Erster Aufzug.

[5] Personen.


Der Bürgermeister.


Rat Klemens.


Roland der Ritter.


Stadtschreiber Femina.


Ein Hauptmann.


Soldaten.


Scene: Der Sitzungssaal im Rathaus. Um einen Tisch dreizehn Stühle, zwölf für die Räte, der dreizehnte ist der Präsidentenstuhl, welcher erhöht steht. Zwei große Flügeltüren im Hintergrund. Die eine rechts Flucht der Zimmer, die andere links Flur. Der Rat ist versammelt. In längeren Zwischenräumen brummt Melaks Belagerungsgeschütz. Die Versammlung ist niedergedrückt. Die Räte tragen die schwarze Tracht mit den weißen Halskrausen. Roland trägt eine grotesk absonderliche Rüstung und schweres Wehrgehänge. – Sehr fern ein Kanonenschuß. –


DER BÜRGERMEISTER. Es schießt furchtbar.

EIN RAT. Könnt es auch zu uns hereinschlagen?

RAT KLEMENS mit gesträubtem Haar. Möchten wir die Sitzung nicht in meinem Keller abhalten?!

ROLAND er stottert in der Art, daß die Anfangsbuchstaben der Worte zuweilen lange auf seiner Zunge vibrieren, worauf dann das nachfolgende Wort funkenartig losspringt. Z.B. BeBesatzung, wo Satzung kaum zum Laut wird. Auch stottert er mehr, wenn seine Rede öffentlich ist. SSo eine Angst! Und mman hat noch nicht einmal getroffen.

RAT KLEMENS. Ich habe keine Angst. Aber wozu soll sich der Rat so sehr aussetzen? Wir sein der wichtig Rat für die Bürgerschaft, mein Keller liegt drei dicke Sohlen tief unter dem gewachsenen Boden.

ROLAND. Der Rat muß am wwichtigsten, HHerr Rat Klemens, der BBürgerschaft die Unerschrockenheit und den Mutt zeigen.

BÜRGERMEISTER aufkausend. Höret Ihr's nicht, Ritter Roland, wie Melak gegen uns losbrennt![5]

ROLAND in Eifer. Wir müssen das BBeispiel geben, damit die BBesatzung nicht ängstlich wird, Herr Bürgermeister!


Sehr fern ein Kanonenschuß.


BÜRGERMEISTER. Da! 's brummt schon wieder.

RAT KLEMENS. Ich habe den Schlag jetzt an den Füßen gespürt.

DIE RATSHERREN. 's ist recht ungemütlich.

FEMINA einwerfend. Au ja! in der Krone ist's viel gemütlicher.

RAT KLEMENS. Ganz abgesehen, es ist ein wirkliches Zittern im Stubenboden.

BÜRGERMEISTER. Abgesehen gänzlich, Rat Klemens hat einen guten Vorschlag gemacht. Ich schlage auch vor, wir verlegen die Sitzung in seinen ruhigen Keller.

ROLAND. Verkriecht euch! Ich bleibe hier.

BÜRGERMEISTER. Das ist ein übergroßes Bramarbasieren. Ein bloßes Sichhinstellenwollen: da seht her, was ich bin.

FEMINA einwerfend. Das denk ich auch. Wenn es regnet, zum Beispiel, da verkriechen sich auch alle Vögel aus dem offenen Himmel.

DIE RATSHERREN. Bravo, bravo, da ist was ganz Kluges bei'm Federlein.

ROLAND grob. Du Schreiber, was geht denn dich eigentlich das an?

BÜRGERMEISTER. Ein Vernünftiger widerstrebt eben nicht der weisen allgemeinen Einsicht. Ihr könnt immer hier bleiben, Ritter Roland. Wir brechen auf in den Keller. – Wer folgt mir? – Nun?


Die Versammlung steht nur teilweise auf. Etliche zögern.


BÜRGERMEISTER. Ich dächte, in Klemens geräumigen Keller würde mir jeder folgen.

DIE RATSHERREN. Uneinheitlich darf keine Sitzung aus dem Rathaus verlegt werden.

BÜRGERMEISTER. Es ist eine absolute Notwendigkeit, daß wir bei dieser ungeheuer feindlichen Bedrängnis den Ritter bei seiner absonderlichen Passion für Wurfgeschosse allein hier lassen. Also wer folgt? – Welches Kuriosum, daß da ein Mensch zögert.


Kanonenschuß.
[6]

RAT KLEMENS. Ich gehe sehr einfach. Ich halte es nicht mehr aus. Er bricht auf, mit ihm jetzt alle außer Roland und dem Schreiber.

DIE RATSHERREN. Es ist doch sehr ungemütlich.

BÜRGERMEISTER. Schreiber, ergreife die Akten!

FEMINA. Ich schreibe bloß auf dem Rathaus.

ROLAND zitternd vor Erregung. Es tut da nicht alles mit bei dem VVerrat! Der Bürgermeister samt den Räten ssind ffeige!!


Gelächter der Räte.


BÜRGERMEISTER. In diesem Schritte erkenne ich weder Verrat geschweige eine Feigheit.

RAT KLEMENS schon halb von draußen. Kommen Sie, kommen Sie!

BÜRGERMEISTER. Wenn Er dieses Gefühl der Unsicherheit im besonderen sehr behaglich findet, Ritter, gewissermaßen auf der Mündung der Kanone, so kann ich hierin sein vorzugsweises Gefühl nicht teilen. Und ich bitte, uns dies nicht zu verübeln. Sie stimmen mit ein, meine Herren!

ROLAND. SSist eine Gemeinheit.

BÜRGERMEISTER. Das sind alles sehr schöne Ausdrücke und Redensarten, aber sie erklären mir nicht den vernünftigen Grund seiner Opposition.

RAT KLEMENS. Kommt doch! Kommt! Beschäftigt euch nicht mit dem Narren.

ROLAND seine Hände beben am Schwert. Ich kann die Flucht auch verhindern!

DIE RATSHERREN. Bleiben wir hier! Zum äußersten ist ja die Gefahr hier noch nicht.

RAT KLEMENS. Ich mache die Versammlung unvollzählig.

