Zweites Kapitel.

[65] Worin die Wirtin Herrn Jones einen Besuch macht.


Als Jones von seinem Freunde, dem Leutnant, Abschied genommen hatte, versuchte er es, wieder einzuschlafen; aber vergebens. Seine Geister waren zu lebendig und schwach, um sich in Schlaf wiegen zu lassen. Nachdem er sich also mit dem Gedanken an seine Sophie, solange bis es heller Tag war, ergötzt oder vielmehr gequält hatte, rief er, daß man ihm Thee bringen sollte. Bei welcher Gelegenheit sich die Frau Wirtin selbst herabließ, ihm einen Besuch zu machen.

Dies war in der That das erste Mal, daß sie ihn gesehen oder wenigstens nur einigermaßen bemerkt hatte. Weil sie aber von dem Leutnant war versichert worden, Jones wäre gewiß ein junger Mann von guter Familie, so entschloß sie sich jetzt, ihm allen möglichen Respekt zu bezeigen. Denn der Wahrheit gemäß müssen wir es sagen, dies war eins von denen Häusern, woselbst vornehme Herrschaften (um in der Sprache der Avertissementer zu reden) um zivilen Preis die prompteste Bedienung erwarten konnten.

Kaum hatte sie angefangen den Thee zu machen, als sie auch zu reden begann: »Ach liebste Zeit!« sagte sie, »'s ist doch jammerschade, daß ein so scharmanter junger Herr sich so wegwerfen und mit diesem Soldatenvolke in der Welt herumziehen soll. Sie nennen sich alle freie Herren! o ja doch! wohlfeiler thun sie's nicht; aber wie mein Mann seliger zu sagen pflegt, sie sollten's bedenken, daß wir sie aus unserem Beutel bezahlen; und das ist richtig, hart genug is es für uns, daß wir genötigt sind zu bezahlen, und ihn'n noch Dach und Fach dazu zu geben, wie wir öffentlichen Oberschisten thun müssen. D' vorige Nacht hab' ich ihrer zwanzig im Hause gehatt, die Offizierers nicht emmal mitgerechnet. Doch das mag hingehn, ich mag noch lieber die Gemeinen haben als die Offizierers: denn solchen Springinsfelden ist nichts recht und gut genug; und, Herr, wenn Sie die Rechnungen sehn sollten, 's ist kaum der Mühe wert! Ich habe nicht soviel Unruhe davon gehatt, das kann ich versichern, mit der ganzen Familie eines adlichen Herrn vom Lande, welche für eine Nacht zehn bis zwölf Thaler bezahlt und für die Pferde noch apart. Und doch kann ich's versichern, da ist schwerlich einer von allen diesen Offiziervolke, der sich nicht in seinem Kopfe ebensogut dünken sollte als immer ein Landedelmann von sein'n drei, vier Tausend Thalern des Jahrs. Das ist richtig! 