunden! Hieher! Auf Maria weisend. Die Königin!!
ALLE näher drängend, tief knicksend und sich verbeugend. Königin! Die Narren werfen sich vor Maria nieder. Königin![186]
LA COSTA kniend. Fürstin! Du bist auserwählt unter allen Frauen des heiligen Rußland! Du mußt unsere Königin sein!
ALLE durcheinander. Du mußt die Königin sein!
TRUBETZKOJ. Seine närrische Majestät, König Kurakin will es.
OSTERMANN uu Anatol. Er gab nicht nach! Ich mußte sie verraten.
KURAKIN rechts beim Thron; mit großer Geste. Man führe mir die Gemahlin zu!
LA COSTA bietet Maria den Arm. Frau Königin! Laßt mich Freiwerber sein! Führt sie, die lächelnd annimmt, unter Gelächter der Masken Kurakin zu.
TRUBETZKOJ indessen zu Anatol. Auf Narrenfesten gibt es keine Ehefrau. Seien Sie nicht traurig darum. Ich habe meine Frau den ganzen Abend nicht gesehen. –
ANATOL auf den Scherz eingehend. Ich beuge mich in Demut seiner närrischen Majestät.
KURAKIN hat Maria vom Arm La Costas empfangen. Sie sollen an meiner Seite nicht klagen dürften, Madame! Ich werde Ihrem Gatten einen höheren Orden verleihen für seine Freundlichkeit. Hier – Reißt dem nächsten Narren einen Flitterstern ab und gibt ihn La Costa, der den Flitterstern mit beiden Händen Anatol entgegenträgt und vor ihm niederkniet; alles sieht auf diesen Vorgang.
KURAKIN auf der andern Seite der Bühne mit Maria einen Augenblick unbeachtet, sehr eindringlich und ernst. Um alles in der Welt! Fürstin! Gehen Sie nicht von meiner Seite –!
MARIA scherzend. Wie's einer treuen Gattin ziemt –!
KURAKIN wie oben. Nicht als Narrenkönig spreche ich! Bleiben Sie den ganzen Abend neben mir! Ich bitte Sie darum!
LA COSTA der indessen den Stern an Anatols Brust geheftet hat. Der erste Paladin des Narrenkönigs! Er lebe hoch!
ALLE. Hoch! Hoch!
LA COSTA auf den Narrenwagen deutend. Und hier wartet der Krönungswagen! Auf zur Zarin! Sie muß Königswahl und Hochzeit zugleich sanktionieren! Die Majestäten voran! Das Volk dahinter! Vorwärts!
Indem Kurakin und Maria den Wagen besteigen und von den Narren und Masken hinausgefahren werden, singen alle wie früher.
König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand!
König ohne Schranzen!
Hast ja nun nach deinem Sinn
eine schöne Königin,
Königin zum Tanzen.
[187] Alles geht taumelnd, hüpfend, einander küssend in die Galerie ab, Anatol und Ostermann gehen als letztes Paar.
OSTERMANN hält Anatol zurück. Ein Wort – Kommen etwas nach vorn. War heute außer mir noch jemand vom Hofe bei Ihnen?
ANATOL. Kurz nach Ihnen brachte Graf Wolinski die Einladung zu diesem Fest.
OSTERMANN. Sie sprachen mit ihm von Ihren Plänen?
ANATOL. Kein Wort.
OSTERMANN. Die Zarin weiß davon.
ANATOL sehr erstaunt. Das ist – –
OSTERMANN. Ich hatte ihr in fliegender Hast das Wichtigste mitgeteilt – nur Worte, – einzelne Bilder etwa – sie ließ mich ruhig ausreden – lächelte nur – doch als ich zu Ende war, auf Antwort wartete – da sagte sie nur: »Und was er Ihnen nicht verraten hat –« – und als ich fragend aufschaute – »das weiß ich auch –«
ANATOL. Und weiter –?