BÜRGERMEISTER. Herr Rat Klemens, kommen Sie zurück. Aber es ist eine bittere Brutalität von ihm gegen ein ergrautes Haupt.

FEMINA lacht laut auf.

RAT KLEMENS zurückgekehrt, zu Roland, halb weinend. Affenmensch! Ganz ohne Nerven! Zum Schreiber gewandt. Und dir, Bürschchen, sollte man die Hödelchen flechten. Warum widersetzest du dich dem Magistrat?

FEMINA. Der Ritter gehört auch zu dem.

RAT KLEMENS. Was! Du nimmst dir noch ein Maul! – Menschlein, sieh, bringe mich nicht zur rasenden Wut![7]

FEMINA. Zu Hilfe! Er schlägt mich.

ROLAND. Der kann bloß Weiber schlagen.

RAT KLEMENS. So? Ich schlage Weiber? Ueberleg er, was er damit meint.

ROLAND. Deswegen ist er der feigste von hier, weil er zu Hause den wüsten Wulf macht.


Kanonenschuß.


RAT KLEMENS. Beinah hätt ich was erwidert.

FEMINA belustigt. Aber da hat's vorher noch geschossen.


Rat Klemens geht fauchend an seinen Platz.


BÜRGERMEISTER. Ich rufe den Schreiber zur Ordnung.

FEMINA. Ich habe ihm nichts getan. Man mag mich bloß nicht, weil ich ganz neu hier bin. Stellt sich betrübt.

DIE RATSHERREN. A wie so! Du bist ein sonst ganz niedlicher Bengel.

RAT KLEMENS. Ein ganzer Teufel steckt in ihm.

FEMINA. Daraufhin laß ich mich aber doch von allen ansehen. Er dreht seinen Kopf mit Anmut im Kreise umher.

DIE RATSHERREN. Ein rechtes Mädchengesicht. Seltsamer Glücksgriff, Herr Bürgermeister.

BÜRGERMEISTER. Er hat mir auf den ersten Blick gefallen.

DIE RATSHERREN. Wie ist er denn nach Schorndorf gekommen?

BÜRGERMEISTER. Auf der Flucht vor den Franzosen.

RAT KLEMENS. Was! Selber geflohen bist du? Aha, du bist mutig wie der Hase im Sommer. Der Schreiber blickt lachend im Kreise umher.

DIE RATSHERREN. Wo hast du deine Studia gemacht?

FEMINA. Z' Tübingen, wo alles studiert. Ich möchte aber jetzt endlich etwas protokollieren.

DIE RATSHERREN. Ein Benehmen. Das will einmal Schultheiß werden.

FEMINA. Dummes Zeug! – Was soll ich schreiben?

ROLAND. Schreiberlein, sieh auf mich! – Du willst schreiben? Beide begegnen sich mit den Blicken wie Stahl und Feuerstein.

FEMINA. Ja! – Wer diktiert endlich?!

DIE RATSHERREN lachen herzlich. Ritter Roland, Ihr seid doch ein Mädchenfeind, vielleicht gefällt Euch so was.[8]

ROLAND. Laßt mich in Ruhh! Er stiert vor sich hin und besinnt sich.

RAT KLEMENS. Mit dem Menschen könnt ihr kein freundlich Wort reden. Er begibt sich zum Schreiber hin und bleibt im folgenden prüfend neben ihm stehen, auch betastet er ihn. Der Schreiber kehrt sich mit keiner Miene daran.

ROLAND. Wir haben SSitzung wegen Melaks FForderung.

DIE RATSHERREN nicken sich zu. Es ist auch sehr ernst.

BÜRGERMEISTER. Ich will gleich beginnen. Steht hoch auf. Wir sind hier versammelt, eine Sache zu beraten, die für das Wohl und Wehe unserer teuren Vaterstadt Schorndorf, unseres allergnädigsten Herzogs treuergebener Stadt Los, von ausschlaggebender Bedeutung sein solle. Wie Sie alle wissen, liegt der gefürchtete Feldherr der Franzosen, Melak, als Belagerer vor unseren Toren. Wenn ich mir ihn ansehe! Wenn ich seine Stärke und ungeheure Kriegsmacht, welche er herangeführt hat, den ihm vorangegangenen Ruf bedenke. Er kommt her von der Pfalz, dem schönen Paradies, das er gänzlich verwüstet hat, wo er gebrandschatzt hat, als wenn ein feuriger Drache über das Land speite! Meine Herren! Kanonenschuß. – – – – Sie hören seine Stimme. – Und wenn dieser Furchtbare uns so eine gelinde Bedingung hereinschickt, die uns nichts auferlegt als allein den Hinfall an die französische Ueberherrschaft. Allein!? In den Konversationston übergehend. Wären wir da nicht schändliche Ochsen, wenn wir erst Feuer und Hungersnot über unsere braven Mitbürger bringen würden, anstatt uns mit Freundschaft das liebliche Friedensglück erhielten?

RAT KLEMENS. Natürlich wären wir Ochsen!

DIE RATSHERREN. Will er uns hernach ins Quartier liegen?

BÜRGERMEISTER. Nun meine Herren, das ist wohl selbstverständlich.

DIE RATSHERREN. Gibt er dafür auch Garantien?

BÜRGERMEISTER. Ja, lassen Sie sich's erklären, das weiß ich nicht. Aber wir können nicht das mindest saure Gesicht machen, wir sind ja gänzlich machtlos gegen ihn.

RAT KLEMENS. Die Franzosen werden sich mit unseren Weibern schon befreunden und sich schön manierlich benehmen.

BÜRGERMEISTER. Mit Elan.

DIE RATSHERREN. Mit Elan? Was heißt das? Wir haben Sorgen.[9]

RAT KLEMENS. Kriegen unsere Jungfern nicht alle einmal Kinder? – Ist's nicht ein bloßer Neid, wenn wir sie nicht französisch haben möchten? – Und ob der einen Nacht! Die Schorndörfer dürfen nachher drum doch weiter machen.

ROLAND. SchSchade, daß keine FFrau das mit anhört.

