Vierzehntes Kapitel.

[131] Worin der Mann vom Berge seine Geschichte beschließt.


»Herr Watson,« fuhr der Fremde fort, »erzählte mir ohne Umstände, daß die unglückliche Lage seiner Finanzen, in die ihn eine Folge von widrigem Glück gebracht, ihn gewissermaßen zu dem Entschluß gezwungen habe, sich selbst das Leben zu nehmen.

Ich begann hierauf sehr ernsthaft seine heidnischen oder vielmehr höllischen Grundsätze über die Zulässigkeit des Selbstmords zu[131] bestreiten und sagte ihm alle Gründe, die mir über diese Sache beifallen wollten. Zu meinem großen Leidwesen aber schienen solche nur wenig auf ihn zu wirken. Er schien über das, was er gethan, nicht die geringste Reue zu empfinden und gab mir Ursache zu fürchten, daß er bald einen zweiten Versuch von dieser scheußlichen Gattung wagen würde.

Anstatt mir, nachdem ich meine Rede geendigt hatte, auf meine Gründe zu antworten, sah er mir steif ins Angesicht und sagte mit Lächeln:

Sie haben sich gewaltig verändert, mein lieber Freund, seitdem ich Sie das letzte Mal gesehen habe! Ich zweifle, ob irgend einer von unsern Bischöfen eine nachdrücklichere Rede gegen den Selbstmord halten könnte, als die, welche Sie mir zum besten gegeben haben. Wofern Sie indessen niemand finden können, der mir ein Sümmchen von hundert Pfund Sterling vorstreckt, muß ich entweder mich hängen oder ersäufen, oder auch Hungers sterben. Nach meiner Meinung aber ist die letzte Todesart die schrecklichste von allen dreien.

Ich antwortete ihm sehr ernsthaft: ich wäre wirklich sehr verändert, seitdem ich ihn zuletzt gesehen hätte. Ich hätte Zeit und Muse gefunden, meine Thorheiten einzusehen und sie zu bereuen. Ich gab ihm hierauf den Rat, in eben diese Fußstapfen zu treten; und beschloß endlich mit der Versicherung, daß ich selbst ihm einhundert Pfund leihen wolle, wenn seinen Umständen damit aufzuhelfen wäre, und er es nicht in die Gewalt der Würfel setzen wolle, ihn dieses Geldes wieder zu berauben.

Herr Watson, welcher bei dem ersten Teile meiner Rede fast in einen völligen Schlummer versenkt zu sein schien, ermunterte sich bei dem letzten. Mit vieler Lebhaftigkeit faßte er mich bei der Hand, sagte mir tausend Dank und beteuerte, ich sei doch noch ein Freund! Er fügte hinzu, er hoffe, ich habe eine bessere Meinung von ihm, um zu glauben, er sei durch seine Erfahrung so wenig weiser geworden, daß er noch das geringste Zutrauen auf die verdammten Würfel setzen könnte, die ihn schon so oft betrogen hätten. Nein, nein! rief er, laß mich nur erst einmal wieder in ordentliche Umstände kommen, und wenn dann das Glück mich jemals wieder dahin bringt, daß ich Bankrott spiele, so will ich es ihm mit keinem Wörtchen zur Last legen.

Ich verstand sein Rotwelsch von glücklichen Umständen und Bankrottspielen sehr gut. Ich sagte ihm deswegen mit einem sehr ernsthaften Gesicht: Herr Watson, Sie müssen sich bemühen, eine Lebensart oder ein Geschäft ausfindig zu machen, wodurch Sie sich einen ordentlichen Lebensunterhalt verschaffen können, und ich verspreche[132] Ihnen, könnte ich nur irgend eine Wahrscheinlichkeit ersehen, in der Folge der Zeit zu meiner Wiederbezahlung zu gelangen, ich wollte Ihnen eine weit größere Summe vorschießen, als diejenige ist, deren Sie erwähnt haben, um Sie zu irgend einem ehrlichen und anständigen Berufe auszurüsten. Was aber das Spiel anbelangt, nicht zu erwähnen daß es niederträchtig und schändlich ist daraus ein Gewerbe zu machen, so sind Sie wirklich, nach meiner eigenen Erfahrung und Ueberzeugung, dazu gar nicht gemacht und es kann nicht anders als zu Ihrem völligen Untergang ausschlagen.

Nun seh' mir einer, ob das nicht höchst wunderbar ist, antwortete er. Weder Sie noch sonst jemand von meinen übrigen Freunden haben mir jemals zugestehen wollen, daß ich in dieser Sache die gehörige Geschicklichkeit besitze, und dennoch glaub' ich, versteh' ich alle Spiele so gründlich, als nur einer von euch allen, und ich wollte herzlich wünschen, daß ich nur mit Ihnen um Ihr ganzes Vermögen spielen könnte! Im Ernst, ich wünschte mir keinen größern Spaß, und dabei wollt' ich Ihnen unter allen Spielen die Wahl lassen! Aber kommen Sie, mein teuerster Freund, haben Sie die hundert Pfund bei sich in der Tasche?

Ich antwortete, ich hätte bloß ein Papier auf fünfzig Pfund bei mir. Dies gab ich ihm und versprach, die übrigen fünfzig des nächsten Morgens zu bringen; und nachdem ich ihm noch einen und den andern guten Rat gegeben hatte, nahm ich meinen Abschied.

Ich hielt noch mehr als ich versprochen hatte; denn ich ging noch denselben Nachmittag wieder zu ihm. Als ich ins Zimmer trat, fand ich ihn im Bette aufsitzend und mit einem berüchtigten Spieler im Kartenspiel begriffen. Dieser Anblick, wie Sie sich leicht einbilden werden, verdroß mich nicht wenig; dazu kam noch der Aerger, zu sehen, daß er meinen Wechsel seinem Gegner aushändigte und dafür nur dreißig Pfund bezahlt erhielt.

Der andere Spieler verließ augenblicklich das Zimmer und darauf erklärte Herr Watson: er schäme sich, mir unter die Augen zu sehen. Aber, sagte er, ich sehe, das Glück ist mir so verdammt zuwider, daß ich den Entschluß fassen will, auf ewig allem Spiel zu entsagen. Ich habe den gütigen Vorschlägen, die Sie mir gethan haben, seitdem beständig nachgedacht, und ich verspreche Ihnen, die Schuld soll nicht an mir liegen, wenn ich sie nicht ins Werk setze.

Ob ich nun gleich eben keinen sonderlichen Glauben an sein Versprechen hatte, so gab ich ihm dennoch zufolge meines eignen Versprechens das übrige, um die hundert Pfund voll zu machen; worüber er mir eine Handschrift gab, welches alles war, was ich für mein Geld jemals wieder zu sehen erwartete.[133]

Wir wurden verhindert, für jetzt etwas weiter mit einander zu reden, weil der Apotheker hereinkam, welcher mit vieler Freude auf dem Gesichte und ohne sich einmal zu erkundigen, wie sich sein Patient befände, ausrief: es wären in einem Briefe an ihn wichtige Neuigkeiten angelangt, welche, wie er sagte, bald öffentlich bekannt werden würden, nämlich: Der Duke of Monmouth wäre in Westen mit einer großen Armee Holländer gelandet und eine andere große Flotte kreuzte an der Küste von Norfolk und würde daselbst eine Landung thun, um durch eine Diversion von der Seite das Unternehmen des Dukes zu begünstigen.

Dieser Apotheker war einer der größten politischen Kannengießer seiner Zeit, denn die nichtsbedeutendste neue Zeitung machte ihm mehr Freude, als der beste Kunde; und das größte Entzücken, dessen er fähig war, genoß er, wenn er eine Nachricht eine oder ein paar Stunden früher erfahren konnte, als irgend jemand in der Stadt. Seine Neuigkeiten waren indessen selten zuverlässig, weil er alles, was man ihm aufhängte, als eine ausgemachte Wahrheit verschlang; und dieser Glaubensfähigkeit bediente sich denn mancher, um ihm allerlei Dinge auf den Aermel zu heften.

Dies war denn auch der Fall mit der Neuigkeit, die er jetzt ausbrachte. Denn sehr bald hernach ward es bekannt, daß der Duke allerdings gelandet war, daß aber seine Armee bloß in einigen Begleitern bestand; und was die Diversion in Norfolk betraf, so war daran kein Wort wahr.

