Der Comthur an die Oberhofmeisterin

[74] Undankbare! Dies harte Wort, mit dem Sie die Tochter aus Ihren Armen lassen, möchte ich Ihnen zurückgeben.

Ja, Undankbare! können Sie es vergessen, daß Emma dem Leben gehört, dem Sie sie entgegen führen durften? Soll sie darum niemals allein stehen, weil Ihre Hand sie noch länger festhalten möchte?

Haben die Jahre Ihnen so viel von der Uneigennützigkeit früherer Liebe geraubt, daß Sie heute anders empfinden, wie in jener Stunde, da das schwankende Kind zum erstenmale dem Leitband der Wärterin entlief, und ein eignes, freies, kleines Wesen vor Ihnen stand, die gewonnene Kraft prüfend?

War sie Ihrem Herzen darum fremd, weil sie glücklicher war?

Und jetzt? – Gewiß, Sie haben Unrecht, großes Unrecht!

Wollten Sie es anders, weshalb überhaupt[74] die weltlichen Beziehungen? Warum bestimmten Sie die Tochter nicht für das Kloster, wenn Sie ihr Herz zu schön für den Wechseltausch menschlicher Empfindungen nennen?

Aber es schien Ihnen grausam, das junge Leben in der Knospe verhüllt zu lassen. Auch jetzt bin ich überzeugt, verwerfen Sie mit Abscheu den bloßen Gedanken daran. Nun, ich streite darüber nicht. Ich habe indeß die Ueberzeugung, daß der Mensch sich immer auf die eine oder die andere Art zum Opfer bringen muß. Thut er es nicht freiwillig, so zwingen ihn die Umstände, fremdes oder eignes Wohl, die Ruhe des Gewissens, oft auch der Ueberdruß des Lebens dazu.

Es ist nicht abzusehen, welchen von allen diesen Beweggründen die Ansprüche Ihrer Tochter werden erliegen müssen! Doch, es giebt überall nur einen Faden durch das Labyrinth des Lebens, und den muß ein jeder selbst finden. Fremde Brillen passen selten. Sie trüben nur den Blick.

Deshalb Geduld! liebe gnädige Frau. Geduld! Sie waren früher so eilig, das Verhältniß zwischen beiden jungen Leuten zu begründen, lassen Sie ihnen nun Zeit, in Harmonie mit der innern und äussern Welt zu treten.[75]

Ich würde mir selbst anmaßend erscheinen, wollte ich ein Urtheil über meines Neffen Charakter aussprechen. Die Elemente seiner Natur sind mir meistentheils fremd. Auf das erste Empfinden hin, scheinen alle zu verflüchtigt, um es in ihm selbst, bei der glücklichsten Mischung, zu irgend einer vollständigen Gestaltung der Ideen kommen zu lassen. Es zieht das beobachtende Auge in eine unermeßliche Weite hin aus, aber man findet keine Ruhestätte, um zu verweilen. So, sage ich, würde das Selbstgefühl, das eben kein Echo hier findet, sprechen. Doch das Selbstgefühl hat nicht mitzureden, wenn ein fremdes Bild in das Bewußtsein treten soll. Außerdem liegt eine schroffe Klippe zwischen uns. Er kann sie überfliegen, das traue ich ihm zu, allein, ob er mich dabei findet? ist eine andere Frage. Die Sonne hat bekanntlich allein die Macht, den härtesten Stein aufzulösen. So schmilzt auch nur die innere Sonne den Stein des Anstoßes weg! Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob solche Gluth Hugo's Seele ausfüllt? oder ob diese nicht leere und kalte Stellen birgt, in denen gerade wir beide zusammentreffen? –

Ich sage Ihnen das, gnädige Frau! damit Sie bei Zeiten meinen Einfluß auf Ihres Schwiegersohnes[76] Herz und Gemüth in das rechte Licht stellen, und hier keine Wunder erwarten.

Das ist überhaupt selten von großer Wichtigkeit, was ein Mensch vom Andern augenblicklich erwirbt. Und irre ich nicht, so wird Hugo in Allem sehr leicht nachgeben, doch nie ein Anderer sein.

Sie haben ihn gekannt, gnädige Frau, als Sie die Neigung der schönen Emma billigten. Wenn er Ursache giebt, Ihre Besorgnisse zu rechtfertigen, so bin ich hierbei doch gewiß außer Schuld.

Aber, weshalb auch Besorgnisse! Ist es jetzt auch schon Zeit dazu? Wir wollen keine andern hegen, als solche, die der Wandel alles Zeitlichen dem Nachdenkenden von selbst aufdringt, dann kommt man nie vom rechten Wege.