RAT KLEMENS. Schade, schade. Wir Männer sind nun darin einmal Philosophen, hauptsächlich wir Stadträte müssen's sein. – Und zum Beispiel meinen Weibsleuten zu Hause, denen gönn ich die welsche Einlage, daß sie nur einmal kirre würden vor einem Manneswesen.

DIE RATSHERREN. Ihr übles Familienleben, Rat Klemens, kann uns aber nicht gegen die ganzen Schorndorfer Weiber verbittern.

BÜRGERMEISTER. Freilich nicht verbittern. Aber es steckt eine tiefe Weisheit in seinem Rat. Zum Beispiel, plagt uns Männer nicht, wenn wir heiraten, eine häßliche Eifersucht auf alles, was unsere Auserwählte unbekannterweise im ledigen Stande getan haben könnte? Ist es da nicht viel befreiender, wenn diesem bösen Uebel die Gewißheit gegeben ist, der Franzose war der Versündiger. Zu demhin ist's ein Fremder, der nachher wieder gänzlich verduftet. Plagt uns im Leben mehr die Gewißheit oder die Ungewißheit – Gewiß die Ungewißheit.

DIE RATSHERREN. Wir haben aber auch treue Frauen, denen es ein schwerer Kummer wäre.

RAT KLEMENS. Das glauben Sie nicht, die Weiber sind alle falsche gelüstige Luder.

DIE RATSHERREN. Das ist nicht wahr. Dagegen protestieren wir.

ROLAND. Das nimmt mich wwunder.

DIE RATSHERREN. Das möchten wir uns doch ausbitten von ihm, Ritter. Wir sind sehr rührsam um unser Schicksal. Es kommt uns wirklich darauf an, die richtige Antwort an Melak zu binden.

ROLAND. Da gibt's nur eine, den, den Parlamentär mit einem Fußtritt hinauswerfen.

RAT KLEMENS. Und nachher? müssen wir schlimm büßen.

DIE RATSHERREN. Es handelt sich gar nicht bloß um die Frauenschaften, es handelt sich um das ganze bürgerliche Gemeinwesen.

ROLAND. Dem kann man nicht die Weiber hinopfern. Ich versteh nicht viel ddavon. Aberr wenn ich's mit einer FFrauau[10] zu tun hätte, ich gäbe meinen ganzen anderen Besitz daran, um den BBesitz von ihr mir zu retten.

BÜRGERMEISTER. Das ist sehr schön, jedoch sehr weltfremd gesprochen. Es ist nichts mit so einem Ideal ohne die materielle Unterlage. Wer würfe es uns nachher mehr vor als gerade die Frauen, daß wir Schorndorf zu einem leeren Strohhaus gemacht haben.

ROLAND. Dann hhole man sie herbei und wie sie dann mit beraten, so ist's dann gutt.

DIE RATSHERREN. Das ist unerhört! Seit wann berät man sich mit den Weibsleuten?

RAT KLEMENS. Gerade der Ritter läuft seit meinem Gedenken ohne Kümmernis um das Weibsstück herum. Warum muß sich er jetzt so dafür aufwerfen?

BÜRGERMEISTER. Das ist ja ganz klar, daß er hier am wenigsten mitreden kann.

RAT KLEMENS. Er will sich bloß herumprügeln. Er ist ein Raufbold.

ROLAND. Man darf sich auf nichts einlassen.


Kanonenschuß, Kanonenschuß – das Rathaus erzittert in seinen Grundfesten.


RAT KLEMENS. Und jetzt wackelt's!!

ROLAND. Haha, hoffentlich stürzt das Gebäu ein.

DIE RATSHERREN. Wir müssen bitten, ist wirklich Lebensgefahr?

RAT KLEMENS. Ich springe hinaus! Er hüpft wie von Sinnen herum. Der Schreiber lacht sich was.

DIE RATSHERREN. Es ist da nichts zu lachen. Wir müssen uns beizeiten ergeben.

RAT KLEMENS. Unverzüglich verlang ich das.

ROLAND. Das ist kopflos.

RAT KLEMENS. Kopflos sind Sie! Unser Kopf ist der Herr Bürgermeister, der hat schon das Richtige geraten.

BÜRGERMEISTER. Durch solche Erschütterungen müßte wirklich jedem die Einsicht kommen.

ROLAND. Daß man sich nicht einschschüchtern läßt.

RAT KLEMENS. Soll mit Gewalt alles hin sein? Affenmensch!

FEMINA. Ach Gott, ist das lustig!

DIE RATSHERREN. Das Schreiberlein soll nicht so ekelerregend lachen.[11]

RAT KLEMENS. Das ist ein vaterlandsloser Spitzbube, der bei diesem Ernst lacht!


Ein Hauptmann und Soldaten stürzen herein zur Tür links.


GESCHREI. Das Waiblinger Tor ist schon halb genommen. Die Mauer ist eingestürzt. Der Rat muß Frieden machen!

FEMINA sich vergessend, befehlerisch. Die Mauer wird geflickt!

BÜRGERMEISTER schreit. Die Bürgerschaft verlangt eine entschiedene Antwort. Wir kapitulieren.

FEMINA die Feder bebt in seinem Mund. Künkelün!

BÜRGERMEISTER. Wer hat mir gerufen? Das war meine Frau.

RAT KLEMENS. Das sind Hallucinationen. Wir kapitulieren!

BÜRGERMEISTER. Ich verlange Ruhe.


Der Hauptmann mit den Soldaten stürzt wieder hinaus durch die Türe links.


ROLAND. SchSchorndorf ist überhaupt nicht verteidigt!

BÜRGERMEISTER. Dann verteidigen Sie's, Ritter! – Wenn wir noch Minuten zögern, so liegt Melak ungefragt bei uns im Quartier.

ROLAND. Das würd ich schon übernehmen. Ich verlang die Verteidigung für mich.

DIE RATSHERREN. Es drängt aber zur Uebergabe. Wir haben's gehört.

ROLAND. Das ist gemmachte Lüge. Die Soldaten waren Herrn KKlemens seine Dienstleute.

RAT KLEMENS. Das ist eine Verleumdung. Der Hauptmann war auch dabei.

