Siebentes Kapitel.

[85] Enthält bessere Gründe, als alle die, welche wir bisher für das Betragen Rebhuhns wahrgenommen haben; Schutzrede für Jones, Kurzsichtigkeit; und noch ein paar Anekdoten von unsrer Frau Wirtin.


Obgleich Rebhuhn zu den abergläubigsten Menschen gehörte, so würde er doch wohl schwerlich bloß auf Treu und Glauben seiner Träume vom Fallen über den Stuhl und der weißen Stute begehrt haben, den Herrn Jones auf seiner Reise zu begleiten, wenn er keine bessern Aussichten vor sich gehabt hätte, als die in Krieg und Schlachten eroberte Beute mit ihm zu teilen. Die Sache war diese: Als Rebhuhn über die von Jones gehörte Erzählung nachdachte, konnte er's in seinem Kopfe nicht reimen, daß Herr Alwerth seinen Sohn (denn dafür hielt er ihn steif und fest) wegen irgend einer der Ursachen, die er gehört hatte, sollte aus dem Hause gestoßen haben. Er machte also den Schluß, die ganze Geschichte möchte wohl eine Erdichtung sein, und Jones, von dem ihm seine Korrespondenten oft geschrieben, es sei ein sehr wilder Kopf, möchte wohl im Ernste von seinem Vater entlaufen sein. Er setzte sich's also in Sinn, wenn er's über den Jüngling erhalten könnte, daß er wieder nach Hause kehrte zu seinem Vater, so würde er dadurch dem Herrn Alwerth einen angenehmen Dienst leisten, der seinen ehmaligen Zorn gänzlich besänftigen müßte. Ja, er ging in seiner Grübelei soweit, daß er diesen Zorn für Verstellung hielt und meinte, Alwerth habe ihn seinem eignen guten Namen aufgeopfert. Und dieser Verdacht konnte ihm wirklich so ziemlich gegründet scheinen wegen der zärtlichen Gewogenheit, die dieser vortreffliche Mann gegen Jones äußerte, wegen der großen Strenge gegen Rebhuhn, der, weil er sich selbst unschuldig wußte, nicht begreifen konnte, daß ein andrer ihn für schuldig achten sollte, und endlich auch wegen der heimlichen Beisteuer, die er noch lange nachher von ihm erhalten hatte, als er ihm öffentlich die jährliche Pension genommen hatte, welche er als eine Art von Schmerzengeld, oder vielmehr als einen Ersatz für das ihm zugefügte Unrecht ansah: denn es ist sehr ungewöhnlich, glaub' ich, daß die Menschen die Wohlthaten, die sie von[85] jemand genießen, bloß seiner Barmherzigkeit zuschreiben, solange sie nur noch irgend einen andern Beweggrund dafür ersinnen können. Wenn er also, auf welche Art es auch anginge, den Jüngling bewegen könnte wieder heimzukehren, so zweifelte er nicht, Herr Alwerth würde ihm seine Gunst wieder angedeihen lassen und ihm seine Mühe sehr reichlich belohnen. Ja, auf diese Weise könnte er wieder in sein liebes Vaterland zurückkommen. Ein Wunsch, der selbst dem Ulysses niemals näher am Herzen gelegen hatte, als dem armen guten Rebhuhn.