OSTERMANN. Kein Wort. Nur jenes starre, tatarische Lächeln, das selten Gutes bringt. Kleine Pause; er geht unruhig umher. Wäre die Nacht erst vorüber! Dieses Fest gefällt mir nicht! Es verbirgt hinter seinem Jubeln und Klingen leise, schleichende Tritte. Wohin man sieht – überall drückt sich etwas an die Wand – huscht durch die Gänge – hinter den Masken lauern falsche Blicke –
ANATOL lacht. Exzellenz – Mummenschanz ist alles! Es soll wohl heute hier ein Narrentheater geben. – Auch was die Zarin sagte, klärt sich mir jetzt: Ich sprach ihr heute früh von vielem, worüber wir noch nicht geredet haben. – Das meinte sie wohl – ich dachte nur nicht gleich daran.
OSTERMANN sieht ihn an. Sie waren lange fort. Ich seh' es anders. Die Zarin hat eine Welle Tatarenblut in den Adern. Gemischtes Blut glaubt an das Reine nicht. Sie sucht nach einer Lüge – nach Ihrer Lüge sucht sie –
ANATOL. Nach – meiner Lüge –?
OSTERMANN. Sie kennt nichts anderes.
ANATOL. Sie ist ein Weib! Und Widerhall und Warten ist jede Frau. Laßt sie das Große rein und einfach sehen – so ist sie groß und rein. Schafft ihr Erinnern an ihr Gutes – und sie ist wieder gut. –
OSTERMANN herzlich warm. Wenn dieses Wunder Wahrheit würde –! Doch es muß! Sonst haben Sie vergeblich eine Welt in Ihrem Kopfe reifen lassen. Und nicht nur das allein: Wenn sich die Zarin nicht zu freier Höhe schwingt und mehr wird, als sie jemals war – dann rächt sie sich an denen, die es könnten – dann fliehen Sie, so schnell Sie können, Freund –!
ANATOL lächelt. Nun – nun – Es ist noch nicht so weit – und wird auch nie. Ich bin nicht bange drum. –[188]
MARIA kommt, ziemlich erhitzt, eine Flitterkrone mit langen Bändern im Haar. Wo bleibst du, Antja?
ANATOL. Kleine Narrenbraut! Wo hast du den Gemahl?
MARIA. Ich bin entlaufen. –
ANATOL. Oh! Dein König? – Majestätsverrat!
MARIA zieht ihn etwas seitab. Er ist so sonderbar –
ANATOL. Dein König Kurakin –?
MARIA. Ich weiß nicht: Ist es Scherz – ist's Ernst –? Er spricht so dunkel. –
ANATOL lacht. Das will ich glauben. Wer die Zunge so in Schnaps gebadet hat, dem liegt sie schwer im Mund. Was sagt er denn?
MARIA. Er redet allerlei. Er müsse hier zwei Damen schützen, sagt er –
ANATOL. Gleich zwei? Das sieht ihm gleich. Er bleibt auch nie bei einem Glase stehen. – Wer sind die Glücklichen?
MARIA. Mich meint er wohl –
ANATOL. Nun – und die zweite?
MARIA. Die nennt er nicht. Doch er ist voll Unrast – und in den Augen zuckt es ihm wie ein Gewitter. – Drückt sich an ihn. Ich fürchte mich beinahe – –
ANATOL. Du auch? Zu Ostermann. Da sehen Sie: Der Narrenscherz macht bange Herzen. Nicht nur Ihnen.
OSTERMANN kommt näher. Was ist der Fürstin –?
ANATOL. Auch sie will Zeichen sehen – noch dazu in den Augen eines Betrunkenen. Streichelt sie. Kleine Narrenkönigin! Was haben sie dir für eine Krone aufgesetzt? Nein, wie schön du bist! Ich werde den Narrenkönig ermorden – und ihm Weib und Herrschaft rauben! Das wird das furchtbare Ereignis dieser Nacht sein, das euch schon jetzt in allen Gliedern zuckt!
WOLINSKI kommt von der Galerie.
ANATOL ihm entgegen. Ah – Graf Wolinski! Endlich ein froher Mann! Oder ahnen auch Sie schreckliches Geschehen?
