Von Sophie

[77] Desselben Tages.


Ja, ich habe Nachricht; aber nicht aus Italien. Sie sind nicht bis dahin gekommen! – Lieber Freund! was brauche ich noch weiter hinzuzusetzen. Sie ahndeten es immer! Das arme Herz ist gebrochen! Alle Schmerzen, alle Klagen blieben in ihm verschlossen. Wie hätte die innere Qual es nicht zerdrückt! Ich weiß nicht, sollen wir es ein Unglück nennen, daß es so schnell mit ihr endete? Das Leben wird dem Einsamen sehr lang? und die Gewohnheit ist nichts als eine einschläfernde Begleiterin!

Der Arzt, zu dem ich in der Eile schickte,[77] bringt Ihnen diese Zeilen. Er wird Alles ergänzen, was Sie darin vermissen könnten. Ich gestehe, ich bin in einiger Verwirrung. Der Tod überrascht auch da, wo er laut genug anrückte. Der Riß vom Leben war hier freilich geschehen, aber das sinnliche Band verbirgt uns diesen gern noch eine Weile. Und dann die Mutter! die Mutter! O mein Gott, was senkt sie Alles in dies eine Grab!

Von ihr nicht ein Wort! nicht eine Silbe! Sie ist bei den Nonnen in dem Waldkloster, unweit Freiburg geblieben, Emma starb in den heiligen Mauern. Der dortige Abt hat unserm Nachbar, dem Prior der Premonstratenser, den Todtesfall berichtet, mit dem Bedeuten, mich davon in Kenntniß zu setzen. Es ist ein trockener Bericht, den ich Ihnen erspare. Schon einige Zeit vorher hatte Tavanelli hier und da dunkle Winke von dem früh beendeten Geschick der Gräfin gegeben. Man erzählte sich davon, doch glaubte Niemand dem unstäten, herumstreichenden Flüchtling, der überall war, nirgends verweilte und eben so verworren als vermessen redete. Gleichwohl scheint er in einer Art Verkehr mit den Reisenden gestanden zu haben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ihn die Oberhofmeisterin in Aufträgen versandte.[78] Vielleicht folgte er ihr auch nur in seiner Verzweiflung, da er hier nicht auszuhalten vermochte. Der Zustand, in welchem er sich darauf wieder zeigte, die Vorgänge in der Mühle, die wilden Phantasien, denen er fast erlag, deuteten auf gewaltsame Erschütterungen des Gemüths, die jede seiner Aeußerungen verdächtig machen. Die Tannenhäuserin sagte mir zuerst davon, auch daß er Hugo im Walde getroffen, als dieser mit dem Gewehr auf dem Rücken den Forst durchstrich; erschrocken sei er erst geflohen, dem Grafen jedoch später in den Weg getreten und den Hut abziehend, stotterte er hastig und furchtsam unverständliche Worte vom Tode der Gräfin.

Hugo, von unaussprechlichem Schmerz ergriffen, stierte dem wahnsinnigen Tavanelli unbeweglich nach, als dieser schnell wie der Blitz davon eilte. Todtenblaß, sagte mir die Frau, sei der Graf zu ihr eingetreten, habe ihr den Vorgang erzählt, sogleich aber hinzugesetzt: Er wisse wohl, was von Faseleien eines kranken Menschen zu halten sei, doch gestehe er, könne er des gehabten Schreckens noch nicht Herr werden.

Es ist hierdurch so viel gewonnen, daß die Wahrheit ihn nicht ganz unvorbereitet trifft. Doch wird sie ihn gewaltig fassen. Es ist unmöglich,[79] daß seine jetzige Freiheit ihm nicht die Qual solcher Träume gäbe, in denen man fliegt und fliegt, und plötzlich fällt und erwacht. Ich weiß nicht, wie er mit sich selber steht? Was er sich sagen, wie er sich beruhigen wird? Der erste Augenblick wird schrecklich sein! Doch die Nothwendigkeit, vor sich zu bestehen, leihet dem Willen sehr vieler Menschen so beruhigende Gründe, daß die Phantasie blaß und das Gefühl stumm wird. Auch heilen die Schmerzen des Gewissens am schnellsten, weil sie die unbequemsten sind. Wer weiß, regen sich selbst diese Schmerzen in ihm! Die Umstände müssen Vieles auf sich nehmen, was die verzärtelte Brust nicht tragen kann. Der Schreck macht bald genug mattem Bedauern Platz.

Nein, ich will nicht bitter sein! Gewiß nicht! Doch sonderbar genug, verletzt mich dieser Tod mehr, als er mich rührt; ihn wie eine That, nicht wie eine Schickung betrachtend, suche ich seine Urheber außerhalb, und ohne irgend eine Seele anklagen zu wollen, zürne ich mit dem Leben, daß es solche Lücken lassen kann!

Ich hatte immer noch gehofft! das sehe ich nun wohl! Aber daß Sie, lieber Freund! Sie allein, hierdurch am Tiefsten leiden werden, das ists, was mich diese Zeilen so starr und spröde[80] anfangen, und jetzt so überwältigt schließen läßt. Kalt wollte ich über das Verlorne reden, und thun, als sei es längst eingebüßt; aber man fühlt es erst, was der leise Hauch zweier warmen Lippen beleben kann; wenn aber das Eis des Todes solche auf ewig geschlossen hat? – – Dann, doch lassen Sie mich abbrechen! Wir ziehen Trauerkleider an, wie die Erde, wenn es Winter wird, und bis die neue Sonne kommt, muß Vieles, Vieles in uns sterben! – Ich bin zu unruhig, von mehr als einer Seite zu bewegt, um Ihnen jetzt viel sagen zu können. Denken Sie doch an Elise – Gemüther wie das ihrige werden im Unglück höher und stärker, aber auch zuversichtlicher und bewußter. Es taugt nicht, sich selbst soviel zu verdanken zu haben! Wenn sich die beiden Menschen jetzt auf ihrem Wege begegnen, wenn der Schlag, der sie gemeinschaftlich trifft, sie zwingt, einander zu halten, was wird aus Elise werden, wenn sie dann nicht vereinigt bleiben? Und denken Sie an die Möglichkeit, daß Hugo zum zweitenmal, jetzt –? Unmöglich! Wie ich ihn kenne, unmöglich.

Ich schreibe Ihnen nächstens wieder, lieber Freund. Lassen Sie mich durch den Arzt wissen, wie Ihr Gesundheitszustand ist? und ob ich hoffen[81] darf, Sie in den warmen Tagen schneller hergestellt, hier bei mir zu sehen? –

Werden Sie Hugo sprechen? Wollen Sie ihm die erschütternde Nachricht zuerst mittheilen? Wäre es nicht besser, der Arzt übernähme die traurige Pflicht? oder ich sagte ihm, was er wissen muß? Ja, schicken Sie ihn mir. Ich bin darauf gefaßt. Ich will ihn erwarten. Sein Sie unbesorgt, ich werde ihn in seinem Schmerz ehren. Der Unglückliche ist mir heilig. Wie könnte ich, ihm gegenüber, daran denken, daß er der Todten nicht werth war. Ich will es lieber auch so nicht denken, denn wer weiß auch, ob es so ist? Im Urtheil fühlt der Mensch erst seinen unermeßlichen Abstand von dem Allsehenden.

Gute Nacht, armer Freund! Wie wird Ihr schönes Herz trauern!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 77-82.
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