Siebentes Kapitel.

[175] Nähere Nachrichten von Madame Waters, und von der Art und Weise, wie sie in die bedrängten Umstände geriet, aus welchen sie durch Jones gerettet wurde.


Obgleich die Natur, sowie sie jeden einzelnen Menschen bildet, keineswegs zu der Mischung völlig gleiche Teile von Neugierde und Eitelkeit genommen hat, so gibt es doch vielleicht kein einziges Individuum, dem sie nicht einen so reichlichen Anteil von beiden hätte zukommen lassen, daß es ihm viele Kunst und Mühe kostete, um sie in Zaum und Zügel zu halten, und doch ist diese Herrschaft für jedermann durchaus notwendig, der nur einigen Anspruch auf den Charakter eines weisen oder wohlerzogenen Mannes behaupten will.

Da nun Jones mit allem Recht ein wohlerzogener Mann heißen konnte, so hatte er alle die Neugierde unterdrückt, welche die außerordentlichen Umstände, in welchen er Madame Waters angetroffen, nach aller Wahrscheinlichkeit in ihm erregt haben mußten. Er hatte wirklich anfangs darüber einige halbe Worte gegen die Dame fallen lassen, als er aber merkte, daß sie mit Fleiß allen Erklärungen auswich, so ließ er sich's gefallen darüber in Unwissenheit zu bleiben, um so mehr da er fast ein wenig argwöhnte, es möchten, wenn sie die ganze Wahrheit erzählte, solche Umstände vorkommen, worüber sie zu erröten hätte.

Weil es gleichwohl möglich ist, daß einige von unsern Lesern sich bei dieser Unwissenheit nicht ebenso leicht beruhigen möchten und wir doch sehr geneigt sind, ihnen allen möglichst zu Gefallen zu sein, so haben wir uns ungemeine Mühe gegeben, auf den wahren Grund der Sache zu kommen, und wollen davon zum Schlusse dieses Buches Nachricht geben.

Diese Dame also hatte einige Jahre her mit einem gewissen Kapitän Waters gelebt, der eine Kompanie in eben dem Regiment hatte, zu welchem der Fähnrich Northerton gehörte. Sie hieß Frau[175] Hauptmännin und führte seinen Namen, und doch, wie der Feldwebel sagte, gab es einige Leute, welche Zweifel hegten, ob es auch mit ihrer Ehe seine völlige Richtigkeit habe, welchen Zweifel wir aber für jetzt nicht unternehmen wollen zu lösen.

Madame Waters, ich sag' es ungern, hatte seit einiger Zeit eine genaue Bekanntschaft mit dem obbesagten Fähnrich unterhalten, wodurch denn ihr guter Name fast ein wenig zu leiden schien. Daß sie für diesen jungen Mann eine auffallende Gewogenheit hegte das ist höchst gewiß, ob sie aber dieselbe bis zu einem gewissen verbotenen Grade trieb, das hingegen ist nicht völlig klar, wir müßten denn annehmen, daß ein Frauenzimmer niemals einer Mannsperson alle Gunstbezeigungen bis auf eine schenkte, ohne ihr auch diese eine dazu zu gewähren.

Die Division des Regiments, in welcher sich der Hauptmann Waters befand, war zwei Tage früher ausmarschiert als die Kompanie, bei welcher Northerton als Fähnrich stand, dergestalt, daß die Division den Tag darauf Worcester erreicht hatte, als der unglückliche Streit zwischen Jones und Northerton vorgefallen war, wovon wir in dieser Geschichte Meldung gethan haben.

Nun war zwischen Madame Waters und dem Herrn Hauptmann die Abrede, daß sie ihn auf dem Marsche bis Worcester begleiten sollte, woselbst sie sich trennen wollten, und sie sollte von da nach Bath zurückgehen und sich daselbst aufhalten, bis die Winterkampagne gegen die Rebellen geendigt sein würde.

Von dieser Abrede war dem Fähnrich Northerton Nachricht gegeben worden. Ohne Umschweife, die Dame hatte ihn an eben den Ort hinbeschieden und ihm versprochen sich so lange zu Worcester aufzuhalten, bis er mit seiner Division daselbst ankäme; in was für Absicht und zu was für Endzweck, das muß ich des Lesers Kunst im Raten überlassen, denn ob wir gleich verpflichtet sind, die Thatsachen zu erzählen, so sind wir doch nicht verbunden durch Noten und Anmerkungen, welche der liebenswürdigsten Hälfte der Schöpfung nachteilig scheinen könnten, unsrer Natur Gewalt anzuthun.