WOLINSKI der seine Betroffenheit schnell beherrscht. Warum nicht? Man soll immer Schreckliches ahnen – dann überrascht es nicht, wenn's da ist. Aber heute ist Narrenregiment! Da ist für trübe Betrachtung kein Platz. Verneigt sich vor Maria.
ANATOL. Das sagte ich eben – – Spricht mit Ostermann.
MARIA reicht Wolinski die Hand, die er an die Lippen führt; dann sieht er sie einen Augenblick an. Kleine Pause. Stimmten nähern sich.
WOLINSKI. Doch ich vergesse: Die Zarin kommt! Zu Anatol. Ich lief ihr voraus – denn Ihnen, Durchlaucht, gilt die Ehre vor allen. Ich wollte mir's nicht nehmen lassen, der Freudenbote zu sein.
ANATOL freudig überrascht. Die Zarin –?
WOLINSKI. – will Sie vor allen erhöhen. – Ich schwatze aus der Schule, doch die Freude mag mich schuldlos sprechen.
ANATOL zu den beiden andern. Nun – ihr Unglücksraben –!?
[189] Rufe und Stimmen rasch näher, die drei Anwesenden treten gegen links vorn zur Seite, da von der Galerie der Hof auftritt. – Dieser Auftritt ist von größter
Pracht. Alles ist auf der Bühne. Goldgestickt, edelsteinbesetzte Hoftrachten der Herren, Seidenkleider, Pelzmäntel und weiße Turmfrisuren der Damen ergeben im Vereine mit den grellen Farben der Narren und Maskenkostüme ein Bild von orgiastischer Fülle, in welchem aufregende, einander stechende Farbenkontraste den Grundcharakter bestimmen. – Die Gesellschaft ist immer in Bewegung und ziemlich außer Form. – Zwei Gruppen lassen sich ungefähr unterscheiden: Die eine, bestehend aus den Narren, Kurakin und einigen Herren und Damen, geht auf Maria zu, umringt und neckt sie mit Rufen »Narrenkönigin«, tiefen Bücklingen und Kniefällen. – Die andere Gruppe umgibt hauptsächlich die Zarin. Hier sind vor allen Biron, Löwenwolde und Ostermann zu sehen, indes sich die Verschwörergruppe erst nach und nach von den andern unauffällig sondert und gegen links Stellung nimmt. – Die Zarin bemerkt bei ihrem Auftritt Anatol und Maria, die sich beide tief neigen, zuckt, bleibt einen Augenblick stehen und geht vorüber. Sie ist unruhig und mühsam beherrscht, steigt die Stufen zum Thron hinan und setzt sich. Pagen und Herolde nehmen Stellung. – Fanfaren.
ALLE ziemlich ungeordnet. Lang lebe Rußlands Kaiserin!
ANNA nickt; ihr Blick ist regungslos auf Maria und Anatol gerichtet, die sie während der folgenden Szene unverwandt ansieht, ohne auf irgend etwas zu hören.
WOLINSKI tritt vor. Kaiserin! Herrin des Festes! Sieh deines Knechtes ärmliches Werk! Möge ein Lächeln deines Vertrauens reichlich ihn lohnen. – Zarin, lebe!
ALLE. Hoch –! Hoch –!!
TRUBETZKOJ. Wo bleibt der Narrenkönig –!?
VIELE STIMMEN. Der Narrenkönig –.
LA COSTA tritt mit den Narren vor. Hörst du es Zarin? Sie fordern für uns einen König! Zu den Narren. Auf die Knie, Gesindel!
DIE NARREN werfen sich vor dem Thron nieder. Zarin, es starb uns der Fürst! Gib uns einen neuen!
LA COSTA. Aber wähle klug, Mütterchen! Der Narr ist der erste Mann am Hofe. Keiner steht dir so nahe wie er. Er allein darf die Wahrheit sagen, denn er ist ja doch ein Narr und hat nichts zu verlieren als seine Schellenkappe –!
VIELE STIMMEN. Kurakin! König Kurakin!
KURAKIN der nach vorn gestoßen wird. Hörst du des Volkes Stimme? Auf mich fiel der Menge Wahl und Gunst!
LA COSTA. Auch eine Königin hat er schon erwählt. Er fand die Schönste von allen – Auf Maria weisend. Hier! Wir haben ihr schon die Krone aufgesetzt. – Fehlt nur noch dein Segen. –
DIE NARREN UND ANDERE. Der Narrensegen![190]
ANNA durch die Wendung gegen Maria aus ihrer Starrheit aufgeschreckt. Ja – ja – – Das auch. Doch vorher anderes. Es tritt Stille ein: Die Zarin sieht noch immer auf Anatol und Maria. Ein treuer Paladin ist heimgekehrt, der seine Heimat stets im Herzen trug ... und nie vergaß. Er soll der erste sein, den dieser Abend grüßt. Sein ist das Fest vor allen. Deine Kaiserin vergißt der Treue nicht, Fürst Galizyn!
ANATOL führt Maria vor. Doch sie beschämt mich. Kann ich von Verdienst schon sprechen? Und ich muß sogar noch mehr von dir erbitten, Zarin. Laß die Gunst, die ich mir erst erwerben will, auch ihr zuteil sein, die mit mir den harten Weg des Werdens ging. Was du mir Gutes willst, las sie genießen – und laß mich knien, Kaiserin, und eines wünschen: Sei, wie sie dich glaubt, wie sie dich kennt durch meine Augen!
MARIA neigt sich tief.
ANNA ohne den Blick von ihr zu wenden. Treten Sie näher, Fürstin.
MARIA steigt die Stufen zum Thron empor. Die Zarin sieht ihr unbeweglich in die Augen, bevor sie die Hand hebt, die Maria an die Lippen führt.
ANATOL sieht auf die Zarin.
DER HOF beobachtet neugierig den Vorgang.
JEROPKIN ganz auf der anderen Seite der Bühne, von niemand sonst gehört, gedämpft zu Wolinski, der neben ihm steht. Graf Artenau – – es ist hart – –
WOLINSKI ebenso. Es muß sein, Peter Jeropkin, es muß sein!
ANNA mit schwebender Stimme zu Maria. Ihr Heimatland ist weit –
MARIA. Ich hab' es fast vergessen.
ANNA. Vergessen – –? Die Heimat – –?
MARIA. Heimat ist Liebe – nicht Berg und Meer.
ANNA sieht sie überrascht an. Heimat – ist Liebe – – ja – und die Fremde –?
MARIA. Liegt wohl in keinem Lande. Ich kenn' sie nicht. Sie mag die Wüste sein an einem Herzen, das sich nach einem andern verbrannte. Sie mag der Tod im Leben sein – – Ich kenn' es nicht – das Fremde.
ANNA quälende Ergriffenheit niederhaltend. Du Kind – – du Kind.
MARIA einfach und treuherzig. Ich möchte »Mütterchen« zu Ihnen sagen, Majestät. Ist mir's erlaubt?
ANNA zerwühlt. Laß das –! Wie du mich nennen sollst – – das Wort hat keiner noch erfunden – fremde Frau – – du fremde Frau –
MARIA blickt betroffen auf Anatol.[191]
ANNA bemerkt den Blick; sie ist gleich wieder starr, wie zu Anfang und nickt Maria formell zu.
MARIA geht sich neigend, die Stufen herab zu Anatol. Sie bleiben in der Nähe des Thrones stehen.
JEROPKIN taucht wie ein finsterer Schatten hinter Maria auf und bleibt bis ans Ende der Szene in ihrer nächsten Nähe.
ANNA wehrt sich gegen die momentane Stille. Was säumt ihr!? Ich will nicht, daß alles auf mich sieht und wartet? Es ist so still hier – es ist zu still hier! Und alle Säle sind leer und die Lichter flackern einsam, wie bei einer Leichenfeier! Steht jäh auf. Narrenfest ist heute! Rufen soll es und flirren und jubeln! Geht vom Thron mitten in die Gäste. Narrenheil!
ALLE plötzlich befreit. Narrenheil! Narrenhoch! Hoch –!! Eine wogende Bewegung entsteht. Einige schütteln Anatol die Hand. Die Verschwörer (Jeropkin) drängen Maria unauffällig gegen rechts ab. Biron, Trubetzkoj u.a. sind in der Nähe der Zarin. Unter Lachen und Schwatzen geht alles hauptsächlich nach links in die Galerie ab.
KURAKIN kommt an der Zarin vorüber. Mütterchen! Vergiß des Narrenkönigs nicht! Sieht sich um. Wo ist meine Königin?
WOLINSKI deutet nach links. Mit den Narren da hinaus!
KURAKIN mit einigen anderen rasch in die Galerie links ab.
ANNA durch Wolinskis Stimme auf ihn aufmerksam geworden, wie von plötzlicher Eingebung erfaßt. Graf Wolinski –!
WOLINSKI mißdeutet den Zuruf. Der rote Wein – – Ich denke daran – – Ab.
BIRON zu Anna. Er bringt dir heute den Ehrentrunk –?
ANNA. Ja. – Sieht starr nach der Richtung, in der Wolinski ging; macht eine Bewegung, als wollte sie ihn zurückrufen.
BIRON. Was willst du –? Soll ich ihn – –?
ANNA sieht in diesem Augenblick plötzlich Anatol neben sich. Wie –? Nichts. – Nein.
BIRON, OSTERMANN UND LÖWENWOLDE gehen jetzt als letzte in die Galerie ab.
ANNA bleibt mit Anatol absichtlich etwas zurück. Bleib, Antja Galizyn.
Anna – Anatol.
Die Zarin kommt mit Anatol wieder nach vorn. Auf ihren Wink gehen auch die Pagen und Trabanten, so daß sie mit Anatol allein ist. – Von ferne kommen die Wellen des Festlärmes hie und da heran, verstummen nie ganz, dürfen aber auch nicht störend wirken.
ANNA nach einer Pause, in der sie ihn schweigend angesehen hat, möglichst unbefangen. Dein Weib ist schön. – Kleine Pause. Ich liebe diese fremde Frau – –[192]
ANATOL. Fühlst du sie fremd, Kaiserin –?
ANNA. Du liebst sie sehr – –?
ANATOL schweigt.
ANNA näher. Liebst du sie sehr?
ANATOL. Sie lebt in mir – ich lebe in ihr – wir sind eins.
ANNA langsam. Sie – lebt in dir –? Du – und wenn sie stürbe?
ANATOL erschrickt. Kaiserin – scherze nicht –!
ANNA lacht hart. Haha! Du tust mir leid. Plötzlich. Laß dieses Weib! Hörst du!? Ich will es! Deine Kaiserin will es!
ANATOL in starrem Schreck. Das könntest du – –? Plötzlich. Wo ist sie –? Geht gegen links hinten.
ANNA. Bleib!
ANATOL geht noch einen Schritt weiter. Wie er in die Galerie kommt, treten rechts und links plötzlich zwei riesige Kosaken vor, in langen, dunklen Mänteln, den bloßen Säbel vor sich in Händen, schwarze Masken vor den Gesichtern, und vertreten ihm den Weg. Er tritt zurück. Was ist das?
ANNA. Ein Maskenscherz. Nichts weiter. Sie winkt; die Kosaken verschwinden. Du erinnerst dich: Ich liebe solche Spiele. Denkst du noch an die Garden von Mitau? Die Burschen da sind fester – hoffe ich.
ANATOL tritt vor sie hin. Zarin – was du auch mit mir vorhast – – laß sie es nicht entgelten!
ANNA. Du meinst die fremde Frau ...? Wenn du dich von ihr lossagst, kümmert sie uns gar nicht mehr.
ANATOL. Von ihr – lossagen –? Lächelt. Nein – dein Scherz ist bitter! Laß es genug sein.
ANNA kalt. Sie gehört dem fremden Glauben an – der feindlichen Kirche! Auch du – Er zuckt zusammen. – Ich weiß es! – Du kennst die Gesetze des Zaren Peter – weißt, was sie dem Verräter der heiligen Kirche Rußlands bestimmen! Antja Galizyn! Du stehst in meiner Hand.
ANATOL sieht sie voll an. Ich gab mich selbst in deine Hand.
ANNA. Mit einer Lüge!
ANATOL. Mit allem Glauben.
ANNA. An meine Weichheit!
ANATOL. An deine Größe –
ANNA. An meine Torheit –! Du kennst mich ja gut!
ANATOL. Ich weiß nur: Du kannst nicht grausam sein!
ANNA kämpft um Fassung. Und – wenn ich's könnte – –?
ANATOL nahe. Anna – –!
ANNA plötzlich am Ende ihrer Beherrschung. Antja Galizyn! Warum[193] quälst du mich!? Warum hast du mich verraten? Warum hast du mir alles genommen –?
ANATOL. Ich nahm dir nichts –
ANNA. Wer die Gabe verschmäht – raubt des Gebenden Glück! Das nahmst du mir! Es war alles – alles!
ANATOL wendet sich ab.
ANNA in rascher Steigerung. Mein Herz war ein Garten blühender Frühlingsblumen – – Sie gehörten dir – – du zertratest sie! Mein Denken war ein Gebet, meine Seele ein Lied – – Meine Sinne ein zehrender Schrei nach dir! Du hörtest ihn nicht! – Auf diese Stirne, die von der Liebe träumte, legten sie eine Krone, drückend und schwer! In diese weiche Hand einen Tyrannenstab – und das wühlende Herz hießen sie schweigen und sterben. Doch es lebte und lebt – – Faßt seine Hand.
ANATOL. Kaiserin, laß mich fort – –!
ANNA plötzlich wieder hart und trotzig. Sag dich los von ihr! Sag dich los – ich will es!
ANATOL. Das ist Wahnsinn!
ANNA drohend. Was ich dir gab – und du nicht nahmst – kann Gift und Feuer werden in meinem Herzen! Hüte dich – hüte dich: Page Galizyn!
ANATOL. Zarin – mein Weg ging durch die große Einsamkeit, die einen Gott aufruft in sterblicher Brust! Ich komme mit tiefem Glauben und vollen Händen – ich litt um das Große – um deine Größe.
ANNA grell lachend. Hahaha! Lüge ist alles! Deine ganze Welt ist ein Kartenhaus – eitel und hohl und falsch! Nur eines ist wahr – nur eines ist groß –: Dein Verrat!! – Alles hast du verraten! Alles – alles – –!
ANATOL. Denk an die Rosen von Mitau – an ihr mildes, duftendes Blühen –!
ANNA. Rufst du auch sie heran!? Warum marterst du mich –? Du –!? Wieder ganz nahe. Antja! Antja Galizyn! Du weißt nicht, wie arm deine Zarin ist – wie sie hungernd aus all' ihrer Pracht nach der letzten Dienerin sah, welche Liebe fand, wo sie liebte! – Brennend. O, sprich ein Wort, Antja, nur ein einziges Wort – und alles soll versinken – nur du – nur du und ich –! Die Welt, die du in dir trägst, ich will sie empfangen – – mach' sie aus mir – aus meinem Herzen – es ist bereit – es ist wieder bereit – es will blühen! Kniet nieder. Ein Bettelweib kniet vor dir – und hungert – und dürstet – und friert – und küßt deines Kleides Saum – und küßt deine Hand – und weint nach dir – – –[194]
ANATOL wehrt sich. Dieser Rausch in der Luft – – dieser Glanz – – dieses Flirren –!
ANNA an ihm empor; heiß. Auch ich bin schön –! Du weißt nicht, wie ich bin – –! Ich liebe dich –!
ANATOL stößt sie zurück. Dirne –!
