Sechstes Kapitel

[50] Schärfere Luftzüge und ein dämmernder Himmel verkündeten den Anbruch des Tages, als die Reisenden, im unbehaglichen Gefühl des Ueberwachens und dem krankhaften Frösteln abgespannter Kräfte, vor einem ehemaligen Zoll- und Gasthause an der Landstraße hielten, um die Pferde etwas verschnaufen zu lassen und selbst einige Stunden dort zu ruhen.

Der Köhler klopfte an der Thür, vor welcher er, erwartend daß sie sich öffne, stehn blieb; es regte sich auch drinnen, ward aber bald wieder still, er klopfte deshalb noch einmal und stärker, und voll Ungeduld, den erschöpften Frauen einige Erholung zu verschaffen, stieß er ein drittesmal heftig mit dem Fuße dagegen. Endlich ward das Seitenfenster aufgeschoben, ein bärtiges Gesicht sah heraus, ein paar derbe Flüche durch die Luft schmetternd. Der Köhler verlangte mit einigem Ungestüm Obdach[50] für sich und seine Begleiter. Zum Teufel rief jener, hier ist kein Wirthshaus! packt Euch weiter! und schlug das Fenster zu. Die Pferde waren indeß unruhig geworden, traten bald vor, bald zurück, wodurch der Wagen, auf unangenehme Weise gerückt, hin und wieder schwankend, das Uebelbefinden der Reisenden vermehrte; besonders litt Marie, welche das bleiche Gesichtchen ganz erschöpft an der Schwester Schulter lehnte, und nur bat: man möge weiter fahren, da sich ihr unter dem Anhalten alles schwindelnd drehe und sie es kaum noch ertragen könne. Dem Marquis kochte schon längst das Blut: gewohnt, sich durch eine lange Reihe von Jahren gehorcht zu sehn, ohne seinen Willen irgend einer obern Gewalt zu unterwerfen, befahl er, man solle die Thür einschlagen, wenn die Hunde keine Vernunft annehmen wollten! Er machte dabei Miene, aus dem Wagen zu springen und selbst Hand an das Werk zu legen, als der Köhler seine Stimme noch einmal erhob, und dringend und mit mehr Höflichkeit bat, einer jungen, kranken Dame nur einen Augenblick Ruhe und etwas Brod und Wein zu gestatten. Drauf fielen drinnen einige Worte, und ob gleich der Köhler diese nicht verstand, so hörte er doch Schritte auf sich zukommen und sah endlich die Thür aufgehn.[51]

Es war indeß ziemlich hell geworden, man konnte die Gegenstände umher genau ins Auge fassen. Der Anblick des Mannes, der jetzt aus dem Hause, und auf den Wagen zutrat, benahm den Frauen daher fast den Muth, auszusteigen und seinem Anerbieten zu folgen. Er war wilden, Soldatischen Ansehns, von roher Gesichtsbildung und plumper Galanterie. Sehr ungeschickt entschuldigte er seine frühere Grobheit, und setzte lachend hinzu: daß wenn er gewußt, welche Schönheiten zu ihm hineingewollt, er ihnen wahrhaftig die Thür nicht würde verschlossen haben. Marie und Antonie wandten sich betroffdn ab. Der Marquis aber, immer noch ungeduldig, seinen Vorsatz durchgesetzt zu sehn, riß den Schlag auf, und trat mit seinen Töchtern unter die offene Thür. Der fremde Mann sagte ihnen, indem sie sich auf dem Hausflur befanden, dies Gebäude gehöre zwar nicht ihm, es sei auch überall keine eigentliche Wirthschaft und kein fortgesetzter Verkehr darin, allein für etwas Glühwein und geröstetes Brod wolle er dennoch sorgen, die zarten Püppchen möchten indeß nur ihre Bequemlichkeit brauchen, und somit öffnete er ihnen eine lange, dunkle Stube, deren räucherige, angeschmutzte Wände auf den ersten Blick widrig in die Sinne fielen. Doch wie mit Eiseshand zog es den Eintretenden das Herz zusammen,[52] als sie auf dem Boden umher wohl an zwanzig schlafende Männer auf Strohlagern hingestreckt sahen. Ihre Reisebündel, Gewehre und Mützen, lagen zerstreut, zwischen Gläsern, leeren und halbangefüllten Flaschen, auf einem langen Tische; ekelhafte Spuren verschütteten Getränks näßten noch den schmalen Gang zwischen den Lagerstätten der Schlafenden, so daß man nicht wohl trockenen Fußes einen Schritt gehen konnte. Der Köhler zupfte den Marquis leise beim Ermel, dieser machte eine unschlüssige Bewegung, ungewiß, ob er vor, oder zurückgehn solle? Doch als einige der Kerle sich regten, und halb aufgerichtet mit blinzelnden, kaum geöffneten, Augen schlaftrunken auf ihn hinsahen, stand er fest, jeden Gedanken an Entfernen jetzt für feig und niederträchtig verwerfend. Er hieß seinen Kindern, sich neben ihn auf eine an der Wand fortlaufende Bank niederzusetzen, und erwartete sehr gespannt, was ihm der nächste Augenblick bringen werde.

Auch blieben sie nicht lange unangefochten. Es wälzte sich auf dem knisternden Stroh bald eine bekannte Gestalt aus dem Winkel hervor! aufgerichtet, das breite Gesicht zwischen beiden Händen aufwärtsgeschoben, starrte der Essenkehrer dem Marquis in die Augen. Bist Du es, rief er lachend, oder bist Du es nicht? denn Dich Teufelskerl[53] kennt nur der Teufel! Hat Dich der endlich einmal losgelaßen? Aber eine verflucht feine Nase hast Du doch, unser Fuchsloch gleich auszuwittern! Sieh! nun bist Du mitten unter uns! Hier ist unser Feldlager, unser Proviant- und Rathhaus, unser Kriegs- und Bluttribunal, von hier geht es nach allen Richtungen, wo es was zu thun giebt! Sag' hast Du das ausgespürt? Nein, entgegnete der Marquis. Nein, wiederholte jener; wie hast Du uns denn aufgefunden? Ich weiß nicht, war die Antwort. Ueber Deine dummen Räthsel? rief der Essenlehrer aufgebracht? Sag' wie kommst Du hieher? Durch Nacht und Dunkel und die Gewalt der Sterne, sagte der Marquis mehr vor sich hin, als in Antwort jener Frage. Hast Du uns die da mitgebracht, rief ein junger Bursche, dicht vor Antonien hintretend, so komm' meinethalben aus der Hölle! Ihr sprecht das Wort so leicht aus, sagte diese, wißt Ihr denn, ob Ihr nicht da hinab müßt? Sieh mal! die Hexe! schrieen lachend mehrere Stimmen! hast Du auch Teufeleien im Kopf? Antonie sah mit ihren brennend durchbohrenden Blicken starr auf sie hin, anfangs lachten sie, dann aber drückten sie die Augen zu, und wandten sich, über das vermaledeiete Hexenvolk etwas in den Bart murmelnd, von ihr ab! Laßt nur, rief der Essenkehrer, wir werden sie schon[54] zahm machen, los kommt sie einmal nicht, sie mag ihre Künste an uns probiren. Dem Köhler schwoll das Herz, er sah hier mehr als ein Unglück auf sie zukommen, und wußte keinen Ausweg zu finden, da das früher benutzte, halb wahre Mährchen vom Wahnsinn des Marquis, nichts fruchten, ja diesen aufs Aeußerste treibend, alles zum Ausbruch bringen konnte, was vielleicht noch zu umgehen war.

