Sophie an die Oberhofmeisterin

[164] Sie untersagen mir, liebe Freundin! den verhaltenen Ton Ihrer Seele auch nur entfernt anzurühren. Und doch schreiben Sie mir, und wollen, daß ich Ihnen antworte?

Sie haben im Grunde recht, so widersprechend es scheint. Kenne ich Sie doch bis in die kleinste[164] Bewegung Ihres Innern! und Sie wissen, daß ich Sie so kenne.

Der Ton bedarf keiner Berührung, um zu klingen. Jeder Laut, jeder Athemzug in Ihnen geht aus ihm hervor!

Doch wozu auch diese Worte!

Sie sind zurückgekehrt an den Hof! Sie wollen dort bleiben! Es überraschte mich, als ich es erfuhr. Sie wollen sein, wie Sie sind? oder erscheinen, wie Sie sich geben? Vielleicht beides. Dem sei nun, wie ihm wolle, so viel Selbstüberwindung ist erstaunenswerth. Was mich indeß noch mehr überrascht, ist Ihr Interesse an dem, was Sie nur schmerzlich bewegen, und in die Heiligkeit der Trauer, bittere, herbe Empfindungen zu mischen droht.

Ich erschrack fast, da ich Ihre Fragen nach Hugo und Elise, nach dem Verhältniß beider, und ihren Plänen für die Zukunft, las.

Ist das ein Gegenstand, der Sie beschäftigen kann? Verzeihen Sie mir, wenn ich den Grund dieser Theilnahme nicht sanftern Gefühlen zuschreibe.

Wenn ich vielmehr fürchte, es lebe darin noch ganz die leidenschaftliche Eifersucht fort, die[165] keine schönere Sorge mehr rechtfertigt, und weniger der Liebe als dem Hasse angehört.

Ja, gestehen Sie sichs nur immer selbst, es verlangt Sie, von dem peinlichen, ungünstigen Geschick der hart Gedemüthigten, von Elisens zerstörtem Frieden, ihrer früh gewelkten Jugend, von Hugo's schwankendem Umhergreifen, seinen Kämpfen und inneren Plagen zu hören.

Was wollen Sie damit? Die Ueberzeugung gewinnen, daß hier das Leben nichts ausgeglichen, nichts anders gemacht hätte? und der Tod zu segnen sei, der das reinste Opfer auf einen Streich fallen ließ? Die Ueberzeugung hatten Sie lange. Nein, Sie wollen nicht ruhiger werden, Sie stacheln die unbequemste aller Regungen, die Mißgunst in sich wach. Vergessen Sie, daß Niemand mehr, als Sie selbst darunter leiden?

Und wenn sich nun Alles anders fände, als Sie es finden möchten? Wenn Hugo's unstäter Trieb nach äußerer Beschäftigung sich in geordneter Wirksamkeit befriedigte, er auf seinem Platze feststehend, die Pflichten übte, die Welt und Beruf von ihm fordern? Wenn er dem Wohlthäter dankbar, jeden andern Wunsch opfernd, nun bemüht wäre, sein einsames Alter zu erheitern? Wenn stille, ernste Trauer jene unfruchtbare Melancholie[166] verscheucht, und die unselige Heftigkeit ungehöriger Liebe sich in Beiden zu ruhig entsagender Freundschaft umgewandelt hätte? Würde es Ihnen genügen? würde es Ihnen den Trost geben, den es doch geben sollte, daß ein heftiger Stoß Alle wieder ins Gleichgewicht brachte? Und in Wahrheit, liebe Freundin! es kann so sein, es sieht fast darnach aus. Wenigstens verhält es sich mit Hugo's äußerm Thun, wie ich Ihnen sagte. Er baut, pflanzt, verschönt auf seinen Gütern, was diese verbessern, und den Ansprüchen an Veredlung Genüge thun kann. Er entfernt sich nur auf kurze Zeit von der Burg, spielt Abends Schach mit dem Oheim, besucht die Nachbarn, und hat sonst mit Niemanden Verkehr. Elise ist bei ihrer Tante. Man weiß nichts von ihr zu sagen. Ganz kürzlich erzählte man, für sie sei der Bau in Wehrheim, sie werde dort einziehen. Auch das hat sich nicht bestätigt; ob man gleich Tag und Stunde ihrer Ankunft bestimmte, sind Wochen vergangen, ohne daß sie kam, und das Gerücht schweigt allmählig. Selbst ich hatte lange keine Nachricht von ihr. Es scheint, sie beschränke sich ganz auf die einförmige Thätigkeit häuslichen Stilllebens, und zeige, daß sie kann, was sie will.[167]

Wie geringe Ausbeute wird mein Bericht Ihren Nachforschungen geben, liebe Freundin! Werden Sie es nicht bereuen, sich deshalb an mich gewendet zu haben?

Eins, gleichwohl muß ich hier noch erwähnen, das in seiner lustigen Naivetät weit eher geeignet ist, Ihren Witz als Ihre Galle zu reizen.

Die bewegliche Gräfin Ulmenstein ist jetzt unsere eifrigste Anhängerin geworden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem armen, guten Comthur in seiner tödtenden Einsamkeit Gesellschaft zu leisten, ihn aufzuheitern, sein Vertrauen mit allen Waffen liebkosender Schmeichelei zu erobern, Hugo zu interessiren und mich zu überraschen. Der Eifer, mit dem sie dies Vorhaben ins Werk richtet, läßt sie vergessen, daß man sie kommen hört, und Niemand getäuscht wird. Ich mußte lachen, als sie, gleich nach ihrer verspäteten Ankunft auf dem Lande, zu mir eilte, fragte und weinte, tröstete und sich hoch und theuer vermaß, die unerhörte Bosheit der Welt durch die allerlebhafteste Darstellung der Wahrheit zu Schanden zu machen. Sie entwickelte dabei so viel zärtliches Mitgefühl, so scharfsinnige Billigkeit, sie steigerte sich in den vertrauenden Herzensergießungen von Moment zu Moment mehr, und verließ[168] die Scene mit so viel Wärme, daß sie, über sich selbst getäuscht, auch mich getäuscht zu haben glaubte.

Leichter, gesellig anziehender, hat sie es auf der Burg getrieben, wo sie als gute, alte Nachbarin, als Frau von gar keinem Gewicht, und hinaus über alle Rücksichten, ohne alle Umstände einen Ueberfall wagen durfte, sich fest sprach, Niemand los ließ, und damit endete, sich die Erlaubniß zu nehmen, Nächstens, und nach diesem Nächstens, öfter und immer wiederkommen zu dürfen.

Sie war auch in Wehrheim. Sie spricht mit Extase von dem neuen Schlosse. Ein junger Architekt, der sie umherführte, ward andern Tages ihr Gast zu Mittage. Sie ging in jede Einzelnheit mit lebhafter Aufmerksamkeit ein. Nichts schien ihr zu gering, um es nicht herauszuheben.

Auf der andern Seite wollte sie es indeß auch nicht mit dem Präsidenten, mit dem Hofe, und ganz besonders mit der Fürstin Mutter verderben, deshalb versäumte sie nicht, den kleinen Georg bei seiner Pflegerin aufzusuchen. Die Art, wie sie sich über das liebe Kind erweichte,[169] es einen Engel nannte, dabei bald weinte, bald lachte, muß etwas Theatralisches gehabt haben, denn die Kinder des Amtmanns spielen seitdem immer Gräfin Ulmenstein, putzen sich auf das Tollste heraus, und verdrehen zum Hauptspaß der Erwachsenen, Mienen und Geberden unter dem Sprechen. Was Kinder nicht alles herausfühlen! denn geradezu zur Schau hat sich die Gräfin bei dem Allen nicht gestellt. Dazu ist sie in der Welt zu gut zu Hause. Es muß daher in der Unwahrheit liegen, die immer ihre Widersacher in dem natürlichen Menschen findet. Weiter reicht mein Neuigkeitsvorrath nicht. Wenn ich vielleicht ungeschickt im Beobachten und Combiniren bin, so lassen Sie mich's nicht entgelten. Entziehen Sie mir nicht ganz Ihr Vertrauen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 164-170.
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