Elise an Sophie

[180] Mit Befremden werden Sie an dem Ortszeichen dieses Briefes meinen verlängerten Aufenthalt auf dem Lande sehen. Die vorgerückte Jahrszeit fand mich niemals hier. Es wäre auch jetzt nicht der Fall, hielt eine unvorhergesehene Geschäftsreise Eduard nicht von uns entfernt, wodurch ich Freiheit gewinne, über mein Gehen und Bleiben zu bestimmen. Sie wissen, liebste Sophie, ich reiße mich immer schwer von dem Orte los, wo ich eben bin. Im Frühling möchte ich die Stadt, im Herbst den lieben, wohnlichen Gartensaal mit seinem Kamine, die Blumen und Fruchtkörbe nicht verlassen. Ich kann Ihnen sagen, mir ist recht innerlich wohl, so hier zu sitzen, als brauche ich gar nicht aufzustehen, weder von Einpacken, noch Fortschicken der Wagen, noch von Reisen sprechen zu hören, und Stunden und Tage gehen zu lassen, ohne der Zukunft zu gedenken! Dazu nehmen Sie noch, daß ich im mindesten nichts an fröhlicher Gesellschaft einbüße. Meine Nachbarn[180] folgen meinem Beispiel. Die Eine aus Nothwendigkeit, die Andere aus Grille. Auf der Burg hält das Podagra den Comthur, die Pflicht ihn zu pflegen, die jungen Leute, zurück; in Ulmenstein erinnerte sich die Gräfin, daß man in England immer erst spät nach der Stadt zurückkehrt; zudem ist es pikant, sich erwarten zu lassen. Diesen Triumph vorzubereiten, bietet sie jedes Mittel auf, dem Rufe ihres Hauses noch an Glanz und erhöheter Fröhlichkeit das Wünschenswertheste hinzuzusetzen. Man jagt in ihrem Park, spielt Comödie, stellt lebende Bilder dar, sitzt in großen Kreisen und am gastlichen Kamin, und erzählt schauerliche Geistergeschichten bis in die Nacht hinein. Von fern und nahe strömen müßige, neugierige, oft lebensfrohe Genossen herzu. Es ist, ich versichere Sie, ein sonderbares, konfuses Treiben dort, das eben, in seiner Anarchie, etwas Berauschendes hat, und dem ich mich zu Zeiten gern überlasse. Einen seltsamern Contrast giebt es nicht, als wenn nun Einzelne, des ewigen Wirrwarrs müde, nach der ernsten Burg, oder mit dessen Bewohnern, hierher zu mir flüchten, wir zu zweien oder vieren in einem kleinen, geschlossenen Kabinet sitzen, die Welt drüben ganz vergessen, nichts wollen, als stilles Genügen im Beisammensein,[181] ruhigen Gesprächs, warme, beseelende Mittheilung. Und wie sich die Brust dann plötzlich erweitert, ein rascher Blitz das Gemüth trifft, und schnell ein Funke den andern faßt, bis alles hell und durchsichtig um uns ist! – O Liebe! – Oft noch spät, nach einem durchschwärmten Tage kommen wir Abends so zusammen. Dann ist es, als haben die wechselnden Berührungen von Aussen die Saiten in uns nur angeschlagen, damit ein lang verhaltenes, geheimnißvolles Echo die Töne schwer, aber tief zurückgebe, und so das Mißgestimmte in Akkorden zusammenfließe.