Volk ist Volk, dachte dagegen der Marquis, ob frei, ob in Banden, wer es versteht, beherrscht es. Er maaß das Häuflein mit schnellem Blick. Dummer Trotz und feige Schwelgerei lagen lang und breit auf den nüchternen Gesichtern ausgespannt. Die possenhafte Tapferkeit, die ihr Müthchen am Abknallen eines Gewehrs und dem Tragen der Freiheitsmütze kühlt, verwirrte ihn nicht. Abwärts von ehrlichem Streit, sagte er sich, treiben sie ihr loses Wesen, sie sind der schmutzige Schaum, den der gährende Gedanke auswirft. Man muß sie mit dem Teufel kirren, der in sie gefahren ist. Und somit that er einige rasche Schritte, und stand in Mitten des eklen Knäuels mit Lumpen ausstaffirter Neuerer. – Bürger, rief er, den finstern Blick in sich zurückgezogen, ich bin in dieser Nacht unter Euch getreten, wie? das laßt Euch gleich sein. Ihr seid freie Bürger auf Erden, aber über und unter dieser waltet das Gestirn.[55] Forscht nicht, laßt Euch an dem gnügen, was Ihr seht. Ich bringe Euch Gold, ich weiß, die Freiheit will durch Gold und Eisen gewonnen sein, das Letztere wußtet Ihr mit furchtbarer Hand zu fassen. Das Erstere müssen Euch des Schicksals Mächte zuführen. Ich bin ihr geweiheter Diener! Nehmt, was ich Euch bringe! Er streuete bei diesen Worten einige Hände voll Gold, welches er für den Nothfall zu sich gesteckt hatte, unter sie. Aber, fuhr er fort, laßt Euch nicht einfallen, thörige Gedanken auf mich und die Meinen zu richten, ich gehöre Euch nicht, nicht der Welt, nicht mir an. Die unerforschlich Tiefen, setzte er mit steigender, sich und alles was ihn umgab, vergessender Stimme, hinzu, sie allein wissen von mir, sie gebieten über mich, sie reißen mich fort in die Wirbel des neugebährenden Lebens, und so schöpf' ich, und schöpfe mit wuchernder Hand, das Gold aus den heiligen Behältern der Unvergänglichen! Seine Stimme zitterte zuletzt wie ein Donner durch das Zimmer! und, das Maaß seines Wollens überspringend, hatte er sich selbst in die Täuschung hineingesponnen, die er Andern bereitete. Als ihn der rohe Zuruf der Menge zu sich selbst brachte, schlug er sich mit beiden Händen vor die Stirn und sank dem Köhler halb ohnmächtig in die Arme. Dieser ward ganz irre an ihm, ungewiß, was dem[56] Selbstbetruge oder ersonnener List angehöre? Die Kerle aber rafften ihr Geld zusammen, und, es sich einander zuzählend, ließen sie sich das Uebrige nicht sonderlich anfechtend.

Jetzt trat auch der vermeintliche Hauswirth mit einem Napf dampfenden Weines herein. Das Gold in den Händen seiner Kameraden und mehrere durcheinander hingestoßene Worte sagten ihm genug. Er sann nicht lange nach, riß schnell den Stöpsel aus einer leeren Flasche, klemmte ihn zwischen den Henkel eines Glases, zog drauf eine Gabel aus seiner Mütze, steckte diese in den Kork, und schöpfte so den Wein in die Gläser. Eines dann in die Höhe hebend, rief er! Heil und Brüdergruß den geheimen Münzern! Nimm mich zu Deinem Gesellen Alter, und trink' mir gute Kameradschaft zu. Der Marquis stieß das Glas zurück. Du thätest gut daran, sagte jener, denn ich gehe Dir nicht von der Falte, Du ließest uns denn die Weiber hier! Ja, laß uns die Weiber hier, brüllten Alle, und halb liegend, den Kopf auf die aufgestemmten Arme gestützt, gossen sie sich das glühende Getränk in die aufgerissenen Mäuler. Laß uns die Weiber hier! scholl es noch einmal, fast gebietend. Da kannte sich der Marquis nicht länger. Auch nicht die Spitze eines Haares soll Euch bleiben, schrie er! Und während Antonie die Hand[57] des Uebermüthigen wegschleuderte, der ihr zur Besiegelung seines Höllenbundes Wein einzwingen wollte, rief der Marquis, auf diesen ein Pistol abdrückend: ihren Durst löscht nur Blut! faßte sie dann mit Blitzesschnelle in die Arme, schlang den Andern um Marien, und ehe sich das Gesindel aufraffen und nach den Gewehren greifen konnte, stürtzte er mit beiden und dem Köhler zur Thür und dem Hause hinaus, dem Wagen zu, faßte selbst die Zügel der Pferde, und trieb diese, mehr fliegend als gehend, den Weg entlängs, der fürchterlichen Rotte aus den Augen.

