Achtes Kapitel

[90] Alles war nach und nach in ruhigen Gang gekommen. Die Baronin war wieder geschmackvoll und bequem gekleidet, hatte ein Zimmer neben ihren Nichten bezogen, jedes fügte sich, und wurden heimathlich und vertraut mit Lage und Umgebung.

Die Tante hatte es gern, wenn Marie erzählte; sie saß dann behaglich auf dem Ruhebett, die Arme übereinander geschlungen, den Oberleib etwas vorgebeugt, und sah mit anmuthiger Neugier und seitwärts geneigtem Kopfe, in die weichen, beweglichen Züge der Kleinen. Oft unterbrach sie dies auch, spielte mit ihren blonden Locken, und sagte wohlgefällig: wie hübsches weiches Haar! Marie küßte ihr dann die schönen Hände, und gab ihr die kleinen Schmeicheleien reichlich wieder zurück. Antonie war meist still, doch aufmerksam, ja zärtlich bis zur Demuth, gegen die Baronin.[90] Sie lernte vom Juwelier allerlei feine Arbeit machen, auch in Kupfer stechen, und in Gold und Silber graviren. Es beschäftigte sie dies dauernd, und oft bis zur Erschöpfung angestrengt. Sie bemühete sich indeß vergebens, ein höchst widriges Gefühl hierbei zu bekämpfen, was sie zu Zeiten nöthigte, mit der Arbeit inne zu halten, und mehrere Stunden zu feiern. Es gab nehmlich Tage, vorzüglich bei scharfem Sonnenschein, wo ihr das Berühren aller Metalle höchst empfindlich war. Sie versuchte sich mit allen, doch jedes wirkte eigens unangenehm. Ganz besonders gaben ihr Kupfer und Eisen die gröste Qual. Letzteres goß Todeskälte durch ihren Körper, da Ersteres durch bittere Säure ekelhaft auf Geruch- und Geschmacksnerven wirkt. Auch mit dem Golde ging es ihr nicht besser, dies stach ihr prickelnd, wie elektrische Fünkchen, durch Arme und Finger. Sie war an solchen Tagen, heftig, ungleich, Fieberkrank, konnte weder bei der Werkstatt des Goldarbeiters vorbeigehn, noch diesen überall um sich dulden. Eigen war es, daß sie, auf solche Weise gereitzt, mit einer Art von Begier den stählernen Dolch ergriff, welchen sie heimlich von ihrem Wirthe eingehandelt und in ihren Kleidern verborgen hatte, an diesem hin und her griff und einen wohlthätigen Strom durch ihre Adern rinnen fühlte.[91] Fast immer in sich verschlossen, kam von allem dem nichts zu der Kenntniß der Andern, als was die Aufmerksamkeit dieser erspähte, oder was sich durch die spröde Sonderbarkeit Antoniens ihnen unverständlich aufdrang. Auch standen beide Schwestern jetzt einander wieder entfernter. Marie war höchst behaglich und wie zu Hause bei der Tante. Beide plauderten vor ihr Leben gern, und mochten von allem hören, was um sie vorging. Zudem hatte Marie mit großer Freude jenes zierliche Kind, was sie jüngst so auf der Straße entzückte, unter Felicitas Schülerinnen wahrgenommen. Sie war eine Veroneserin, um weniges jünger als Marie, noch kleiner als diese, und auf die anmuthigste Weise lebhaft und gewandt. Beide gesellten sich leicht zu einander, und war Marie ganz Entzücken, sah sie Giannina die üppige Tarantela nach dem schallenden Takt der Kastagneten tanzen; oder hörte sie sie, im Wechselmaaß, den Streit zweier Liebenden mit geläufiger Zunge komisch parodiren; so bewunderte jene in ihr das feine Französisch und die vornehmen Sitten.

Die Baronin hatte Giannina schon früher lieb gewonnen, sie sah es gern, wenn sie nach der Arbeit zu ihr herauf kam. Sie wußte so wunderliche Geschichtchen zu erzählen, oder zärtliche Romanzen zu singen, die auch Alexis anzogen, so daß[92] er niemals dabei fehlte. Der Herbst kündigte sich überdem jetzt, von den Gebirgen her, schon ziemlich stürmisch an; Im Freien war es nicht mehr hübsch; um den Kamin saß es sich behaglicher. Die Baronin war nicht viel davon wegzubringen und nie erschien sie heiterer, als wenn sie die lieben, kleinen Menschengesichter, wie sie ihre jungen Freunde nannte, umgaben.

Der Marquis hielt sich von all dem heitren Verkehr ziemlich entfernt. Er hatte sich wieder in seinem Zimmer eingebauet, und kam selten und nur flüchtig zur Baronin herüber. Sie dankte ihm sein Schweigen, und vermied es gern, ihn nach der Ursach einer immer wachsenden Unruhe zu fragen, die sich deutlich in seinem Wesen offenbarte. Doch ward sie endlich durch ihn selbst gezwungen, näher darauf einzugehn.

Er fand sich einst mit ihr allein, und, jedes andere Gespräch abbrechend, entdeckte er ihr, daß er gesonnen sei, sie und seine Kinder zu verlassen und sich allein nach Aegypten einzuschiffen. Ohne auf ihr Erstaunen und das Bestreben, ein Wort dazwischen zu reden, Acht zu haben, rückte er seinen Stuhl näher an den ihren, und fuhr fort, ihr die Geschichte jener Gewitternacht, die Verheißung und das Auffinden des seltsamen Buches zu erzählen, zugleich aber seinem Schmerz, über den[93] unvermeidlichen Verlust desselben bei dem Brande des Schlosses, freien Lauf zu lassen. Er setzte hinzu, daß er fest glaube, es sei in Aegyptischer Sprache abgefaßt gewesen, weshalb er zu dem Quell der alten Weisheit hineile, die verborgenen Schätze aufzusuchen. Wie kommen Sie darauf? fragte die Baronin; warum grade in Aegyptischer Sprache? Ich sehe davon die Ursach nicht ein! Wie sollen Aegyptische Bücher nach den Ufern der Rhone kommen? Die alte, versteinte Zeichensprache ist ja kein Gemeingut, mit welchem, am Weitesten zurückgegangen, Marsilias Erbauer Handelsverkehr getrieben hätten! Viel natürlicher halte ich jenes Buch für eine Sammlung Altnordischer Zaubersprüche, welche sehr wahrscheinlich die alte wunderliche Königin Giselbertha, Ihre Stammmutter, aufsammeln ließ. Sie wissen, was der Abbee Cername für seltsame Nachrichten über sie aus dem Schloßarchiv herauslas; wie sie durch das Auflegen ihrer Hände allerlei körperliche Schäden geheilt, welche Gabe sich lange in unsers Königs Hause forterbte, wie sie ferner Metalladern und den Lauf des Wassers unter der Erde durch physische Wahrnehmung herausgefühlt, und der Wunderkräfte und Eigenheiten mehr besessen hat. Der Marquis sah nachsinnend in die Flamme des Kamins; – doppelt schlimm, rief er, wenn es so[94] ist! ein vererbtes heiliges Pfand! und unersetzlich verloren, unersetzlich! – Was hülfe es Ihnen, unterbrach ihn die Baronin, besäßen Sie es noch, Sie können es nicht gebrauchen, niemand kann jetzt absichtlich zaubern, niemand; das ist vorbei, das soll vorbei sein. Wer sagt Ihnen das! rief der Marquis sehr heftig. Die Ordnung Göttlicher und weltlicher Dinge, entgegnete die Baronin. O heilige Natur! schrie er mit gewaltiger Stimme: kreisen Deine ewige Sonnen nicht Heut wie damals in ihren gesetzlichen Bahnen! ist ihr Verhältniß zu einander ein neues geworden! und ist der Mensch ein ausgestoßener Fremdling in Deinen azurnen Hallen? Ja, sagte die Baronin fest und sicher, ein überwachsenes Kind ist er, das Thor ist ihm zu klein geworden, aus welchem er heraustrat, nun will er es einschlagen, das geht nicht, er soll leise anklopfen, es wächst mit seiner Demuth und wird höher und höher bis er bequem hineintritt! Heilig nennt Ihr die Natur, Ihr Neuerer, und wollt Ihr doch Gewalt anthun? – Nein Marquis, Heut zu Tage kann nur ein Kranker oder ein Teufel zaubern wollen! Pauline! – sagte der Marquis ernst – Sie reichte ihm freundlich die Hand. Ich meine es nicht schlimm, sagte sie, wir mißverstehn einander jetzt, wie so oft. Lassen wir das! Nur das Eine: sind[95] die Zauberformeln rechter Art, so kommen Sie zu ihrer Bedeutung; so viel ist einmal gewiß! Wie meinen Sie das? fragte der Marquis. Es wird sich ja zeigen, entgegnete sie. – Beide schwiegen. Das Gespräch war in sich zurückgefallen, keiner nahm es wieder auf, und es blieb alles wie es war.