Was Herrn Jones anlangt, so zweifelte der gar nicht an der Wahrheit dessen, was der andre vorgegeben hatte, und glaubte, Rebhuhn werde von nichts anderm als von der Liebe zu ihm und dem Eifer für die Sache des Vaterlandes getrieben. Ein tadelnswürdiger Mangel an Behutsamkeit und Mißtrauen in die Wahrheitsliebe andrer, wodurch er sich einer derben Weisung würdig machte! Die Wahrheit zu sagen gibt es nur zwei Wege, auf welchen ein Mensch zu dieser vortrefflichen Eigenschaft gelangen kann. Einer ist eine lange Erfahrung und auf den andern leitet die Natur selbst. Diese letzte ist oft unter demjenigen gemeint, was man Genie oder hellen natürlichen Verstand nennt und ist der unendlich sicherste von beiden, nicht allein deswegen, weil wir darin viel früher in unserm Leben Meister werden, sondern auch, weil er viel sichrer und zuverlässiger ist; denn ein Mann von bloßer Erfahrung kann noch so oft und mannigfaltig betrogen worden sein und dennoch immer hoffen, bei andern mehr Ehrlichkeit anzutreffen; dahingegen ein Mann, der von seinem innern Zeugen gewisse nötige Warnungen darüber erhält, daß das nicht möglich sei, wirklich nur sehr wenig Verstand haben müßte, wenn er sich nur ein einziges Mal der Gefahr bloßstellte, betrogen zu werden. Da Jones diese Gabe nicht von der Natur empfangen hatte, so war er noch zu jung, sich solche durch Erfahrungen erworben zu haben. Denn da dieses weise Mißtrauen, welches nach den Lehrsätzen einer gewissen Sekte geheimer unbekannter Philosophen die Mutter der Sicherheit ist (weswegen denn wohl auch so manche Auftritte gespielt werden, um es dieser Mutter nicht an Kindern fehlen zu lassen), nur erst bei sehr reifen Jahren erlangt werden kann, so ist dies vielleicht die Ursache, warum einige alte Männer so geneigt sind, den Verstand aller derer gering zu schätzen, welche nur ein wenig jünger sind als sie selbst.

Jones brachte fast den ganzen Tag in Gesellschaft eines Bekannten zu. Dies war niemand anders als der Wirt vom Hause, oder richtiger zu sagen, der Ehemann der Frau Wirtin. Er war erst ganz neulich wieder nach einem Lager am Podagra herunter ins Haus gekommen, an welcher Krankheit er gewöhnlich die eine Hälfte[86] des Jahres sein Zimmer hüten mußte und während der übrigen Hälfte im Hause umherwankte, seine Pfeife rauchte und mit seinen Freunden seine Flasche Wein trank, ohne sich im geringsten um das Hauswesen zu bekümmern. Er hatte eine Erziehung gehabt wie eines hübschen Mannes Kind, das heißt, erzogen zum Müßiggange, und hatte ein sehr geringes Vermögen, das er von einem fleißigen Landwirt, seinem Oheim, geerbt, mit Jagen, Pferderennen und Hahnengefechten durchgebracht und sich dann mit der Frau Wirtin verheiratet, die ihm wegen gewisser Endzwecke ihre Hand gegeben, welchen zu entsprechen er schon längst aufgehört hatte, weswegen sie ihn recht herzlich haßte. Weil er aber eine dickhäutige Art von Gesellen war, so begnügte sie sich damit, ihm sehr nachteilige Vergleichungen mit ihrem ersten Ehemanne aufzuschüsseln, dessen Lob und Preis sie unaufhörlich im Munde führte, und so wie sie sich des größten Teils des Profits bemächtigte, so ließ sie sich's auch gefallen, die Regierung und Besorgung des Haus- und Wirtschaftswesens auf ihre eignen Schultern zu nehmen und nach einem langen und glücklichen Kämpfen ihrem Manne nachzugeben, daß er sein eigner Herr sein durfte.