Northerton erhielt nicht so bald die Befreiung aus seiner Gefangenschaft, wie wir gesehen haben, als er hastig forteilte, um Madame Waters einzuholen, und als ein sehr rüstiger und behender Mann that er dies in der letzterwähnten Stadt, einige wenige Stunden nachher, als Kapitän Waters solche verlassen hatte. Bei seiner ersten Ankunft machte er sich kein Bedenken, ihr den unglücklichen Vorfall anzuvertrauen, welchem er wirklich den Anstrich einer sehr unglücklichen Begebenheit gab, denn er ließ sorgfältigerweise alles und jedes aus seiner Erzählung weg, was man einen Fehler nennen konnte, zum wenigsten nach den Gesetzen der Ehre, ob er[176] gleich eins und das andre nicht verhehlte, welches nach den Gesetzen des Landes nicht so ganz zu rechtfertigen war.

Frauenzimmer, zu ihrem Ruhme sei es gesagt, sind jener heftigen und uneigennützig scheinenden Eigenschaft der Liebe, welche bloß das Beste des geliebten Gegenstandes sucht, fast durchgängig mehr fähig als die Mannspersonen. Madame Waters hatte also kaum Nachricht von der Gefahr erhalten, in welcher ihr Geliebter schwebte, als sie alle Betrachtungen, seine Sicherheit ausgenommen, gänzlich aus den Augen setzte; und da nun dieses eine Angelegenheit war, die dem Herrn ebensonah am Herzen lag als ihr, so ward sie von beiden unmittelbar in ernstliche Ueberlegung genommen.

Nach vielem Ratschlagen hin und her über diese Materie ward zuletzt beschlossen, daß der Fähnrich quer durchs Land nach Hereford gehen sollte, woselbst er ein oder die andere Gelegenheit finden könnte, womit er nach einem von den Seehäfen in Wallis und von da zu Schiffe außer Landes gehen könnte. Madame Waters erklärte sich, sie wolle ihm auf dieser ganzen Reise Gesellschaft leisten, und was dabei ein wesentlicher Artikel für den Fähnrich Northerton war, wolle sie ihn auch mit Gelde versehen, weil sie eben drei Banknoten im Belauf von neunzig Pfund Sterling, nebst einiger klingenden Münze in der Tasche, und einen brillantenen Ring von ziemlich ansehnlichem Werte am Finger hatte. Dieses alles entdeckte sie dem gottlosen Menschen mit dem offenherzigsten Vertrauen, und argwöhnte meilenweit nicht, daß sie ihm hierdurch den Vorsatz einflößen könnte sie zu berauben. Da sie nun, wenn sie Pferde von Worcester genommen hätten, denjenigen, die ihnen nachsetzen möchten, einen Fingerzeig von dem Wege gegeben haben würden, den sie genommen, so schlug der Fähnrich vor, die erste Station zu Fuß zu machen; welches sich die Dame ohne Umstände gefallen ließ, und die hartgefrornen Wege begünstigten dieses Unternehmen.

Der größte Teil vom Gepäcke der Dame war bereits nach Bath geschickt, und sie hatte eben nichts weiter bei sich, als ein kleines Päckchen Wäsche, welches der Liebhaber in seinen Taschen fortzubringen unternahm. Da solchergestalt alle Sachen des Abends in Ordnung gebracht worden, standen sie des nächsten Morgens frühe auf und verließen um fünf Uhr Worcester, da es noch zwei Stunden vor Tag war. Der Vollmond aber, welcher eben schien, gab ihnen soviel Licht, als sie zu ihrem Wege bedurften.