In dem Marquis war indeß ein Gedanke zur Sprache gekommen, der, sich weiter entwickelnd, eine Art von Beruhigung für ihn hatte. Er hielt nemlich das geheimnißvolle Buch nicht für das einzige Erbgut seiner Stammmutter, und, die Nothwendigkeit des eigenen Daseins durch sie erkennend, war er überzeugt, einen Schatz geheimer Kräfte in sich zu tragen, welcher, trotz dem Dunkel der Zeit, sicher an das Licht treten werde. Er hielt sich an diese Ueberzeugung, ward zuverläßiger in sich selbst, heiterer und achtsam auf die äußere Umstände, wie auf den Gang des Lebens, in welchem er die Einflüsse seiner Natur zu belauschen hoffte. Wie seltsam und ungewöhnlich er auch unter dem stäten Erspähen erschien, so trat ihm doch das Außenleben näher, er ließ sich ein damit, und es wirkte langsam und still wohlthätig auf ihn zurück.

Die Baronin glaubte einen Umschwung in ihm bewirkt zu haben, und freuete sich der Gewalt[96] ihrer Worte. Doch zu klug, um durch voreiligen Triumph die Eitelkeit und den Eigensinn des Marquis zu wecken, sammelte sie im Stillen die Früchte ihres Sieges und war auch ihrer Seits leichter ums Herz.

So stand es mit allen Gliedern der kleinen Familie, als sie eines Abends bei der Baronin versammelt waren und heiter über ihre Zukunft sprachen. Der Marquis, überzeugt die Unruhen in Frankreich auf irgend eine Weise bald geschlichtet zu sehn, äußerte den Plan, den Winter über ruhig in Chambery zu bleiben, und dann erst zu bestimmen, ob sie nach Deutschland flüchten oder nach Frankreich zurückkehren wollten. Im letztern Fall, den Alle im Geheim als gewiß annahmen, erklärte er, daß er unverzüglich aus den Trümmern des eingeäscherten Schlosses ein neues, ganz im Plan des alten, erbauen werde, daß ihm die Stätte heilig, dieser Punkt auf der Erde durch Gesetz und Natur angewiesen sei, und er ihn auch, als die eigentliche Sphäre seiner Wirksamkeit, behaupten werde.

Die Baronin ward durch das Feuer seiner Worte an seine früheste Jugend erinnert, und glaubte um so fester, er wolle von Anfang herauf ein ganz frisches, sicheres Leben beginnen. Giannina bat Marien leise, sie ja nicht allein hier zurück[97] zu lassen, sie beschwor sie, in ihre Dienste treten zu dürfen, und beide schlossen ihren kleinen Kontrakt heimlich mit einander ab. Alexis saß auf der Thürschwelle, sang einige von Giannina aufgefangene Strophen, hielt ihre Mandoline zwischen den gekreuzten Beinen geklemmt, und stimmte und klimperte daran, bis endlich eine Saite unangenehm schrillend zerriß! Ha! schrie Antonie, was war das! sie war todtenbleich und zitterte heftig. Mein Gott! sagte die Baronin ungeduldig, was soll es sein! eine gesprungene Saite ist es, nichts mehr und nichts weniger! Mein armes Mädchen, setzte sie begütigend hinzu, wie magst Du denn gleich so erschrecken! Antonie faßte sich, die Baronin setzte sich zu ihr, und alle redeten nun freundlich über die Gewalt eines plötzlich hineinfallenden Tones, der selten der festeste Nervenbau ganz widerstehe. Auch ich, sagte die Baronin, erschrak, und mein kleiner Unwille galt meiner wie Deiner Schwäche. Und bei Lichte gesehn, fuhr sie fort, ist auch daran nicht so Großes zu tadeln. Wir wollen nun einmal von allem den Grund kennen; überrascht uns die Wirkung ehe wir die Ursach ahnden, so schneidet das in unsern Ordnungssinn, und wir schreien, wie bei anderm Schmerz! Darum ist uns Gott so oft ein fürchterlicher[98] Gott! Verständen wir ihn immer, er wäre in jedem Augenblick die Liebe!