ROLAND. Der würde jetzt nicht spazzieren springen, wenn's die Gefahr hhätte.

BÜRGERMEISTER. Dann weiß Herr Roland, welches Unglück eine ausgehungerte Stadt ist? Der Feind hat ewig Sukkurs. Wir keinen.

RAT KLEMENS verzweifelt. Weiß das Herr Roland?

ROLAND. Ich schweige.

BÜRGERMEISTER. Das ist, um uns nachher die ganze Verantwortung aufzuladen. Red er, entsetz er, befrei er uns von Melak!

DIE RATSHERREN. Sehr richtig. Kein Mensch weiß was zu tun ist.[12]

ROLAND. Ich schweige.

DIE RATSHERREN. Wie sonderbar! Wir führen Euch, Herr Ritter, in Kriegssachen besonders gern im Rate der Stadt. Sie nicken und triumphieren sich zu.

ROLAND fuchtelt mit wuttobendem Fragezeichen seiner Faust. Sukkurs?

BÜRGERMEISTER. Ja, lieber Ritter, soviel Stratege bin ich, darauf kommt es an. Wer länger aushält, der Belagerte oder der Belagerer. Der Blockierte oder der Freibewegliche?

ROLAND Faust auf den Tisch. Der Blockckierte, wenn er Mutt hat.

RAT KLEMENS. Ja, hat denn irgend einer der Herren Mut? Der Schreiber wird von einem plötzlichen Lachkrampf durchschüttelt. Die Versammlung in heiterer Bewegung.

ROLAND. Das hat err eingestanden.

BÜRGERMEISTER. Haben Herr Rat Klemens meine Ausführungen wirklich so verstanden, daß wir mutlos seien?

RAT KLEMENS. Cha.

BÜRGERMEISTER mit Grandesse. Dann muß ich meinen Darlegungen hinzusetzen, daß ich für mein Teil rate, unsere teure Stadt solange blockieren zu lassen, bis Rat Klemens selbst nicht mehr die Stärke besitzt, um seine Halskrause steifen zu lassen.

RAT KLEMENS. Ich?! – Meinen Hunger müßten die Herren gewiß mit mir teilen.

FEMINA. Herr Klemens, essen Sie bloß nie mehr Reispudding.

RAT KLEMENS. Ich esse Reispudding und ich ergebe mich. Der Rat kann beschließen was er nur will. Man wird schon noch an mich denken, wenn's aber zu spät ist.

FEMINA. Herr Klemens! Stärkepudding und eine französische Sauce dazu! Klemens schnappt nach dem Schreiber herum. Roland klopft dem Schreiber auf die Schulter und fühlt die sonderbare Zartheit.

BÜRGERMEISTER. Die Sitzung scheint einen betrüblichen Ausgang zu nehmen, ich glaubte, hier beraten Männer, die wissen, daß auch Mut dazu gehört, sich aus Vernunftgründen einem harten Schicksal zu unterwerfen.

RAT KLEMENS. Freilich, aus Mut unterwerfen. So hab ich's auch gemeint.[13]

BÜRGERMEISTER. Dann müssen Sie sich aber geschickter ausdrücken.

RAT KLEMENS. Ich bin der Mutigste. Ich werde das freundlichste Gesicht machen, aber innen, da laß ich mich von einem Aerger über die Fremdherrschaft verzehren.

DIE RATSHERREN. So wird auch unsere Gesinnung sein.

BÜRGERMEISTER. Damit kann ich wenigstens vor die Bürgerschaft hintreten und auf unsere Trauer hinweisen, die wir beim Scheiden aus unseres Herzogs gnädiger Huld empfinden.

ROLAND. Wa ... was? ist das abgemacht? Ist ddarüber denn schon gestimmt?

RAT KLEMENS. Sie müssen aufmerken und nicht mit dem Schreiberlein poussieren.

ROLAND. Ich vverlange, daß ich auch mit ggehört werde.

DIE RATSHERREN. Ritter, Er erklärte feierlichst, zu schweigen.

ROLAND. Ich will reden. Das ist eine gganz niederträchtige Beschlußfassung, welche ich nicht anerkenne. Eine Dummheit.

BÜRGERMEISTER unter dem Beistimmen der Räte. So? Dann möchte er uns doch endlich mit seiner ungeheuren Gescheitheit Rat geben.

ROLAND. Ich verlange den Beffehl über die Stadt. Ich beberufe mich auf Frau Bürgermeister.


Bestürzung.


BÜRGERMEISTER. Auf meine Frau?

ROLAND. Frau Künkelün ist meiner Ansicht.

BÜRGERMEISTER. Ja sag Er, Herr Roland, hat Er in irgend welcher Konspiration mit meiner Frau gestanden?

ROLAND. Was möchte das heißen?

BÜRGERMEISTER. Wir würden ja seine Wünsche gern berücksichtigen, wenn erweislich wäre, daß meine Frau irgend welche Beziehung zu dem gestellten Verlangen hätte.

ROLAND. Jawoll, sie hat Beziehung.

BÜRGERMEISTER. Und sie hat geheim mit ihm konspiriert?

ROLAND. Ganz geheim.

BÜRGERMEISTER. Meine Frau?

DIE RATSHERREN. Das ist unerhört! Hört! Hört!

BÜRGERMEISTER. Dann mißachte ich mit vollem Hohn jegliche versuchte Einmischung von ihr durch seine buhlerische[14] Person in unsere heutige Beratung. Ich sage es jetzt mit gewissem erleichtertem Trotz: Schorndorf wird nach weisestem Einsehen des versammelten Rates an Melak übergeben.

ROLAND. HHerr BBürgermeister, ich würde um meine schöne Frau fürchten.

BÜRGERMEISTER. Wenn sie buhlt!

ROLAND. Sie buhlt nicht.

BÜRGERMEISTER. Buhlt nicht??

ROLAND. Was sie mit mir konspiriert, kkommt aus meinem HHerzen. Frau Künkelün will den Widerstand gegen die Franzosen.

BÜRGERMEISTER. Wenn das meine Frau wollte! Spüret Ihr das ganz genau?

