Elftes Kapitel
Das mustergültige Benehmen unseres Helden im Boot.

[81] Vermutlich hatte das Verlangen, sich bei seiner schönen Gefangenen oder vielmehr Siegerin in Gunst zu setzen, keinen geringen Anteil an dieser raschen Handlung des Kapitäns: denn dieser Ehrenmann fühlte ungefähr dieselbe Leidenschaft oder besser denselben Hunger für Mistreß Hartfree, welchen Wild gefühlt hatte; auch war er nicht minder entschlossen, ihn bei der ersten Gelegenheit, gleichviel durch welche Mittel, zu befriedigen. Jetzt wollen wir ihn aber seinen Plänen überlassen und unserm Helden in das Boot folgen: denn im Unglück pflegt sich wahre Größe am besten zu offenbaren. Wenn sich ein Prinz in der Mitte seiner Höflinge, die sich um die Wette bemühen, ihm mit seinem Lieblingstitel oder in allen anderen Dingen zu schmeicheln, oder ein Eroberer an der Spitze von hunderttausend Mann, die alle bereit sind, seinen Willen zu vollziehen, mag er noch so grausam abenteuerlich und ausschweifend sein – wenn sich diese Helden im Triumph ihres Stolzes über ihre Werkzeuge erheben, so ist dies ganz natürlich. Aber daß ein Mann in Ketten, im Gefängnis, ja selbst im tiefen Kerker mit hartnäckigem Stolze und innigem Bewußtsein seiner Würde seine Erhabenheit über andere Menschen, die doch einem gewöhnlichen Beobachter viel glücklicher erscheinen als er, an den Tag legen kann; ja, daß er selbst in diesen Augenblicken den Himmel und die Vorsehung (deren vorzüglichste Sorge er ist) werktätig für sich und seine Entwürfe finden kann: das gehört zu den Geheimnissen der Größe, die nur ein Adept in dieser Kunst fassen und begreifen mag.

Läßt sich etwas elenderes denken, als die Lage unseres Helden, der sich nun in einem kleinen Boot auf offner See umhertrieb, ohne Ruder und Segel in der Gewalt des Windes und der Wellen, die ihn mit dem ersten Stoß umwerfen und begraben konnten? Dies ist noch in der Tat die gute Seite seiner Lage, wenn man bedenkt, daß ihm außerdem das schreckliche Schicksal bevorstand, bei anhaltender Windstille verhungern zu müssen.[81]

Als unser Held sich nun in diesem Zustande sah, stieß er zuvörderst eine ganze Ladung von Flüchen aus, deren Wiederholung uns der Leser, ohne darum eben ein Frömmling zu sein, gerne erlassen wird. Dann verwünschte er das ganze weibliche Geschlecht, vorzüglich seine Leidenschaft (denn so beliebte er seinen Hunger zu nennen) für Mistreß Hartfree, die die einzige Ursache seines gegenwärtigen Unglücks sei. Zuletzt, weil er fühlte, daß er zu tief in die Sprache der Niedrigkeit und Klage verfiel, brach er kurz ab und deklamierte folgendermaßen: »Verdammt! Man kann nur einmal sterben. Was liegt denn daran? Jedermann muß sterben: wenns vorbei ist, ist es vorbei. Bis jetzt habe ich mich vor nichts in der Welt gefürchtet und sollte nun zu fürchten anfangen? Hole mich der Teufel, wenn ich das will! Was soll die Furcht auch? Wer wollte denn eine Memme sein!« Bei diesen Worten nahm er einen sehr fürchterlichen Blick an, aber plötzlich besann er sich, daß niemand zugegen war, milderte das Schreckliche in seiner Miene, machte eine kleine Pause und hob wieder an: »Teufel! Gesetzt, ich würde nun verdammt, wovon ich mir in der Tat noch niemals etwas habe träumen lassen. Ich habe oft darüber gelacht und meinen Spaß damit getrieben, und doch – wer weiß – ob es nicht möglich ist. Gibt es eine andre Welt, so wird es mir schlimm gehen, das ist gewiß. Was ich an Hartfreen verschuldet, kann mir nicht vergeben werden. Ich gehöre dem Teufel mit Leib und Seele. Dem Teufel? Pah! Ich werde auch vor ihm nicht zittern, daß ich so ein Narr wäre. Nein – nein – wenn der Mensch tot ist, ist es aus mit ihm. Wenn ich das nur gewiß wüßte! denn wie ich gehört haben will, sollen ganz gescheite Leute das Gegenteil glauben. Gibt es keine andre Welt, ei nun, so bin ich wenigstens ebensogut daran, wie ein Klotz oder ein Stein; aber – wenn – verdammt! ich will nicht länger daran denken. Memmen mögen vor dem Tode zittern, ich will ihm gerade ins Gesicht sehen. Aber soll ich hier Hungers sterben? Nein, ich will mir den Schiffszwieback des französischen Schurken schmecken lassen und dann in die See springen, um eins dazu zu trinken; denn der gewissenlose Halunke hat mir nicht einmal einen Schluck Branntwein gelassen.«

Mit diesen Worten machte er sich über seinen Proviant her, und kaum hatte er den letzten Bissen davon im Munde, so stürzte er sich, seinem Vorsatze zufolge, über Hals und Kopf in die See.[82]

Quelle:
-, S. 81-83.
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