Elftes Kapitel.

[168] Erzählt sonderbare, obgleich nicht unerhörte Vorgänge.


Es war da eine Frau, eine gewisse Madame Hunt, die Herrn Jones oft in dem Hause gesehen hatte, wo er wohnte, weil sie mit den Frauenspersonen in demselben sehr genau bekannt und wirklich eine große Freundin von Madame Miller war. Ihr Alter war ungefähr dreißig, denn sie gestand sechsundzwanzig; ihr Gesicht und Person waren gut gestaltet, nur daß sie einen kleinen Ansatz zum Fettwerden hatte. In ihrer Jugend hatten ihre Verwandte sie an einen nach der Levante handelnden Kaufmann verheiratet, der, nachdem er ein großes Vermögen erworben, den Handel aufgegeben hatte. Mit diesem lebte sie ungefähr zwölf Jahre ohne Tadel, aber nicht ohne Kummer, in einem Stande großer Selbstverleugnung, und ihre Tugend ward durch seinen Tod und durch seine reiche Erbschaft belohnt. Das erste Jahr ihrer Witwenschaft war eben[168] zu Ende, und sie hatte es größtenteils in Eingezogenheit hingebracht, indem sie bloß ein paar gute Freundinnen sah und ihre Zeit zwischen ihren Andachtsübungen und Stadtneuigkeiten teilte, die sie beständig sehr gerne hören mochte. Eine sehr gute Gesundheit, ein sehr warmes Temperament und dabei viel Religion machten es ihr unumgänglich nötig, sich wieder zu verheiraten, und sie war entschlossen bei einer zweiten Ehe ihrem eigenen Willen zu folgen, wie sie bei der ersten dem Willen ihrer Verwandten hatte folgen müssen. Von dieser Frau ward dem Herrn Jones folgendes Billet gebracht:


»Seit dem ersten Tage, da ich Sie gesehen habe, mein Herr, müssen Ihnen meine Augen, wie ich nicht zweifeln kann, nur zu deutlich gesagt haben, daß Sie mir nicht gleichgültig waren; aber weder meine Zunge, noch meine Hand sollte es Ihnen jemals gestanden haben, hätten nicht die Frauenzimmer in dem Hause, wo Sie wohnen, Ihnen ein solches Zeugnis gegeben, und mir solche Beweise von Ihrer Rechtschaffenheit und Ihrer edlen Gemütsart erzählt, die mich überzeugen, daß Sie nicht nur ein höchst angenehmer, sondern auch der würdigste Mann sind. Ich habe gleichfalls das Vergnügen von diesen Freundinnen zu hören, daß Ihnen weder meine Person, noch mein Verstand, oder meine Gemütsart zuwider sind. Ich besitze ein Vermögen, welches hinreichend ist uns beide glücklich zu machen, das mich aber ohne Sie nicht glücklich machen kann. Ich weiß wohl, daß ich mich dadurch, daß ich mich Ihnen antrage, dem Tadel der Welt aussetze, wenn ich Sie aber nicht mehr liebte, als ich den Tadel der Welt fürchte, so wäre ich Ihrer nicht wert. Nur eine Schwierigkeit macht mir Bedenken: man hat mir sagen wollen, Sie wären in einen galanten Umgang mit einer Person von der großen Welt verwickelt. Wenn Sie es der Mühe wert achten, diesen Umgang einer Verbindung mit mir aufzuopfern, so bin ich die Ihrige, wo nicht, so bitte ich, vergessen Sie meine Schwachheit und lassen dies ein ewiges Geheimnis bleiben zwischen Ihnen und

Arabella Hunt.«


Beim Lesen dieses Briefchens geriet Jones in eine heftige Wallung. Seine Vermögensumstände waren damals sehr tief Ebbe, da die Quelle verstopft worden, aus der solche bis daher Zufluß erhalten hatten. Von allem, was er von der Frau von Bellaston erhalten, waren höchstens noch fünf Guineen übrig, und an eben diesem Morgen hatte ihn sein Schneider um doppelt soviel gemahnt. Seine ehrlich gemeinte Geliebte war in den Händen ihres Vaters, und er hatte kaum ein Fünkchen Hoffnung sie aus denselben jemals wieder zu erhalten. Auf ihre Unkosten von dem kleinen Vermögen zu leben, das sie unabhängig von ihrem Vater besaß, dagegen sträubte sich die Delikatesse, sowohl seines Stolzes, als seiner Liebe. Das Vermögen dieser Frau wäre ihm außerordentlich zu statten gekommen, und er hatte übrigens in keinem Betracht etwas gegen sie einzuwenden, vielmehr gefiel sie ihm so gut, als nur irgendein Frauenzimmer, Sophie ausgenommen. Aber Sophie verlassen und eine andre heiraten, das war unmöglich; daran konnte er nicht denken, komme es, wie es wolle. Aber warum sollte er nicht, da[169] es klar, daß sie die Seinige nicht werden konnte? Wäre es eben ihretwegen nicht gütiger, als sie länger in einer hoffnungslosen Leidenschaft für ihn zu unterhalten? Müßte er es nicht thun aus Freundschaft für sie? Diese Gedanken hatten einige Minuten hindurch bei ihm das Uebergewicht, und er hätte sich beinahe entschlossen, ihr, aus einem hohen Begriff von Ehre und Rechtschaffenheit, ungetreu zu werden. Aber dieses überfeine Vernünfteln konnte nicht lange gegen die Stimme der Natur Stich halten, welche in seinem Herzen ertönte und sagte, daß solche Freundschaft eine Verräterei an der Liebe sei. Endlich ließ er Tinte, Papier und Feder bringen und schrieb an Madame Hunt wie folgt:


»Madame!


Es wäre nur ein armseliger Dank für die Gewogenheit, die Sie mir erwiesen haben, wenn ich der Verbindung mit Ihnen eine Galanterie aufopferte, und ich würde es gewiß thun, wenn ich auch nicht, wie wirklich jetzt der Fall ist, allem dergleichen Umgang bereits entsagt hätte. Aber ich wäre nicht der redliche Mann, für den Sie mich halten, wenn ich Ihnen nicht sagte, daß mein Herz an eine andre vergeben ist, und zwar an ein sehr tugendhaftes Frauenzimmer, von der ich niemals ablassen kann, ob es gleich wahrscheinlich ist, daß ich nie zu ihrem Besitz gelangen werde. Gott verhüte es, daß ich, zur Vergeltung Ihrer Güte für mich, Ihnen das Unheil zufügte und Ihnen meine Hand gäbe, da ich Ihnen mein Herz nicht geben kann. Nein, lieber wollte ich vor Mangel umkommen, als mir so etwas zu schulden kommen lassen. Selbst wenn meine Geliebte an einen andern verheiratet wäre, würde ich nicht der Ihrige werden wollen, wofern nicht alle Eindrücke von ihr völlig aus meinem Herzen verlöscht wären. Sein Sie versichert, Madame, daß Ihr Geheimnis nicht sichrer in Ihrem eigenen Busen vergraben war, als in dem Busen

Ihres höchst verpflichteten und

dankbar ergebensten Dieners

T. Jones


Als unser Held diesen Brief geendigt und weggeschickt hatte, ging er an seinen Schrank, nahm Sophiens Muff heraus, küßte ihn zu verschiedenen Malen und ging festen Schritts eine Zeitlang mit froherm Gemüte im Zimmer auf und nieder, als ein Glücksjäger jemals gefühlt haben kann, wenn er eben ein Mädchen von einigen hunderttausend Thalern entführt und in Sicherheit gebracht hat.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 168-170.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings