11. Auf Herren D. Polykarpus Leysers, Superintendentens in Leipzig, seliges Ableben

[269] 1633 Juni 15.


Zwar, wie hoch wir auch betauren

unsers großen Leysers Grab,

doch so wäre diesem Trauren

noch so bald zu helfen ab,

wenn der Tod so hoher Leute

nicht ein derbers Unheil dräute.


Gott, der geht mit sich zu Rate

über eine Stadt und Land,[269]

dem er alles Gutes tate,

das doch nicht war angewandt,

daß man aus den strengen Plagen

muß von erster Güte sagen.


Er fängt an an seinem Hause,

seiner Kirchen schont er nicht,

und alsdenn ist keine Pause,

bis er Alles fast zerbricht,

bis er seinen Grimm vollzogen

über dem, was ihn bewogen.


Er versorget die Gerechten

und die er vor Andern kennt,

daß sie uns zu Rechte brächten,

wenn er sie nicht von uns trennt',

auf daß er verbürter Maßen

unverhindert uns kan fassen.


Gleich als wenn ein treuer Hirte

in der wilden Wüstenei

von der Heerde sich verirrte,

das verlaßne Vieh wird scheu,

die bestürzten Lämmer laufen

ohne Weiser, ohne Haufen.


Wenn die teuren Männer fallen,

die uns das gesunde Wort

nach dem Himmel ließen schallen,

da will es mit uns nicht fort;

wir entbrechen aus den Schranken

und sind steif in stetem Wanken.


Was für widriges Beginnen

folget' auf des Moses Tod?

Samuel war kaum von hinnen,

Israel verließe Gott.

Und man war dem Herrn ergeben,

weil Jojada war im Leben.


Und was ist für Unrat kommen,

seit der hohe Schmuck schlief ein,

Schmuck, das Sehnen aller Frommen,

unsrer Canzeln lichter Schein?[270]

Fünf Jahr ists, daß er in Frieden

lebenssatt von uns geschieden.


Von der Zeit, fast selbtem Tage

hebt sich unser Jammer an.

Mangelts auch an einer Plage,

die uns nicht ist angetan?

Innerhalb so kurzen Jahren

haben wir genung erfahren.


Gottes Hand, die böse Seuche

hat uns dünne satt gemacht,

die Zergliederung im Reiche

nahe nur nicht umbgebracht,

welche noch mit jungem Morgen

uns gebären neue Sorgen.


Den verödeten Gefildern

mangelt itzt ihr Pflug und Man;

Gärt' und Matten, die verwildern,

aller Vorrat ist vertan.

Was wird uns inkünftig nähren?

Hat man doch kaum itzt zu zehren.


Der mit feurigen Gebeten

und mit glüender Begier

vor den bösen Gott getreten

und uns stets gesprochen für,

den hat er drumb sterben heißen,

daß er uns kan schärfer schmeißen.


So der Heilige so stirbet,

was hofft ihm ein Eitler wol,

der in dem stets mehr verdirbet,

daß er nicht verderben soll?

Soll der Sünder straflos wallen

und ein frommer Priester fallen?


Vater, euer frühes Ende

macht, daß wir uns fürchten mehr.

Wir verkehren Haupt und Hände

und tun kläglich mehr als sehr,

sehr, daß ihr uns seid entnommen,

mehr umb das, was drauf mag kommen.
[271]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 269-272.
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