Die Sonne stand hell und ruhig über ihnen, als sie, zu sich selbst kommend, in einem frischen blühenden Wiesenthal gleichsam zuerst Athem schöpften, und die erschütterten Gedanken in ein klares Gefühl zusammenfaßten. Hier war alles friedlich. Einige schön gefleckte Rinder weideten ruhig zwischen den Gräsern, neben ihnen schlenderte ein Knabe, sein Liedchen auf Binsenröhren pfeifend. Als dieser die Reisenden sahe, pflückte er eine Hand voll Blumen, und warf sie ihnen zum Morgengruß in den Wagen, eine zierliche Art, die Blicke des Vorübereilenden auf sich zu ziehen, ihn erinnernd, das Unscheinbare nicht zu übersehn, woran sich der Marquis oft schon in ähnlichen Fällen erfreuete, weshalb er auch jetzt mit[58] rechter Lust ein Geldstück in das hingehaltene Strohhütchen des Kindes warf. Marie hatte Gefahr und Todesangst vergessen. Sie lehnte sich weit zum Schlage hinaus, und freuete sich an der sonnigen Beleuchtung des Thales, dem frischen Klee, und den vielen rothen und gelben Blumen, die in großen Büschen umherstanden. Auch dem Marquis war leicht und wohl. Er hatte sich in der Gefahr zusammengefaßt, und hielt sich nun eine Zeitlang so gesammelt, den nächsten Kämpfen tüchtig zu begegnen. Es ist nöthig geworden, sagte er, daß wir an die Zukunft deutlich und mit bestimmtem Entschluß denken. So ins Blaue hinein dem Zufall länger vertrauen, ist tollkühnes Spiel. Auch werden die Bluthunde wohl bald genug Ernst mit uns machen. Was sie jetzt versäumten, werden sie nächstens nachholen. Deshalb ist mein Plan nach Deutschland zu flüchten; spätestens Morgen oder Uebermorgen müssen wir die Wanderung antreten. Ich brauche nur soviel Zeit, das Nothwendigste einzurichten, dann bin ich bereit. Euch meinen Töchtern wird das Opfer leicht. Eure Welt ist noch überall die selbe! Mir auch! mir auch! – was ich suche, ist nirgend oder überall!

Sie blieben von da nachdenkend. Die Vorstellung eines fremden Volkes, fremder Sprache, vielleicht auch Sitten, verwickelte ihre Phantasie in[59] unerfreulich unbequemes Denken. Sie fanden keinen Maasstab für das Künftige, und waren nirgend mehr zu Hause.

Ziemlich spät langten sie auf dem Schloße an. Der Marquis verschloß sich sogleich in seinem Cabinet. Doch Bertrand trug fast die jungen Fräulein auf ihre Zimmer, wo das Schönste und Beste für sie bereitet war. Allein sie genossen von allem nur flüchtig, hatten nirgend Ruhe, und baten den Alten, ihnen alle Gemächer zu öffnen, damit sie noch Heut alles in Augenschein nähmen. Die Augenblicke sind in dieser Zeit gemessen, sagte Antonie, wir werden die Herrlichkeiten kaum einmal überschauen dürfen.

So durchflogen sie denn Kammern und Säle. Auch zu dem Bildersale kamen sie. Marie hatte sich an Antoniens Arm gehängt. Diese trug die Kerze, welche sie in die Höhe hob, als sie zwischen zwei hervorspringenden Säulen in das Zimmer traten. Die veralteten, durch die Zeit angebräunten, Gesichter der Ritter, Marschälle und Geistlichen, neben den wunderlich aufgeputzten Damen an ihrer Seite, welche alle so grade und starr durcheinander hinsahen, gaben den beiden Mädchen das beklemmende Gefühl zweier Fremdlinge, die in große unbekannte Versammlung treten.[60] Schüchtern schlossen sie sich aneinander, sie, die beiden einzigen, lebenden Wesen unter so vielen verehrten Todten! Mit unaussprechlichem Entzücken entdeckte Antonie zuerst das Bild ihrer Mutter. Sie war mit aller Pracht höfischer Sitte, sehr reich, etwas steif, aber doch höchst edel, abgebildet. Beiden war, als sähen sie sich selbst, und auch jede die Andere, im Spiegel. Antonie hielt das Licht in größter Ueberraschung gegen die wunderbar verschmolzenen Züge, beide betrachteten es lange, dann sahen sie einander an, wie sich der Blick wohl vom Conterfei vergleichend auf das Original zurück wendet, und in überwältigender Rührung sanken sie sich in die Arme, und weinten das erstemal Herz an Herzen. Antonie besonders war ganz Liebe und Milde, sie streichelte Mariens Wangen, und drückte das zarte dankbar an sie angeschmiegte Wesen liebkosend an die Brust. Wie rührst Du mich, da Du weinst, sagte sie, nun siehst Du erst der Mutter ganz ähnlich, die den reizend jungen Leib so vorahndend mit aller Pracht der Welt verziert, als werde sie nun bald vom Schmuck des Lebens scheiden! Das sagt der feuchte Blick, der sich recht wie eine Decke über das glühende Herz hinzieht! Denn da glüht es, das fühl' ich, in den lieben bewegten Mienen, in der ernsten, strengen Haltung,[61] die verbirgt, was die Welt nicht sehen soll. Die Haltung, sagte Marie, ist die Deine, darin eben, liebe Antonie, und in den hohen Brauen und den etwas gehobenen Schwanenhals bist Du ihr so sprechend ähnlich, mir hat sie wohl nur das blonde Haar gelassen, und die armen Augen, die so leicht über Geringes weinen müssen! Sei nicht böse darüber, unterbrach sie Antonie, es liegt ein ganzer Himmel in diesen Augen! Und, die Schwester wieder an sich ziehend, gingen beide in ungewohnter Vertraulichkeit den Saal auf und nieder. Während dem öffneten sie eine Glasthüre, welche nach dem Balkon hinausführte, sie traten in dieselbe, den Blick an der nächtigen Stille der Landschaft zu stärken. Das Gebäude selbst verbarg ihnen zwar den Mond, allein dessen lichter, schneeiger Glanz spielte dennoch um Büsche und Wiesen, und leuchtete zurück aus dem versilberten Flußbett. Unaussprechlich gewaltig, und doch mild wie die gehaltene Kraft, rauschte der Strom in gleichmäßigem Wellenschlag durch die tiefe Ruhe der Natur. Riesenhaft, in großen Massen, traten die Gegenstände hervor, undeutlich in ihren Umrissen und doch so ahndungsreich! die Schwestern blieben lange Zeit stumm, sie fürchteten, den leisen Schlaf des rasch bewegten Lebens zu unterbrechen. Ganz still[62] setzten sie sich auf die schmale Steinbank, welche dem Eisengitter des Balkon entlängs lief, und flüsterten kaum hörbare Worte.

