Achtes Kapitel
Ein Dialog, der zwischen Wild und seiner Lätitia vierzehn Tage nach der Hochzeit stattfand und freundschaftlicher endete, als solche Debatten sonst auszugehen pflegen.

[108] Jonathan: Ich wünsche, meine Liebe, daß du heute ein wenig länger im Bette bleiben möchtest.

Lätitia: Ich kann wahrhaftig nicht; denn ich bin mit Johann Strongbow zum Frühstück engagiert.

Jonathan: Ich weiß nicht, was dieser Johann Strongbow so oft in meinem Hause macht. In der Tat, es beunruhigt mich ein wenig. Wenn ich auch gar keinen Zweifel an deiner Tugend hege, so kann dies doch deinem guten Rufe schaden – besonders bei den Nachbarn.[108]

Lätitia: Was gehen mich die Nachbarn an? Sie haben mir ebensowenig vorzuschreiben, mit wem ich umgehen soll, wie mein Mann.

Jonathan: Eine gute Frau muß sich jeder Gesellschaft entschlagen, die ihren Mann unruhig macht.

Lätitia: Du hättest vielleicht anderswo so ein zahmes Weibchen finden können; ich habe nichts dagegen.

Jonathan: Ich glaubte, es in dir gefunden zu haben.

Lätitia: Großen Dank für die gute Meinung, die du von meinem Skavensinn hast; indessen hoffe ich, dich bald vom Gegenteil zu überzeugen. Nicht wahr? du hieltest mich für ein unerfahrenes, kopfloses Ding, das gar nicht weiß, wie andere Weiber sich helfen?

Jonathan: Gleichviel, wofür ich dich hielt – ich hab dich nun einmal auf dem Halse.

Lätitia: Es war dein freier Wille, daß du mich nahmst. Ich würde mir wahrhaftig nicht die Augen ausgeweint haben, wenn Herr Wild sich nach einem andern glücklicheren Mädchen umgesehen hätte – ha, ha!

Jonathan: Denke nur nicht, daß ich dich notgedrungen heiratete – so sehr war mir nicht um dich zu tun.

Lätitia: Das will ich gerne glauben. Die Not hat dich meines Wissens nicht gedrungen, ein Weib zu nehmen: du hättest dich recht gut als Hagestolz behelfen können.

Jonathan: Ich errate, was du sagen willst; aber glaube mir, kein Weib hat weniger Ursache, sich über die Gleichgültigkeit ihres Mannes zu beschweren, als du.

Lätitia: Dann muß jedem Weibe ihr Mann teuer zu stehen kommen, große Opfer müssen sie ihm bringen. Ich habe schon was Besseres gekannt.

(Diese Worte begleitete sie mit einem Nasenrümpfen und einem sehr gravitätischen Blick.)

Jonathan: Nun, meine Beste, ich will es dir unmöglich machen, mich verliebter zu wünschen, als du mich finden sollst.

Lätitia: Ich bitte dich – weg mit diesem undelikaten Betragen, mit diesen verhaßten Worten. Ich verstehe dich bei Gott nicht. Ich habe auch keine Wünsche, die ein tugendhaftes Frauenzimmer nicht haben darf. Dies würde selbst dann nicht der Fall gewesen sein, wenn ich auch aus Liebe geheiratet hätte.

Jonathan: Wenn du nicht aus Liebe heiratest, warum hast du denn überhaupt einen Mann genommen?

Lätitia: Weil es sich nicht anders schickte, und meine Eltern mich zwangen.[109]

Jonathan: So was kannst du mir ins Gesicht sagen?

Lätitia: Was hab ich denn von dir? Möchte auch gar von dir nichts haben.

Jonathan: Du hast einen Mann an mir.

Lätitia: Ich wiederhole es, es war dein Wille, es zu werden, nicht der meinige.

Jonathan: Du solltest mir für diesen guten Willen danken.

Lätitia: Warum das? Ich durfte noch nicht verzweifeln. Habe schon andere Vorschläge gehabt, und auch bessere.

Jonathan: Ich wünschte von Herzen, du hättest sie angenommen.

Lätitia: Laß dir sagen, Jonathan, so schlecht behandelt man keine Frau, der man so viele Verbindlichkeiten hat. Aber ich kann dies alles verschmerzen, nur verachten muß ich dich deines Benehmens wegen. Ich glaubte wenigstens, eine andere Behandlung verdient zu haben – ich hätte einen Mann von Ehre geheiratet, glaubte ich. Aber nun lohnst du mir den Vorzug, den ich dir vor allen anderen gab. Geh – ich verachte dich, du bist zu tief unter mir.

Jonathan: Zum Teufel! Hab ich nicht mehr Ursache zu klagen, wenn du sagst, du habest mich bloß aus Konvenienz geheiratet?

Lätitia: Schön – das schickt sich auch für einen Mann von Ehre, in Gegenwart eines Frauenzimmers zu fluchen. Doch warum soll mir etwas auffallen, was so ein Elender tut, den ich verachte.

Jonathan: Wiederhole das Wort nicht zu oft. Ich verachte dich ebenso herzlich, wie du mich. Wisse denn: ich nahm dich nur aus Konvenienz, nahm dich nur, um meine Leidenschaft zu befriedigen, und nun das geschehen ist, magst du meinetwegen zum Teufel gehen.

Lätitia: Die Welt soll es erfahren, wie du niederträchtiger Kerl mich behandelst.

Jonathan: Ich darf es der Welt nicht erst sagen, was für ein gemeines Mensch du bist, deine Handlungen sprechen schon zur Genüge.

Lätitia: Ungeheuer! Ich rate dir, verlaß dich nicht zu sehr auf meine Schwäche und bringe mich nicht aufs Außerste! Denn ich kann mich rächen und will es, wenn du so fortfährst.

Jonathan: Tu, was du nicht lassen kannst. Aber – wenn du dein Geschlecht vergißt, will auch ich es vergessen. Gibst du den ersten Schlag, so kannst du sicher darauf rechnen, daß ich den letzten gebe.

Lätitia: Immerhin. Aber verdammt will ich sein, wenn ich noch[110] länger als Weib mit dir leben will. Der Fluch treffe mich, wenn ich noch eine Nacht bei dir liege.

Jonathan: Hol mich der Teufel! Diese Enthaltsamkeit soll mir nicht sauer werden. Nach deiner Person gelüstete mich nur, und die ist mir nun so verhaßt und widrig, wie sie mir einst angenehm war.

Lätitia: Hat man je ein Paar Menschen gesehen, die so gleich denken! Ich haßte deine Person von jeher – und du selbst wirst wohl am besten wissen, daß ich dich auch aus keiner anderen Rücksicht lieben konnte.

Jonathan: Verstehen wir uns nur recht. Da wir doch einmal zusammen leben müssen, wie wär es, wenn wir uns, statt zu keifen und zu schmollen, höflich gegeneinander betrügen?

Lätitia: Von ganzem Herzen.

Jonathan: Deine Hand. Von nun an leben wir nicht mehr als Mann und Frau miteinander, wir lieben uns nicht, aber zanken uns auch nicht.

Lätitia: Ich schlage ein. Aber, lieber Wild – wie konntest du das Wort »gemeines Mensch« über die Zunge bringen?

Jonathan: Schlag dir das aus dem Sinne.

Lätitia: Darf ich umgehen, mit wem ich will?

Jonathan: Ganz ungeniert. Und wirst du mir eben die Freiheit erteilen?

Lätitia: Deine Flüche treffen mich, wenn ich dir Zwang auferlege.

Jonathan: Nun einen Abschiedskuß. Ich will mich hängen lassen, wenn dies nicht der süßeste Kuß war, den ich je von dir bekommen.

Lätitia: Aber warum »gemeines Mensch«? – das möcht ich doch wissen.

Bei diesen Worten sprang er aus dem Bett und fluchte auf ihre Unversöhnlichkeit. Sie erwiderte seine Flüche mit Schimpfen, und in dem Ton ging es fort, bis er sich angekleidet hatte. Indessen beschlossen sie, auf dem gefaßten Vorsatz zu beharren, und die Freude über diesen Entschluß machte, daß sie ziemlich höflich auseinander gingen; doch konnte Lätitia nicht umhin, ihm noch zuletzt die Worte: »Warum gemeines Mensch?« nachzumurmeln.[111]

Quelle:
-, S. 108-112.
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