Neuntes Kapitel

[82] Lange noch vermochte ihre große Seele der Leidenschaft zu widerstehen; aber eben dadurch wurde diese bey mir nur desto mehr gereitzt. Es blieb mir nicht verborgen, welchen Eindruck ich auf andere Frauenzimmer machte; und meine Eitelkeit war auf das empfindlichste gekränkt.

Schon ahnte ich, bey allem, was Sophie für mich that, wie theuer ich ihr seyn mußte. – Aber konnte das nicht Freundschaft, nicht Edelmuth seyn? – Gegen wen handelte sie nicht schön, nicht groß? Wie! sollte ich mit dem zufrieden seyn, was sie für Alle empfand? –[82]

»Nein!« – rief ich – »Noch heute soll sie mir sagen, ob sie mich liebt! bey Gott! ich will wissen, woran ich bin!«

Sie sagte es endlich. Aber wie sagte sie es! – Mir war, als dachte mit einem Male eine andere Seele in mir; als schlüge ein anderes Herz in meiner Brust; als könnte ich nie wieder etwas Schlechtes thun, oder wollen.

Nein! so uneigennützig, so wahrhaft himmlisch bin ich nie von einem Weibe geliebt worden! Was hätte aus mir werden können, wenn dieser große Charakter nicht auch seine Schwächen, freilich seine schönen, menschlichen Schwächen gehabt hätte! –[83]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 82-84.
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