Vor Kurzem wohnten wir zu Ulmenstein einer Vorstellung des schwarzen Mannes von *** bei. Eines von jenen Theaterstücken, die am häufigsten auf Privat-Bühnen gegeben werden, und viel zu schwer für die augenblickliche Belustigung sind. Der junge Leontin, Sohn des Baron Wildenau, machte die Rolle des spleenkranken Engländers. Agathe hatte man zu seiner Gattin erwählt. Sie spielte maniirt, war mehr mit ihrer kleinen Person, als mit dem Charakter derjenigen beschäftigt, die sie vorstellen sollte, kurz sie war, was die meisten Püppchen, die man so figuriren läßt, zu sein pflegen. Dies stach auffallend, und nicht zum Nachtheile Leontins, gegen[182] dessen düsteres Spiel ab. Es lag erschütternde Wahrheit darin, und wenn er auch, wie nicht zu läugnen, den Ort, den Zweck, ja vielleicht den Gedanken des kleinen Drama ein wenig aus der Acht ließ, so weckte er auch dafür Empfindungen, die weit über den flüchtigen Zeitvertreib hinausgingen. Ich sah mir den Mann zum erstenmale genauer an. Er hatte sich uns früher mit nachläßiger Hingebung angeschlossen, doch meist nur den stummen Zuhörer bei unserer Unterhaltung abgegeben. Sein Wesen deutet auf Leerheit oder Zurückgezogenheit. Ich schwankte in meinem Urtheile, doch war ich geneigt, von Beiden etwas anzunehmen. Jetzt, auf den Brettern, schien er plötzlich den Ausdruck seines verhüllten Selbsts gefunden zu haben. Ich ward aufmerksam auf ihn. Den folgenden Abend trafen wir auf der Burg zusammen. Er hatte seinen schwarzen Rock nicht mehr an. Der hellfarbige Frack, nach englischer Sitte, mit weit über die Handknöchel hervorgezogenem Hemde, die künstlich gelegte, steife Cravatte, das bauschige Jabot, erinnerten an viele unserer maniirten Anglomen, und rief mir es zurück, daß man ihn allgemein in diese Cathegorie setze. Ich hasse ein für allemal jede Copie. Er mußte indeß die fremde Manier gut aufgefaßt haben,[183] wenn in seinem Spiel nicht eigenthümlicher Charakter lag. Ich brachte das Gespräch darauf. Hugo persiflirte das Stück. Wir sind selten einer Meinung. Ich wollte doch tiefere Anklänge darin finden. Leontin sagte wie gewöhnlich nichts. Als nun aber mein ewiger Widersacher mit vieler Laune einwarf, dieser Engländer sei, wie die meisten Figuren der Art auf unserer Bühne, eine Puppe, nach todten Formen gebildet, mit abgerissenen Lappen, schlecht abstrahirten Raisonnements ausgestopft, ein Ding, das sein Pensum hersage, und zuletzt durch eine unmodivirte Catastrophe zu einem stillen, guten Manne aus der bürgerlichen Welt gemacht werde: da wandte ich mich ärgerlich gegen Leontin, und rief ihn auf, ein Geschöpf der Phantasie zu vertheidigen, in das er sich so vollkommen hinein gedacht, das er verwirklicht habe.

Er blickte ein wenig finster auf, indem er ruhig erwiederte: »Nun, mein Gott, der schwarze Mann ist ein Sceptiker, der eine Seele hat, ohne sie zu fühlen, und plötzlich eine andere findet, durch die er zu sich selber kommt.«

Es war augenscheinlich, Hugo überraschte die Antwort. Er sah mich lächelnd an. War es nun, um Recht zu behalten, oder wollte er Leontin[184] leise verspotten, er fragte, ob er dem Schreckschuß zu guterletzt die Gewalt zutraue, eine, auf Grundsätzen basirte Sinnesart so mit einemmale, wie Spreu, zu zerstäuben? Er, seiner Seits, wittre hinter dem Knall und Dampf ein Leichenfeld aller Gefühle, und den wahren Tod, den man zum Scheintod habe machen wollen.

Leontin entgegnete mit mehr jugendlicher Wärme, als ich ihm zugetraut hätte: »Das Leben eines Menschen ist am Ende kein Pappenstiel! um es bei einem geliebten Wesen aufs Spiel gesetzt zu sehen, kann wohl erschüttern, und auf Gedanken bringen, die man früher nicht hatte.«

