Die Oberhofmeisterin an den Comthur

[57] Endlich ist die Entscheidung ganz nahe. In wenigen Stunden werden sie getraut. Dann sind die lang gehegten Wünsche erfüllt. Die unruhige Sorge findet ihr Ziel. Das Geschick muß seinen Gang gehen.

Zum letztenmale habe ich heute über meine Tochter bestimmt, für sie gedacht, gehandelt, ihren Willen gelenkt, wie es ihrem Vortheile, ihrer Zufriedenheit angemessen war. Von jetzt an nimmt ein Anderer, mehr oder weniger ein Fremder, das Band, an dem ich sie, ihr selbst unbewußt, leise führte, aus meiner Hand. Ich lasse es zu. Die Ordnung der Natur will es so. Alle Mütter machen spät oder frühe dieselbe Erfahrung. Aber gestehen Sie, daß man sehr resignirt sein muß, um sich ohne innere Verzweiflung, so gleichsam entfernt zu sehen.

Emma scheint glücklich. Ich sage scheint, denn was weiß sie, ob sie es ist. Mir erregt ihre Heiterkeit die unbezwinglichste Eifersucht. Ist es denn etwas anders als Wankelmuth, daß sie ihr Heil von einem ungekannten Verhältnisse erwartet, von dem sie sich weit eher abwenden, als darauf hinsehen sollte; da es sie von allem, was ihr werth und theuer sein muß, losreist.[57] Vielleicht kann man es ein Glück nennen, daß die Unerfahrne wie mit Blindheit geschlagen, nur von goldenen Ketten träumt, und so lange damit spielt, bis der Druck der Fessel ihr zur andern Natur geworden ist.

Wenn ich indeß einer Seits diese Täuschung segne, so drängt mich auch von der andern unendlich vieles, sie aufzuheben.

Um aufrichtig zu sein, Ihr Neffe selbst fordert mich dazu auf. Ihre Gunst hat ihn nicht liebenswürdiger gemacht. Jener Anstrich von Wehmuth, der sich früher so gut zu seiner Verlassenheit, und den anscheinenden Unbilden des Geschicks paßte, ist ein stehender Zug seines Temperaments geworden, und zu einer Art schmerzlicher Resignation ausgeartet, die ans Beleidigende gränzt.

Alles läßt er geschehen. Er selbst bestimmt nichts, als daß er Emma sogleich nach der Trauung auf eine Ausflucht in die Schweiz entführt. Denn nur darin, wovon er gewiß sein kann, daß es mir wehe thut, in dem allein ist er fest, und mit so viel abweisender Kälte unerschütterlich, daß ich aus Erbitterung schweige. Er übersieht meine Unzufriedenheit, wie er denn überhaupt auch Weniges zu sehen scheint, und[58] in schwärmerische Träume versunken, vor dem wirklichen Leben zurücktritt.

Die glänzenden Brautgeschenke, so blendend in ihrer Art, als geschmackvoll in der Wahl, läßt er in Emma's Zimmer tragen, ohne auch nur durch ein Wort seinen Antheil daran zu verrathen. Als das überraschte Kind ihm danken wollte, lächelte er, auf seine schwermüthige Weise, indem er halb spöttisch, halb mitleidig mit sich selber, sagte: »Ich habe kein anderes Verdienst bei der Sache, als daß ich des Oheims Befehle erfülle, indem ich Ihnen seine Gaben bringe. Von mir, fügte er hinzu, die Hand der Braut inniger als sonst wohl drückend, besitzen Sie nichts, als diesen schmalen kleinen Ring, zu dessen Anschaffung meines Vaters Erbe mir die dürftigen Mittel bot. – Wollen Sie mir indeß, lächelte er angenehm, einen Antheil an den Gaben des Reichthums gönnen, so sei es dieser: Ihre Freude darüber mitzuempfinden.«

Emma sieht nur das Liebenswürdige an ihm, was sie verletzen sollte, ist für sie nicht da.

Soll ich nun noch zweifeln, daß sie blind sei?

Sie wissen, ich habe diese Heirath nur gelitten, nicht gewünscht, noch weniger gesucht, und ohne die Dazwischenkunft der vermittelnden[59] Sophie, wäre die damalige Stockung bei Ihres Neffen Werbung, wohl ein ewiges Hinderniß jeder denkbaren Annäherung zwischen ihm und mir geblieben.