ROLAND. Ganz genau.

BÜRGERMEISTER stampft. Daß nichts zu beschließen geht, ohne sie!

RAT KLEMENS. Da kümmert man sich einfach nicht darum. Die Mißgeburt da kennt einer schönen Frau extravagant schöne Gefühle?! So eine lose Behauptung!

BÜRGERMEISTER. Und die übrigen Räte?

DIE RATSHERREN. Dieser ihrer Frau Empfinden muß ihm ein verschlossenes Buch sein – ist auch unsere Meinung.

BÜRGERMEISTER. Ich denke das fast auch Er sieht Roland schief an.

RAT KLEMENS. Wenn ich so daran denke, wie gerne hat sie bei Hochehren Ladungen sich die Hand von mir küssen lassen.

BÜRGERMEISTER. Meine Frau gerade hat das leicht anpassendste Benehmen. Sie wird den französischen Besuch amüsant finden.

ROLAND. Und was noch dazzu kkommt!

RAT KLEMENS. Dafür hat man kein Auge.

BÜRGERMEISTER. Es schlägt in das Spezialfach der Ehe mit meiner Frau, was der Ritter vorbringt, die ihn rein nichts angeht.

ROLAND. Aber Melak!

BÜRGERMEISTER. Uebrigens an mich denk ich zuletzt.

ROLAND ohne Stottern. Um Eure Frau ist's geschehen, so oder so.


Der Schreiber steht auf.


BÜRGERMEISTER. Junker, Euretwegen, Eurer Mißgestalt wegen brauche ich keine Eifersucht zu spüren.[15]

FEMINA. Soll ich das nun protokollieren?

BÜRGERMEISTER. Schreibe er es allgemein: »daß wir die Augen über die Befleckung dieses Ehrenteils schließen wollen, wenn wir nur unsere teure Stadt retten.« Erhält Zustimmung.

ROLAND. Und das schschickt man MMelak hinaus? Da ist's ja schschlimmer, als man sich's gedacht hat.

BÜRGERMEISTER. Es kommt darauf an, unseren ergebenen Sinn recht glaubhaft zu machen.

ROLAND. Ihr werdet's bereuen!

FEMINA. Ich habe geschrieben: »Auch wenn ich meine Frau Melak geben müßte, ich würde die Augen zumachen und zugucken.«

BÜRGERMEISTER. Esel, was schreibst du?

ROLAND. Ein anderer Satz, aber der WWortlaut.

RAT KLEMENS. Was da zanken! Wortlaut, 's ist ganz egal, 's geschieht so oder so. Nur ein bißchen rasch!

BÜRGERMEISTER. Meinetwegen, meine Frau kriegt's ja nie zu lesen.

ROLAND. Gemeineheit.

BÜRGERMEISTER lacht leis. Schreib er so weiter: »Daß Ihr Edelmut Herr Graf ›de‹ Melak an unserer Bürgerschaft groß sein wird, bezweifelt nicht –.«

ROLAND. Und er wird noch gelobt dafür!

RAT KLEMENS. Nur nicht mehr auf ihn hören. Du hast eine gewandte Schrift, Schreiberlein. Laß dir schön sauber diktieren.

BÜRGERMEISTER. Bezweifelt nicht Ihr sehr ergebener Bürgermeister Künkelün.

ROLAND. Und schämt sich nicht.

RAT KLEMENS lacht auf. Er, der Kerl schreibt's dazu, »und schämt sich nicht«.

FEMINA. Ha ja, der Rat diktiert mir doch.

BÜRGERMEISTER. Der Bürgermeister diktiert. Wo hast du eigentlich angefangen zu schreiben?

FEMINA liest. Wären wir nicht schändliche Ochsen ... die Franzosen werden sich schon mit unsern Weibern befreunden ...

RAT KLEMENS. Hehehe, er hat's alles zusammengezogen. Hehehe! Das gibt Melak ein lustiges Pergament.

BÜRGERMEISTER. Bist du von Sinnen?

FEMINA. So haben wir's Winnenden gehandhabt.[16]

BÜRGERMEISTER. Dort ist ein Irrenhaus! Was machen wir da?

RAT KLEMENS. Man läßt's.

ROLAND. Das bleibt stehen!

BÜRGERMEISTER. Gut, wenn der Ritter auch einmal mit etwas einverstanden ist, gut.

DIE RATSHERREN. Wir sind auch einverstanden.

RAT KLEMENS. 's hat ihn der Teufel, er schreibt immer den Namen vom Redner noch mit dazu.

ROLAND. Mit dem GGanzen bin ich nicht einverstanden.

FEMINA. Das will ich mir so merken.

ROLAND. Schreiberlein, sei nicht ungerecht gegen mich. Ich will die WWahrheit von mir geschrieben, daß ich pprotestiere. Meinen Protest!

FEMINA. Der hilft Euch nichts.

RAT KLEMENS tätschelt ihn. Malefixbengel!

ROLAND. Schreiberlein, sei nicht parteilich!

FEMINA. Es kostet Euch höchstens den Kopf, wenn Ihr gesinnt seid.

ROLAND. Das ist dann auch egal. In dem Schorndorf gefällt mir's sowieso nie mehr. Also schreib!

FEMINA. Das hat noch Zeit, wenn der Kopf dann verloren ist.

BÜRGERMEISTER unter dem Gelächter der Herren. Ritter Roland, selbst der Schreiber glaubt nicht an seinen Mut. Man verlacht ihn allgemein.

RAT KLEMENS. Er weiß, daß wir doch durchdringen. Jetzt hat man den Helden.

ROLAND. Wenn's so steht. Ich habe nie tteilgenommen an der Versammlung.


Roland wirft den eisernen Handschuh auf den Tisch. Die Versammlung erschrickt. Dann tritt er von seinem Stuhl weg. Kanonenschuß. In dem unbewachten Augenblick zieht Femina den Handschuh an sich und steckt ihn ein.


BÜRGERMEISTER zu den Ratsherren, leise. Wenn er sich von uns abkehrt, einigen wir uns einfach ohne ihn. Es handelt sich jetzt nur noch darum, wer zu Melak hinausgeht, um der Stadt Uebergabe zu vollziehen. – Herr Klemens!

