Fünftes Kapitel

[69] »Wo bin ich?« – rief ich aus – »was für ein Zimmer ist das?«

»Das Schlafzimmer von Mlle. R.« – sagte der Arzt – »was Sie auch sobald noch nicht verlassen werden.«

»Glauben Sie wirklich?« – fragte Sophie erröthend. –

»Daß unter vierzehn Tagen an keine Veränderung zu denken ist« – antwortete der Arzt. »Ich müßte mich sehr irren oder die Masern sind im Anzuge, und Ihre Frau Tante hat mir Ihre Gesundheit zu dringend empfohlen, als daß ich Sie einer so guten Pflege entziehen sollte.«[69]

»Verhalten Sie sich nach meiner Vorschrift,« – fuhr er, zu Sophien sich wendend, fort – »morgen früh komme ich wieder.«

Jetzt waren wir allein. Sophie stand am Fenster.

»Warum so fern?« – sagte ich, und streckte bittend meine Hand nach ihr aus –

»Sie wünschen etwas, Herr von S. – vielleicht zu trinken?« – antwortete sie, und ihre Miene war ein Gemisch von zärtlicher Wehmuth und lieblicher Verschämtheit. –

»Ja, ich wünsche etwas,« – wiederholte ich, und indem sie mit besorgter Neugier näher trat, schlang ich meine beyden Arme um sie und drückte mein Gesicht fest an ihre schöne Brust – »ja, ich wünsche ewig an diesem großen Herzen zu ruhen! dann sollte mich kein Unglück treffen, und[70] alle kleinlichen Leidenschaften würden auf immer von mir entfernt bleiben.«

»Mein lieber Sohn!« – sagte sie, und ich fühlte ihre Lippen auf meiner Stirne – »ich bitte Sie, seyn Sie ruhig! Sie haben jetzt etwas Fieber, und die Erschütterungen könnten Ihnen sehr nachtheilig werden.«

»Sie haben jetzt etwas Fieber!« – wiederholte ich empfindlich, und verbarg mein Gesicht in die Kissen.

Lange spielte ich so den Beleidigten, hoffend, sie würde mich durch irgend etwas zu versöhnen suchen; aber als ich endlich wieder aufblickte, sah ich das Zimmer leer, und bald darauf, statt ihrer, Heinrich hereintreten.[71]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 69-72.
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