Antoniens Herz war wunderbar erweicht. Offen ließ sie sich über manches aus, was in ihr vorging. Es ist traurig, sagte sie, daß oft etwas Unwillkührliches mein ganzes Wesen zusammenzieht, und Schrecken ungekannter Art mein Blut versteinen. So, ich darf es Dir wohl sagen, überlief's mich todeskalt, als die Aebtissin scheidend ihren Arm um meinen Nacken legte; ein leiblich Weh stieß einen Schrei aus meiner Brust. Ihr Gesicht schien mir verzerrt, und ekler Leichenduft umgab sie. Mein Herz war mir zum Zerspringen voll, ich hätte sie um alles in die Arme schließen mögen, und doch vermocht ich's nichts. So geht mirs oft mit dem was ich liebe, es flößt mir plötzlich Schauder und Entsetzen ein, so ging mirs ganz frühe mit jener schönen Nonne, und fast muß ich glauben, die Natur habe ein unglücklich weissagend Gefühl in meine Brust gelegt, und diese solle sich strenge dem verschließen, was die Welt schön und freundlich nennt. Denn wie leicht, daß ich nur zerstörend lieben könnte! Ich spüre so etwas in mir! Drum liebes Kind bewach' ich mich, und zügele stets den Drang nach Mittheilung[63] und jenes innige Erwiedern des Empfundenen, die jedes Herz bewegen. Denn mir und Andern, das glaube nur, würde ich großen Schmerz bereiten, wollte ich dem brennenden Verlangen meiner Seele Gnüge leisten. Nur mir, sagte Marie, ganz hingerissen von der leutseligen Hingebung der Schwester, nur mir gönne den Reichthum Deines schönen Herzens. Ueberschütte, erdrücke mich damit, aber nimm mir nicht wieder, was Du mich ahnden ließest. Sieh' meine Antonie, wir werden vielleicht nun bald ganz allein, von allem losgerissen, in fernen, fernen Landen leben; wenn wir nun nicht aneinander hangen, uns nicht treu in Liebe bewahren, was soll aus mir, ja auch aus Dir Antonie werden? Liebe Schwester, laß uns an die Mutter, an die arme liebe Mutter denken! Das wollen wir! erwiederte Antonie bewegt, und ihre Hand in die der Schwester legend, saßen beide Gedankenvoll und schweigend, als ein Getöse sie aufschreckte, das erst dumpf, dann immer anschwellender und lauter, zu ihnen herandrängte. Herr Jesus! schrie Antonie, da sind sie schon! Indem stürzte Bertrand die Stiegen herauf, und bleich und verstört rief er ihnen zu: daß ein Schwarm Republikaner das Schloß umzingele, und obgleich die Zugbrücken aufgezogen,[64] sei es doch zu befürchten, daß sie durch die flachen Gräben dringen, den Wall erklettern, und Pforten und Riegel sprengen werden. Der Marquis sei außer Fassung, denn, da er sich nicht vertheidigen könne, woran er zuerst gedacht, wisse er auch kein Rettungsmittel zu finden. So wird er und wir Alle doch zu sterben wissen, sagte Antonie, welche voraneilend dem Vater zurief: Ist noch etwas zu thun, so lassen Sie uns nicht säumen, wo nicht, den Tod suchen. Noch ist es möglich, von der Wasserseite zu entfliehn, sagte Bertrand, es kommt allein darauf an, daß der Kahn auf dieser Seite des Ufers ist, und wir unbemerkt aus dem Schlosse entkommen können. Ich gehe, setzte er nach einigem Besinnen hinzu, das Nöthige zu erkunden. Marie drückte ihm sprachlos weinend die Hand, Antonie aber beschwor ihn, zu eilen, ungeduldig die Entscheidung ihres Schicksals zu erfahren.

