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[735] Paris, den 15ten Wintermonds,

im 2ten Jahr der R.


Sie wissen, so gut wie ich, mein Lieber, daß wenn man dem Französischen Leichtsinne Zeit läßt und das Stündlein des Ernstes und der Besonnenheit abwarten kann, niemand gegen Andre, und zumal gegen Fremde, billiger ist, und ihnen lieber Gerechtigkeit widerfahren läßt, als der Franzose. Dieser Zug in unsrem Nationalcharakter hat sich nicht geändert; ich möchte vielmehr sagen, man ist in der Billigkeit des Urtheils fortgeschritten, so wenig der allgemeine Krieg diese Denkungsart zu begünstigen scheint. Die Phraseologie unsrer Tribünen und Zeitungsblätter muß Sie hierüber nicht irre machen; sie ist bloßer Kurialstyl, und gehört zur neuern Diplomatie. So lange wir von unsren Feinden keine andre Benennung als die von Schurken, Spitzbuben, Bösewichtern, Gottesläugnern und Königsmördern erhalten können; so lange schallt es gräßlich aus unsrem Revier mit Tyrannen, Räubern, Ungeheuern, Sklaven, Banditen und Viehmenschen zurück. Vernünftige Leute, deren es, wills Gott! viele auf beiden Seiten giebt, wissen, was von diesem Feldgeschrei zu halten ist, und führen den Krieg nur in der Absicht, zum Frieden zu gelangen. In Ernst hat wohl noch niemand, der bei gesundem Verstande war, mit Schimpf- und Ekelnahmen etwas zu beweisen geglaubt; und wem wollte man endlich auch auf diese Art beweisen? Ich weiß nicht, was größer wäre, der Eigendünkel auf der einen, oder die Selbstverläugnung auf der andren Seite, wenn so gelehrt und so gelernt werden könnte. Wenn es einmal zwischen zwei großen Mächten so weit gekommen ist, daß sie mit Kanonenkugeln und Kartätschen argumentiren, dann wird wahrlich eine Handvoll[735] ungeschliffener Redensarten den Kampf nicht entscheiden.

Zwischen dem politischen Schimpfen diesseits und jenseits bemerk' ich aber einen sehr wichtigen Unterschied. Bei uns ist es eine Art Expletive oder Lückenbüßer, oder auch etwas, das genialisch aus der Fülle des Herzens sich hervordrängt; es gehört jetzt fast auf die Weise, wie unsre unartigen, aber ganz unschädlichen Flüche, oder wie die allzu geläufigen Gewohnheitsworte f. und b., in unsre Sprache. Bei Euch aber hat es etwas Gesuchtes, Geflissentliches, Erbittertes; und weit entfernt das Bürgerrecht in Euren Volksdialekten erhalten zu haben, findet man es nur in Euren Büchern oder höchstens im Munde Eurer Bramarbasse. Bei uns fließt es unmittelbar aus der öffentlichen Meinung, und ist ihre eigentliche Stimme; bei Euch möchte man, umgekehrt, eine öffentliche Meinung damit heraufzaubern und auf dieselbe wirken.

Da liegt es eben, mein guter Antigallikaner; bei Ihnen giebt es noch keine öffentliche Meinung, und es kann keine geben, wenn das Volk nicht zugleich losgelassen wird. Es dort loslassen, diese ungemessene, unberechnete Kraft auch in Deutschland in Bewegung setzen: das könnte jetzt nur der Feind des Menschengeschlechts wünschen. Wir haben uns für unsre ganze Gattung aufgeopfert, oder, was gleich gilt, aufopfern lassen. Wenigstens komme unser Kampf, unser übermenschliches Ringen, unser wahres Märtyrerthum, den übrigen Nationen Europens zu Gute! Eure Weisen und Gelehrten haben gut deklamiren, sich ereifern und uns beweisen, daß wir es hätten besser machen sollen. Ei, Ihr lieben Herren! wir konnten's eben nicht besser. Nun dann hätten wir's nicht anfangen sollen. Freilich wohl! aber auch das hat nicht von uns abgehangen. Wenn Donquichotte die Galeerensklaven auf freien Fuß stellt, und zum Lohn von ihnen zerbläuet und geplündert wird: wer hat die meiste Schuld, der schwärmende Ritter oder die verwahrloseten Menschen? Doch ich dächte, wir thäten hier am besten, niemand zu richten und zu verdammen. Die Menschen erscheinen in ihren Handlungen, wie sie sind; jeder thut, was er nicht lassen kann, und trägt die unausbleibliche Folge. Wenn ein Thron stürzt, und zwar so leicht und ohne Anstrengung, wie es bei uns der Fall gewesen[736] ist, so ist es doch wohl augenscheinlich, daß alle seine Stützen und Untergestelle schon morsch gewesen sind! Nun bedurfte es nur jenes weltbekannten Zusammenflusses von Ursachen, die im Jahr 1787 die unbegreifliche Schwäche und Hülflosigkeit des Französischen Hofes vor Aller Augen entblößten, und jede nachherige Katastrophe folgt in einer nicht zu unterbrechenden, nicht zu ändernden Verkettung. Fragen Sie, warum die Vorsehung dieses Mißverhältniß zwischen der Unhaltbarkeit einer Regierung und der Unfähigkeit des Volks sich eine neue zu schaffen, geduldet, und in diesen Zeitpunkt die Revolution hat fallen lassen? – Wer anders kann Ihnen antworten, als die unbegreifliche und unergründliche Weisheit der Vorsehung selbst! Ich fühle nicht den Beruf, diesen Artikel der Theodicee auszuarbeiten, wenn ich gleich für mich überzeugt bin, daß unsre Revolution, als Werk der Vorsehung, in dem erhabenen Plan ihrer Erziehung des Menschengeschlechts gerade am rechten Orte steht, und daß Frankreich, nach dem schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten, vernünftigen, wohlthätigen Verfassung emporarbeiten wird. »Wer aber diese Revolution als eine bloß Französische ansieht,« hat Mallet du Pan mit einem echten Sehergeiste gesagt, »der ist unfähig sie zu beurtheilen;« denn sie ist die größte, die wichtigste, die erstaunenswürdigste Revolution der sittlichen Bildung und Entwickelung des ganzen Menschengeschlechts.

Je richtiger der Blick ist, womit die auswärtigen Regenten den gährenden Zustand Frankreichs gefaßt und daraus die Nothwendigkeit abgenommen zu haben scheinen, gerade jetzt den Völkern auf keine Weise Luft zu machen oder den Zügel schießen zu lassen: desto unzweckmäßiger, ich möchte sagen widersinniger, kommt mir das unablässige Bemühen so vieler Schriftsteller bei Ihnen vor, einen Geist des Hasses gegen die Franzosen unter ihren Landsleuten anzufachen und sie auf eine solche Art in ihrer eigenen Kraft und Wirksamkeit gegen uns zu schicken. Ich lasse das Unsittliche dieser Aufhetzerei an seinen Ort gestellt; die unbefleckte Tugend, die kein angelegeneres Geschäft kennt, als unser Schuld- und Sündenregister unaufhörlich abzulesen, wird vermuthlich in ihrer Kasuistik über diesen Punkt Beruhigung gefunden[737] haben. Allein auch die Erfahrung hat hier mitzusprechen, und wie hat man es vergessen können, daß nichts gewöhnlicher ist, als Menschen von einem Extrem zum andren übergehen, eine aufgereitzte Leidenschaft in Unbändigkeit ausarten, und alle Leitung verschmähen zu sehen? In der That, wenn es nicht weltkündig wäre, daß unsre gänzliche Vernachlässigung alles Verkehrs mit dem Auslande unsrem ehemaligen diplomatischen Ruf zur unauslöschlichen Schande gereicht, und wenn man nicht auf diese angeerbte Tugendtafel hin, uns jene berüchtigte Propagande, die wir bei einigem Machiavelismus unstreitig hätten stiften müssen, bloß angedichtet hätte; – so könnte man leicht auf den Gedanken kommen, daß wir jenen Schwarm von Aufhetzern heimlich besoldeten, um den Völkern, die bisher geistlich todt geblieben sind, einen lebendigen Odem der Eigenmächtigkeit, des leidenschaftlichen Wollens und Vollbringens, in die Nase zu blasen.

Zum Glücke hat es mit der ganzen Sache keine große Gefahr, und das Mittel, die öffentliche Meinung zu beleben, ist übel, ja im höchsten Grade schlecht, ausgedacht. Die Frage: wie entsteht öffentliche Meinung, und wie erhält sie ihre Kraft, auf den Willen zu wirken? kann uns bald aus dem Traume helfen. Man wird eben so leicht beweisen, daß der Katechismus tugendhaft machen, daß die Prosodie in dithyrambische Begeisterung versetzen, kurz, daß die Regeln das Genie, und nicht das Genie die Regeln, schaffen können, als es uns deutlich und überzeugend darthun, daß die Äußerungen des freien Willens (öffentliche Meinung) erscheinen können, ehe der Wille frei ist. Gestehen Sie es nur, der Karren steckt im Schlamme, und nichts ist possierlicher, als die kannengießernden Heupferde herabspringen zu sehen, in der Hoffnung, ihn in Bewegung zu zirpen. Wenn indeß nicht alle (Französische) Zeitungsnachrichten trügen3, so regt sich hier und dort in Deutschland etwas, das der zahmen Gelehrigkeit der Nation eben nicht das Wort redet, und die Weisheit Eurer Prophetenknaben zu Schanden macht. Ich betheure Ihnen, daß mir diese Nachricht keine Freude verursacht; die Reihe ist jetzt nicht an Deutschland, durch eine Revolution erschüttert zu[738] werden; es hat die Unkosten der Lutherischen Reformation getragen, so wie Holland und England, jedes zu seiner Zeit, den Schritt, den sie zur sittlichen und bürgerlichen Freiheit vorwärts thaten, mit einem blutigen Jahrhundert haben erkaufen müssen. Jetzt gilt es uns, und ich wünschte so herzlich, Ihr möchtet Euch an unserm Feuer wärmen, und nicht verbrennen! Aber ach, durch Schaden klug werden, und am Unglücke Anderer sich spiegeln, ist nicht jedermanns Sache! – –

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 3, Leipzig [1971], S. 735-739.
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