Viertes Kapitel
Worin Wild nach vielen fruchtlosen Versuchen, seinen Freund wiederzufinden, in einer Rede über sein Unglück sinniert.

[61] Mit mehrerem Ungestüm klopft der dickwanstige Lakai einer wohlgeborenen Dame an keine Tür, als Wild an die Türe des Grafen klopfte, die ein wohlgekleideter Bedienter ihm auch sogleich öffnete, ihm aber dabei zu wissen tat, sein Herr sei nicht zu Hause. Wild ließ sich damit nicht abspeisen, sondern durchsuchte das ganze Haus – aber vergebens. Dann durchstöberte er alle Spielhäuser in der ganzen Stadt: kein Graf war zu finden. Die Wahrheit zu sagen, dieser Herr hatte von seinem Hause Abschied genommen, sobald Wild nur den Rücken gewendet, und ohne Bedienten, Kleider und andre für die Bequemlichkeit eines großen Mannes gehörigen Dinge mit sich zu nehmen, war er so eilig davon geritten, daß er bereits achtundzwanzig Meilen auf der Straße von Dover zurückgelegt hatte.

Als Wild merkte, daß all sein Suchen fruchtlos sei, beschloß er, die Sache für diese Nacht aufzugeben. Er verfügte sich also zum Sitz seiner stillen Betrachtungen, nämlich in einen Schlafkeller, und, ohne einen Groschen in der Tasche zu haben, forderte er ein Maß Punsch, setzte sich einsam auf eine Bank und brach ganz leise in das folgende Selbstgespräch aus:

»Wie eitel ist doch menschliche Größe! Was helfen uns höhere Talente? Was hilft uns der edle Trotz, den wir den Gesetzen bieten, von denen sich nur der Pöbel einschränken läßt, wenn unsre feinsten und tiefsten Pläne so zu Wasser werden? Wie unglücklich ist der Zustand eines Ritters von der Industrie! Wie ist es der menschlichen Klugheit doch unmöglich, jeden Betrug vorauszusehen und sich davor zu hüten! Es geht im Leben, wie im Schachspiel: währenddessen der Springer, der Läufer oder die Königin zu einem großen Coup gebraucht wird, wirft sich ein elender Bauer dazwischen und verdirbt das ganze Spiel. Besser für mich, ich hätte die Gesetze der Freundschaft und Sittlichkeit beobachtet, als daß ich[61] nun meinen Freund zum Behuf andrer zugrunde gerichtet. Seine Börse hätte mir vielleicht immer zu Dienste gestanden, und nun hab ich ihn selbst außerstand gesetzt, mir zu dienen. Aber dies war doch meine Absicht nicht. Wenn ich also mein eignes Betragen in allen Stücken rechtfertigen kann, warum soll ich mich denn hinsetzen und wie ein Weib oder ein elender Knabe über so einen Querstrich weinen? Aber kann ich mich selbst so ganz von Nachlässigkeit freisprechen! Fehlte ich nicht, indem ich andern die Gewalt in Händen ließ, mich zu überlisten! Doch – dies ist unvermeidlich. Ein Ritter von der Industrie ist hierin unglücklicher, als jeder andre: wenn ein Vorsichtiger ins Gedränge kommt, kann er seine Hände in der Tasche halten; aber wie soll ein Langfinger seine eignen Taschen verteidigen, wenn er seine Hände brauchen muß, um andrer Leute Taschen zu durchsuchen? In diesem Lichte betrachtet, kann man sich nichts Elenderes denken als einen Langfinger. Wie gefahrvoll ist nicht sein Modus acquirendi! Wie unsicher und prekär seine Besitzungen! Warum sollte man denn jemals wünschen, ein Ritter von der Industrie zu werden? Oder – wo liegt seine Größe? In seiner Seele – antworte ich. Die innere Ehre, das stille heimliche Bewußtsein, große, wunderbare Taten ausgeführt zu haben, dies ist es, was allein den wahrhaft großen Mann aufrecht zu erhalten vermag, sei er übrigens ein Eroberer – ein Tyrann – ein Minister – oder ein Dieb. Dies muß ihn beruhigen bei allen Flüchen von Privatpersonen, bei den Verwünschungen des Publikums, das muß ihn mit sich selbst zufrieden machen, während alle Menschen ihn hassen und verabscheuen. Was anders als so eine innere Zufriedenheit könnte einem Menschen, der Macht, Reichtum und jede irdische Glückseligkeit besitzt, die Stolz, Geiz und Üppigkeit nur wünschen kann, auch dahin bewegen, sein Haus und seine Ruhe zu verlassen und mit Gefahr, alles zu verlieren, was das Glück ihm so freigebig geschenkt, mit unsäglichen Kosten und unendlichen Beschwerden, an der Spitze einer ganzen Herde von Dieben, die man eine Armee nennt, seine Nachbarn zu beunruhigen und Raub, Verwüstung und Blutvergießen nebst allen Arten von Elend über seine Nebenmenschen zu verbreiten? Was anders, als so ein edler Drang des Herzens könnte Prinzen auf der höchsten Staffel der Ehre, im Genuß der herrlichsten Einkünfte mit dem Verlangen beseelen, ihre Untertanen ihrer Freiheit zu berauben, die gerne für ihre Schwelgereien und dem Stolz dieser Prinzen ihr Knie beugen? Was anders kann sie bewegen, die eine Hälfte ihrer Untertanen aufzureiben und die andre ihrem oder dem Willen ihrer brutalen Nachfolger zu unterwerfen? Was anders kann einen Untertan, der[62] selbst große Besitztümer hat, dahin vermögen, seine Mitbürger zu verraten und sich selbst, seine Brüder und seine ganze Nachkommenschaft dem Mutwillen solcher Prinzen preiszugeben? Warum sollte endlich sonst der Ritter von der Industrie alle Mittel und Wege, sich einen sicheren und anständigen Unterhalt zu verschaffen, aus der Acht lassen und mit Lebensgefahr und Furcht vor sogenannter Schande geradezu den Gesetzen seines Vaterlandes für einen prekären und unsicheren Gewinn Trotz bieten? Ich darf mich also immerhin mit der Betrachtung zufriedengeben, daß ich klug genug, aber freilich unglücklich war, und daß ich folglich ein großer, wenn auch nicht ein glücklicher Mann bin.«

Sein Selbstgespräch ging zugleich mit seinem Punsch zu Ende; denn bei jeder Pause labte er sich mit einem kleinen Schluck. Und nun fiel es ihm erst ein, daß es ihm saurer werden würde, den Punsch zu bezahlen, als es ihm geworden war, ihn zu trinken, als er zu seinem großen Vergnügen am andern Ende der Stube einen von den Ehrenmännern sitzen sah, den er bei dem Abenteuer mit Hartfree gebraucht hatte, und der ihm, wie er gar nicht zweifelte, von Herzen gern eine oder zwei Guineen leihen würde; aber zu seinem nicht geringen Leidwesen erfuhr er, daß das Spiel ihn um alles Geld gebracht, was seine Großmut ihm gelassen hatte. Er sah sich also genötigt, seinen gewöhnlichen Weg einzuschlagen: d. h. er drückte sich den Hut in die Augen und ging zum Tempel hinaus, ohne eine Entschuldigung zu machen, und ohne daß irgend jemand Lust oder Courage gehabt hätte, ihm einen Heller abzufordern.

Quelle:
-, S. 61-63.
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