Alle blieben in gleichem Maaße unruhig zurück. Der Marquis lief heftig auf und nieder, fuhr sich oft mit beiden Händen in die Haare, und machte so gräßliche Geberden, als sähe er schon all die Greuel, die ihn bedroheten. Plötzlich fiel ein Büchsenschuß dicht vor dem Fenster, dann noch einer, und des Essenkehrers Stimme rief laut: nur mir nach, ich kenne hier Wege und Stege![65] Herr des Lebens! schrie die Köhlerfrau, Alexis, ihr fünfjähriges Söhnchen, in den Arm nehmend, nun sind sie herüber, nun ists vorbei mit uns! Antonie aber zog alle mit sich fort in die hinteren Gemächer, sie hatte selbst keinen klaren Gedanken, sie wollte nur entfernt sein von den nahen Eingängen. Dasselbe Gefühl drängte alle immer weiter zurück, und so flüchteten sie von Zimmer zu Zimmer, und kamen endlich in jene Polterkammer, welche dem Marquis vor vielen Jahren das räthselhafte Buch und den Schlüssel zuführte. Antonie schob einen alten Schrank vor die einzige Thür, die zu diesem äußersten Schlupfwinkel führte. Und so blieben sie einander gegenüber, entsetzt, nichts mehr zu ihrer Rettung thun zu können.

Indeß knisterten neben und über ihnen Flammen, welche durch hereingeworfene Feuerbrände im Schlosse angeschürt waren. Die fürchterlichste Angst, auf solche Weise dem Tode nicht mehr entgehen zu können, riß Alle aus sich heraus, und überwältigte jeden stilleren Ruf mahnender Gottesfurcht und Ergebung. Der Marquis schäumte vor Wuth, Antonie ging wie betäubt umher; die Andern lagen kniend am Boden. Der Qualm und Rauch drang schon durch die verrammelte Thür, als Antonie jenen Schlüssel, welchen der[66] Vater immer bei sich trug, aus dessen Tasche zog, ihn in eine schmale Thür, welche hinter einem Wust alten Bilder und zerbrochener Stühle verborgen war, hineinsteckte, mit großer Anstrengung in dem verrosteten Schlosse umdrehete, die Thür eröffnete, einzelne in der breiten Mauer eingehauene Stufen hinabstieg, und den Andern, ihr zu folgen, winkte. Worauf sie alle einen schmalen, dunklen Steg fortgingen, ohne zu wissen, was sie thaten, noch wohin sie gelangen würden. Doch ehe sie sich recht besannen, waren sie auf der andern Seite des Walles, dicht an der leuchtenden Rhone, die ihnen den silbernen Rücken großmüthig bot, sie aus den Flammen zu tragen. Dicht am Ufer stand Bertrand mit dem Nachen, und sah verzweifelnd auf das brennende Schloß. Doch kaum ward er ihrer ansichtig, als er auf sie zusteuerte, und die plötzlich Erretteten, zitternd vor Wonne und Angst, in das kleine Fahrzeug stiegen, sich einander in die Arme fielen, beteten und weinten, und halb ohnmächtig an den Mauern hingleiteten, aus welchen die Flammen wild hervorleckten, und die Fenster gräßlich erhellten, die klirrend über ihnen zersprangen, und die innere Verwüstung kund gaben. Bald nachher sahen sie einige ihrer Verfolger sich auf die Bäume der Wallbekränzung[67] schwingen, und ihre Gewehre nach dem Wasser zu abfeuern. Ruhig glitt der Kahn indeß, von dem mächtigen Strome geschützt, weiter hinab, die Nacht verdeckte sie, wie die heimathliche Gegend, nur die Feuer warfen noch, hell aufleuchtend, scheidende Blicke vom Schlosse auf sie herüber.[68]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 50-69.
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