[83] Lebwohl, Kind! ... die Fahrt, die du wagst,
ist weit!
Mein Wunsch, daß es gut dir gehe,
geb dir getreulich Geleit!
Leb wohl! den Kopf immer hoch
und fröhlich und unverzagt,
und nie zuviel auch bei andern
um Rat und Meinung gefragt!
Raten ist leicht, doch es geht schon
nicht alles im rechten Gleis,
wenn man Rat braucht, Kind, und sich
nicht selbst zu helfen weiß!
Es trägt ein jeder zudem schon
so viel an eigener Last,
daß er sich meist nur ungern
mit fremden Sorgen befaßt![84]
Es kommt auch selten etwas
dabei heraus und ich mein:
man müsse für Glück und Unglück
immer selbst verantwortlich sein.
Wer seines Zieles klar ist,
erreicht, was er erstrebt,
und wer ein Ziel errungen,
hat nie vergebens gelebt!
Lebwohl, Kind! und wenn es wettert
und Blitze und Wolken dräun,
es kommen auch Tage wieder,
die Blüten und Rosen streun.
Es ging ja uns beiden im Leben
nie noch besonders gut,
wir erfuhren niemals, wie schön es
ohne Sorge sich ruht;
wir haben von früh an in fremde
Launen uns schicken gemußt
und hatten niemand, zu teilen,
weder bei Leid noch bei Lust;
und gerade in Jugendtagen
ist das wohl der herbste Schmerz:
man träumt da von Wunderdingen
und hat so voll das Herz,[85]
man möchte jubeln und jauchzen
und möchte glücklich sein
und denkt, das Leben bestünde
aus lauter Sonnenschein.
Es kann ja nun alles sich ändern,
ich glaubte für dich es so gern:
es kann vom Himmel fallen
wie ein rotblitzender Stern,
es kann auf schimmerndem Flügel
herrauschen im Windeswehn,
es kann mit jauchzendem Liede
urplötzlich vor dir stehn! ...
Dichter sind's, die das sagen,
auch hört man es sonst dann und wann,
im wirklichen Leben aber ...
ich glaube nicht recht daran!
Ich glaube viel eher, es wird
so sein, wie es bisher war:
von allem, was man sich wünscht,
wird nur das Wenigste wahr!
ja ich glaube beinahe, das große
Glück, von dem man so träumt
und an das ein jeder so viel
seines besten Lebens versäumt:[86]
daß es das gar nicht gibt ...
als festes dauerndes Gut,
daß alles Glück nur in kleinen
ganz flüchtigen Dingen beruht!
Es ist wie Gold, das man auch nicht
in Klumpen und Blöcken hebt,
das man nur staubkorngroß
aus Geröll und Getrümmer gräbt.
Ausgewählte Ausgaben von
Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens
|
Buchempfehlung
Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.
128 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro