Vierzehntes Kapitel
Wilds Fortschritt zur höchsten Höhe der menschlichen Größe.

[171] Der Tag kam nun immer näher, an welchem unser Held ein Beispiel der edelsten und höchsten Erhabenheit abgeben sollte, zu der ein großer Mann nur gelangen kann. Dies war der Tag seiner Hinrichtung, seiner Vollendung oder Vergötterung (denn dieser Tag wird verschiedentlich benannt), welcher ihm Gelegenheit verschaffen sollte, dem Tode und der Verdammnis zu trotzen, ohne eine Spur von Furcht in seinem Gesichte zu verraten. Eine Vollendung, die man jedem großen Mann wünschen sollte: denn nichts ist trauriger, als wenn das Glück, wie ein fauler, armseliger Poet, die Katastrophe nicht gehörig herbeiführt, zu wenig Sorgfalt auf den letzten Akt verwendet und seinen Helden so erbärmlich aus der Welt schleichen läßt, ungeachtet man sich von der Rolle, die er in den ersten Akten des Dramas gespielt, einen großen, edlen und erhabenen Ausgang hätte versprechen sollen.

Aber für diesmal wollte die gute Göttin sich so einen Fehler nicht zuschulden kommen lassen. Unser Held war zu sehr ihr Liebling, als daß sie ihn in seinen letzten Augenblicken hätte vernachlässigen sollen; darum waren auch alle seine Bemühungen um Pardon vergeblich, und Wilds Name stand an der Spitze derer, die hingerichtet werden sollten.

Von der Zeit an, daß unser Held alle Hoffnung zum Leben aufgegeben, war sein Betragen wahrhaftig groß und bewundernswürdig. Statt einige Zeichen von Niedergeschlagenheit und Reue an sich wahrnehmen zu lassen, wußte er seinem Gesicht vielmehr die Miene der größten Unerschrockenheit und Zuversicht zu geben.

Seine Zeit brachte er größtenteils mit seinen Freunden und dem obenerwähnten Ehrenmanne bei der Bouteille zu. Bei einem dieser[171] Gelage fragte man ihn, ob er sich nicht vor dem Teufel fürchtete. »Nein«, antwortete er, »es ist, hol mich der Teufel! nur ein Tanz ohne Musik.« Ein andermal äußerte einer seiner Freunde sein Beileid über sein Unglück, und da meinte er, der Mensch könne nur einmal sterben. Als man einst in seiner Gegenwart einige Worte fallen ließ, er würde doch als ein Mann sterben, drückte er sich den Hut ins Gesicht und rief aus: »Zum Henker! Wer zweifelt daran?«

Welch ein Glück für die Nachwelt, hätten wir nur eine von den Unterredungen unverfälscht und unverstümmelt auftreiben können, die um diese Zeit zwischen ihm und seinem gelehrten Tröster vorfielen. Wir haben alle Käseladen nach einem solchen Fund durchstöbert – aber vergebens.

Den Abend vor seiner Apotheose verlangte seine Frau, ihn zu sprechen, welches er sich auch gefallen ließ. Dieses Wiedersehen war erst von beiden Seiten außerordentlich zärtlich; aber es blieb nicht lange so. Denn als sie einige Winke über sein ehemaliges Betragen gegen sie fallen ließ – vorzüglich, als sie ihn fragte, wie er sie habe so niederträchtig behandeln und ein gemeines Mensch schelten können, ob so ein Ausdruck sich für einen Mann von Ehre schicke? –, brauste Wild schrecklich auf und schwor, sie sei die niederträchtigste Metze auf der Welt, daß sie ihm zu so einer Zeit ein unvorsichtiges Wort vorwerfen könnte, das er in einem Anfall von Unwillen zu ihr gesprochen. Sie antwortete mit Tränen: Ihre Torheit, solch einen groben Menschen zu besuchen, komme sie teuer zu stehen, aber wenigstens hätte sie den Trost, daß es das letzte Mal wäre, daß er ihr so mitspielte; es sei ihr recht lieb, daß seine Grausamkeit ihr den Gedanken an seine Hinrichtung versüßte, und seine Grobheit sei das einzige, was ihr sein schmachvolles Schicksal erträglich machen könne. Dann schritt sie zu einer vollständigen Wiederholung aller seiner Mängel und Verbrechen, in welchem Stücke ihr Gedächtnis ihr treuer war, als man hätte denken sollen, und wahrscheinlich würde sie damit nicht so bald zu Ende gekommen sein, wäre unserm Helden nicht so die Geduld gerissen, daß er sie voll Wut und Grimm bei den Haaren faßte und sie so gewaltig aus der Stube stieß, als seine Ketten es nur verstatten wollten.