Er erzählte hierauf, nach einer kleinen Pause, wie er im nördlichen England einem Manne begegnet sei, welcher durch völlige Entäußerung alles selbstbestimmten Handelns, den Anstrich des Wahnsinnes bekommen habe, ob er gleich, in jeder andern Beziehung, einen klaren, folgerechten Geist bewährte. »Dieser Sonderling,« fuhr der Baron fort, »kam und ging wie Jemand, der ohne Zweck des Daseins lebt. Er verlangte weder Speise, Trank noch Ruhestätte, genoß indeß, was man ihm bot, ohne Widerstand, wie ohne Verlangen. Im Mittelstande geboren, hatte er sich früher als Rechtsgelehrter sehr ausgezeichnet,[185] doch irrte er schon lange geschäftslos umher. Die welke Hingebung seines Wesens, der nachläßige Anzug, das Willenlose bis in die geringste Lebensanforderungen, bildete einen räthselhaften Contrast mit dem großen, feurigen Auge, einer blühenden Gesichtsfarbe, und raschen, oft launigen Ergüssen des Witzes. Man war verlegen, ob man den Mann für krank, oder absichtlich maniirt halten sollte? Allein, weder von dem Einen noch dem Andern ließ sich eine Spur entdecken.

Ich ward,« setzte der Baron seine Erzählung fort, »durch diese originelle Erscheinung an der Wirthstafel eines kleinen Städtchens lebhaft angezogen. Täglich sah man hier den Gegenstand so mancher unstatthaften Vermuthungen, in Gesellschaft eines, ihm auf Leib und Leben ergebenen Freundes, wiederkehren. Denn Letzterm schien daran gelegen, seinen Schützling allmählig in mannigfachen Beziehungen einzuspinnen, woraus er ein Gewebe unbestimmter Anregungen, in Gedanken entstehen und den trüben Wahn des Gemüthskranken schwinden sah. Er ließ dies mehr durch sein Benehmen, als durch unmittelbare Aeusserungen abnehmen. Er vermied im Gegentheil alles fremde Zudringen. Man hörte[186] ihn immer nur ausweichend über den Freund reden. Was er indeß auch hoffte, und wie er die Erfüllung vorbereitete, es sollte anders kommen.

Eines Tages, als die Tischgenossen länger wie gewöhnlich beisammen blieben, viel erzählt und viel getrunken ward, ohne gerade sonderlich auf ein starkes Gewitter zu achten, das über den Ort hinzog, fuhr plötzlich der Blitz nieder, und zündete in seinem unzuberechnenden Laufe an zwei Stellen des leicht, aus Fachwerk erbauten Hauses. Dampf und Geschrei, das Brausen der Flamme, so wie die Furcht vor ihrer Annäherung, jagten die Sorglosen von ihren Plätzen auf. Es stürzten alle durch einander hin. Man ergriff, faßte, was zu retten stand, mindestens sich selbst, da bald jeder Einzelne hier bedroht war. Den Advokaten hatte man im ersten Wirrwarr gleich vermißt. Sein Freund glaubte jedoch ihn an seiner Seite zum Hause hinausgehend, gesehen zu haben. Er rief ihn deshalb mit lauter Stimme; da jener aber keine Antwort gab, wandte sich der Erschrockene wiederum nach der Brandstätte. Hier prallte er vor der Gluth des zusammenstürzenden Gebäudes zurück. Das ganze Haus lag in schwarze Rauchwirbel verhüllt, zwischen denen Funken[187] und Flammen in wilder Wuth prasselten. Ein kürzlich vollendeter Anbau von massivem Mauerwerk, in welchem sich das Eßzimmer befand, war freilich durch davorstehende Bäume geschützt, und bis jetzt ziemlich außer Gefahr geblieben. Allein, den Weg von Innen dahin zu betreten, lag außer dem Bereich denkbarer Möglichkeit; denn ward auch allenfalls durch den Garten der schmale Hof erreicht, in welchen die Fenster des neuen Flügels hinausgingen, so durchdrang die innere, wachsende Hitze doch den engen Raum schon in solchem Maaße, daß der Vorrath aufgestapelten Brennholzes, welcher sich hier befand, durch ein inneres Knistern und Dampfen, das nahe Losbrechen der Flamme nur allzu furchtbar verkündete, weshalb sich denn auch Niemand mehr mit Löschgeräth hierher wagte, aus Furcht, in dem Dunste zu ersticken. Alles dieses hielt indeß den treuen Freund nicht zurück. Mit einer niedern Gartenleiter versehen, drang er glücklich bis zu der Fensterbrüstung des Gemaches, in welchem er den Vermißten zu finden hoffte. Die Mauer glühete wie eine Feueresse, alle Scheiben waren bereits gesprungen. Der heldenmüthige Mann glaubte mitten in Flammen zu stehen. Dem ungeachtet gelang es ihm, jedem Hindernisse zu[188] trotzen. Er war jetzt mitten im Saale. Seiner kaum noch bewußt, fiel gleichwohl sein erster Blick auf den ruhig dasitzenden Advokaten, der ihn verwundert anstarrte.