Sie haben dies Hinderniß vielleicht mit mehr großmüthiger Eile, als prüfender Besonnenheit gehoben. Ob Sie gut daran thaten? – Es ist nicht mehr Zeit, diese Frage aufzuwerfen. Indeß regt sie sich unwillkührlich in mir, je unaufhaltsamer der Zeiger meiner Uhr die Stunde näher rückt, welche durch unwiderrufliche Gelübde zwei Menschen an einander knüpfen wird, die nicht für einander geschaffen zu sein scheinen.

Wenn Sie mich über dies Geständniß tadeln, so denken Sie zugleich, wie groß meine Unruhe sein muß, da ich sie Ihnen nicht verbergen kann.

Sie hätten an diesem Tage nicht unter uns fehlen sollen. Ich begreife, warum Sie zurückbleiben. Gleichwohl werden Sie dem Kampfe auch in der Ferne nicht entgehen, dem Sie auszuweichen gedenken. – Sie gewinnen wenig, und schaden viel. Es hat etwas Unschickliches, daß der Mann, welcher bei Hugo Vaterstelle vertritt, sich in dem wichtigsten Lebensmomente von diesem[60] wegwendet. Ueberdem hätte Ihre Gegenwart vielleicht dazu gedient, den Jüngling aus seiner Traumwelt herauszureißen. Wir verstehen einander zu wenig, als daß ich gleichen Einfluß auf ihn ausüben könnte. Sophie ist auch unsicher geworden, sie weiß nicht, wie sie diesem besondern Charakter beikommen soll.

Und die zärtliche Emma würde wo möglich, noch unscheinbarer und anspruchloser zurücktreten, um nur keines der tiefsinnigen Gedankenspiele ihres erhabenen Freundes zu stören.

Wäre ihre Liebe weniger abgöttisch, hätte sie mehr Gefühl für ihre eigene Würde, ich könnte ruhiger über die kommenden Tage sein. Aber so!

Es schlägt zwei. Wir fahren nach dem Lustschlosse der Fürstin hinaus. Dort in der Kapelle werden sie getraut; dann besteigen beide den Reisewagen! – Es ist alles so abgerissen, so ohne fortgehende innere Begleitung! Einer treibt den Andern. Die Fürstin schickte schon zweimal. Ihre Gegenwart legt vielen Zwang auf. Vielleicht ist das gut so! Ich weiß es nicht! Ich weiß nichts! –

Ich lasse Sie jetzt. Mir schwirrt es vor den Augen. Man läuft hin und her durch meine Zimmer. Leben Sie wohl. Ich schließe.[61] Nichts mehr für heute! – Mir ist das Herz so voll. – Ein Wort noch, und es fließt über! – Gott befohlen! –


N. S.

Noch einmal öffne ich den Umschlag. Sophie hatte Emma geschmückt. Sie sank zusammen unter der Last der Juwelen, welche die Fürstin ihr anzulegen befahl. Der Kopf schmerzte sie, sie sah blaß aus. Ihre Augen waren trübe. Ich betrachtete sie voll unruhiger Theilnahme. Sie zitterte im vergeblichen Bemühen, ihre Thränen zurückzuhalten. Da öffneten sich die Thüren. Hugo trat mit einigem Geräusch herein. Aus der Hast, mit der er sich nahete, sprach die Besorgniß, zu spät zu kommen. Er äußerte dies auch. Seine schönen Züge waren ungewöhnlich belebt, den Schleier, der sich so oft über die dunklen Augen senkte, durchblitzten rasche und feurige Lichter Er sah sehr ungewöhnlich und imposant aus, in der reichen Uniform des Regiments, in welchem er ehemals diente. Der große Orden, den ihm der Fürst diesen Morgen sandte, glänzte stattlich auf seiner Brust. Emma war wie geblendet. Es durchzuckte sie feurige Ueberraschung. Sie hatte nun kein Kopfweh mehr. Leuchtend[62] vor Bewunderung, reichte sie ihm die Hand. Alle Unbequemlichkeit des lästigen Putzes ist vergessen. Sie sieht nichts als ihn in der Welt. Undankbare! – mußte dich Leidenschaft so zur Sclavin machen! Warum auch Leidenschaft, wo ruhige Neigung genügt, und dir die eigene Selbstständigkeit bewahrt hätte! –

Sie sehen, ich zögere in den Wagen zu steigen, die letzten Schritte zu thun, die der kurze Raum zwischen jetzt und künftig durchmessen soll. Alle warten, selbst die Fürstin! Ich halte Alle auf! O! könnte ich die Zeit aufhalten!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 57-63.
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