Der Geistliche an Leontin

[212] Das Vertrauen eines Menschen ist ein unschätzbares Gut. Er giebt sich uns in diesem überströmenden Augenblicke selbst. Das will viel sagen. Solch Geschenk kann nicht bescheiden, nicht berücksichtigend genug angenommen werden.

Aus diesem Grunde allein, mein würdiger und verehrter Herr Baron! ließ ich Ihren schönen, rührenden Brief bis heute unbeantwortet. Wäre ich unmittelbar meinem Herzen gefolgt, ich hätte Ihnen gleich gesagt, was dieses durch und durch erschütterte. Wäre ich späterhin meinem Kopfe gefolgt, ich hätte mehr und anderes gesagt, und doch wohl nicht das Rechte.

Heute will ich nun nichts, als Ihnen danken, Sie um Vergebung bitten, und mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich lieber schweigen, als zur unrechten Zeit reden mochte. Der Grund meiner größern Zaghaftigkeit lag wohl hauptsächlich darin, daß ich vor nicht allzu geraumer Zeit erst von[212] der Nutzlosigkeit warnender Worte eine traurige Erfahrung machen mußte. Wo das Gefühl vorwaltet, verletzt jeder Laut, der diesem Gefühl Einhalt thut. Es ist gewiß nichts schwerer, als hier den rechten Ton zu treffen.

Eine Aeußerung Ihres geehrten Schreibens getraue ich mir gleichwohl aufzunehmen, und was ich darüber denke, frei auszusprechen.

Es betrifft die Selbstwahl der Buße, und den Loskauf der Sünde durch Opfer. Sie bestätigen Ihre Ueberzeugung, mein Herr Baron! durch den Entschluß, der Welt, wie dem äußern Wirken in dieser, entsagen, auf jedes Vorrecht größerer Freiheit, auf häusliches Glück, auf Familienfreude verzichten zu wollen. Sie entwerfen den Plan einer heiligen Stiftung, Sie denken sich der kleinern, enger erwählten Gemeine anzuschließen, und im Verborgenen das heilige Licht der Verklärung ruhiger und reiner wirken zu lassen.

Es soll gewiß Punkte auf den vielbewegten Planeten geben, die dem aufwärtssteigenden Strahl des Gedankens Schutz, der Zusammenziehung der Lichtstoffe Stille, ihrer Rückwirkung auf die Erde Raum sichern. Es liegt jedem[213] ob, diesen Punkt nach dem Maße seines Dafürhaltens zu suchen. Niemand möchte dem Andern füglich sagen: »Hier ist er!« Die innere Freiheit findet demnach ihre schönste Beglaubigung in dieser Wahl.

Sie, mein Herr Baron! hoffen gefunden zu haben, was Ihrem Streben nothwendig dünkt. Die Ertödtung der Wünsche, die Abgezogenheit des Blickes, die Scheidung von dem Ehemals und Jetzt.

Nun, Schmerz und Verzweiflung waren die Pförtner zu diesem Asyl! Möge sanfter Trost Ihr Begleiter darin bleiben!

Sie erwarten das wohl gewiß. Weshalb aber, wenn ich fragen darf, nennen Sie denn Buße und Opfer, was eher Lohn des 7Sieges und Frucht höheren Genusses heißen sollte?

Ich denke, wenn dies anders in meiner Macht steht, mir Ihren Zustand, wie den eines Menschen, der auf der großen Heerstraße von Räubern angefallen, geplündert ward, diesen entflieht, einen verborgenen Pfad entdeckt, ihm folgt, ein heimlich, stilles Thal erreicht, erschöpft auf seine Kniee sinkt, und zum erstenmal aus tiefer Brust ruhig aufathmet: »Hier ist Sicherheit!«[214] Mit gehobener, dankerfüllter Seele seufzt er dann: »Hier will ich leben und sterben!«