Endlich ging der Morgen auf, den das Glück schon bei der Geburt unseres Helden zur Vollendung seiner Größe bestellt hatte. Freilich hatte er der öffentlichen Ehre, die die gute Dame ihm zugedacht, geflissentlich ausweichen wollen und zu dem Ende eine ziemliche Quantität Laudanum zu sich genommen; aber wir haben in dem Verfolg dieser wunderseltsamen Geschichte schon einmal[172] bemerkt, wie vergeblich es sei, gegen die Ratschlüsse dieser mächtigen Gottheit anzukämpfen, daß es verlorene Mühe wäre, ihr zu widerstreben, mag sie euch zur Stelle eines Premierministers oder zum Galgen verhelfen wollen. Weil also selbst das Laudanum an ihm seine Kraft verlor, warteten die Gerichtsdiener ihm zur bestimmten Stunde auf und benachrichtigten ihn, der Karren stände parat.

Bei dieser Gelegenheit äußerte er denn auch eben den Mut, welchen man so sehr an andern Helden bewundert. Weil er nämlich wußte, aller Widerstand würde doch vergebens sein, erklärte er, er wolle sie begleiten. Dann ging er mit ihnen in die Stube, wo die Delinquenten ihrer Ketten feierlich entledigt zu werden pflegen. Nun gab er seinen Freunden (nämlich denen, die ihn zum Galgen führen sollten) die Hand, trank ihre Gesundheit in einem derben Schluck Branntwein und stieg auf den Karren, auf welchen er sich auch kaum niedergelassen hatte, als ihm der Beifall des versammelten Volkes, das über seine Größe ganz entzückt war, entgegenschallte.

Der Karren rückte nun langsam fort. Voran ritt eine Wache zu Pferde mit Wurfspießen in den Händen, und an beiden Seiten waren die Straßen mit einem Haufen Volks besetzt, dem das große Benehmen unsres Helden außerordentlich auffiel. Was ihn selbst betraf, so seufzte er bald, bald schwor er, oder sang und pfiff, je nachdem seine Laune wechselte.

Als er bei dem Baum der Ehre angelangt war, bewillkommnete ihn das Volk mit einem lauten Freudengeschrei. Es hatte sich dort in großer Anzahl versammelt, um ein Schauspiel zu sehen, welches in volkreichen Städten seltner ist, als man denken sollte, nämlich das Ende eines großen Mannes.

Aber mußte gleich selbst der Neid, freilich nur aus Furcht, seine Stimme mit der allgemeinen Stimme vereinigen, so gab es doch einige, die unserm Helden seine Erhöhung mißgönnten und sie dadurch hintertreiben wollten, daß sie ihm den Garaus zu machen suchten, als er unter dem Galgen stand und sein Freund, der Pfarrer, ihm seinen letzten Segen mit auf den Weg gab. Zu dem Ende deckten sie den Karren weidlich mit Steinen, Kot und anderen Materialien zu, von denen einige dem Pfarrer so mächtig um die Ohren sausten, daß er sein heiliges Geschäft so schnell wie möglich förderte und sich in eine Mietskutsche rettete, von wo er den Ausgang des Abenteuers mit Gemütsruhe überdachte.

Indessen können wir einen Umstand nicht mit Stillschweigen übergehen, der dazu dienen mag, den Charakter unsres Helden ins[173] Licht zu setzen und zu zeigen, wie er sich in seinen letzten Augenblicken noch so gleich blieb. Als nämlich Se. Wohlehrwürden unter einem fürchterlichen Steinhagel ihr Amt verrichteten, praktizierte Wild seine Hand ganz behende in seine Tasche, zog eine Branntweinbouteille hervor, und, diese Trophäe in der Hand haltend, ging er auch aus der Welt.

Als der Pfarrer sich entfernt, hatte Wild nur gerade soviel Zeit, die umstehende Menge zu überschauen, und ihr einen herzlichen Fluch zu geben, als die Pferde angepeitscht wurden und ihn unter den lauten Zurufungen des Volkes in jene Welt hinüberschleppten.

So fiel Jonathan Wild der Große und starb einen Tod, der ebenso ehrenvoll war, wie sein ganzes Leben; ja, der seinem Leben so angemessen war, daß dieses ohne denselben nur ein albernes inkonsequentes Märchen gewesen wäre. Zuverlässig würde man auch die Geschichte so vieler Helden älterer und neuerer Zeiten mit größerem Vergnügen lesen, wären sie alle so einen schönen Tod gestorben; denn nichts als dies ging ihrer Vollendung ab. Wir möchten wünschen, der Geschichtschreiber könne der Wahrheit in diesem einzigen Falle nachhelfen und an der Geschichte seines Helden ergänzen, was das Schicksal unvollendet zu lassen für gut befand.

Kleine Seelen, denen ihr Gewissen zuflüstert, daß sie solch einer Ehre unwert sind, mögen vielleicht Ursachen haben, sich so eines ruhmvollen Todes zu schämen. Aber wer stark genug war, den edlen Tod am Galgen zu verdienen, müßte wohl ein Narr sein, wenn er sich dessen schämen wollte.[174]

Quelle:
-, S. 171-175.
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