Sie schwieg hier, eine neue Ideeenreihe war in ihr angeknüpft. Giannina aber schalt den Knaben, der, schon über Antoniens Ausrufung erschrocken, bitter weinte. Die Kleine versuchte, nicht ohne Unwillen, das zerstörte Instrument wieder in Ordnung zu bringen, als es an der Thür klopfte, und der Köhler mit einem langen, sehr bleichen, Mann in das Zimmer trat.

Es dunkelte bereits, und nur die Flamme im Kamin warf ein ungewisses Licht umher. Die Baronin trat einige Schritte vor, sah zweifelnd auf den Fremden, schlang dann heftig beide Arme um ihn, und rief ganz außer sich: mein Bruder! O Gott mein Bruder! Dieser zog sie ungestüm an sich, und sie im Arme haltend, warf er den Adlersblick auf die andern Gestalten umher, und maaß sie langsam erforschend. Nun Marquis! rief er, wir haben unsere Heldenbahn würdig geschlossen, wir können aufs neue Brüderschaft machen, denn beim Himmel! ein Meisterstück ist des andern werth! Wir geben der Welt ein Beispiel, was menschliche Klugheit ist! Wollen Sie sich gütigst erklären, unterbrach ihn der Marquis mit kaum noch gehaltener Heftigkeit. O ich bitte Sie, sagte der Herzog, nehmen Sie es ja nicht ernsthaft.[99] Mit dem Ernst ists vorbei, der lag in der Exposition der Tragödie, nun alles drunter und drüber geht, wirds komisch. Ich muß Sie bitten, deutlicher zu sein, wiederholte der Marquis. Ja, dann müssen Sie erlauben, daß ich mich setze, entgegnete jener, sich in einen Stuhl niederlassend, denn sehn Sie, ich habe meine gesunden Glieder dabei in den Kauf gegeben, wie Sie früher den gesunden Verstand! Herzog! rief der Marquis, das fodert Blut. Bewahre Gott, sagte dieser gelaßen, die Mühe, uns die Hälse zu brechen, können wir Andern überlassen, dazu hat man jetzt leichte Mittel, und ich weiß die Leute die Wege dahin zu führen. Ich brauche keine fremde Hülfe, schrie der Marquis, heftig auf ihn eindringend! Zum Teufel, sagte jener, ich kann mich jetzt nicht schlagen, und hielt ihm den linken Arm abwehrend entgegen. Alle sahen jetzt erst, daß er den rechten im Bande trug, und einer Ohnmacht nahe war. Die Baronin, aufs höchste erschrocken, that dennoch keine unnütze Frage, sagte nichts, die Gemüther zu beruhigen, überzeugt, daß sich alles von selbst machen müsse, und war nur bemühet, dem Bruder Hülfe zu leisten, als dieser erschöpft sagte: Beruhige Dich, Villeroi, ich will keinen Krieg mit Dir, Du hast im Tumult Deiner Sinne die Ehre rein erhalten, Du bist der Alte! braver Camerad[100] vergieb mir, mein düsterer Unmuth wollte sich Luft machen, gieb mir die Hand! wir sind nun Unglücksgefährten, wie wir sonst Kriegsgefährten waren. Du hast das Liebste, was Du auf Erden hattest, im Wahnsinn geopfert, ich habe eine unglückliche Freundin zum Schaffot geführt. Die Aebtissin – rief Antonie, – ja, sagte der Herzog, das Auge langsam auf sie hinrichtend, ich wollte geschickt und geheim ihre Freiheit sichern, ein unglücklicher Fehltritt des Pferdes stürzt dieses nieder, ich liege halbtodt am Boden, das Pferd rafft sich auf, fliegt im Gallopp mit dem leichten Karren über mich weg, lenkt in die große Straße, und führt das unglückliche Schlachtopfer den Bluthunden in die Hände. Pöbelhaftes Volk, das mit seiner Schande die Erde besudelt, fängt den Karren auf, die Aebtissin wird mißhandelt, nach dem nächsten Gerichtshofe geschleppt, und, ihrer Aehnlichkeit mit der Königsfamilie wegen, zum Tode verdammt. Ich erwache aus meiner Betäubung, unfähig mich zu rühren, Arm und Bein zerbrochen, zertreten, gequetscht, so liege ich, bis mich ein junges Weib, die des Weges geht, auf ihre Schultern ladet, und nach einer nahen Hütte schleppt. Unbeschreiblich ist's was die gute Seele an mir gethan hat, ihr Mann war ein Hirt, er heilte meine beschädigten Glieder. Kaum war ich im[101] Stande, zu gehn, so nahm ich meinen Wanderstab, ich zog Erkundigungen ein, erfuhr, wie mein unseliges Geschick die verfluchte That veranlaßte, und wollte mir nun den Sohn wenigstens aus dem Höllenpfuhl erretten, der stand vor Lyon, bei der Republikaner Armee. Ich bettle und schleiche mich bis einige Meilen davon; grade da geht der Troß der Königsgesinnten über, Toulon war auch erobert, viehischer Jubel schallt durch ganz Frankreich, ich muß mit jubeln oder mein Blut durch Henkers Hand verspritzen lassen; mein Entschluß war gefaßt, durch und durch krank, verzehrt von Wuth und Schmerz, schicke ich mich an, das Vaterland zu verlaßen, bei den Trümmern vom Schloß Clairval stoße ich auf André, Deinen Kammerdiener, er ist jetzt Kärrner und fährt Baumwollen-Waaren aus der Schweitz nach Frankreich, er kannte Deinen Aufenthalt. Ich bin nun hier; was weiter aus uns allen wird, ist Gott bekannt, hier können wir nicht bleiben, denn Savoyen wird in Kurzem aufs neue besetzt sein, und ich bin zum Tode müde!