Erschrickt er vielleicht dennoch, nachdem er das rasche Wort gesprochen! Bedenkt er, daß das Leben lang, das Sterben fern sein könne! Treten die Bilder theurer Verlassenen, die Erinnerungen alles dessen, was dunkle Thalwände, starre Felsen, dichte Waldungen ihm verdecken, vor das innere Auge, und empfindet er das lastende Gewicht voreiliger Entschließung! was macht er länger hier? Was bürdet er sich im eitlen Selbstgefühl das willkührliche Opfer auf? da er wohl nur nicht stark genug ist, das über ihn Verhängte, der Armuth und Entbehrung, nach dem Verlust seiner liebsten Güter, zu ertragen? Denkt er diese Schwäche da, wo ihn nichts demüthigt, nichts mit falschem Besitz neckt, abzubüßen? Und vergißt er die schönere Buße, für Andere freudig dulden zu können? Was heißt es überhaupt, sich selbst eine Buße auflegen? Ich bekenne, dies nicht ganz zu fassen. In wessen Dienst steht man auch da? Wer den Befehlen seines Herrn gewärtig bleiben will, der macht sich nicht viel unnütz zu schaffen.

Sie fürchten, mein junger, gewissenhafter Freund! die Frau Gräfin allzusehr geliebt, die[215] beherrschende Neigung nicht genug gezügelt zu haben? Nun, sie ist nicht mehr unter uns, die Sie fliehen. Durch sie kommt Ihnen da länger keine Gefahr. Wenn es nun aber gerade das wäre, was Sie hinaustriebe? Wenn Sie die verlorne Geliebte ungestörter, eigner wiederfänden, wohin Sie in schüchterner Reue zu fliehen gedenken? Vergessen Sie denn aber Ihren alten, einsamen Vater, den Beruf des Standes, das Gebot menschlicher Verhältnisse, die Gott geordnet, die der Erlöser alle geheiligt, alle geweiht hat?

Einen Orden wollen Sie auf der Stelle stiften, die Ihre leidenschaftlichen Thränen Tag und Nacht fruchtlos benetzen? Hier, wo Ihnen das Nichtige des irdischen Daseins so schreckend entgegen trat, hier wollen Sie die Bande brechen, die Sie an dies Dasein knüpft? Aus der vernichteten Welt soll Ihnen die neue aufgehen, und warnend und beschüt zend gedenken Sie unerfahrne Jünglinge vor den Täuschungen zu bewahren, denen Sie fast erlegen wären?

Wie sind Sie denn aber eigentlich getäuscht worden? Was haben Sie verloren, wenn Sie nichts besitzen konnten?[216]

Mich dünkt, eine schöne, menschliche Liebe heilige uns die Menschheit aufs Neue, und die Welt, zu welcher das theuerste Wesen in unzerreißbaren Beziehungen stand, müsse uns theuer bleiben. Sollte man eine Ewigkeit in der Brust tragen können, und überall nur das Endliche empfinden? Ich würde für die geträumte Ewigkeit zittern, oder viel für das Endliche hoffen müssen.

Ich erinnere mich eines Ihrer Briefe an Tavanelli, Sie ermunterten ihn zur That, zur Rückkehr unter die Menschen, zur Theilnahme an ihrem geschichtlichen Fortleben, und verhießen ihm hier zuerst Heilung und Ruhe. Damals hegten Sie eine andere Ueberzeugung. Prüfen Sie doch wenigstens die jetzige. Ich möchte noch aus der eigenen Erfahrung erwähnen, das nämlich alles Bittere, was uns trifft, ungewöhnlich, und wir uns selbst leicht besonders erscheinen. So wird ein Ereigniß zum Wunder der Leidende zum Märtirer, seine Bestimmung, Beruf der Auserwählten, und was er thut und sagt, unmittelbare Eingebung. Ich habe eine schöne Seele so auf einem argen Irrwege lassen müssen. Das Schlimmste ist, daß man dabei nicht allein irrt, sondern viel, viel[217] Treffliche in sich entzweit. Mein geehrter Herr Baron! ich bin nicht über meine Gränzen hinausgegangen, wenn Ihr Herz mich nicht verkannte. Möge es uns zu fernerer Verständigung dienen, daß ich das Ihrige immer zu verstehen streben werde.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 212-218.
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