2. Szene

[220] Vorige, die stumme Sklavin, ein Kriegsknecht.


DER KNECHT führt die stumme Sklavin, das Gärtnermädchen, ein sehr schönes, junges Weib, das in prächtige Gewänder gehüllt ist und einen Kronreifen im Haar trägt, rechts hinten die Treppe herab und herein. Sie soll hier warten. Der Herr befiehlt es so.

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Immerzu.

DER SEHENDE WÄCHTER sieht sie erstaunt an. Wer bist du?

DER KNECHT lacht. Haha ... Sie wird dir's nicht sagen.

DER SEHENDE WÄCHTER. Du bist eine Königin ...

DIE STUMME SKLAVIN schüttelt den Kopf.

DER KNECHT lachend. Du bist ein Narr! Nimm sie lieber ... Der Augenblick schenkt sie dir. Jeder ein Tropf, der fragt, anstatt zu erproben. Stößt sie ihm in die Arme. Da ... mach schnell ... Ich halte indessen Wache ... Nicht einmal schreien kann sie ... denn sie ist stumm.

DER SEHENDE WÄCHTER kniet vor der stummen Sklavin nieder. Königin ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Laß deine albernen Spässe! Kennst du die stumme Sklavin nicht? Noch gestern trug sie Asche vom Herd im zerrissenen Kittel. Der Teufel mag wissen, welch Laune des Herrn heut ihren Leib in Flitter hüllt und ins Haar ihr die Krone drückt. Sie soll wohl das Lager wärmen ihm oder irgendeinem. Belian weiß, was er kauft.

DER SEHENDE WÄCHTER fällt vor ihr nieder. Du Stumme, Gekrönte, Schmachübergossene! Ich breite mein Haupt unter deine Sohlen, Stille, gemarterte Königin! Mutter war dir ... Mutter solltest du werden ... Was haben sie, Heilige, dir entrissen! O, der Unendlichkeit ihres Mordes! Schreite hinweg über mich, zertritt mich, Geschändete, reiner als alle, die sich an dir geschändet ... Denn siehe: Auch ich ... auch ich wachse in deine Schuld ...!


Die stumme Sklavin beugt sich nieder und streichelt über seine Schultern.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 220-221.
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