Zehntes Kapitel
Herr Wild besucht mit beispielloser Großmut seinen Freund Hartfree, wird aber nicht mit dem besten Dank aufgenommen.

[114] Wir haben schon bemerkt, daß unser Wild, weil er auf einem gewissen Fleck in der menschlichen Natur, den man gewöhnlich Herz nennt, bei sich selbst nichts von der erbärmlichen Eigenschaft, Ehrlichkeit genannt, antraf, hieraus etwas zu voreilig die Folgerung gezogen, daß es ein solches Ding in der Welt nicht gebe. Darum schrieb er Herrn Hartfrees Widerwillen gegen einen Mord teils auf Rechnung der Furcht, sich die Hände blutig zu machen, oder der Furcht vor Gespenstern, teils glaubte er, Hartfree wolle sich nicht gerne in jenem vortrefflichen Buche, das unter dem Namen Gottes Rache bekannt ist, als ein lebendiges Beispiel aufführen lassen. Aber er zweifelte gar nicht, daß er sich gerne zu einer so unschuldigen Sache, als ein Raub wäre, verstehen würde, vorzüglich wenn man ihm mit der Hoffnung einer großen Beute schmeicheln und ihn bereden würde, daß er bei der ganzen Geschichte durchaus keine Gefahr laufe; und könnte er ihn nur dahin bringen, so wollte[114] er ihn auf der Stelle anklagen, überweisen und hängen lassen. Der Honigmonat war also kaum vorüber, so beschloß er, seinem Freunde einen Besuch zu machen und ihn durch alle möglichen Vorspiegelungen von Vorteil, Bequemlichkeit und Sicherheit zu einem Raub zu verführen.

Kaum hatte er Hartfree diesen Vorschlag getan, so empfing er auch schon nachstehende Antwort: »Ich hoffte, die Antwort, die ich Ihnen schon auf einen ähnlichen Vorschlag gegeben, würde mich der Gefahr überhoben haben, noch einmal so eine Beleidigung von Ihnen hinnehmen zu müssen. Wenn es eine Beleidigung ist, einen Menschen einen Schurken zu nennen, so muß es ebenfalls eine Beleidigung sein, ihn für einen Schurken anzusehen. Wahrhaftig, möchte man sich nicht wundern, wie sich jemand die Dreistigkeit oder vielmehr die Unverschämtheit herausnehmen kann, so einen Vorschlag zu tun? So etwas kann man keinem Menschen zumuten, an dem man nicht zuvor Blößen dieser Art gemerkt hat. Hätte ich Ihnen jemals solche Blößen gegeben, so könnte ich Ihr Betragen noch verzeihen; aber, seien Sie versichert, werden auch Sie irgendeine Anlage zum Bösen bei mir gewahr, so spricht mich mein Gewissen doch gänzlich frei. Denn Niederträchtigkeit, dünkt mich, kann mit diesem Grundsatz nicht bestehen: Tu keinem Unrecht, du magst so ein dringendes Motiv dazu haben, wie du immer willst. Dies ist die Richtschnur, nach welcher ich beständig einhergehen will. Das ist mein fester Entschluß; nichts auf der Welt ist imstande, mir einen größeren Trost zu gewähren, als die obige Maxime. Wie süß, wie herzerhebend muß nicht der Gedanke sein, Gott der Allmächtige muß mich nach seiner Gerechtigkeit dafür belohnen. Wie gleichgültig muß mich dieses Bewußtsein gegen alle Zufälle des Lebens machen! Was sind alle Genüsse, alle Schätze der Welt gegen diese selige Erwartung? Wer wird sich nicht gerne jedem Mangel, jedem Schmerz unterwerfen, wenn er weiß, daß ihm seine Belohnung in der Ewigkeit aufgehoben ist? Kannst du kleines, armseliges, niederträchtiges Geschöpf denn glauben, daß ich solche Erwartungen um irgendeines Gutes willen fahren lassen kann? Um irgendeines irdischen Gutes willen, das du und deinesgleichen mir mit jedem Augenblick rauben können!« Der erste Teil dieser Rede brachte unsern Helden zum Gähnen, aber der letzte machte seinen Zorn rege; und er sammelte eben seine ganze Wut, um Hartfree zu antworten, als Freindly mit dem Constabel, dem man von Wilds Erscheinen sofort Nachricht gegeben, in die Stube trat und den großen Mann bei den Ohren nehmen ließ, als er eben seinen Mund zu gräßlichen Schmähungen öffnete.[115]