's ist eine Lust, wenn man's so anhört, wie sie sich von ihrer Mannschaft Ihr Gnaden hinten und Ihr Gnaden vorne nennen lassen. Das sind mir die rechten Ihr Gnaden mit ihrem halben Gulden Löhnung des[66] Tages! Und denn so treiben sie'en Fluchen und Schwören, daß einem davon die Haare zu Berge stehn! Das kann ich sagen, ich denke immer, 's ist unmöglich, es kann kein Segen bei solchen Leuten sein! und hat Sie noch darzu einer von diesem Volke so barbarisch zugericht! Ich dachte, gewiß und wahr! wie gut Ihnen die übrigen bewacht haben würden; aber 's ist alles schmieriges Fett und stinkende Butter! denn, wenn Sie auch in Gefahr gewesen wären des Todes zu sein, wie ich zu meiner Freude sehe daß Sie's nicht sind: so würden sich diese böse Menschen doch nichts draus gemacht haben, das glaub'n Sie nur. Sie hätten den Mörder doch entwischen lassen. Nun der liebe Gott mag Ihnen gnädig sein! Ich wollte so eine Sünde nicht auf meinem Gewissen haben, für alles in der Welt. Aber ob's nun schon das Ansehen hat, daß Sie mit Gottes Hilfe wieder besser werden können, so stehen die Leute doch noch unter einer Obrigkeit; und wenn Sie den Advokaten Klein annehmen wollen, so will ich wohl einen Eid drauf thun, er soll Ihnen den Kerl aus'm Lande jagen: ob er gleich vielleicht schon aus dem Lande gelaufen ist; denn solche Schnapphähne sind doch heute bald hier und morgen bald dort. Ich hoffe unterdessen, Sie werden sich das 'ne Warnung sein lassen ins Zukünftige, und werden wieder hübsch zu Ihrer Freundschaft zurückkehren. Ich versichere, Sie werden sich alle was Rechts grämen um Ihren Verlust; und wenn sie sogar wüßten, was hier vorgegangen ist? Ja, liebste Zeit, mich dünkt, ich wollt' um aller Welt willen nicht daß Sie's wüßten. Kommen, kommen Sie; wir wissen ja wohl, wo Sie der Schuh drückt! Aber wenn die eine nicht will, je nu! so will die andere. Ein so hübscher, junger Herr kann noch immer eine Gemahlin bekommen. Das ist gewiß, wenn ich so wäre wie Sie, das feinste Frauensbild, das nur immer einen Kopf auf ihren Schultern hätte, wollt' ich lieber aufhängen sehn als mich ihrentwegen zum Soldaten anwerben zu lassen. – Oho Herr, werden Sie nur nicht so rot!« (wirklich er ward es in einem hohen Grade) »Ei, ei! Sie dachten wohl, ich wüßte nichts um die Sache, nicht wahr, mit dem Fräulein Sophie?« – »Wie!« sagte Jones und sprang dabei auf, »kennen Sie meine Sophie?« – »Was sollt' ich nicht? was sollt' ich nicht?« schrie die Wirtin. »Ein manch' schönes Mal hat sie in meinem Hause geschlafen.« – »Mit ihrer Tante vermutlich?« sagte Jones. – »Richtig, das haben Sie getroffen!« schrie die Wirtin; »o, ja doch! Ich kenne die alte Dame sehr gut. Ein süßes, liebes Geschöpf ist die Fräulein Sophie.« – »Ein süßes Geschöpf!« seufzte Jones. »O Himmel!«