RAT KLEMENS. Ich? Unter dem Hagel der feindlichen Geschosse?[17]

BÜRGERMEISTER. Wir schwenken auf der Mauer die weiße Fahne, dann wird sofort Ruhe eintreten.

RAT KLEMENS. Viel lieber will ich die Fahne schwingen und unser Stadtoberhaupt geht zum Feind hinaus.

DIE RATSHERREN. Melak wird mit einem Stadtrat nicht zufrieden sein.

BÜRGERMEISTER. Wenn mich die Herren bestimmen. Gut. Ich habe einen neuen Frack.

ROLAND kehrt sich. Ihr werdet ja sehen, Bürgermeister, wie Melak mit Eurer schönen Frau verfährt.

BÜRGERMEISTER. Was will Er denn fortwährend von meiner Frau. Uebergebe ich allein ein Weib? Etwa?

ROLAND. Durch ssie muß es Euch für die gganze Stadt rreuen, was Ihr tut.

BÜRGERMEISTER. Es herrscht zwischen mir und meiner Hälfte doch etwas zu kühle Luft.

FEMINA lacht auf. Das wird aber Melak interessieren!

ROLAND. Das wird auch mich interessieren! Ich bin FFeuer, FFlamme, rasender SSturm für Frau Künkelün. Mit hochgezücktem Schwert.

FEMINA. Oh, könnte das Frau Künkelün hören!

BÜRGERMEISTER. War mir seitdem gänzlich unbekannt, dieser sein leidenschaftlicher Hang zu ihr.

ROLAND. Darum fürchtet Euch!! Tritt an den Tisch, um seinen Handschuh aufzunehmen. Wo ist mein Handschuh? Ich will gehen. Wer hat ihn aufgehoben?

BÜRGERMEISTER. Wenn Ihr ihn selber wieder aufheben wollt, dann werft ihn nicht so voreilig hin.

ROLAND. Wo ist mein Handschuh? Den brauch ich, sonst hab ich keine Kraft im Gelenk.

DIE RATSHERREN untereinander. Merket Ihr, er hat schon auch die Entschuldigung, wenn er sich uns fügt.

ROLAND. Wo ist mein HHandschuh? – Wenn er nicht herkommt, schlag ich Euch allen die Köpfe ab.


Die Ratsherren lachen behaglich und schadenfroh.


ROLAND. Schreiberlein?

FEMINA. Ich soll ihn haben? Das ist doch am allerunwahrscheinlichsten.

ROLAND. Klemens.

RAT KLEMENS. Klemens! Wohl, so heiß ich.[18]

ROLAND. Bürgermeister.

BÜRGERMEISTER. Es ist mir zu einfältig.

ROLAND. Wartet! Versteckt ihn nur, ich werde meine HHand mit Eisen umgießen, dann hüt' sich von Euch ein jeder. Macht nur voll den FFrieden, dann werd ich mit meiner HHand in eure Suppen tauchen.

RAT KLEMENS. Unappetitlicher Kerl! Was hat man dir getan?

ROLAND. Nichts.

DIE RATSHERREN. Wir wissen schon. Nachher macht Er uns um desto größere Vorwürfe.

ROLAND. Wird mir nicht einfallen. Machet den Frieden!

BÜRGERMEISTER. Nein sag Er, ist es sein Ernst?

ROLAND bitter, wild. Ja.

RAT KLEMENS. Das ist ja ganz famos!

BÜRGERMEISTER. Es nützt unserem Beschluß im Ansehen vor der Bürgerschaft ungemein.

ROLAND. Ja, es nützt ungemein. Aber Gott weiß es, wie Ihr mich dazu gebracht habt!

DIE RATSHERREN. Wir? wir? – Dazu gebracht?

BÜRGERMEISTER. Etwa durch den abhanden gekommenen Schuh? Wer hat ihn denn weggeworfen?

DIE RATSHERREN. Nein, Ritter, das habt Ihr mit Willen so gelenkt!

BÜRGERMEISTER. Nein, nein, wir üben durchaus keinen Zwang. Er kann sein Ja zurücknehmen.

RAT KLEMENS halb toll. Bürgermeister!

BÜRGERMEISTER. Ich bin ein Mann! Freies Wort jeder Partei! Ich gebe ihm noch einmal Gelegenheit zum Ausschlag. – Der ganze Rat richtet sich nach ihm.

ROLAND. So laß ich mich nicht nnarren. Wendet sich zornig.

BÜRGERMEISTER. Wenn der Ritter nicht will, so sind wir leider durch ihn gezwungen, durch Herrn Roland gezwungen, Frieden zu schließen.

ROLAND. Heuchler! Falschspieler!

BÜRGERMEISTER. Ich?

ROLAND. Schurken! der ganze Rat!

DIE RATSHERREN. Wiir?

ROLAND ruft ins Leere. FFrau Bürgermeister!

RAT KLEMENS leis. Er muß in ein Sanatorium.[19]

ROLAND. Frau Künkelün, du holder verklärter Engel, du wirst an den Feind fallen! – Aber ehhe! ehhe! ehe werd ich dich an mich reißen und mit dir entfliegen!

BÜRGERMEISTER erblaßt. Es ist gut, daß ich auf der Hut sein kann, mein Täubchen vorher in den Schlag bringen. Der Schreiber hustet sehr stark.

ROLAND. Ich werde dich zwischen den Ritzen der Wände hindurchreißen, mit den blanken Krallen meiner Hand! Frau Künkelün wird nicht eine Nacht ffranzösisch. – Mit Bewußtsein zu der Versammlung gewandt. Woll's Gott schschaffen, daß auch Schorndorf württembergisch verbleibe! So bin ich ffortan Bürgermeister und die Künkelün! Sein Blick zehrt wie nasse Glut.

RAT KLEMENS. Er redet, ein Narr.

ROLAND. Und wenn ich nach vorwärts auf die Franzosen hauen werde, so werd' ich nach hinten eure allen Köpfe abschlagen. Sein Schwert saust über seinen Kopf.


