Achtzehntes Kapitel

[230] Der Marquis hatte sich indeß ungewöhnlich gegen Abend erholt, er saß aufgerichtet im Bett, Marie auf einem Fußbänkchen neben ihm, das Kind lag in blendend weißen Tüchern auf ihrem Schooß, seine großen Augen schon hell nach dem Lichte wendend, durch das offne Fenster strichen angenehme Luftzüge, die nahen Pappeln und Linden schütteten ihren Blüthenduft in das Zimmer, Marie tändelte leise mit dem Knaben, der Marquis sah lächelnd auf beide, und redete viel und heiter mit der Baronin und dem Herzoge, welche ihren Platz zu den Füßen des Bettes genommen hatten, der Arzt reichte ihm von Zeit zu Zeit einige Tropfen mit Wein vermischt, und bezeigte sich überall sehr aufmerksam. Nicht lange, so schlief der Kranke erschöpft ein. Da klopfte es an der Thür, sie ging auf, und es traten zwei Männer in Uniform herein. Auf das Geräusch schreckte der Marquis[230] in die Höhe. Das Erste was ihm in die Augen fiel, war jene Gestalt, welche ihm bei Schloß Clairval in den Weg trat, er fuhr heftig auf, laß mich! schrie er, rühr mich nicht an! der kranke Bürger Villeroi geht zu den Barmherzigen im Himmel! Ich transportire Verwundete, erwiederte jener ruhig, wie zum Rapport, der brave Camerad hat bei Lodi was weggekriegt, er kann den Säbel leider Gottes nicht mehr führen, die rechte Hand ist ihm entzwei geschossen, er soll sich bei den Seinigen ausheilen. Ich will mich ausheilen, sagte Adalbert leise mit abgewandtem Gesicht. Seine Stimme rief dem Marquis den jungen, schlanken Chasseur-Offizier in diesem Augenblick zuerst wieder zurück. Mein guter Engel! rief er betroffen, Du, Adalbert! Marie lag schon längst auf ihren Knieen, das Kind mit aufgehobenen Händen Adalbert entgegen haltend, dieser schwankte zu ihr hin, er kniete ebenfalls vor dem Kinde, beide Eltern spiegelten sich in dessen hellen Augen, ihre Thränen mischten sich auf den zarten Händchen, die damit zu spielen schienen. Dieser Thau wusch alle fremde Bilder aus Adalberts Seele, rein und heilig, drückte er Frau und Kind an sein Herz, das er Marien auf immer wiedergegeben fühlte. Alle waren wie neu geboren, der Herzog segnete erst jetzt mit freier Brust die Verbindung[231] seines Sohnes ein, Marie schwamm in Freudenthränen, sie war wieder ein seliges Kind geworden, sie schmiegte sich zärtlich und liebkosend an Vater und Freunde, als der finstere Kriegsmann einige Schritte vortrat, und mit seiner barschen Stimme sagte, ich wollte nur melden, daß draußen bei dem alten Mauerwerk ein Frauenzimmer in ihrem Blute liegt, die hineingeschafft werden muß. Todesbote! rief der Marquis entsetzt, der Herzog und der Arzt stürtzten zum Zimmer hinaus, Adalbert sah bleich zur Erde. Ist sonst noch etwas hier zu thun? fragte dessen wilder Camerad, Adalbert winkte verneinend mit der Hand, und jener verließ sie ungesäumt. Todesbote! wiederholte der Marquis, sich in seine Decken verhüllend.

Adalbert, sagte die Baronin, trinke jetzt beherzt die letzten Tropfen aus Deinem Leidensbecher. Es ist Thorheit, wenn man denkt, das Gewaltsame könne mild enden! Ein Ausrenken oder Verzerren der schönen Naturverhältnisse kann nur durch einen Stoß oder Schlag in seine Ordnung zurückspringen. Der Schlag ist erfolgt. Sieh nun auf die heitere Ordnung des Lebens! Adalbert drückte bejahend ihre Hand.

Jetzt kam der Arzt zurück. Wie ist sie gestorben? fragte der Marquis. Nach dem starken Anschwellen[232] der Blutadern zu urtheilen, entgegnete jener, hat sie in der Angst des gewaltsamen Krampfes, wie schon öfter, Kühlung vom Stahle erwartet, und sich den Dolch bewußtlos in die Brust gestoßen. Der Marquis faltete schweigend die Hände. Alle blieben lange stumm. Darauf foderte er, fast bittend, man solle ihm sein unglücklich Kind noch einmal zeigen.

Antonie lag sauber, in jenem weißem Gewande mit hohem abwärtsstehendem Kragen, auf einem Ruhebett im Nebenzimmer, der Arzt öffnete die Thür dahin in dem Augenblick, als Giannina und Alexis ihr eine Krone von dunklen Malven auf das Haupt setzten. Ihr Gesicht, weiß wie Marmor, schien ruhig, der Körper lag grade, die Hände gefaltet auf der Brust. Der Marquis ließ sich in die Höhe richten und sah freundlich zu ihr hin. Er verbot, die Thür wieder zu schließen, bat Alle, die Nacht bei ihm zu bleiben, und verlangte selbst den Korb des kleinen Renaud dicht an sein Bett gerückt zu sehen.

So blieben alle versammelt; zwischen dem Tode, dem aufblühenden und hinscheidenden Leben, her und hin gehend. Gegen Mitternacht sagte der Marquis: es ist alles Gegenwart in der Liebe! ich lebe jetzt alle schöne Augenblicke aufs neue mit der Marquise! es ist alles wieder da, ganz da![233] Es ist schön mit dem zugleich! aber der Mensch erträgt es nicht, er ist zu schwach! deshalb kann er auch die Vergangenheit niemals durch die That zur Gegenwart machen! es geht niemals, niemals! Er seufzte tief; ward unruhig, und schien etwas zu verlangen. Marie legte ihm schweigend ein Cruzifix auf die Brust. Er griff mit beiden Händen danach, befühlte es lange, und rief dann freudig, das ist die Figur der Welt! Der Erlöser – der Schlüssel des großen Buches – mein Gott! stammelte er gebrochen, Du bist die Liebe, – in Dir – ist ewige – Gegenwart. Sein Kopf sank auf die Brust, die Lippen berührten das Kreuz, der Athem flog leicht zum letztenmale darüber hin. Der Arzt drückte ihm schweigend die schönen, starren Augen zu. Dann sagte er bewegt: so hat er denn ein Wunder erlebt, das einzige und ewige, die Fortentwickelung der Zeit! –

Nach wenigen Tagen wurden Vater und Tochter neben dem alten Schlosse an den Ufern der Rhone beigesetzt. Marie schuf hier einen neuen Blumensitz, und Antonie lebte ohne Zauberei still und friedlich in Adalberts Seele, dem ein freundlich-heiteres Dasein an Mariens Liebe und seines Kindes Leben aufging. Die alten Wunder waren von der Erde verschwunden, aber die Liebe schuf täglich neue. Die Magie ihres Familienstammes[234] blühete in Marien auf so eigene reizende Weise wieder auf, daß sie ihres Gatten Herz in stets unauflöslichern Banden an sich zog.

Die Baronin und Giannina verließen sie niemals, doch den Herzog trieb die erwachte Liebe zum Vaterlande noch in mach neues Kriegsunternehmen. Auch Alexis ward in der Folge Soldat, während sein Vater das Grab seines alten Freundes hütete.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 230-235.
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