Zweites Kapitel
Außerordentliche Proben von Wilds Größe, teils zu ersehen aus seinem Benehmen gegen Bagshot, teils aus seinem Projekt, Hartfree durch den Grafen und dann den Grafen selbst um die Beute zu betrügen.

[52] Wild unternahm es nun, etwas Geld von Bagshot zu erpressen, der ungeachtet der häufigen Besuche, die man seinen Taschen abgestattet, noch immer einen beträchtlichen Rest vom gestrigen Spiel zu sichern gewußt hatte. Herr Bagshot erwartete eben seinen Bürgen, als Wild zu ihm ins Zimmer trat und ihm mit einer wahren Ojemine-Miene, die er zu allen Zeiten annehmen konnte, erzählte, alles wäre entdeckt; der Graf hätte ihn erkannt und bestände darauf, ihn Diebstahls wegen zu belangen; »ich habe nur noch mein Möglichstes getan und ihn mit großer Schwierigkeit dahin vermocht, Sie laufen zu lassen – im Fall Sie das Geld wieder ausbeuteln.«

Bagshot: »Wie? Ich das Geld wieder ausbeuteln? Das mögen Sie tun – Sie wissen ja am besten, wie viel davon in meine Tasche gefallen ist.«[52]

Wild: »Ist das der Dank dafür, daß ich Ihnen das Leben retten wollte? Ihr eignes Gewissen muß Ihnen ja Ihre Schuld vorwerfen und Ihnen sagen, welch ein gegründetes Recht der Graf hat, Sie zu belangen.«

Bagshot: »Bei meiner Seele! Nicht mein Leben allein steht auf dem Spiel! Andre Leute sind ebenso schuldig, wie ich. Wollen Sie mir noch vom Gewissen vorschwatzen?«

Wild (indem er ihn bei der Gurgel nahm): »Ja, Schurke! Das will ich; und weil du wagen kannst, mir zu drohen, will ich dir den Unterschied zwischen einem Hehler und einem Stehler zeigen. Ich muß gestehen, als du mit einer Summe Geldes prunktest, vermutete ich gleich, daß du nicht auf eine honette Art dazu gekommen seist.«

Bagshot (äußerst bestürzt): »Können Sie es leugnen?«

Wild: »Ja! Du Spitzbube! Ich leugne alles – nun magst du dir einen Zeugen auftreiben. Um dir zu beweisen, wie wenig ich deine Drohungen fürchte, so laß ich dich auf der Stelle arretieren –«. Mit diesen Worten wollte er sich von ihm losreißen, aber Bagshot hielt ihn beim Rockschoß zurück und bat ihn mit ganz veränderter Stimme, er sollte doch nicht so ungeduldig sein.

Wild: »So gib das Geld heraus, Schurke! Dann will ich mich deiner vielleicht erbarmen.«

Bagshot: »Was soll ich herausgeben?«

Wild: »Jeden Heller, den du in der Tasche hast: vielleicht beliebt es mir dann, mitleidig zu sein und dir nicht nur das Leben zu retten, sondern dir aus überschwenglicher Großmut noch selbst etwas zurückzugeben.«

Bagshot bedachte sich einen Augenblick; Wild aber griff entschlossen nach der Türe und stieß einen so fürchterlichen und nachdrücklichen Schwur aus, daß sein Freund nicht länger anstand, sondern ihn in Gottes Namen seine Taschen durchstöbern ließ, aus welcher er denn die Summe von zwanzig und einer halben Guinee hervorzog, wovon er ihm äußerst großmütig die halbe Guinee wieder zukommen ließ.

Zu gleicher Zeit bedeutete er ihm, jetzt könne er ruhig schlafen, aber in Zukunft möge er sich in acht nehmen, seinen Freunden zu drohen.

So bestand unser Held die größten Abenteuer mit einer wunderbaren Ruhe und Gelassenheit, und das alles vermöge der erhabenen Talente, womit die Natur ihn ausgerüstet, als da sind: ein kühnes Herz, eine donnernde Stimme und ein fester unveränderlicher Blick.[53]

Wild begab sich nun wieder zum Grafen zurück und benachrichtigte ihn, er habe zehn Guineen von Bagshot bekommen (denn die andern zehn ließ er mit einer großen und lobenswürdigen Klugheit in seine eigne Tasche fallen); für diese Summe, meinte er, wolle er ihm Bürgen schaffen. Auf sein Zureden aber verbürgte sich sein Vater und noch ein Ehrenmann von dessen Gewerbe, jeder für zwei Guineen, so daß er sich noch deren sechs mit Fug und Recht zu Gemüte führte. Denn sein Geschick und der ganze Umfang seines Verstandes war so groß, daß er keinen Handel machte, ohne jeden, mit dem er zu tun hatte, übers Ohr zu hauen.