›Um Gottes Willen,‹ rief der Eintretende, ›was machst Du hier? Geschwind, besinne Dich nicht lange! Folge mir, sonst sind wir beide verloren!‹

Der Andere winkte abwehrend mit der Hand. ›Geh!‹ bat er, ohne sich von der Stelle zu rühren, ›geh! ehe es zu spät wird! Mich laß hier,‹ setzte er hinzu. ›Ich entfliehe dem Verderben nicht, glaube mir, am wenigsten, wenn ich dabei thätig sein wollte.‹

›Thorheiten!« versetzte jener, ›ist es jetzt Zeit, albernen Grillen Raum zu geben?‹

Mit diesen Worten umschlang er den willenlosen Träumer, riß ihn vom Stuhle auf, schleppte ihn zum Fenster, und ohne die kreisenden Funkenwirbel zu achten, die jetzt den Hof erfüllten, ohne die prasselnden Holzhaufen zu fürchten, bestieg er die Leiter, den Advokaten auf dem Rücken tragend. Doch, kaum hatte er die ersten Sprossen betreten, so fühlte er sich unter seiner Last erliegen, er schwankte, die Gluth um ihn her raubte ihm die Besinnung, er widerstand einem[189] jähen Schwindel nicht, der ihn und den unglücklichen Freund mit einem fürchterlichen Fall zu Boden stürzte. Der Advokat fiel auf seinen Retter. Einen Augenblick harrte jener, was nun geschehen würde? Da aber der Andere kein Zeichen des Lebens gab, so durchzuckte die entsetzliche Ahndung der Wahrheit den Kranken. Er sprang empor, umfaßte und trug seinen Wohlthäter durch den Garten, über die Straße, zu seinem Hause hinein, rief Aerzte herbei, ordnete mit kluger Besonnenheit jedes erdenkliche Rettungsmittel an; nichts lähmte seinen Eifer, selbst der niederschlagende Ausspruch des Arztes nicht, der alle angewandte Mühe für vergeblich erklärte. Noch einmal schlug der treueste der Freunde die Augen auf, ein kurzer Kampf vollendete das Opfer seines Lebens.

Jedweder zitterte nun für das Geschick des Zurückbleibenden. Laut weinend stand dieser am Grabe des Einzigen, der ihn so geliebt. Als die herabrollende Erde jetzt die Gruft füllte, ein kleiner Hügel die Stelle bezeichnete, seufzte der Advokat tief, sein dunkles Auge lag fest am Boden. Träumerisch sagte er nach einer Weile: »So oder so! Es ist alles Eins! Man muß, was man soll! O!« rief er plötzlich mit dem[190] Ausdruck des bittersten Schmerzes: »Sei ruhig, lieber Freund, da unten in Deinem Bette, ich will, ja ich will arbeiten hier auf Erden, vielleicht erliege ich wie Du, Unvergeßlicher!«

Er hielt in so weit, was er versprochen, daß man ihn von jetzt seinen früheren Beruf mit Eifer erfüllen sah. Noch in den ersten Tagen heftiger Erschütterung theilte er mehreren neugewonnenen Bekannten den Grund seiner frühern Seltsamkeit mit. Schon als Kind hörte er seine Wärterin sagen: »Was der anrührt, zerbricht.« Sie hatte recht, deshalb schmerzte es ihn. Er ward ängstlich. Spielte er mit den Geschwistern, so traf er wohl Diesen unglücklich mit dem Balle ins Auge, oder stieß im Laufen einen Andern, daß er fiel, und sich verletzte. Bald verlor er die Lust am Spiel. Zurückgezogen und einsam, lernte er aus Langweile mehr, als die Gefährten. Weniger zerstreut als sie, vergaß er selten das Erlernte.