Der Dialog, der hier erfolgte, lohnt die Mühe des Niederschreibens nicht; genug – man benachrichtigte Wild von der Ursache dieser harten Behandlung und brachte ihn sogleich zu einer Magistratsperson.

Bei dem Verhöre machte zwar Wilds Sachwalter einige Einwendungen gegen die Art, wie man mit Wild verfahren. Der Richter aber bestand dennoch auf dem Verhaft, so daß sich Wild nach anderweitiger Hilfe umsehen mußte. Er sagte dem Friedensrichter also, es sei noch ein junger Mann mit ihm im Boot gewesen, den er doch möchte holen lassen. Dies geschah denn auch, und der treue Achates (Fireblood) ward aufgeführt, um für seinen Freund zu zeugen. Dies tat er denn auch mit so vieler Wärme, mit so vieler Bündigkeit und Ordnung (ob er sich gleich sein ganzes Zeugnis bloß aus den Winken zusammenlesen mußte, die Wild ihm in Gegenwart des Richters gab), daß unser Held, weil hier offenbares Zeugnis gegen bloße Vermutung war, auf die ehrenvollste Weise losgesprochen und Hartfree vom Richter, von den Zuhörern und von allen, denen die Geschichte in der Folge zu Ohren kam, des schwärzesten Undankes bezichtigt wurde, weil er einem Menschen nach dem Leben getrachtet, gegen den er solche übergroße Verbindlichkeiten hätte.

Damit dieser ungeheuere Freundschaftsbeweis den Leser in dieser entarteten Zeit nicht zu sehr überraschen möge, so muß ich ihm zu wissen tun, daß außer dem esprit de corps noch ein anderes, festeres Band diesen Jüngling an unseren Helden fesselte: er hatte sich nämlich eben aus den Armen der schönen Lätitia losgewunden, als er zu ihrem Ehegespan hinbeschieden wurde. Dieser Umstand kann auch dazu dienen, die genaue Vertrautheit zu rechtfertigen, die nicht selten zwischen dem Manne und dem Liebhaber seiner Frau stattfindet; auch kann er die ungeheuere Freundschaft ins Licht setzen, die durch diese mehr ehrenvolle als gesetzliche Verbindung zustande gebracht wird.

Vier Monate hatte Hartfree nun im Arrest geschmachtet, und schon fingen seine Umstände an, ein besseres Ansehen zu gewinnen. Aber dieser Versuch gegen Wild (so gefährlich ist es, einen großen Mann anzutasten) gereichte ihm außerordentlich zum Nachteil; denn verschiedene von seinen Nachbarn, vorzüglich zwei oder drei von seinem Metier, gaben sich alle nur ersinnliche Mühe, diesen Beweis von Undankbarkeit mit den schwärzesten Farben auszumalen. Auch trugen sie kein Bedenken, in der Hitze ihres Eifers noch einige kleine Umstände von ihrer eigenen Erfindung hinzuzusetzen: wie nämlich unser Wild Hartfree sehr oft mit Gut[116] und Blut gedient habe usw. Alle diese Schmähungen trug er ganz geduldig, tröstete sich mit dem Bewußtsein seiner Unschuld und baute auf Gott und seine gerechte Sache.

Quelle:
-, S. 114-117.
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