Der Apotheker hielt sich nicht länger im Zimmer auf, als nötig war, uns mit seiner Neuigkeit bekannt zu machen; und dann, ohne seinem Patienten nur weiter ein Wort, es sei worüber es wolle, zu sagen, eilte er fort, um seine neue Zeitung über die ganze Stadt zu verbreiten.

Begebenheiten von dieser Art pflegen im Publikum alle Privatangelegenheiten zu verdunkeln und zu verdrängen. Sonach wurde unser Gespräch völlig politisch. Was mich selbst anbetraf, so war mir schon seit einiger Zeit die Gefahr sehr ernstlich und nahe zu Herzen gegangen, welcher die protestantische Religion unter einem römisch-katholischen Prinzen so sichtbarlich ausgesetzt war; denn es läßt sich gegen den Verfolgungsgeist des Katholizismus, wenn er mit der Gewalt bewaffnet ist, keine andre wahre Sicherheit ausfindig machen, als daß man ihm diese Macht benehme, wie die betrübte Erfahrung sehr bald lehrt. Sie wissen, wie sich der König Jakob benahm, nachdem er diesen Versuch vereitelt hatte; wie sehr wenig er sein königliches Wort, den Krönungseid, oder die Rechte und Freiheiten seines Volkes achtete. Aber nicht alle hatten die Klugheit, dies gleich anfangs vorauszusehen, und deshalb fand[134] der Duke of Monmouth nur sehr schwache Unterstützung; aber alle konnten es fühlen, als das Uebel über sie daherzog; und deswegen vereinten sich endlich alle, den König zu vertreiben, gegen dessen Ausschließung vom Throne eine große Partei unter uns während der Regierung seines Bruders so heftig im Parlament gestritten hatte, und für welchen sie jetzt mit solchem Eifer und so großer Anhänglichkeit fochten.«

»Was Sie da sagen,« unterbrach ihn Jones, »ist sehr wahr; und es ist mir oft als eine der wunderbarsten Sachen, die ich jemals in der Geschichte gelesen habe, aufgefallen, daß so kurz und bald nach dieser überzeugungsvollen Erfahrung, welche unsre ganze Nation dahin brachte, über die Vertreibung des Königs Jakob, als ein Bewahrungsmittel unsrer Religion und Freiheit, so einstimmig zu denken, sich wieder eine Partei unter uns finden könne, die rasend genug ist, zu wünschen, daß seine Familie wieder auf den Thron gelangen möchte.«

»Es ist nicht Ihr Ernst,« antwortete der alte Mann; »eine solche Partei kann es unmöglich geben. Eine so schlechte Meinung ich auch von dem Menschen habe, kann ich doch nicht glauben, daß er bis auf einen solchen Grad verblendet sein könne! Es mag hie und da einen Hitzkopf von Papisten geben, der sich von seinem Pfaffen verleiten läßt, an dem schändlichen Aufruhr teilzunehmen und es für einen heiligen Krieg zu halten: daß aber Protestanten, daß Mitglieder der englischen Kirche solche Apostaten, solche Feinde ihres eignen Wohls sein sollten, das kann ich nicht glauben. Nein, nein! mein junger Herr; so unbekannt ich mit allem bin, was seit den letzten dreißig Jahren in der Welt vorgegangen ist; so bin ich doch nicht leichtgläubig genug, mir ein so ungereimtes Histörchen weismachen zu lassen; aber ich sehe, Sie wollen sich mit meiner Unwissenheit einen Scherz machen.« – »Ist es möglich,« erwiderte Jones, »daß Sie so völlig von der Welt abgesondert leben, nicht einmal zu wissen, daß während der Zeit zwei Rebellionen zu Gunsten des Sohnes des Königs Jakob entstanden sind, davon die eine grade diesen Augenblick mitten im Herzen dieser Königreiche wütet?« – Bei diesen Worten sprang der alte Herr von seinem Stuhle auf und beschwor Herrn Jones mit einem höchst feierlichen Tone der Stimme bei seinem Herrn und Schöpfer, ihm zu sagen: ob das, was er von ihm gehört habe, wirklich wahr sei? Als dieser solches eben so feierlich beteuert hatte, ging der alte Mann verschiedenemal im tiefsten Stillschweigen das Zimmer auf und nieder; dann begann er zu weinen, dann zu lachen, und endlich fiel er nieder auf seine Kniee und pries Gott in einem lauten Dankgebet, daß er ihn von allem geselligen Umgang mit dem menschlichen Geschlecht erlöst habe,[135] das solcher ungeheuern Ausschweifungen fähig sein könnte. Worauf, nachdem ihn Jones erinnert, daß er seine Geschichte abgebrochen hätte, er solche folgendergestalt wieder anhob:

»Da die Menschen zu den Zeiten, von welchen ich sprach, noch nicht bis zu der Staffel von Raserei gelangt waren, auf welcher sie sich jetzt befinden, wie ich sehe, und welcher auch ich freilich nur dadurch entronnen bin, daß ich in der Einsamkeit und weiten Entfernung von der ansteckenden Seuche gelebt habe: so erhob sich ein sehr beträchtlicher Aufstand zur Unterstützung des Duke of Monmouth. Und da meine Grundsätze auch mich sehr stark auf diese Seite zogen, so faßte ich den Entschluß, mich zu seinem Heer zu begeben; und da der Herr Watson aus andern Ursachen in diesen Entschluß einstimmte, (denn der Trieb zum Spiele wird bei solchen Gelegenheiten über einen Mann ebensoviel vermögen, als der Trieb eines Patrioten), so machten wir bald Anstalt, uns mit allem Benötigten zu versehen und begaben uns zu dem Haufen unter dem Duke zu Bridgewater. Mit dem unglücklichen Ausgange dieser Unternehmung sind Sie, denk' ich, ebenso bekannt wie ich selbst. Ich entkam mit Herrn Watson aus der Schlacht bei Sedgemore, nachdem ich in diesem Treffen eine leichte Wunde bekommen hatte. Wir ritten zusammen wohl sechzehn Stunden Weges auf der Exeter Heerstraße. Alsdann verließen wir unsre Pferde, schlichen uns so gut wir konnten durch die Felder und Nebenwege, bis wir bei einer kleinen wilden Hütte an einem Viehanger anlangten, woselbst eine arme alte Frau so viel Sorge für uns trug, als sie nur konnte, und meine Wunde mit einer Salbe verband, wodurch sie sehr bald geheilt wurde.«

»O lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »wohin bekamen Sie die Wunde?« – Der Fremde befriedigte ihn, indem er sagte: »In den Arm!« und fuhr drauf in seiner Erzählung fort: »Hier, meine Herrn,« sagte er, »verließ mich Herr Watson des nächsten Morgens, um, wie er vorgab, aus der Stadt Cullumpton einige Lebensmittel für uns zu holen; aber – kann ich's erzählen? und werden Sie es glauben können? – Dieser Herr Watson, dieser Freund, dieser niedrige, barbarische, verräterische Schurke, verriet mich an einen Trupp Reiter von dem Heere des Königs Jakob und überlieferte mich bei seiner Zurückkunft ihren Händen.

Diese Reiter, ihrer sechse an der Zahl, hatten sich nun meiner bemächtigt und führten mich nach dem Gefängnis zu Taunton. Aber weder meine gegenwärtige Lage, noch die Furcht vor dem, was mir widerfahren würde, waren meiner Seele nur halb so unerträglich, als die Gesellschaft meines falschen Freundes, welcher, da er sich ebenfalls ergeben hatte, als ein Gefangener angesehen, aber besser behandelt wurde, weil er seinen Pardon auf meine Kosten[136] bewirken sollte. Anfangs bemühte er sich, seine Verräterei gegen mich zu entschuldigen; da er aber von mir nichts anderes als Verachtung und Vorwürfe erhielt, veränderte er bald den Ton, schalt mich den hämischsten, tückischsten Rebellen und setzte sein ganzes Verbrechen auf meine Rechnung; beteuerte, ich habe ihn verführt, sogar durch Drohungen dahin gebracht, die Waffen gegen seinen allergnädigsten, ja allerrechtmäßigsten Souverän zu ergreifen.

Diese falsche Anklage (denn in der That war er der bereitwilligste von uns beiden gewesen) durchbohrte mir das Herz und erregte einen solchen Zorn in mir, den sich schwerlich jemand vorstellen kann, der ihn nicht selbst gefühlt hat. Unterdessen hatte endlich das Glück Mitleiden mit mir; denn als wir eine kleine Strecke jenseits Wellington in einen engen hohlen Weg gelangt waren, erhielten meine Wächter eine falsche Nachricht, daß ungefähr fünfzig Mann von dem Feinde sich in der Nähe befänden; worauf sie auf ihr eignes Heil bedacht waren und mir und meinem Verräter überließen, dasselbe zu thun. Der Nichtswürdige rannte von mir weg, und noch ist mir's leid, daß er's that; denn sonst hätt' ich gewiß getrachtet, ob ich gleich keine Waffen hatte, für seine Niederträchtigkeit tötliche Rache zu nehmen.

Ich war nun abermals in Freiheit. Ich verließ augenblicklich die Heerstraße, wandte mich auf die Felder, ging immer fort und wußte kaum, welchen Weg ich ging. Meine vornehmste Sorge war, alle öffentlichen Wege, alle Städte und Flecken, ja selbst die schlechtesten Bauernhäuser zu vermeiden; denn ich bildete mir ein, jedes menschliche Geschöpf, das ich sah, ginge darauf aus, mich zu verraten.

Zuletzt, nachdem ich verschiedene Tage im Lande herumgeirrt war, während welcher Zeit das offene Feld mir einerlei Bett und einerlei Nahrung mit derjenigen reichte, welche die Natur unsern wilden Brüdern der Schöpfung beschert, langte ich endlich an diesem Orte an, wo mich die Einsamkeit und Wildnis der Gegend einlud, meine Wohnung aufzuschlagen. Die erste Person, bei der ich meine Wohnung nahm, war die Mutter dieser alten Frau, bei der ich mich so lange verborgen hielt, bis die Zeitung von der glückseligen Thronveränderung aller meiner Furcht vor Gefahr ein Ende machte und mir Gelegenheit gab, noch einmal meine väterliche Wohnung zu besuchen und von dem Zustande meiner Sachen einige Erkundigung einzuziehen. Ich brachte solche sehr bald, sowohl zum Vergnügen meines Bruders als zu meinem eignen, in Ordnung, indem ich auf alles und jedes gegen eine Auszahlung von tausend Pfund Sterling und eine jährliche kleine Leibrente meinen Ansprüchen entsagte.[137]

Sein Betragen bei dieser Gelegenheit war, wie bei allen andern, eigennützig und ungroßmütig. Ich konnte ihn nicht als meinen Freund betrachten, und wirklich war das auch nicht sein Wunsch. Somit nahm ich kurz drauf sowohl von ihm als von allen meinen übrigen Bekannten Abschied; und von dem Tage an bis auf den heutigen ist meine Geschichte nicht viel mehr als ein leeres Blatt.«

»Und ist es möglich, mein Herr,« sagte Jones, »daß Sie von der Zeit an bis auf den heutigen Tag hier gewohnt haben können?« – »Das nicht, mein Herr,« antwortete der Fremde. »Ich bin weit und breit gereist und es gibt wenige Teile von Europa, die ich nicht kennen gelernt hätte.« – »Mein Herr,« sagte Jones, »ich bin nicht so unbescheiden, es jetzt von Ihnen zu begehren; es wäre wirklich grausam nach den vielen Beschwerden, die ich Ihnen schon verursacht habe. – Aber Sie werden mir gütigst erlauben, daß ich mir in der Zukunft eine andre Gelegenheit wünsche, die vortrefflichen Bemerkungen zu hören, welche ein Mann von Ihrem Verstande und Ihrer Weltkenntnis auf so vielen und langen Reisen gemacht haben muß.« – »In der That, mein lieber junger Freund,« antwortete der Fremde, »ich will gerne suchen, auch über diesen Punkt, so weit ich dazu im stande bin, Ihre Neugierde zu befriedigen.« – Jones brachte neue Entschuldigungen vor, welche der Alte unterbrach; und unterdessen, daß Jones und Rebhuhn mit begierigen und ungeduldigen Ohren dasaßen, fuhr der Fremde fort und erzählte, wie im nächsten Kapitel folgt.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 131-138.
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