»Angels are painted fair to look like her.

There's in her all that we believe of Heaven,[67]

Amazing Brightness, Purity and Truth,

Eternal Joy, and everlasting Love.«


»Damit ein Engel schön sei, malt man ihn

Ihr ähnlich. Was man sich im Himmel denkt,

Glanz, Schönheit, Unschuld, Treue, Zärtlichkeit,

Ewig Entzücken, ew'ge Liebe, wohnt

In ihr! in ihr!« –


»Und hätt' ich mir einbilden können, daß Sie meine Sophie gesehen hätten!« »Ich wünschte,« sagte die Wirtin, »Sie hätten nur halb so viel von ihr gesehen! Was hätten Sie drum geben sollen, wenn Sie so wie ich vor ihrem Bette hätten sitzen können. Was sie für einen weißen, reizenden Busen hat, ihre lieben Glieder haben sich da in dem Bette gedehnt, darin Sie jetzt liegen.« – »Hier!« rief Jones, »hat Sophie jemals hier geschlafen?« – »Ei, ei, das sollt' ich meinen! Ja wohl, hier, da in dem nämlichen Bette!« sagte die Wirtin, »worin Sie sie, wenn ich sie herwünschen könnte, diesen Augenblick bei sich haben sollten, und das mag sie wohl auch wünschen, oder ich verstehe mich auf so was ganz und gar nicht! Denn sie hat mir Ihren Namen genannt.« – »Ha!« schrie er, »hat sie jemals vom armen Jones mit Ihnen gesprochen? Sie schmeicheln mir da, das ist zu viel! Das kann ich nicht glauben!« – »Nun sehen Sie,« antwortete sie, »ich will nicht zu Gnaden kommen und der Teufel soll mich von der Stelle holen, wenn ich nur ein gebenedeites Wörtchen mehr sage, als die Wahrheit ist! Ich habe sie den Herrn Jones nennen hören, aber in allen Züchten und Ehren, das muß ich bekennen; doch merkt' ich wohl dabei, daß sie viel mehr dachte, als sie sagte.« – »O, meine teuerste Frau Wirtin, ich bin ihres Andenkens an mich nicht wert und werd's niemals werden! O, es ist lauter Sanftmut, Güte und Großmut. Warum ward ein solcher Taugenichts wie ich geboren, um ihrer edlen Brust nur einen Augenblick Unruhe zu verursachen! Warum mußt ich dazu verdammt sein? Ich, der gern alle Plagen und allen Jammer, die nur je ein Teufel, die Menschen zu quälen, erfunden hat, aushalten wollte, um ihr Wohlsein zu befördern! ja die Tortur selbst sollte mir kein Unglück scheinen, wüßte ich nur, daß sie glücklich wäre.« – »Ja nun, da haben wir's!« sagte die Wirtin, »ich hab's ihr wohl gesagt, daß Sie ein beständiger, treuer Liebhaber wären.« – »Aber ich bitte, Madame, sagen Sie mir doch, wie, wann oder wo Sie etwas von mir erfahren haben? Denn ich war noch niemals hier, erinnere mich auch nicht, Sie jemals gesehen zu haben.« – »Das war auch freilich nicht möglich,« antwortete sie, »denn Sie waren nur noch so ein klein Dingelchen, als ich Sie in des Junkers Hause auf'm Schoß[68] hielt.« – »Wie, in des Junkers Hause!« sagte Jones. »So kennen Sie den edlen und vortrefflichen Herrn Alwerth auch?« – »He! liebste Zeit, wie sollt' ich den nicht kennen? Wer ist in dieser Grafschaft, der ihn nicht kennt?« – »Der Ruf von seinem edlen Herzen,« antwortete Jones, »muß freilich viel weiter gedrungen sein; aber der Himmel nur allein kann ihn kennen, kann die wohlthätigen Gesinnungen kennen, welche er nach sich selbst bildete und als ein Muster nach ihm auf Erden sandte. Menschenkinder können diese himmlische Güte ebensowenig erkennen, als sie ihrer würdig sind. Aber, wer ist ihrer weniger würdig, als ich selbst! Ich, den er zu einer solchen Höhe erhob, mich aufnahm, wie Ihnen wohl bekannt sein muß, als ein armes, ausgesetztes Kind, mich zum Kinde annahm und als seinem eigenen Sohne begegnete! Ich mußte ihn durch meine Thorheiten betrüben, mußte seinen Zorn auf mich laden! Ja, ich verdiene es alles; denn so undankbar will ich niemals werden, nur zu denken, er habe im geringsten unrecht an mir gehandelt. Nein, ich hab' es wohl verdient, daß er mich von seinem Angesichte und aus seinem Hause verstoßen hat; ich hab' es wohl verdient! Und nun Madame,« sagte er, »glaube ich, werden Sie mich nicht tadeln, daß ich den Soldatenstand ergreife; besonders bei einem solchen Reichtum wie dieser.« Bei welchen Worten er einen Geldbeutel schüttelte, in welchem sich freilich nur sehr wenig befand, welches aber der Wirtin als noch weniger vorkam.

Die gute Wirtin war durch den letzten Teil von Jones' Rede (mit dem gemeinen Manne zu reden) wie vorn Kopf geschlagen. Sie antwortete ganz kalt: »Das ist wahr, die Leute müssen selbst am besten wissen, was sich für ihre Umstände schickt oder nicht – Aber horch!« sagte sie, »ich glaube, ich höre jemand rufen.« – »Ich komme schon, ich komme schon! Der Satan steckt in allen meinen Leuten! Das gottlose Zeug hat gar keine Ohren! Ich muß hinunter gehn. Wenn Sie noch mehr zum Frühstück verlangen, so soll die Liesel heraufkommen. – Ja doch! ich komme schon.« Bei welchen Worten sie, ohne weiter Abschied zu nehmen, zur Thür hinausflog, denn Leute von der gemeinern Gattung sind sehr haushälterisch mit ihrem Respekt, und ob sie sich gleich nichts daraus machen, Personen vom hohen Adel solchen ganz umsonst hinzugeben, so lassen sie doch keinen Menschen von ihrer eigenen Klasse davonkommen, ohne dafür zu sorgen, daß ihnen ihre Mühe reichlich bezahlt werde.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 65-69.
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