Das blieb nicht unbemerkt, allein es diente nur, seine Mitschüler zu beschämen. Eifrige und lebhafte Lehrer thaten das oft schonungslos. Der Träumer, den Niemand leiden mochte, ward vollends verhaßt. So fühlte er nur Qualen in dem, was Andere erfreut hätte.[191]

Als er die Universität von Cambridge bezog, war er mit den glänzendsten Zeugnissen ausgerüstet. Er wagte nur schüchtern davon Gebrauch zu machen. Die Art seines Benehmens dabei theilte sogleich die Meinung über ihn. Er stellte sich, und stand unbestimmt. Spott über den linkischen Neuling konnte nicht ausbleiben. Er ertrug das, so lange es zu ertragen war. Dann folgten ernste Händel. Er focht sie glänzend aus, allein auf Kosten eines bildschönen Jünglings, den er durch einen Hieb übers Gesicht für die Zeit seines Lebens entstellte. Jetzt war es vollends um seinen Ruf gethan. Man beschuldigte ihn, den Streich absichtlich so geführt zu haben. Dies verwundete seine Seele mehr, als Alles Vorhergehende. Er verließ Cambridge.

Gleichwohl konnte es bei seinen Kenntnissen nicht fehlen, daß er schnell in seiner Bahn vorrückte, und in Amt und Wirksamkeit trat. Von der übrigen Welt zurückgezogen, weihete er sich nun ganz seinem Berufe. In Kurzem hörte man seinen Namen bei Lösung verwickelter Rechtshändel mit Achtung nennen. Vorzüglich gewann ihm die Entscheidung eines vieljährigen Prozesses allgemeine Aufmerksamkeit. Allein, eben der Ausgang desselben füllte seine Brust mit Kummer,[192] denn indem er dem lang bestrittenen Rechte alle Gültigkeit verschaffte, und es siegreich aus dem Labyrinth unzähliger Irrungen hervor hob, führte er nur den Sturz einer angesehenen Familie, ja den Selbstmord ihres gesunkenen Oberhauptes herbei. Der Advokat schauderte vor dem Antheil, den sein unseliges Mitwirken in der Sache hatte, und als ein Jahr später eine jugendliche Verbrecherin, durch ihn zum Bekenntniß ihrer Schuld gebracht, der gerichtlichen Strafe überliefert ward, traten die prophetischen Worte der alten Wärterin: »Was der anfaßt, zerbricht!« wieder in seine Erinnerung.

Er beschloß, dem feindlichen Geschick ein Ziel zu setzen. So ward er ein müßiger Grübler, zuletzt ein Automat aus Grundsatz. Er glaubte abwenden zu können, was überwunden sein will.«

Leontin schwieg. Hugo war indeß leise mit gesenktem Haupte im Zimmer auf und abgegangen, ohne uns in seinen Mienen den Antheil lesen zu lassen, den ihm diese sonderbare Erzählung einflößte. Jetzt stand er still, sah auf, indem er Leontin fragte: »Und hat er es überwunden?«

»Ich denke ja!« war die Antwort. Hugo schüttelte den Kopf. »Ich fürchte Nein,« entgegnete er. »Rufen Sie sich nur zurück, was ihm[193] unbewußt am Grabe des Freundes über die Lippen flog, das war die innere Anschauung seiner Bestimmung. Wem die einmal klar ward, der ist nicht mehr zu täuschen. Der Mann wußte auf ein Haar, was er zu erwarten hatte, verlassen Sie sich darauf. So oder so! Es ist alles Eins! –«

Emma heftete einen sonderbar fragenden Blick auf ihn.

