Zweites Kapitel
Nachricht von den Vorfahren unseres Helden, so viel wir davon aus dem Schutt des Altertums haben zusammenbringen können, welchen wir deswegen sorgfältig durchstöbert haben.

[8] Es ist die Sitte aller Biographen, zu Anfang ihrer Werke, so weit sie nur immer können, zurückzugehen und dem Ursprunge ihres Helden, wie die Alten den Quellen des Nils, nachzuforschen, bis die Unmöglichkeit, weiterzudringen, ihren Untersuchungen ein Ende macht.

Die Ursache dieses Verfahrens ist etwas schwer auszumitteln. Dann und wann bin ich auf den Gedanken gekommen, daß man die Eltern und Ureltern seines Helden als Folien seines Ruhms hat aufführen wollen. Zuweilen ist mir wieder beigefallen, man habe dadurch dem Verdacht vorbeugen wollen, als wären solche außerordentliche Menschen nicht durch den gewöhnlichen Lauf der Natur in die Welt gesetzt, und daß dem Herrn Autor bange gewesen, wenn er uns nicht umständliche Nachricht von ihren Voreltern erteilte, möchten wir auf den Wahn geraten, sie hätten keine gehabt. Schließlich und am wahrscheinlichsten hab ich vermutet, der Biograph habe hierdurch nichts andres bezweckt, als seine große Gelehrsamkeit und tiefe Kenntnis des Altertums zu zeigen: eine Absicht, der die Welt viele merkwürdige Entdeckungen und die meisten Bemühungen unserer Altertumsforscher verdankt.

Doch was die Sitte auch immerhin für einen Ursprung haben mag: sie ist uns zu tief eingewurzelt, um angefochten zu werden. Wir müssen uns daher, mögen wir wollen oder nicht, schon nach ihr bequemen.

Herr Jonathan Wild und Wyld (denn er selbst pflegte seinen Namen nicht immer auf gleiche Weise zu buchstabieren) stammte in gerader Linie von dem großen Wolfstan Wild, der mit Hengst nach England kam und sich bei dem berüchtigten Gastmahle, wo die Briten so verräterisch von den Sachsen niedergemacht wurden, sehr zu seinem Vorteil auszeichnete; denn als die Losung erschallte: Nehmet eure Saxes, das ist Schwerter – so verstand dieser Ehrenmann, der ein wenig harthörig war: Nehmet ihre Sacks, das ist Börsen; und statt seinem Gast den Hals zu brechen, machte er sich stehenden Fußes über seine Taschen her und begnügte sich, ihn rein auszuplündern, ohne das geringste gegen sein Leben zu unternehmen.[8]

Ein späterer Vorfahr unseres Helden, der sich ebenfalls merkwürdig machte, war Wild mit dem Zunamen Langfanger oder Langfinger. Er lebte unter Heinrich dem Dritten und war ein eifriger Anhänger Huberts von Burgh, dessen Freundschaft er sich durch seine große Geschicklichkeit in einer Kunst erworben hatte, von der Hubert selbst der Erfinder war, er konnte nämlich, ohne daß der Eigentümer es merkte, ihm seine Börse aus der Tasche praktizieren, und dieser Geschicklichkeit verdankte er auch seinen Beinamen. Er war der erste von seiner Familie, der die Ehre hatte, für das allgemeine Beste zu leiden, und ein witziger Kopf aus diesen Zeiten machte nachstehende Grabschrift auf ihn:

»O Schande für die Gerechtigkeit; Wild wird gehängt, weil er eine Tasche geplündert – indes der alte Hubert mit seiner Bande sicher und ungestört die ganze Nation plündern darf.«

Langfanger hinterließ einen Sohn, mit Namen Eduard, den er aufs sorgfältigste in der Kunst, die ihn so berühmt gemacht, unterrichtet hatte. Dieser Eduard hatte einen Enkel, der als Freiwilliger unter dem bekannten Sir John Falstaff diente und sich bei jeder Gelegenheit so brav bewies, daß sein Hauptmann ihm gewiß würde fortgeholfen haben, wenn Heinrich der Fünfte seinem alten Spießgesellen Wort gehalten hätte.

Nach dem Tode Eduards blieb die Familie in tiefer Dunkelheit bis auf die Regierung Karls des Ersten, wo sich Jakob Wild während der bürgerlichen Unruhen bei beiden Parteien auszeichnete und bald dieser, bald jener anhing, je nachdem sich das Glück für die eine oder die andre zu erklären schien. Als der Krieg zu Ende war und Jakob nicht nach Verdienst belohnt wurde, wie es solchen unparteiischen Leuten mehrenteils zu gehen pflegt, verband er sich mit einem Helden dieser Zeit, der Hind hieß, und erklärte beiden Parteien frei und öffentlich den Krieg. In verschiedenen Scharmützeln war er glücklich und plünderte viele von den Feinden; doch zuletzt ward er überwältigt und gefangen und gegen alles Kriegsrecht durch zwölf Männer von der Gegenpartei, die nach einigen Beratschlagungen insgesamt ihre Einwilligung zu diesem Morde gaben, zum Tode verdammt.

Dieser Eduard nahm Rebekka, die Tochter des besagten John Hind, und hatte mit ihr vier Söhne: Johann, Eduard, Thomas und Jonathan; und drei Töchter, nämlich Gratias, Charitas und Ehrenreich. Johann trieb das Gewerbe seines Vaters und starb mit ihm ohne Kinder. Eduard heiratete Editha, die Tochter und Erbin Gottfried Snaps, der lange Zeit einen Dienst unter dem Oberrichter von London und Middlesex bekleidet und sich in allen Ehren ein[9] beträchtliches Vermögen geschafft hatte: Eduard bekam aber ebenfalls keine Kinder. Thomas ging sehr jung nach einer von unsren amerikanischen Pflanzungen, und man hat in der Folge nichts weiter von ihm gehört. Von den Töchtern heiratete Gratias einen Kaufmann von Yorkshire, der mit Pferden handelte. Charitas wird mit einem Mann von Stande vermählt, dessen Namen ich nicht habe entdecken können, der aber seines menschenfreundlichen Charakters wegen außerordentlich berühmt war, indem er in einem Jahre für mehr als hundert Personen Bürgschaft leistete. Er hatte gleichfalls die wunderbare Laune, in Westminsterhall mit einem Strohhalm im Schuh herumzuspazieren. Ehrenreich, die jüngste, starb unverheiratet. Sie lebte verschiedene Jahre und besuchte die Schauspiele häufig, wo sie an einen jeden, der Lust und Belieben trug, sie anzunehmen, Orangen auszugeben pflegte.

Jonathan heiratete Elisabeth, eine Tochter Scragg Hollows Esquire, und ward durch sie Vater des Jonathan, der der erhabene Gegenstand dieser Denkwürdigkeiten ist.

Quelle:
-, S. 8-10.
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