Eilftes Kapitel

[211] So hatte sich dann der kühnste meiner Träume in Wirklichkeit verwandelt! – vor den Augen aller Neider durfte ich sie mein nennen – aber dennoch zitterte ich vor ihnen. Ich führte den Engel schnell in mein väterliches Erbe, und ein Paradies blühte um mich auf. –

Sophie hatte uns begleitet, und wollte sich nicht mehr von uns trennen. Ihr liebendes Herz war zu groß für die Eifersucht, und ihre enthusiastische Anhänglichkeit für alles jugendliche und Schöne, verbunden mit ihrer Kenntniß der Mahlerey, machte, daß sie Mariens tadellose Gestalt beynahe noch mehr als ich zu schätzen wußte.[211]

Täglich zeichnete sie das reizende Weib in andern Stellungen, und alles Feuer der Jugend und der hohen Begeisterung strahlte von ihrem Gesichte, wenn sie der ätherischen Gestalt mit ihrem Pinsel gegenüber saß.

Sie behauptete: nie etwas Vollkommneres gesehen zu haben, und forderte mich immer von neuem auf, Marien mit den griechischen Urbildern der Schönheit zu vergleichen.

»Ich muß Sie noch Zeichnen lehren!« – rief sie – »damit Sie wissen: was Sie an ihr haben.«[212]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 211-213.
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