Liebste Sophie, vergeben Sie mir meine Offenheit; allein diese Frau sieht zuweilen so verwundert und fremd in Dinge hinein, als wäre gar kein Schlüssel in ihr, zu den Räthseln eines großartigen Charakters. Ich weiß nicht, ob Hugo dieselbe Empfindung hatte, allein er mied jetzt ihr Auge, das ihn nicht verließ. Anders war es mit Leontin. Dieser saß mit untergeschlagenen Armen der schönen Frau gegenüber, ohne Theilnahme für das, was fernerhin gesprochen wurde, ganz versunken in Gedanken, welche eine innere Verwandtschaft mit dem haben mußte, was Emma's Seele beschäftigte, denn, ob er gleich nur flüchtig, und wie unter melancholischen Wolken, aufsah, so verrieth doch sein Gesicht, was in ihm vorging. Es ist nicht zum erstenmale, daß ich diese fliegende Schatten von ihm zu ihr hinübergleiten[194] sehe. Ich weiß nicht, weshalb mich das so erschüttert? Auch jetzt. Allerlei Gedanken schwirrten mir zugleich durch den Sinn. In einer Art Verlegenheit, in die ich wohl gerathe, wenn das Gespräch plötzlich stockt, trat ich zum Clavier. Erst schlug ich auf gut Glück einzelne Töne an, dann spielte ich die Melodie von Göthe's Fischerliede. Hugo setzte sich zu mir. Er hat eine volle, schöne Stimme, ich höre ihn gern, und ließ mir seine Begleitung gefallen. In den Worten:


»Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,

Da war's um ihn gescheh'n;

Halb zog sie ihn, halb sank er hin,

Und ward nicht mehr geseh'n«


lag seine ganze Seele. Ich sah eben bei der letzten Strophe zu ihm auf. Er war ungewöhnlich bewegt. Mir ward auf einmal klar, wie er dürste, sich mit einer unbekannten Gewalt zu messen, wie geisterhaft ihn diese locken, und was er thun und leiden könne, um sich nur selbst in dem erhöheten Gefühl zu entgehen.

Sophie! mich dauert jeder, dem man Fesseln anlegt. Dieser, vor vielen Andern, war es werth, frei zu bleiben.

Ich schüttelte unwillkührlich den Kopf, als das Lied geendet war. Er bog sich näher zu mir,[195] indem er leise fragte: Ob ich ihn auch mißverstehe, wie die Meisten, auf deren Gesichter er nichts als tadelnde Verwunderung lese?

»Was kümmert Sie die Meinung Anderer?« entgegnete ich rasch. »Sie achten Niemand genug, um viel auf ein Urtheil zu hören.«

»Sie thun mir wehe,« entgegnete er verletzt. »Ich bin nicht starr und dünkelhaft, glauben Sie mir. Wie ich mich zu den Menschen stelle, so stehen gemeinhin alle, ohne es zu wissen. Ihr eigentliches Selbst bleibt ein unenthüllbares Geheimniß. Der Schleier zerreißt nur durch den zündenden Blitz zusammenfallender Gefühle. Der Blitz« – – – er hielt inne. Ich mochte nicht weiter in ihn dringen. Sein Herz lag ihm schon auf der Zunge. Solch ein Vertrauen, das geahndete Mißverhältnisse zwischen zwei gleich lieben Menschen ausspricht, ist um so peinlicher, wenn, wie hier, der Druck gerade von der Seite am stärksten empfunden wird, wo mit der größten Kraft auch die Fähigkeit liegt, ihn abzuschütteln. In solchen Fällen ist das Wort schon halbe That, und wenn diese auch nicht ausbleiben wird, so mag ich auf keine Weise Theil daran haben.