ANNA taumelt, wie von einem Peitschenhieb getroffen, mit einem lauten Schrei zurück. Aaaah! Kosaken und Garden stürzen herein. Bei ihrem Anblick faßt sie sich gleich und bricht in ein lautes, grelles Lachen aus. Die Garden und einige nachdrängende Höflinge bleiben unschlüssig stehen. Anatol ganz im Vordergrunde – blickt wie gelähmt auf die Zarin.
ANNA lachend. Hahaha! Du stehst verwundert da! Doch es ist mein Wille! Zu den Höflingen. Ruft die Narren! Sie gehen ab. Du sollst sehen, es war ernst gemeint! Kommt näher. Ich habe dich einmal schon fangen wollen, mein Hühnchen! Aber du bist mir entsprungen – – Heute halt' ich dich fester. Sei lustig! Es ist dein Fest, mein Hühnchen – dein Fest – –!
Die Narren kommen taumelnd und tanzend herein, Masken, Herren und Damen folgen ihnen. Pedrillo trägt einen roten Mantel mit Schellenkragen in der Hand, Balakyrew eine Flitterkrone mit Schellenzipfeln auf einem Kissen, Apraxin ein Narrenszepter. La Costa geht ihnen voran. Sie sind alle – wie auch die übrigen Festgäste, mehr oder minder betrunken und benehmen sich sehr laut. – Hofleute und Festgäste drängen jetzt und während der ganzen Szene neugierig herein, unter ihnen
Trubetzkoj, Biron, Ostermann, aber keiner von den Verschwörern; auch Kurakin ist nicht unter ihnen.
DIE NARREN hereintaumelnd. Lebe, Mütterchen! Laß uns trinken – Jeden Tag so viel wie heute!
ANNA. Lache, lustiges Volk! Einen König will ich dir krönen!
LA COSTA. Einen König!? Hört – nun bekommen wir unseren König! Und sind alle so be – betrunken – –
PEDRILLO. Hier halt ich sein Kleid!
BALAKYREW. Hier seine Krone!
APRAXIN. Hier seinen Herrscherstab!
ANNA auf Anatol weisend. Und hier steht er selbst! Allgemeines Staunen. Die Hofleute kommen näher.
ANATOL macht einen Schritt gegen die Zarin; knirschend. Kaiserin!!
ANNA lacht. So lohnt eine Kaiserin deine Treue! Immer will ich dich sehen – immer dich bei mir haben! Lache, mein König! Lache, mein Narr – mein Narr! Sie hat die Narren herangewinkt; sie knien vor ihr nieder und halten ihr die Stücke: Mantel, Krone, Zepter hin. Die Zarin nimmt eins nach dem andern und bekleidet Anatol damit. Der Hof sieht lachend zu.
ANNA fiebernd. Selber will ich dich krönen, selbst dich bekleiden! [195] Nimmt ihm den Degen ab. Hier, der Degen will mir nicht passen zum Narrenkleid. Nimm ein Zepter dafür! Und einen roten Königsmantel, damit du fühlst, wie man in Herrscherkleidern geht. Und eine Krone – Hahaha! – Auch du sollst eine Krone tragen, die dich drückt – mein Narr! Oder willst du lieber mein Hühnchen sein – ein Federkleid haben – und auf einem Eierkorb sitzen – und schnattern – und gackern – hahaha! – oder auf einer Stange klettern wie mein Kakadu? – Ich will jeden Tag was Neues erfinden, was dich lächerlich macht, wie sich's für Affen und Narren gehört – damit ich an dir mein Vergnügen habe – mein Narr – mein König – Nimm und genieße! Lache und trinke! König, lebe und nütze dein Amt! Närrisches Volk – huldige ihm! Sie tritt auf den Thron zurück; die Narren schlingen einen Reigen um Anatol und singen ihr Lied.
DIE NARREN tanzend.
König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand!
Ohne Thron und Schranzen –,
Narrenkönig Trauersinn,
Wo ist deine Königin
Für die Nacht zum Tanzen?
ANATOL der wie gelähmt stand, schrickt beim Worte »Königin« jäh auf. Maria –! Wo – –?
WOLINSKI tritt hastig ein und drängt sich durch, so daß er die Mitte der Bühne nimmt. Alles sieht plötzlich auf ihn und es tritt volle Stille ein. Er hat den von der Kaiserin erhaltenen Pokal in der Hand, der mit rotem Wein bis an den Rand gefüllt ist, und hält ihn der Zarin entgegen. Anna erbleicht und sieht mit weiten, starren Augen auf den roten Becher. Die Stimme Wolinski's beherrscht die ganze Szene. Lang lebe Rußlands Kaiserin! – Zarin, dein Knecht vollzog dein Gebot –! Hält ihr den Becher hin.
ANNA nimmt den Pokal, hält ihn einen Augenblick und stellt ihn dann auf das Tischchen neben dem Thron; heiser, bebend. Fürst Anatol, mein Narrenkönig – – das Fest gilt dir – und deinem Weibe! – Dich krönte ich – ihr ließ ich eine Brautfahrt richten – – – Sieh!
Der Vorhang wird rasch weggezogen; der Narrenwagen, von Dienern in schwarzen Masken und roten, langen Mänteln gezogen, rollt herein und macht vor der Zarin halt. Marias Leiche liegt darauf. Ihr Haar und die Bänder der Narrenkrone fließen herab – Anna, neben dem Thron stehend, sieht auf Anatol. Sie droht umzusinken, stützt sich und atmet schwer.
[196]
ANATOL wankt gegen die Leiche, erkennt den Zusammenhang und will sich mit einem unterdrückten Wutschrei auf die Zarin stürzen.
BIRON der zunächst steht, hält ihn am Arm fest, im selben Augenblick viele erregte Stimmen rasch näher.
KURAKIN an der Spitze von Bewaffneten, den bloßen Degen in der Faust, stürzt herein und weist auf Wolinski. Greift ihn!!
WOLINSKI will sich mit bloßem Degen auf Kurakin stürzen.
LÖWENWOLDE UND ANDERE packen und überwältigen ihn.
KURAKIN keuchend. Gift ist im Wein!!
DER HOF. Verrat! Verrat! Starke Bewegung allseits.
ANATOL hat bei Kurakin's letztem Ruf den Becher an sich gerissen und trinkt ihn hastig aus.
KURAKIN springt hinzu. Der rote Trank –! Vergiftet –!!
ANATOL den leeren Becher in der erhobenen Rechten, springt vor die Kaiserin, die, hoch auf den Thron gestützt, bleich und sprachlos auf alles sieht, mit alles beherrschender Stimme. Kaiserin! Lebe! Dir galt dieser Trank! Nie sollst du ihn trinken! Wirft ihr den Pokal vor die Füße, wo er zerschellt. Herrsche, Kaiserin! Lebe –!
KURAKIN vom ganzen Vorgang und Anblick der Toten gelähmt, keuchend, abgerissen; zur Zarin. Dir war's vermeint –! Auf Wolinski deutend. Von dem – und dem – Auf die anderen Verschwörer weisend, die überrascht hereinkommen und sofort festgenommen werden. – und diesen – –!
DER HOF in heller Entrüstung. Verräter!!
ANATOL ist an der Leiche Marias hingesunken, erhebt sich jetzt ein letztes Mal, macht mit der Hand eine Geste gegen die Zarin und bricht sterbend zusammen.
KURAKIN auf beide sehend. Hier ist's zu spät – – Es war zuviel für diesen alten Kopf – zuviel zugleich – doch du – Zarin – du lebst! Ich habe gesühnt! – Es ging um den Thron des Zaren Peter – nach der Krone ging es – dein Tod – war – ihr Plan –
ANNA hat Anatol sterben sehen; in die Weite schauend, mit tiefer, fremder Stimme, in der ein Sterben zittert. Ein Flügel rauscht – – Es schwingt und schwebt – und scheidet – Was wollt ihr noch töten – an – mir – –?
Sie bleibt starr stehen.
Der Vorhang fällt langsam.
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