Madame Waters war nicht von der zarten Art Weiber, welche es der Erfindung von Kutschen und Wagen zu verdanken haben, daß sie im stande sind, sich von einem Orte nach dem andern zu begeben, und welche daher eine Kutsche oder eine Chaise unter die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zählen. Ihre Gliedmaßen[177] waren wirklich voller Kraft und Thätigkeit, und da ihr Geist nicht weniger mutig und lebhaft war, so befand sie sich vollkommen im stande, mit ihrem leichtfüßigen Liebhaber Schritt zu halten. Nachdem sie etwa eine Stunde Weges auf der Heerstraße fortgewandelt waren, von welcher Northerton sagte, er habe sich erkundigt, daß solche nach Hereford führe, kamen sie, da der Tag zu grauen anfing, an einen großen Wald. Hier stand er plötzlich still, that als ob er einen Augenblick bei sich selbst etwas überlegte, und äußerte dann eine große Besorgnis, wenn sie noch länger auf einem öffentlichen Wege fortgehen sollten; wodurch er dann seine schöne Gefährtin leicht überredete, mit ihm einen Fußpfad einzuschlagen, der geradeswegs durch den Wald zu führen schien und der sie zuletzt bis an den Fuß des Mazards-Bergs brachte.

Ob das scheußliche Vorhaben, welches er jetzt ins Werk zu setzen suchte, die Wirkung einer vorgängigen Ueberlegung war, oder ob es ihm erst jetzt einfiel, kann ich nicht bestimmen; als er aber an diesen einsamen Ort gekommen war, wo es sehr unwahrscheinlich schien, daß ihn etwas an seiner That verhindern würde, löste er plötzlich sein Strumpfband ab, legte gewaltsame Hand an das arme Weib, und bemühte sich die schreckliche und abscheuliche That zu verüben, deren wir vorhin schon erwähnt haben, und welche der vom gütigen Schicksal herbeigeführte Jones so glücklicherweise verhinderte.

Ein Glück war's für Madame Waters, daß sie nicht zu dem schwächsten Orden der weiblichen Geschöpfe gehörte! Denn kaum merkte sie, aus dem in sein Strumpfband geschlagenen Schleifknoten und aus seiner Erklärung, worauf seine höllische Absicht ging, als sie sich aus allen Kräften zur Gegenwehr setzte und so mächtig mit ihrem Feinde rang, wobei sie beständig um Hilfe schrie, daß sie dadurch die Ausführung des Vorhabens dieses gottlosen Buben verschiedene Minuten verzögerte, demzufolge Herr Jones gerade in dem Augenblick zu ihrer Befreiung herbeikam, als sie ihre Kräfte verlassen wollten und sie bereits ganz überwältigt war, so daß sie also von ihres Mörders Händen ohne weiteren Verlust, als den Verlust ihrer Kleider, befreit ward, die ihr vom Leibe gerissen worden, und des brillantenen Rings, welcher während des Kämpfens ihr entweder vom Finger gefallen oder von Northerton heruntergedreht ward.

Auf diese Weise, geliebter Leser, haben wir Ihnen die Frucht einer mühseligen Untersuchung, die wir, Sie zu befriedigen, über diese Materie angestellt haben, ehrlich mitgeteilt. Und hier haben wir Ihnen ein Schauspiel sowohl von Thorheit als Büberei sehen lassen, wovon wir kaum hätten glauben können, daß ein menschliches Geschöpf derselben fähig sei, hätten wir uns nicht erinnert, daß dieser[178] Mensch zu eben der Zeit überzeugt war, er habe bereits einen Mord begangen und also den Gesetzen nach sein Leben verwirkt. Da er demnach schloß, seine einzige Sicherheit bestehe in der Flucht, so meinte er, das Geld und der Ring, welchen er dieser Frau abnähme, würden ihn für die größere Bürde, die er dadurch seinem Gewissen auflegte, schadlos halten.

Und hier, geneigter Leser, müssen wir Sie aufs gewissenhafteste warnen, daß Sie von den Mißhandlungen eines solchen Buben keinen Anlaß nehmen mögen, von einem so würdigen und ehrenvollen Stande, als der Stand der Offiziere ist, im ganzen ein nachteiliges Urteil zu fällen. Sie werden so gütig sein, in Betracht zu ziehen, daß dieser Kerl, wie wir bereits angemerkt haben, weder von Geburt noch nach der Erziehung ein Mann von Stande, noch überhaupt ein Mensch von der Beschaffenheit war, daß er eine Offizierstelle zu bekleiden verdiente. Wofern also seine Niederträchtigkeit irgend einem andern als ihm selbst mit Recht zur Last fallen kann, so trifft solches bloß diejenigen, welche ihm sein Patent erteilten.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 175-179.
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