Der Marquis, wie immer durch einen starken Anstoß aufgeregt, vom Anblick des ehemaligen Waffenbruders in die alte Zeit versetzt, fühlte seine Kraft im aufflammenden Ehrgefühl wachsen. Ist nichts, gar nichts mehr zu thun, rief er! Soll[102] Frankreich untergehn? Sollen wir Nahmen, Stand, Eigenthum, alles hinwerfen, und die Hände in den Schoos legen? Regt sichs nun? sagte der Herzog lachend, ja nun ist's zu spät! Ich habe meine Welt kennen gelernt! ich bin es müde, auf Worte zu bauen! In der Vendée da gab es Männer! und in Lyon! Was Menschen thun können, ist dort gethan! Ich habe lange unter den Vendéern gestritten. Es ist vorbei! Die Andern haben kein Mark, keinen Willen! Es ist unglaublich, wie sich Menschen über sich selbst täuschen! Auch die Guten! Bei unbezwinglicher Scheu vor dem Streit fühlen sie gleichwohl das Gebot der Ehre und peitschen sich mit Worten das Blut in den Adern hin und her, bis sie schon in Gedanken auf dem Schlachtfelde stehn, da träumen sie Thaten und schlagen uns ihr noch zu vergießendes Blut zu hohen Preisen an! Dabei bleibt es aber! Die abgenutzten Worte Freiheit und Ehre sind wie ein Feuerzeug ohne Stahl, sie geben kein Feuer und kein Mensch wärmt sich an einer Flamme, von der er nur reden hört! Der Marquis schwieg. Alle waren erschüttert, gestört. Antonie stand vor dem Herzog, jedes seiner Worte in sich hineinziehend. Die Baronin fühlte, daß niemand in diesem Augenblick gestellt sei, etwas Zweckmäßiges zu wollen, und für die Folge den Andern vorzuschlagen; sie[103] dachte daher an das Nächste, und hieß für jetzt die Andern auseinandergehn, einzig auf die Pflege und Erholung des Herzogs bedacht. Morgen, sagte sie, werden wir uns eher finden, und das Nothwendige thun, Heute hat keiner einen gesunden Willen. Es stößt sich alles wie im Fiebertraum aneinander, wir haben so viel in Kurzem erlebt, es kann noch nicht alles Platz in uns finden. Wir müssen es erst auseinanderpacken, und jedes an seine Stelle legen, dann kommt der vernünftige Entschluß von selbst. Gute Nacht also, Ihr Kinder, sagte sie, und winkte Allen, sie zu verlaßen.

Der Herzog ging mit dem Marquis, bei welchem er sich einquartirte, die Andern mußten folgen. Antonie allein blieb ganz still auf der Stelle stehn, wo der Herzog gesessen hatte, schien von dem Gebote der Tante auch nichts gehört zu haben, und nur als diese es wiederholte, ging sie schweigend in ihr Zimmer.[104]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 90-105.
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