Ich war aufgestanden, ich wollte fort, mir war es entgangen, daß Sturm und Regenwetter[196] die Nacht undurchdringlich machten. Ich mußte endlich darein willigen, den morgenden Tag auf der Burg abzuwarten. Leontin ließ sich indeß nicht zurückhalten. Er bestieg, trotz des wilden Aufruhrs der Elemente, sein Pferd. Wir Alle traten ans Fenster, und baten ihn, umzukehren. Er entgegnete wenig, grüßte, und ritt seines Weges. Wie er sich so unter dem heftigen Regen, der zwischen den Bäumen herabfiel, allmählig in den schwarzen Hintergrund der Bergwände verlor, ließ er mir ein undeutliches, unbequemes Gefühl zurück. Mir ward beklommen, wie bei einem angekündigten Geheimniß, dessen Bedeutung man noch nicht kennt. Ich weiß nicht, wie dieser eintönige Mensch so schwere und tiefe Klänge in der Seele anschlagen kann! Alles dies irrt und quält mich in seiner Nähe, und doch möchte ich ihn in unserm Kreise nicht missen.

Den andern Morgen schien die Sonne hell in mein Zimmer. Alle träumerischen Grillen waren wie verflogen. Ich lachte mich aus, eilte in das Frühstückzimmer, und wollte nun alles Ernstes machen, daß ich nach Hause käme. Es war indeß hier leer. Ich suchte Emma. Man wies mich nach dem Thiergarten. Ich sah sie schon[197] von ferne, zwischen den entlaubten Bäumen, in einen grauen Mantel gehüllt, einsam stehen. Gemächlich kamen jetzt zahme Hirsche und Rehe aus dem Dickicht auf sie zu. Sie naheten ihr, und standen nun scheu und erwartend da, bis sie die Hand nach einem Gefäß ausstreckte, was eben ein Jägerknabe brachte. Jetzt drängte das Wild sich in dichten Rudeln um sie her. Sie streute ihnen Futter in kleine, zu dem Ende angebrachte Krippen. Der Knabe ging, da sein Geschäft abgethan war. Emma blieb, an den dunklen Stamm einer Eiche gelehnt, allein zurück. Sie hatte noch ihre Lust an den Thieren. Doch lag etwas in ihrer Stellung, in dem winterlich verödeten Hain, ja, in dem Gedanken, daß sie hierher ihre Liebe tragen müsse, was mich unbeschreiblich rührte. Mir fiel allerlei Trauriges, alte Mährchen, das Gedicht der Genovefa ein, ich flog auf sie zu, ich schloß sie in die Arme, mir traten Thränen in die Augen, sie verstand meine Rührung nicht, ihr Wesen ist ruhig, doch gefühlvoll, so drückte sie mir die Hand, und ohne mich um das zu befragen, was ihr auffallen mußte, begleitete sie mich nach dem Schlosse. Mit uns zugleich nahete sich Hugo diesem. Er kam von der Jagd. Mehrere Jäger[198] folgten ihm. Sie gingen den jenseitigen Rand des Burggrabens entlang. Als uns der Graf gewahr ward, gab er Flinte und Jagdtasche weg, und sprang mit großer Leichtigkeit über den Graben. Emma erschrack, die Jäger murmelten beifällig, Hugo lachte, als ich ihm vorwarf, uns um eine coquette Bizarrerie willen beunruhigt zu haben. Er mochte sich getroffen fühlen, denn er ließ es hierbei bewenden, ihm lag etwas Anderes im Sinn. Durch Jagdlust und Morgenfrische angenehm erregt, hatten sich ihm allerlei belustigende Bilder erzeugt. »Wir sollten,« sagte er, »das Leben in Ulmenstein einmal durch phantastische Zwischenspiele auffrischen. Mir ist eingefallen, die Neigung der Gräfin fürs Theater auf andere Weise zu benutzen. Wie wäre es, wenn sich eine muntere Gesellschaft vereinte, unerkannt, unter der Firma einer reisenden Schauspielertruppe auf dem Schlosse Zutritt zu suchen, und irgend eine wirkliche Posse auf das dortige Theater brächte?« Mich ergötzte der Einfall, ich stimmte ihm fröhlich bei. »Was sagen Sie zu einzelnen Scenen aus dem Sommernachtstraum von Shakespeare?« fragte er, ganz mit seinem Plane beschäftigt. »Es ist gerade so viel Spaß dabei, um zu belustigen, und mehr Tiefsinn,[199] als die Seele tragen kann, wenn sie nicht Spott damit treibt.«