Es scheint mir gut, daß die jungen Leute sogleich eine kurze rasche Ausflucht in die Schweiz machen. Dies heimathlose Hinziehen durch unbekannte Gegenden, das Abreißen von allen Gewohnheitsbanden, die Einsamkeit in der Fremde führt näher zusammen, und schafft in dem, was die Seele gemeinschaftlich traf, einen eigenthümlichen Quell der Erinnerung. Man schöpft immer eine Weile daraus, und belebt in der Gegenwart[77] dasjenige, was diese anfangs einfarbig und unbequem erscheinen läßt.

Um indeß meinerseits auch nicht ganz müßig zu sein, habe ich gesucht, Emma eine heitere Geselligkeit für die, immer etwas trüben Herbsttage zu gewinnen. Das Haus der muntern Gräfin von Ulmenstein versammelt eine regsame, mittheilende und empfängliche junge Welt. Hier sind die blühenden Töchter des Hauses, und mit ihnen alles, was städtischer Verkehr an ihre Schritte bindet. Tanz, Musik, Conversation, Geist und Gefühl, kurz, das gute und richtige Gemisch übereinstimmender und widerstreitender Elemente, aus denen die Gesellschaft bestehen muß, soll sie überhaupt bestehen. Ich warf mich vor einigen Abenden, ganz meiner Gewohnheit entgegen, in das bunte Gewühl, und ward nicht unangenehm durch Fremdes und Neues, das mir entgegentrat, überrascht. Vorzüglich gefiel ich mir in der Unterhaltung mit der jungen Gemahlin unsers Freundes, des Präsidenten. Sie wissen, wie vielen Dank wir ihm in der Angelegenheit meines Neffen schuldig sind. Den Zutritt in seinem Hause nachzusuchen, schien mir daher für die Neuvermählten eine Pflicht, an welche ich gern durch die anziehende Einfachheit[78] und Grazie der schönen Frau erinnert ward. Sie stand in einem Kreise lachender und schwatzender Modepüppchen, unter denen sie sehr vortheilhaft, durch Gestalt und Wesen, hervortrat. Es war nicht Nachläßigkeit, nicht Absicht in Tracht oder Benehmen zu spüren.

Das frische, weiße Kleid, ohne entstellende Verzierungen, stand sehr wohl zu dem reichen, kastanienbraunen Haare, und dem reinen, tiefen Blick der schönsten blauen Augen, die je eine lange, dunkle Wimper beschattete. Als ich mich ihr nahete, trat sie mir zwanglos entgegen, empfing meinen Gruß, wie eine Schuldigkeit, und würdigte, was davon ihrer Anmuth galt, mit verständigem Gleichmuth. Sie hatte von dem jungen Paare, das ich ihr zuzuführen, um die Erlaubniß bat, gehört, sie fragte mit Theilnahme nach beiden, und zeigte sich, ohne affectirte Uebertreibung des Ausdrucks, bereit, ihnen den Eintritt in die fremde Welt zu erleichtern. Es liegt Natur und Wärme in ihrem ganzen Wesen, das ein feiner Geist, mehr unbewußt begleitet, als bewußt beherrscht. Wie sie ist, hat sie mir gefallen, auch genießt sie allgemeine Achtung, die weniger ihrer Stellung in der Welt, als ihrer[79] Person gilt. Irre ich nicht, so wird Emma in ihr eine Freundin finden.

Und nun getrost, gnädige Frau! lassen Sie dem Geschick ohne Zagen seinen Lauf. Es kehrt sich wenig an unsere Launen. Auf eine, oder die andere Art macht sichs immer wieder Bahn. Zuletzt sind wir mit allem Rennen und Laufen nicht weiter als zu Anfang, und bringen nur müde Füße mit nach Hause. Vergeben Sie es mir, wenn ich Sie hier frage, ob Sie jemals durch die Ausführung irgend eines Planes völlig befriedigt wurden? oder, ob Sie nicht über den Moment des Erlangens hinaus, lieber alles umgeworfen, und die Sache von neuem und anders angefangen hätten? Glauben Sie mir, Sie sind es nicht allein, es ist der Mensch überhaupt, der so empfindet. Wir kennen keinen Genuß. Was wir so nennen, ist nur das rothe Läppchen an der Angel, die uns fortzieht. Das Ziel thäte es, und nicht das Streben darnach allein.

Ich küsse Ihre Hände, und lege diese auf die Häupter Ihrer Kinder, daß Sie sie in Freudigkeit segnen mögen.

Ganz der Ihrige.[80]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 74-81.
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