Als der Graf nun auf diese Weise in Freiheit gesetzt war, mieteten sie sich vor allen Dingen ein möbliertes Haus in einer von den neuen Straßen, schafften Bediente, Equipage und allen Prunk des Reichtums herbei, damit sie dem armen Hartfree um so eher eine Nase drehen und Kredit bei ihm haben könnten. Dann besuchte Wild seinen Freund wieder und meldete ihm mit freudiger Miene, seine Bemühungen seien nicht fruchtlos gewesen und der Kavalier hätte versprochen, die Juwelen, die er seiner Braut bestimmt, von ihm zu nehmen; sie müßten aber sehr schön und kostbar sein. Er beschied ihn daher auf den folgenden Morgen zum Grafen und band ihm an, ja seine reichsten und feinsten Brillanten mitzunehmen. Zu gleicher Zeit ließ er einige Worte über die geringe Kenntnis fallen, die der Graf von dieser Ware hätte, und wie Hartfree demzufolge recht seinen Schnitt machen könnte. Aber Hartfree sagte mit einigem Unwillen, er verachte solche Niederträchtigkeiten; und nachdem er sich aufs höflichste bei seinem Freunde bedankt hatte, versprach er, zur bestimmten Zeit mit seinen Juwelen im Hotel des Grafen aufzuwarten.

Wenn mein Leser nur den geringsten Begriff von wahrer Größe hat, so muß ihm durchaus die Dummheit dieses Kerls so verächtlich Vorkommen, daß ihn all das Unglück wenig kümmern wird, das diesen Hartfree in der Folge vielleicht befallen möchte; denn – nicht zu argwöhnen, daß ein alter Schulkamerad, mit dem er in seiner zarten Jugend Freundschaft gepflogen und der bei Erneuerung ihrer Bekanntschaft das wärmste Interesse für ihn geäußert, imstande sein sollte, ihn zu hintergehn; überhaupt zu denken, daß ein Freund aus eigner Bewegung, ohne die mindeste Nebenabsicht, ihm einen Dienst leisten sollte: alles dieses setzt solch eine Schwäche der Seele, solch einen Mangel an Weltkenntnis, ein so argloses, simples, unbefangenes Herz voraus, daß man sich den Eigentümer desselben als die niedrigste Kreatur und den würdigsten Gegenstand des Spottes und der Verachtung vorstellen muß, wenn man[54] anders auf den Namen eines klugen und gescheiten Mannes Anspruch machen will.

Wild bedachte jetzt, daß die schwache Seite seines Freundes mehr im Herzen als im Kopf zu suchen sei; daß er – obgleich unfähig, irgend einen Menschen zu übervorteilen, doch keineswegs ein Gimpel oder so leicht zu fangen wäre, falls ihm nicht sein Herz einen dummen Streich spielte. Er band daher dem Grafen aufs schärfste ein, bei Hartfrees erstem Besuche nur ein Juwel zu behalten, die übrigen aber zurückzugeben, unter dem Vorwande, sie wären zu grob, und mit der Ordre, noch reichere und feinere herbeizuschaffen. Er sagte: Bei diesem Verfahren werde Hartfree kein bares Geld für das Juwel, welches er mitgebracht, erwarten; nun solle der Graf diesen auf der Stelle verkaufen und mit dem darausgelösten Gelde, neben dem, was er durch seine große Geschicklichkeit im Spiel an sich bringen würde, Hartfree etwas auf die ganze Garnitur abzahlen; dann werde er gewiß keinen Anstand nehmen, ihm das übrige zu kreditieren.

Aus dieser Erfindung wird man sehen, daß Wild nicht allein willens war, Hartfree, der bis jetzt auch noch nicht den mindesten Verdacht hatte, um so gewisser zu betrügen, sondern auch den Grafen selbst um diese Summe zu betrügen. Mit Recht kann man diese Manier, die Werkzeuge unsres Betrugs hinters Licht zu führen, als den allerhöchsten Grad menschlicher Größe ansehn; in der Tat wird ein Geist, der noch am irdischen Staube klebt, es schwerlich darin höher bringen können; denn schon dieser Grad liegt zunächst an teuflicher Erhabenheit.

Dieser Plan ward denn auch richtig ausgeführt, und der Graf behielt den ersten Tag nur einen Brillanten, der ungefähr dreihundert Pfund wert sein mochte, und bestellte über acht Tage ein Halsband, Ohrringe und einen Solitaire etwa von dreitausend Pfund.

Die Zwischenzeit wandte Wild zur Errichtung einer Bande an, worin er auch so glücklich war, daß er binnen wenigen Tagen verschiedne entschlossene Burschen zusammenbrachte, die den kühnsten und größten Unternehmungen gewachsen waren.

Wir haben schon oben bemerkt, Unersättlichkeit sei das untrüglichste Zeichen der Größe. Wild hatte mit dem Grafen verabredet, er für seine Person solle drei Viertel von der Beute haben; zu gleicher Zeit war er mit sich selbst eins geworden, auch das letzte Viertel an sich zu bringen, hatte auch zu dem Ende ein sehr großes und edles Projekt im Kopf. Aber nun merkte er zu seinem nicht geringen Leidwesen, daß er in Gefahr stünde, die Summe, die an Hartfree abgeliefert werden mußte, gänzlich zu verlieren. Um sich also[55] auch diese zu Gemüte zu führen, fädelte er es so ein, daß die Juwelen erst nachmittags abgeliefert und Hartfree einige Zeit aufgehalten werden solle, bevor er den Grafen spräche, so daß die Nacht ihn auf dem Rückwege überfiele; in welchem Falle bereits zwei rüstige Kerle von der Bande gemessene Ordre hatten, ihn anzuhalten und rein auszuplündern.

Quelle:
-, S. 52-56.
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