Wir waren bald einig. Der Morgen verfloß unter Entwürfen, Vorkehrungen und all dem Unterhaltenden, was der Verwirklichung eines Projectes vorangeht. Wir hatten beschlossen, zuerst die plumpen Gesellen in der Probe des Pyranus und Tisbe auftreten zu lassen, und dann die Elfenscenen zwischen Oberon und Titania, sammt der Bezauberung Zettels folgen zu lassen. Die Aufgabe war nicht klein. Doch, einmal mit dem Gedanken vertraut, übernahm ich es, die zierlichen Geister zu suchen, und für unsern Zweck zu gewinnen. Emma lächelte über meinen Eifer. Darauf fragte sie, ob mir nicht etwas unheimlich bei einem Spiele sei, das fast zu schauerlich die Täuschbarkeit des Herzens verhöhne? »Weshalb?« fiel Hugo rasch ein, »es giebt keinen köstlichern Spiegel, als die Ironie. Wo alles auf dem Kopfe steht, nimmt man es mit sich selber nicht allzu genau.«

Emma entfärbte sich. »Es ist nur ein Glück,« hob sie nach einer Weile an, »daß zuletzt ein zärtlicheres Empfinden ausgleicht, was muthwillige Neckerei verwirrte.« »Wer weiß,« lachte Hugo, »hat der schlaue Oberon nicht dennoch[200] einen trügerischen Frieden geschlossen; in dem Falle wäre der letzte Betrug der ärgste!« »Wie meinst Du das?« fragte Emma. »Nun,« entgegnete er, »daß im Gelingen oft das Mißlingen liegt.« Sie sah eine Weile nachdenkend vor sich nieder. »So gäbe es keinen Faden aus dem Labyrinth der Träume,« seufzte sie. »Der eine straft nur den andern Lügen, und Wahrheit –« »Ist der Stein der Weisen,« ergänzte Hugo, ihre Hand ergreifend, »wir suchen alle darnach, mein Kind! –« Sie schüttelte den Kopf. Nach einigen Augenblicken verließ sie das Zimmer. Mich dünkte, ihre Augen waren feucht. Es that mir wehe. »Sonderbar,« rief der Graf, »Hausfrauen haben jedem luftigen Spinngewebe, auch dem der Phantasie, den Tod geschworen. Sie stoßen gleich mit einer handwerksmäßigen Waffe dagegen. Ihr Nützlichkeitsgefühl leidet gar zu sehr, daß sich aus den Fäden nichts Haltbares drehen und weben läßt!«

»Das ist freilich ein entsetzliches Unrecht in den Augen derer,« rief ich aus, »die sich nicht gern halten lassen, und so auf den Wechsel gestellt sind, daß ihnen der geordnete Sinn und das beständige Herz untergeordnete Gaben dünken, über die sie lustig hinfahren können!«[201] Hugo sah mich überrascht an. »Elise!« sagte er leise. Es lag etwas Geheimnißvolles in dem gedämpften Laute seiner Stimme. Ich wollte lachen, um meine Bewegung zu verbergen, aber ein Blick auf ihn nahm mir den Muth. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, was aus seinen Zügen so ängstigend und rührend zugleich sprach. Ich mochte nicht dabei verweilen, ich flog zu Emma. Die liebe Frau! – Gewiß, Sophie! sie ist bei alledem ein Engel. Wäre ich an ihrer Stelle! – Mein Gott! welch ein toller Gedanke! –

Leben Sie wohl! Ich will nun den ewig langen Brief schließen. Noch einmal, leben Sie wohl, liebe Sophie! Ich habe oft die lebhafteste Sehnsucht, Sie zu sprechen. Wären Sie doch hier! Zuweilen komme ich mir ganz verlassen vor. Ich werde verstimmt, schwermüthig, es liegt mir wie eine Schuld auf der Brust, und doch weiß ich nichts, was ich mir vorwerfen sollte.

Kommen Sie bald, recht bald zurück! Sie haben unrecht, um einer Einzigen willen, Alle, die Sie lieben, zu vergessen. Erwägen Sie das wohl, Sophie![202]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 180-203.
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