Des Abends als sich Jones nach seinem Zimmer begab, erhob sich über ihn ein kleiner Zank zwischen diesem zärtlichen Ehepaare. »Was!« sagte sie, »hast du mit dem Herrn gesöffelt, wie ich sehe!« – »Ja,« antwortete der Gemahl, »wir haben unsre Flasche miteinander ausgestochen; es ist eine hübsche Art Herrn von Manne, das muß ich sagen, und versteht sich nicht übel aufs Pferdefleisch. Jung ist er freilich noch etwas und kennt noch eben die Welt nicht, denn ich glaube, bei viel Pferderennen ist er noch nicht gewesen.« – »Ho, ho!« versetzte die Gattin, »ist er von deinem Orden, ist er nicht? So, ja, so muß er wohl ein Junker sein, wenn er ein Pferdeverständiger ist. Hol' der Satan solche Pferdejunker! Gott weiß, ich wollte, ich hätte in meinem Leben keinen zum Ansehen gekriegt. Ich habe wohl Ursache Pferdekennern gut zu sein! Ich, ja wahrhaftig!« – »Das hast du,« sagte der brave Ehemann, »denn ich bin selbst einer, das weißt du.« – »Ja, leider weiß ich's,« antwortete sie, »und der rechte, klare Kern dazu, wie mein lieber seliger Mann zu sagen pflag, und ebenso kann ich alles Gute, was ich von dir gehabt habe, in meine beiden Augen thun und doch um keinen Stich schlechter sein.« – »Daß du mit deinem lieben seligen Mann in der Hölle säßest!« schrie er. – »Mit Respekt von einem Manne gesprochen, bitte ich,« versetzte sie, »der nicht so dumm war, wie's andre gibt. – Wenn er noch lebte, du solltest dich's unterstehen, so was zu sagen; Wonne! Wonne!« – »Meinst du also,« sagte er, »ich hätte nicht soviel Kourage als du? Denn du hast ihn doch in[87] Abgrund der Hölle gewünscht, daß ich's selbst mit angehört habe.« – »Nun! wenn ich's ja einmal gethan habe, so hab' ich's hundertmal bereut. Und wenn er so langmütig war, mir ein Wort zu vergeben, das ich sowohl einmal in Brast und Hast sagte, so schickt sich das nicht für so einen wie du, mir das so wie Striegelstaub ins Ehebett zu streuen. An ihm hatte ich doch noch einen braven Ehemann, so hatt' ich! Und wenn mir auch einmal ein unrechtes Wort so im Eifer entfiel, so habe ich ihn doch niemals einen faulen Steinesel geheißen! Nein, da hätt' ich eine Lüge gesagt, wenn ich ihn so geheißen hätte.« Sie sagte noch weit mehr und spitzigere Dinge, aber ohne daß er's hörte, denn als er seine Pfeife angezündet hatte, wackelte er so hurtig ab als er nur konnte. – Wir wollen also von ihren wohlgewürzten Reden nichts weiter abschreiben, weil sich solche immer mehr und mehr einem Gegenstande näherten, welcher zu unfein ist, um einen Platz in dieser Geschichte zu finden.

Des folgenden Morgens ganz frühe erschien Rebhuhn vorm Bette des Herrn Jones, völlig fertig und gerüstet zur Reise, mit dem Knappsack auf den Schultern. Dieser war sein eignes Werk und Erfindung, denn außer seinen andern Gewerben war er auch kein schlechter Schneider. In diesen Knapp- oder Schnappsack hatte er bereits seinen ganzen Vorrat von Wäsche gepackt, der aus vier Hemden bestand, wozu er achte von Jones seinen hinzuthat, dann das Felleisen zuschnürte, aufpackte und damit zum Hause hinausmarschieren wollte nach seinem eignen, auf dem Wege aber von der Wirtin angehalten wurde, welche von keinem Ausziehen wissen wollte, bis nach bezahlter Rechnung.

Die Wirtin, wie wir gesagt haben, war in diesem Revier unumschränkte Beherrscherin; es war daher eine Notwendigkeit, ihren Gesetzen gehorsam zu sein, und somit ward die Rechnung augenblicklich ausgefertigt, die sich auf eine weit höhere Summe belief, als man nach der Bewirtung, welche Jones genossen, hätte erwarten sollen. Aber hier sehen wir uns genötigt, gewisse Maximen aufzudecken, welche die Gastwirtsleute als ein Brudergeheimnis verborgen halten. Die erste ist, wenn sie etwas Gutes im Hause haben (welches sich wirklich nicht oft zuträgt), so bringen sie es nur solchen Personen zum Vorschein, die mit einem großen Gefolge reisen. Zweitens eben diesen Leuten für die schlechteste Bewirtung ebensoviel anzusetzen, als ob es die beste gewesen wäre, und endlich drittens, wenn einer von ihren Gästen nur wenig fordert, für jede Sache die er bekommen, sich den doppelten Preis bezahlen zu lassen, so daß am Ende sich die Summe auf eins hinaus beläuft.

Nachdem die Rechnung aufgemacht und bezahlt worden, machte sich Jones auf den Weg und Rebhuhn mit dem Schnappsack auf[88] dem Buckel hinter ihm her. Die Wirtin gab sich nicht einmal die Mühe, ihnen glückliche Reise zu wünschen, denn dies war, müssen Sie wissen, ein Gasthof, wo nur vornehme Passagiere einkehrten, und ich weiß nicht wie es zugeht, aber alle Leute, die ihre Nahrung von Leuten von gewissem vornehmem Stande verdienen, gewöhnen sich gegen alle übrigen Menschen eben solche Grobheiten an, als ob sie selbst mit zu jenem Range gehörten.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 85-89.
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