Während die Räte langsam zu lachen anheben, sitzt Künkelün wie zusammengebrochen auf seinem

Stuhl. – Kanonenschuß.


FEMINA. Herr Künkelün!

BÜRGERMEISTER steht auf und stiert auf den Schreiber. Wo ruft sie?

FEMINA. Herr Bürgermeister, kann ich die Akten beschließen?

BÜRGERMEISTER. Es ist noch kein Beschluß.

DIE RATSHERREN rennen von den Sitzen. Bürgermeister! Das ist keine Amtsführung. Einstimmig ist die Uebergabe angenommen.

BÜRGERMEISTER. Wenn auf Rolands Stuhl ein Stadtrat sitzen täte.

DIE RATSHERREN. Roland ist Stadtrat.

BÜRGERMEISTER. Er hat nicht auf dem Stuhl gesessen.

ROLAND. Auf den vverzicht ich, setzt einen nach Eurem GGeschmack darauf.

BÜRGERMEISTER. Ich muß mein Gewissen bekommen.

RAT KLEMENS. Dann setzt man den Schreiber auf den Stuhl und rasch ist's geschehen. Los Schreiber! Wir brauchen deine Stimme.

FEMINA. Aber nur, wenn ich als wirklicher Stadtrat auch gelte.

ROLAND. KKindkopf, Schreiberlein![20]

FEMINA. O, ich weiß nicht, Herr Roland, ob es nicht töricht ist, auf eine Ehre zu verzichten.

DIE RATSHERREN. Bravo! Klatschen in die Hände. Wir begrüßen den neuen Herrn Stadtrat.

FEMINA noch zögernd. Bin ich auch würdig?

DIE RATSHERREN. Wer schnell zupackt, ist auch würdig.

FEMINA. Soll ich? – Aber Herr Roland darf mir dann nicht zürnen.

ROLAND. Zürnen!? – Auf diesem Sitze hast du kleine Stimme.

FEMINA. Ei! Ich verzichte doch lieber.

RAT KLEMENS. Er hat Stimme gehabt, nur hat er kein Geschick gehabt, nur war er zu trotzig, die Macht seines Sitzes zur Geltung zu bringen.

FEMINA. Liegt's denn am Sitz?

BÜRGERMEISTER. Gewiß es liegt am Sitz.

FEMINA steigt auf den Stuhl. Ah so! Der Sitz hat die Macht. Lauter Beifall.

ROLAND. Spatz du! Wirst keine Nachtigall.

FEMINA. Ich will einmal sehen. O wie das federt!

BÜRGERMEISTER. Ich begrüße namens der Herren Räte Herrn Femina als neuen Stadtrat.

FEMINA. Ich bin Stadtrat! – Es ist wahr, wenn man einer ist, kann man gut einer sein.

BÜRGERMEISTER. Nun, Herr Femina, gleich zur Tagesordnung. Er hat in allerdings untergeordneter Stellung die heutige Verhandlung mit angehört. Es handelt sich darum, eine zuverlässige Stimme für uns zu bekommen. Ihr Vorgänger hat bei seinem Ja einen Hinterhalt gestellt, den ich ala verantwortlicher Leiter des Magistrats nicht annehmen kann. Sagen Sie uns nun, jüngstes Mitglied, dürfen wir mit gutem Gewissen, Melaks Friedensofferte akzeptieren? Ja oder nein?

FEMINA. Ach, Herr Bürgermeister, die Nähe meines Vorgängers zwingt mich etwas zur Bescheidenheit.

BÜRGERMEISTER. Jener Baron hat nichts mehr zu sagen. Reden Sie getrost, Herr Femina!

FEMINA. Darf ich's denn wagen, Herr Roland?

ROLAND. Du wirst geffragt, sage ffrei!

DIE RATSHERREN. Beherzt, Herr Kollege!

FEMINA. Also doch soll ich sagen, ob Frieden oder Krieg?

BÜRGERMEISTER. Frieden oder Krieg.[21]

FEMINA steht auf. Dann – ich sage – Krieg! Es ist den Räten, als schlüge man ihnen sämtlich das Genick ab. Roland schreitet auf ihn zu, als würde er ihn erkennen.

BÜRGERMEISTER. Herab vom Sitz! Er ist ein Verräter.

FEMINA. Ich weiche nicht. Ich hab ihn inne.

RAT KLEMENS. Dann reiß ich dich herunter.

ROLAND ihn schützend. Zurück von ihm! Es war mmein Sitz, ihm ist er ggegeben.

BÜRGERMEISTER deutet. Auf jenem Sessel sitzt immer ein Gegner.

FEMINA. Wie leid mir, es liegt am Sitz.

DIE RATSHERREN. Sie stecken Einer im Andern.

FEMINA. Das könnte in diesem Fall schlimm sein, Herr Künkelün.

ROLAND besieht ihn scharf. Femina!

BÜRGERMEISTER. Nun werd ich wissen, was ich zu tun habe.

FEMINA. Wenn Friede gemacht wird, ist's eine absolutistische Handlung des Präsidenten, die sich der Stadtrat nicht bieten lassen darf.

DIE RATSHERREN. Wir sind der Ansicht unseres Präsidenten.


Alle erheben sich und gehen hinaus.


FEMINA. Dann habt ihr keine Ansicht und seid vom »Künkelün« in der Hosentasche getragen.

BÜRGERMEISTER pathetisch. Künkelün! ich bin stolz auf den Namen.


Die Stadträte ab mit dem Bürgermeister durch Türe rechts. Femina und Roland verbleiben.


ROLAND. Femina?

FEMINA. Ist es nicht erwiesen, daß Künkelün am meisten der Friedensmacher ist? Er hatte sich als von der Meinung der Räte geleitet hingestellt. Er will die Akten zusammenraffen und gehen.

ROLAND. Bleibe!

FEMINA. Was soll ich?

ROLAND. Wer bist du?

FEMINA. Laßt mich los, ich habe von Frau Bürgermeister die strenge Weisung erhalten, ihr sofort nach Schluß der Sitzung die Akten zu bringen.

ROLAND. Du bist's nicht, geh!

FEMINA. Für wen habt Ihr mich denn gehalten?

ROLAND. Für sie sselber.[22]

FEMINA. Sie selbst? – Seid Ihr am Ende doch nicht ganz gescheit? Ich kriege Furcht vor ihm. Roland sieht ihn unverwandt an.

ROLAND. Halt! Du bist's doch. Er geht sacht in die Knie.

FEMINA. Wer denn? – Zu Hülfe! Roland sucht ihn zu umklammern.

ROLAND. Ich erkenne dich an den Augen.

FEMINA. Was hab ich denn für Augen?

ROLAND. Du hast einen Blick wie sie.

FEMINA. Aber wen meint Ihr denn?


Roland packt der Zorn, er stößt sein Schwert in den Boden.


ROLAND. Das ist lieblos, das Leugnen.

FEMINA. Ich kann es nicht anders.

ROLAND. Bist du's nicht, für die ich rase wie der Sturm. Für die ich nicht Mißgestalt sein kann. Oder sagst du auch Affenmensch zu mir?

FEMINA. Ich erschrecke vor Ihren grimmen Augen. Wen meint Ihr, wen vermutet Ihr in mir?

ROLAND. Ein Weib! Du bist ein Weib. Packt ihn.

FEMINA. Laßt mich los! Es ist verkehrt.

ROLAND. Knabe wie ein Fisch! Sieh, wir sind allein in dem weiten Saal. Sieh dich um. Ich kann mit dir anfangen, was ich will. Ich kann dich metzeln, damit ich's weiß. Sag's schnell! Mann oder Weib?

FEMINA. Ihr seid feige. Ich bin wehrlos.

ROLAND. Du, jetzt sag es. Du bist sie.

FEMINA. Soll ich Jemand sein, den Ihr liebt?

ROLAND. Aha! Schlägt an seine Brust, daß man glaubt, er reiße sich das Herz heraus.

FEMINA. Wenn Ihr Euch an mir verginget, was glaubtet Ihr wohl nachher, wer ich sei?

ROLAND. Sag mir's! Gewiß! – Ich fasse mich nicht mehr. Es ist schwül in meiner Brust, wie in einem blutdürstigen Tier.

FEMINA. Roland, Ihr liebt Frau Künkelün, denket an sie, dann bleibt Ihr bei Vernunft.

ROLAND. Es wird mir eiskalt. – Bist du's wirklich nicht?

FEMINA. Ritter, nun laßt Ihr mich aber hinaus! Ich habe so Angst vor Euch.[23]

ROLAND. Hinaus. – – Himmel und Höll!! Was hab ich von meinem Mut, wenn ich nicht frech genug bin, dir die Hosen auszuziehen!

FEMINA. Ritter, das tut Ihr nicht, ich bitt Euch, es geschieht ein Verbrechen. Wenn Ihre Bestie erst am Fleisch ist, könnt Ihr das Zerreißen nicht mehr lassen.

ROLAND ganz nah auf ihn tretend. Bist du ein Weib?

FEMINA zögert lange mit der Antwort. Ritter, laßt mich hinaus!

ROLAND. Warum hast du solche Angst, daß dein Atem so furchtbar riecht?

FEMINA. Ritter, Euch sind die Worte voll Schleim!

ROLAND. Warum hörst du das?

FEMINA. Es würd's jedermann hören.

ROLAND. Soll ich dich springen lassen?

FEMINA. Mir liegt weiter nichts d'ran. Glaubt nicht, daß ich keinen Mut habe.

ROLAND läßt ihn los. Komm mir mit solchen Augen nicht mehr unter's Gesicht.

FEMINA. Das kann nicht Ihr Ernst sein, wenn's Frau Künkelün Augen sind.

ROLAND. Wenn die deinen bloß die gelogenen sind, ärgern sie mich.

FEMINA. Seht mich doch noch einmal genau an.

ROLAND kehrt sich ab. Geh weg!

FEMINA. Bedenkt aber, ich gehe gerade hin zu Frau Künkelün. Soll ich sie grüßen?

ROLAND. Wenn du ein Wort redest, Schreiber, so schmeiß ich dich in die Mehlmühle.

FEMINA. Eure Liebe zu ihr kennt aber schon der ganze Rat. Wenn sie noch weiter herum kommt, so will ich dafür nicht schuldig sein.

ROLAND. Dann weiß es immer noch sie selber nicht.

FEMINA. Möchtet Ihr denn nicht auch Gegenliebe?

ROLAND. Das sag ich so einem Federkiel nicht.

FEMINA. Ich könnt doch so gut kuppeln, ein wenig.

ROLAND. Darum laß es bleiben!

FEMINA. Daß ihr Mann ein Teigstengel ist, habt Ihr aber doch wenigstens aufgemerkt.

ROLAND. Ich schwätze jetzt nichts weiter.

FEMINA. Wenn ich aber Euren Besuch bei ihr melde.[24]

ROLAND. Sieh, wenn du das tust, bist du ein naseweiser Kohlesel.

FEMINA. Wenn ich's aber täte, müßtet Ihr doch hinkommen.

ROLAND. Nein, dann würd ich nicht kommen, undd ddann hätt ich sie blos beleidigt.

FEMINA. Darum müßtet Ihr eben aus Klugheit dann hingehen!

ROLAND. Ich? – Ich wüßt ja nicht, was dort schwätzen.

FEMINA hat die Tür links gewonnen. Ritter, seht her ... dreht Euch einmal um zu mir, seht wirklich her, 's ist der Mühe wert. Da, seht doch, ich habe da Euren Handschuh, den trag ich zu ihr hin.

ROLAND dreht sich, will nach ihm springen. Schreiberlein!

FEMINA rennt davon. Den müßt Ihr wohl oder übel bei ihr holen. Ab, durch Türe links.

ROLAND allein. Bei ihr holen? – Halt! – Wart, da steckt etwas dahinter. – Mhm! Will's, daß ich hinkomme. – War's doch selber? – Nein. – Ja. War's. Merk's. Er läuft der Türe zu.


Vorhang.


Quelle:
Hermann Essig: Der Frauenmut, Berlin [o.J.], S. 5-25.
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