Sechstes Kapitel

[35] In Paris war es indeß nach und nach zu einer gewissen Ordnung gekommen. Die Eingebornen hatten sich in gänzlicher Sicherheit beruhigt, die Fremden leidlich gewöhnt. Das Neue war alt geworden. Kein Mensch wunderte sich mehr. Man langweilte sich so alltäglich aneinander hin, und die Stadt würde vergessen haben, wie ihr geschahe, hätten Kaiser und Könige nicht von Zeit zu Zeit ihre Truppen zur Heerschau versammelt. Dahin drängte denn doch immer wieder Alt und Jung. Man ward es nicht müde die schönen, kräftigen Gestalten, den Glanz, die Behendigkeit und würdig stille Haltung der ritterlichen Helden zu bewundern.[35] Der Trompete weckender Klang, der Waffen heller Schein, das Hurrah, der pfeilschnelle Flug behender leichtfüßiger Pferde, das Leben, die Bewegung war doch jedesmal wieder neu und verlockte Herz und Augen.

Einst hatte der König von Preußen seine Garden zusammenberufen. In langen glänzenden Reihen füllten sie die Avenüe von Saint Germain. Ihr königlicher Führer hielt neben dem unvollendet gebliebenen Triumpfbogen von Jena. Die Lust ewiger rächender Vergeltung blitzte aus Aller Augen. Ohne Stolz, mit treuherziger Vergnüglichkeit sahen die zuversichtlichen, ehrenfesten Krieger auf jenes schmähende Denkmal, und nachdenklich erwogen sie, wie wunderbar Gott der Zeit und den Kräften gebiete, nur fertige, was bestehen solle.

Unzählige Wagen hielten dicht aneinander gereihet, unzähliges Volk wimmelte dazwischen, Adjudanten und Commandirte rauschten nur so eben an den Zuschauern hin, man hörte nicht den Hufschlag ihrer Pferde, halb schreitend, halb fliegend schienen diese kaum den Erdboden zu berühren. Federbüsche wogten, Bajonette blitzten,[36] Helm und Küraß leuchtete golden in spielenden Sonnenstrahlen. Voll und gewaltig schmetterten helle Kriegsklänge dazwischen, alles Leben wurde wach, alle Herzen schlugen freier, man musterte, verglich und lobte nicht mehr, man sahe, man jubelte nur.

Alonzo hielt im Gefolge eines englischen Generals nahe an der Barriere de l'Etoile. Hier hatten sich viel Wagen zusammengedrängt, der Lärm war ungeheuer, Alonzos Pferd wieherte jedem Trompetenstoß nach, und stampfte und schüttelte schäumend an dem zügelnden Gebiß. Er strich ihm wohl begütigend den schlanken Hals, und meisterte und wendete sich mit ihm bald rechts bald links, aber in der Seele war ihm wie dem feurigen Thier; vorwärts! rief es mit tausend Stimmen und die Zähne zusammenbeißend, schlug er die zündenden Augen gen Himmel. Er beachtete es nicht, daß dicht hinter ihm viel Lärmens und Gelächter war; ein junger französischer Offizier sprengte mit fliegendem Ellenbogen und schwerfälliger Beweglichkeit bald hin bald her, hatte überall zu sehen und zu reden. Jetzt bog die lange Wagenreihe etwas[37] seitwärts, die Preußische Garde dü Corps marschirte vorbei. Unwillkührlich lief ein leises Murmeln durch die Menge, man hatte nie etwas Schöneres gesehen. Ernst und gemessen ging der Zug vorbei. Alonzos Herz bebte bei dem Rasseln der Waffen, dem stolzen, sichern Tritt der Pferde, dem heitern Glanz freudiger Maiengesichter. Er hatte sich etwas genähert, um genauer zu sehen. Sein Pferd arbeitete und drängte ungestüm an die Wagen hin, er war gezwungen es zu beachten als er eben an einem perlfarbenen Muschelwagen mit silbernen Verzierungen streifte und durch einen gewaltigen Satz ein junges schlankes Frauenzimmer tödtlich erschreckte, die mit dem Rücken gegen ihn gewandt, die eine Hand auf dem Knopf des Schlages gestützt, stehend, die Regimenter vorüberziehen sah. Sie fuhr leise aufschreiend zusammen, und blickte etwas bleich und verstört nach dem schnaubenden Barber um. Ein leichter Strohhut mit blaßrothen Rosen beschattete das feine Gesichtchen, gleichwohl waren diese Augen nicht zu verkennen, Alonzo neigte sich überrascht vor seiner Unbekannten aus der Kathedrale. Der[38] junge laut bewegliche Franzose, der sich schon früher viel um diesen Wagen zu schaffen machte, hielt auf jener Seite, so daß er Blansche gegenüber war, er machte in diesem Augenblick eine etwas rasche Bewegung zu Alonzo hin, öffnete die schmahlen, eingezogenen Lippen und stand im Begriff etwas Scharfes zu sagen, als sich Fahrende und Reuter plötzlich in Bewegung setzten und alles aneinander und durcheinander zur Stadt lenkte.

Alonzo war immer grader und höher auf seinem Pferde geworden und schien noch jene gedrohete Anrede zu erwarten. Jetzt schoß er pfeilschnell nach der Barriere zu, er hätte die Welt darum gegeben, dem übermüthig fragendem Gesicht noch einmal zu begegnen, aber das wüste Gewirr wickelte sich immer dunkler, immer unkenntlicher in einander, ganz von weitem zeigte sich die silberne Muschel von vier Apfelschimmeln gezogen, noch einmal. Alonzo hielt die Hand wie geblendet vor die Augen. Als er wieder aufsah, stand ein allerliebstes zierliches Kind, mit den aufgehobenen Armen ein Körbchen voll der glühendsten Rosen haltend, neben[39] ihm. Mine und Geberde sagte: schöner lieber Herr, kaufen Sie doch. Alonzo blickte ganz tiefsinnig in die hellen Rosenlichter, es trabte ein Preußischer Freiwilliger vorbei und sang:


Ihr habt uns geladen

Wie ringen wir baden

Durch Blut und durch Wolken

An's herrliche Ziel.


Alonzo hatte früherhin auf spanischem Boden tapfere Deutsche gekannt, die der allgemein heiligen Sache im fremden Streite dienten. Das Wort Blut war ihm wohlbekannt, es fiel wunderbar in sein Ohr; er wandte sich nach dem Reuter und griff fast zugleich in das weiche Blumenmeer, die rothen, duftenden Wellchen spielten kühlend um seine Finger, er faßte eine Hand voll Blumen und sagte ganz unwillkührlich: rothe Rosen, rothes Blut: und Geld in das Körbchen werfend, trabte er ganz in sich versunken nach seinem Quartier.[40]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 35-41.
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