Fünftes Kapitel
Ein Gespräch zwischen Freund Wild und dem Grafen La Ruse.

[17] Eines Abends, als sich die beiden Miß Snaps zur Ruhe begeben hatten, hob der Graf folgendermaßen zu unserm jungen Helden an: »Sie sind vermutlich zu gut mit Ihren eigenen Fähigkeiten bekannt, um es wunderbar zu finden, wenn ich Ihnen sage, daß ich mit Kummer und Erstaunen Ihre glänzenden Talente in einer Sphäre beschränkt sehe, wo sie Leuten nicht in die Augen fallen, die imstande wären, Sie in die große Welt einzuführen und zu einer Höhe zu erheben, auf welcher Sie sich die Bewunderung aller Sterblichen zuziehen würden. Wahrhaftig, meine Gefangenschaft freut mich, wenn ich bedenke, daß ich ihr die Bekanntschaft und hoffentlich auch die Freundschaft des größten Genies meiner Zeit verdanke; und was noch mehr ist, wenn ich meine Eitelkeit mit der angenehmen Aussicht schmeichle, Sie aus der Dunkelheit (ich weiß, Sie verzeihen mir diesen Ausdruck) hervorzuziehen, aus der Dunkelheit, worin noch nie ein größeres Talent verrostet; denn gleich nach meiner Befreiung, womit es doch nicht lange mehr Anstand haben kann, werd ich unstreitig imstande sein, Sie in Gesellschaften zu bringen, wo Sie den ganzen Lohn Ihrer erhabenen Vorzüge einernten können.«

»Ich will Sie mit Männern bekannt machen, die ebenso fähig sind, solche Talente nach ihrem wahren Wert zu schätzen, als Sie das Vermögen und den guten Willen haben, Sie die süßen Früchte derselben genießen zu lassen. So eine Bekanntschaft ist das einzige, was Ihnen abgeht, und ohne sie wird Ihr großes Verdienst nur Ihr Unglück machen – denn alle die Anlagen, die Sie in einer höheren Sphäre zu Ruhm und Vorteil berechtigen würden, dürften Ihnen in einer niedrigen vielleicht nichts als Gefahr und Schande zuwege bringen.«

Herr Wild erwiderte: »Verbunden – verbunden, sowohl für den zu hohen Wert, den Sie auf meine geringen Fähigkeiten legen, als für Ihr edelmütiges Anerbieten, mich in die große Welt einzuführen. Ich muß gestehen, mein Vater hat mich schon oft bereden wollen, bessere Bekanntschaften zu suchen: aber – um die Wahrheit zu sagen – ich besitze einen gewissen unseligen Stolz, der sich an der Spitze der niedrigsten Menschenklasse besser befindet, als im letzten Gliede der höchsten. So plump Ihnen auch der Gedanke scheinen mag, so erlauben Sie mir doch, zu bekennen, daß ich lieber auf[17] der Spitze eines Misthaufens, als am Fuße eines Hügels vom Paradiese stehen will: ich denke immer, es macht wenig aus, in was für eine Sphäre mich das Schicksal gesetzt hat, wenn ich nur eine große Figur in derselben spiele, und ich würde meine Talente ebensogut als Anführer einer kleinen Bande zu brauchen wissen, als vor der Front einer mächtigen Armee: denn ich kann es Ihnen durchaus nicht zugeben, daß große Naturgaben in einer niedrigen Situation zugrunde gehen; im Gegenteil – ich halte das für unmöglich und habe mir oft eingebildet, Tausende von Alexanders Truppen hätten seine Taten ebensogut ausführen können, als Alexander selbst.

Aber weil diese Geister nicht zu Königen und Heerführern bestimmt waren, sollen wir darum glauben, daß sie niemals eine reiche Beute aufgetrieben, oder daß sie bei der Austeilung derselben sich ebenso armselig wie ihre Kameraden hätten abspeisen lassen? Gewiß nicht. Eben das Talent, eben das Genie, das im bürgerlichen Leben den Staatsmann macht, macht auch den Gauner und Langfinger. Eben dieselben Anlagen, wodurch sich ein Mann in großen Gesellschaften emporschwingt, sind auch erforderlich, ihm in einem kleinen Zirkel zur Oberherrschaft zu verhelfen; und ist der wesentliche Unterschied – etwa darin, daß der eine im Tower, und der andre zu Tiburn sein Leben beschließt? Was hat der Block vor dem Galgen, das Beil vor dem Strick voraus? Oder beruht nicht etwa die ganze Verschiedenheit auf Wahn und Vorurteil? Sie werden es mir daher nicht übelnehmen, wenn ich mich von der Außenseite der Dinge nicht sogleich irreführen lasse und ganz gegen die gewöhnliche Meinung einen Stand so gut finde, wie den andern. Eine Guinee ist mir ebenso lieb in einem ledernen, wie in einem gestickten Beutel.«

Der Graf nahm wieder das Wort und redete folgendergestalt: »Was Sie eben beigebracht, vermindert meine großen Begriffe von Ihren herrlichen Anlagen nicht im geringsten, aber es bestärkt mich auch in meiner Meinung von dem schlimmen Einfluß, den niedrige Gesellschaften auf uns haben. Wer kann es bezweifeln, daß es besser sei, ein großer Staatsmann, als ein gemeiner Dieb zu sein? Der Teufel soll sich oft ausgelassen haben, wo und gegen wen weiß ich nicht, er wolle lieber in der Hölle befehlen, als im Himmel ein armseliger Kammerdiener sein; aber wahrhaftig, hätt es bei ihm gestanden, in einem von den beiden Reichen zu herrschen, er würde gewiß den besseren Teil erwählt haben. Durch den beständigen Umgang mit gemeinen Leuten bekommen wir einen zu hohen Begriff von dem, was groß und vornehm heißt. Wir entsagen großen Absichten nicht aus Verachtung, sondern aus Verzweiflung.[18] Der Mensch, der sein Glück lieber auf der Landstraße, als durch anständigere Mittel zu machen sucht, tut dies bloß, weil er diesen Weg für leichter hält als jeden andern; aber behaupten Sie nicht selbst, und zwar ganz unbezweifelt, daß ein und dasselbe Talent, eben dieselben Mittel Sie in beiden Fällen zum Ziele bringen können? Gerade wie in der Musik die Melodie immer dieselbe bleibt, mögen Sie sie einen Ton höher oder tiefer greifen. Z. B. gehört nicht gleichviel Geschicklichkeit dazu, ob man sich bei einem Manne als Bedienter vermietet und ihm sein Zutrauen abgewinnt, um ihn hernach desto besser zu bestehlen, oder ob man die wichtigsten und geheimsten Geschäfte übernimmt, in der Absicht, sie zu verraten? Hält es nicht ebenso schwer, einen Ladenhüter durch falsche Zeichen um seine Waren zu bringen und damit Reißaus zu nehmen, als ihn durch erborgten Glanz und vorgespiegelten Reichtum zu blenden und ihn zu einem Kredit zu verleiten, wobei Sie zehnmal mehr gewinnen und er zehnmal mehr verlieren muß? Werden nicht geschicktere Finger erfordert, einem Ehrenmann, ohne daß ers merkt, seine Börse aus der Tasche zu ziehen oder einer Dame die Uhr von der Seite zu praktizieren (ein Talent, worin Sie, ohne Schmeichelei, wohl schwerlich Ihresgleichen haben), als erforderlich sind, einen Würfel zu verfälschen oder ein Spiel Karten zu mischen? Muß man nicht ebensoviel Kunst, ebensoviele Talente aufbieten, um in einem gemeinen Bordell als ein armseliger Kuppler zu bestehen, als man aufbieten muß, sein eignes Weib – oder das Weib und die Tochter seines Freundes vorteilhaft an den Mann zu bringen? Brauchen Sie nicht ein ebensogutes Gedächtnis, ebenso schnelle Erfindungskraft, eine ebenso dreiste Stirn, um in Westminsterhall einen falschen Eid abzulegen, als Sie zu einem vollkommnen Ministerialwerkzeug oder zum Minister selbst vonnöten haben? Ich darf Ihnen nicht alle einzelnen Fälle herrechnen; genug, wir finden überall ein genaueres Verhältnis zwischen den hohen und niedrigen Ständen, als man denken sollte, und werden bald gewahr, daß ein Ritter von der Landstraße zu mehrerer Ehre berechtigt ist, als man ihm gewöhnlich zu beweisen pflegt. Wenn also, wie ich glaube hinlänglich dargetan zu haben, dieselben Talente, die uns fähig machen, eine große Rolle in einer niedrigen Sphäre zu spielen, auch hinreichend sind, uns in einer höhern fortzuhelfen, so kann wohl gar die Rede nicht sein, was für eine man zu wählen hat. Ehrgeiz, diese mächtige Triebfeder jedes großen Mannes, wird ihn bald antreiben, um mich Ihres Gleichnisses zu bedienen, einen Hügel im Paradiese einem Misthaufen vorzuziehen; ja sogar die Furcht, eine Leidenschaft, die ihrer Natur[19] nach mit der Größe nicht bestehen kann, wird ihm zeigen, wie viel sicherer und ruhiger er seinen mächtigen Talenten in einer hohen als in einer niedrigen Sphäre freien Lauf lassen kann; denn lehrt uns nicht die Erfahrung, daß in einem Jahr mehr zu Tiburn hingerichtet werden, als im Tower binnen einem ganzen Jahrhundert?«

Herr Wild erwiderte mit großem Ernst: »Ich leugne nicht, daß dieselben Anlagen, durch die sich ein Ritter von der Landstraße – oder ein Hausdieb – oder ein Langfinger in seinem Metier emporschwingt, auch allenfalls einen Mann zu einem sogenannten ehrenvollen Beruf fähig machen können: im Gegenteil, aus einigen von Ihren Beispielen erhellt aufs deutlichste, daß mehr Witz und Kunst in einer niedern, als in einer höhern Sphäre erfordert wird. Behaupten Sie daher nichts weiter, als daß ein Beutelschneider, wenns ihm gelegen ist, ebensogut ein Minister sein kann, so muß ich Ihnen vollkommen Recht geben: aber, wenn Sie den Schluß daraus ziehen, daß beides, Interesse und Ehrgeiz, ihm die Pflicht auflegen, wirklich ein Minister zu werden, oder daß dieser größer und glücklicher ist, als ein Beutelschneider: so kann ich Ihnen Ihre Behauptung unmöglich einräumen. Wir müssen uns nur sorgfältig hüten, daß uns die gewöhnliche Art, Menschen und Dinge zu schätzen, nicht täuscht, wenn wir diese beiden Gattungen miteinander vergleichen; denn die armen Sterblichen irren bei Untersuchungen dieser Art, wie die Ärzte, wenn sie bei einer Krankheit keine gehörige Rücksicht auf das Alter und das Temperament ihrer Patienten nehmen. Der Grad von Hitze, der dieser Leibeskonstitution natürlich ist, kann bei einer andern schon ein Fieber sein; ebenso kann vielleicht ein andrer das für Armut und Schande halten, was mir schon Reichtum und Ehre zu sein dünkt: denn alle diese Dinge muß man immer nur in Beziehung auf den Besitzer ansehen und schätzen. Eine Beute von zehn Pfund kommt dem Beutelschneider ebenso groß vor und macht ihn ebenso glücklich, als so viele Tausende einen Minister machen können; und verwendet ersterer seinen Raub nicht mit ebenso vielem Vergnügen an Huren und Bierfiedler, als letzterer den seinigen an Paläste und Gemälde? Was hat der Minister von der Schmeichelei und den falschen Komplimenten seines Anhangs, wenn er jeden Augenblick seine eignen Fehler verdammen und wider seinen Willen dem Glücke die ganze Ehre von allen seinen Unternehmungen beimessen muß? Was ist der armselige Stolz, der aus solchem Beifall entspringt, gegen die innere Zufriedenheit, mit welcher ein Beutelschneider auf einen wohlerfundenen und wohlausgeführten Plan zurücksieht? Die größere Gefahr ist freilich auf der Seite des[20] Beutelschneiders; aber dann müssen Sie auch bedenken, daß die größere Ehre es ebenfalls ist. Wenn ich von Ehre rede, so verstehe ich darunter die Ehre, die ihr Anhang ihnen erweist, denn die Schwachköpfe, die man gewöhnlich Weise nennt, stehen beide in keinem vorteilhaften Lichte; und wenn dem Beutelschneider ein höherer Grad von Ehre und Ansehen zuteil wird, so hat er überdem weniger Schande zu befürchten: denn die Welt glaubt seine sogenannten Missetaten hinlänglich durch einen Strick bestraft, der mit einem Male seiner Pein und seiner Schande ein Ende macht; wie im Gegenteile der andre nicht allein mitten im vollen Genusse seiner Macht gehaßt, sondern auch noch auf dem Schafott verwünscht und verflucht wird. Ja, künftige Jahrhunderte lassen noch ihren Geifer und ihre Galle gegen ihn aus, währenddessen jener sanft und ruhig schläft. Ferner, werfen wir doch mal einen Blick auf ihre Gewissensruhe: wie erträglich ist der Gedanke, einem Fremden, ohne Verletzung der Treue, ohne großen Schaden für ihn selbst, ein paar Schillinge oder ein Pfund abgenommen zu haben, gegen den Vorwurf, daß man eine öffentliche Kasse veruntreut oder an dem Ruin von Tausenden, ja vielleicht von einer ganzen Nation schuld ist. Es ist edler und braver, einen Mann auf der Landstraße, als am Spieltische anzufallen, und – ein Kuppler –« er wollte mit edlem Feuer der Beredsamkeit fortfahren, als er seine Augen auf den Grafen warf und bemerkte, daß er sanft eingeschlafen war. Er räumte also zuvörderst gar behende seine Taschen aus, schüttelte ihn dann aus dem Schlaf, um Abschied von ihm zu nehmen, versprach am folgenden Morgen wiederzukommen und ging seine Wege; der Graf begab sich nun zur Ruhe, und Wild verfügte sich in seinen Schlafkeller.

Quelle:
-, S. 17-21.
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