Zwölftes Kapitel

[173] Eines Tages, als ich früher wie gewöhnlich zur Marquise ging, fand ich sie nicht zu Hause, aber ihre Zimmer offen. Es hatte mich Niemand von ihren Leuten bemerkt, und ich beschäftigte mich, einige neue Schriften, die ich in ihrem Kabinette fand, zu durchblättern, als ein Wagen vor dem Hause hielt.

Sie war es selbst. Ich beschloß, mich ganz still in dem Kabinette zu verhalten, um sie nachher angenehm zu überraschen. Die Thüre war nur angelehnt, und ich konnte das ganze daran stoßende Zimmer beobachten.

Sie erkundigte sich im Hereintreten: ob ich da gewesen sey? –[173]

»Nein!« – sagte die Kammerjungfer.

»Nun, gleichviel!« – antwortete die Marquise – »laß mir Anton herauf kommen.«

»Gleichviel!« murmelte ich zähnknirschend, und schon hatte ich die Hand an der Thüre, als ein Geräusch mich wieder zu mir selbst brachte.

Es war der geliebte Anton. Ein langes, keuchendes Gerippe, in der Livree der Marquise. Man schleppte ihn in die Mitte des Zimmers, wo er wie eine leblose Masse auf das Sopha niederfiel.

Aber sobald sich die Marquise ihm näherte, flog eine Fieberröthe über seine eingefallnen Wangen, und in seinen erstorbnen Augen loderte plötzlich eine wüthende Gluth.

Sie sagte ihm: daß sie seinetwegen mit einem Arzte gesprochen, und alle Hoffnung zu seiner Besserung habe. Jetzt wollte sie[174] seine Hand ergreifen, aber mit Abscheu stieß er sie von sich.

»Lassen Sie mich!« – schrie er – »Sie allein haben mich in dies unabsehbare Elend gestürzt! – ich verfluche Sie und alle ihre Aerzte!« –

»Was soll ich hier? – wollen Sie sich an meiner Marter weiden? – Bey Gott, ich schwöre Ihnen!« – – Hier schloß die Wuth ihm den Mund, und er sank ohnmächtig auf das Sopha zurück.

Die Marquise rief ihre Leute, der Unglückliche ward fortgeschleppt, und da sie selbst ihm folgte, so nutzte ich den Augenblick, um dieser Hölle zu entfliehen.

Eine Minute wollte die Rache mich zurückhalten; aber der Abscheu überwand, und ich stürzte über die Straße, als ob alle Geister des Abgrundes mich verfolgten.

Heinrich hatte mich kommen sehen, und eilte mir erschrocken entgegen.[175]

»Was ist es!« – rief er – »um Gottes Willen, was ist es?« –

Mit einem Strohm von Thränen sank ich in seine Arme. »Rette mich! rette mich!« – rief ich, »großer, edler Mensch! verstoß mich nicht von deinem Herzen!«

»Ich dich verstoßen! – antwortete er – »nimmermehr! – Komm, erzähle mir, was dich so heftig erschüttert.« – Und da ich ihm Alles gesagt hatte, rief er begeistert:

»Willkommen! willkommen! mir und der Tugend! Jetzt ist ein Rückfall unmöglich! jetzt bist du für ewig gewonnen!« –[176]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 173-177.
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