Dreizehntes Kapitel
Beschluß des Bootabenteuers, wie auch des zweiten Buches.

[85] Unser Held brachte den übrigen Teil des Tages, wie auch die Nacht und den folgenden Tag in einem Zustande zu, den nur höchstens ein Ehrgeiziger beneidenswürdig finden kann, der, vorausgesetzt, daß er sich nur selbst mit dem entferntesten Laut aus Famas Trompete zu schmeicheln und zu beruhigen imstande ist, alle Vergnügungen der Sinnlichkeit, noch mehr aber jenen ernsten und ruhigen Trost, den ein gutes Gewissen einem christlichen Philosophen gibt, gerne und willig entbehrt.

Die Zeit verfloß ihm unter Betrachtungen, das ist unter Fluchen, Lästern, Singen und Pfeifen. Zuletzt, als Hunger und Kälte seinen Trotz fast ganz gebeugt hatten, ward er ungefähr nach Mitternacht durch die schwarze Dunkelheit ein Licht gewahr, das er nicht für einen Stern ansehen konnte, weil der Himmel ganz mit Wolken bedeckt war. Doch schien sich ihm dieses Licht nicht zu nähern, oder vielmehr, es näherte sich ihm so langsam, daß es ihm wenig Trost versprach; auch verlor es sich endlich ganz aus dem Gesichte. Nun erneuerte er seine vorigen Betrachtungen, und zwar bis Tagesanbruch; dann sah er zu seinem unaussprechlichen Vergnügen in einer kleinen Entfernung ein Segel, das zum Glück auf ihn zukam. Auch spähten ihn die Leute im Schiff gar bald aus, denn es bedurfte keiner Signale, um ihnen von seiner Not Nachricht zu geben, weil die See außerordentlich still und das Schiff nur fünfhundert Ruten von unserm Wild entfernt war; sie warfen daher sogleich ihr Boot aus und holten ihn an Bord.

Der Schiffskapitän war ein Franzose, hatte in Norwegen geladen und durch den letzten Sturm sehr gelitten. Er gehörte zu der Menschenklasse, die sich eine gewisse Humanität zur Pflicht macht und deren Mitgefühl beim Schmerz ihrer Nebengeschöpfe rege gemacht wird, wenn sie auch von einer Nation sind, mit der ihr König Krieg führt. Wilds unglücklicher Zustand jammerte ihn also, zumal da dieser ihm einen ganz hübschen Roman aufheftete. Er sagte ihm daher, er würde wissen, daß er bei seiner Ankunft in Frankreich ein Kriegsgefangener sein müsse, aber er wolle sich alle erdenkliche Mühe geben, ihm seine Freiheit wieder zu verschaffen; unser Held dankte ihm aufs verbindlichste. Indem sie nun sehr langsam fortsegelten (sie hatten nämlich ihren großen Mast im Sturm verloren), sah Wild in der Entfernung ein anderes Segel, und[85] nach eingezogener Untersuchung vernahm er, daß es ein englisches Fischerboot sei; denn sie waren nur einige wenige Seemeilen von der englischen Küste. Weil die See nun sehr ruhig war, so erbot er sich, wenn man ihm nur ein paar Ruder geben wollte, das Fahrzeug zu gewinnen oder ihm wenigstens so nahe zu kommen, daß er es abrufen könne. Da die Viktualien, vorzüglich aber der Branntwein, den der Franzose ihm gereicht, seinen Mut ein wenig wieder hergestellt hatten, so setzte er dem Kapitän solange mit Bitten zu, bis dieser endlich einwilligte und ihm ein paar Ruder, etwas Brot, Schweinefleisch und eine Bouteille mit Branntwein geben ließ. Dann nahm er von seinen Rettern Abschied, stieg wieder in sein Boot und ruderte so wacker, daß der Fischer ihn bald zu Gesicht bekam, auf ihn loslegte und ihn glücklich an Bord nahm.

Kaum war Wild in Sicherheit, so bat er ihn, sobald als möglich nach Deal zu eilen; denn das Schiff, welches sie noch im Gesicht hätten, sei ein französisches, gehe nach Havre de Grace und könne leicht aufgetrieben werden, wenn nur ein Schiff segelfertig im Hafen läge, um es zu verfolgen. Auf so eine edle und große Weise schlug unser Held alle Verbindlichkeiten aus der Acht, die die Feinde seines Vaterlandes ihm erwiesen hatten; gerne hätte er alles, was nur in seinen Kräften stand, angewendet, seinen Wohltäter zum Gefangenen zu machen, dem er Leben und Freiheit verdankte.

Der Fischer ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie kamen glücklich nach Deal, wo sie aber zu Wilds großem Leidwesen auch nicht ein Schiff vorfanden, das auf diese Expedition hätte auslaufen können.

Unser Held sah sich nun wieder auf dem festen Lande; aber zum Unglück war er zu weit von der Stadt entfernt, wo Leute von Kopf allen ihren Bedürfnissen ohne Geld abhelfen oder wo sie sich vielmehr auf die bequemste Weise Geld für alle ihre Bedürfnisse verschaffen können. Indessen waren seine Talente größer als alle Schwierigkeiten; er schmiedete eine so glaubwürdige Nachricht von seinem Schicksale: daß er nämlich Kaufmann sei, den der Feind auf der Reise ausgeplündert, der aber noch großes Vermögen in London hätte, daß der Fischer ihn nicht nur in seinem Hause gut bewirtete, sondern ihm noch obendrein eine beträchtliche Summe borgte (Wilds System über das Borgen kennen wir schon) und ihn dadurch in den Stand setzte, mit der Landkutsche zu reisen, die ihn denn auch zur rechten Zeit wohlbehalten in einem Gasthof in der Hauptstadt absetzte.[86]

Und nun, geliebter Leser, kannst du unmöglich mehr für das Schicksal unseres Helden besorgt sein; denn haben wir ihn nicht glücklich auf den Haupttummelplatz seines Ruhms zurückgebracht? Darum wirst du erlauben, daß wir uns jetzt ein wenig nach Herrn Hartfree umsehen, den wir eben nicht in der angenehmsten Lage verließen.

Doch davon im folgenden Buche! [88]

Quelle:
-, S. 85-89.
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