Erstes Buch

Die Nacht fand beide Freunde in den seligsten Betrachtungen versenkt. Florio konnte sein Auge nicht von dem königlichen Jünglinge abwenden, der nun so anders, und doch nicht fremd, in seinen Armen lag. Ihm war, als träume er aufs neue, wie in so mancher wehmüthigen Stunde, den lang' ersehnten, durch Klang und Worte heraufbeschwornen Augenblick des Wiederseh'ns. Wie tausendmal hatte ihm die herrliche Gestalt so, grade so in alten Ritterliedern vorgeschwebt! Ach und wie tausendmal kehrte er dann mit trüben[5] Blicken in sich selbst zurück, und floh die trügerischen Bilder, die ihn von Land zu Land fortrissen, und das unbefriedigte Herz erschöpften! Mit innrer Bangigkeit bog er sich jetzt über ihn hin, und drückte einen leisen Kuß auf seine Wange. Da war ihm, als flössen die reinen, kräftigen Züge milder in einander, und als blicke ihn aus den weichen Umrissen das kindische Gesichtchen seines Rodrichs wieder an. Wie mit Liebesarmen umfing ihn die Vergangenheit, und führte ihn zu der kleinen Hütte zurück, die so lange seine stillen Freuden umfaßte. Er mußte jener Nacht gedenken, wo er zuerst den Wunsch in sich aufkommen ließ, den geliebten Gespielen jenseit der Berge aufzusuchen, und wie dann das Verlangen so riesenmäßig aufschoß, daß es ihn, alle[6] andere Gefühle erdrückend, vom Lager fort, zu den steinigen Klippen zog, die ihm den Weg in die weite unbekannte Welt eröffneten. Hier, den unersteiglichen Bergen gegenüber, erschrak er über sein Vorhaben. Er blickte fragend zu ihnen auf. Der Mond glänzte wie Gottes Auge über ihren verhüllten Gipfeln, hinter denen sich eine dunkle Wolke in Gestalt eines gewapneten Mannes mit doppeltem Antlitz erhob. Florio's Herz schlug ängstlich, er betrachtete die Wolke, die sich, immer mehr dehnend, zwei lange Arme über der Erde ausbreitete, und, wie mit langsam ernstem Tritt, aus der Tiefe heraufstieg. Das gewaltige Haupt bog sich über den Mond hin, so daß das Gesicht gen Osten bleich und zitternd über dem erschrockenen Jüngling schwebte. Er wollte[7] zur Hütte zurück, allein in der Dunkelheit hatte er den Weg dahin verloren, und er irrte bang und traurig zwischen ödem Gestein umher. Endlich erfreuete ihn ein Licht ganz weit aus der Ferne. Er beflügelte seine Schritte, und kam bald auf ebnere Weg. Er fühlte wieder weichen Rasen unter seinen Füßen, und zuweilen wehete ihm der herrlichste Blumenduft entgegen. Indeß mußte er sich noch lange zwischen dichten Gebüschen hindurchwinden, ehe er dem Lichte näher kam. Da erblickte er plötzlich ein schönes Haus, von dessen untern Fenstern sich der Schimmer ergoß. Ein offnes halb verfallnes Gitterthor führte ihn zwischen hohen Blumenwänden zu einem Altan, über welchem die rankenden Stauden, wild durch einander gebogen, einen farbigen Schleier vor den[8] Lichtschein zogen. Florio blieb betroffen stehn. Die Sage des verzauberten Gartens kam mit allen Schauern jener frühern Eindrücke wieder in sein Gedächtniß. Er blickte in einem seltsamen Gemisch von Furcht und kühnem Verlangen um sich her. Alles, was er in der Dämmerung unterscheiden konnte, sah wüst und traurig aus einer bessern Vergangenheit herauf. Sarois Klagen legten sich aufs neue wehmüthig an sein Herz, da setzte er sich auf einen umgestürzten Baum, und sah bekümmert zu den zerbrochenen Fenstern hinauf, hinter welchen herabgerollte Vorhänge ungehindert hin und her flatterten. Keines Menschen Hand hatte hier seit Jahren gewaltet, und dennoch brannte das Licht, und zeugte von nächtigen, unheimlichen Bewohnern. In der[9] Todtenstille hörte Florio nichts, als das Flüstern der Blumen, die ihre Blätter in seinen Schooß schütteten. Eine unbeschreibliche Sehnsucht drängte ihn, den niedern Altan zu betreten; aber, als wollten ihm die Zweige den Eingang verwehren, so bogen sie sich in einander, und er schwankte schon, ob er dem Winke folgen und umkehren solle, als ein langer Schatten hinter dem grünen Gewebe vorüber zog, und ein leises Rauschen, als striche der Wind über volle Saiten, hindurch drang. Ohne länger zu weilen, theilte er nun schnell die Ranken, und stand vor einer hohen Glasthüre, deren verblindete trübe Scheiben das schwach erhellte Zimmer wie in einen Nebel hüllten. Die wachsende Begier, irgend etwas zu entdecken, trieb seine Blicke unstät umher.[10] Alles wogte und flimmerte ihm vor den Augen. Das Herz klopfte hörbar in seiner Brust, sonst war es still wie im Grabe. Plötzlich hörte er eine Uhr zwölf schlagen, und leise Flöten ein Sterbelied spielen. Unwillkührlich sank er auf die Knie nieder, und betete für die Erlösung der Seele. Als er sich wieder ausrichtete, bemerkte er unterhalb der Thür eine ausgehobene Scheibe; er sah hindurch, in ein hellgraues Gemach, den Berggeist auf die Harfe gelehnt, unbeweglich vor einem verhangenen Ruhebette stehen, dessen Decke sich zu bewegen schien, als athmete jemand schwer und langsam unter ihr. Auf einem schwarzen Altar brannte die Lampe, und erhellte ein Cruzifix von weißem Marmor, über welchem das Bild der schönen Dame aus dem Traume[11] hing, nur trug sie weder goldene Harfe noch Blumen, sondern einen feurigen Reif, in dessen Mitte eine röthliche Perle, wie eine blutige Thräne schwamm. Sie hatte ihn mit bittern Leidensmienen vom Finger gezogen, und schien bereit, ihn in das offne vor ihr liegende Meer zu werfen. Florio betrachtete das Bild mit steigender Wehmuth. Es waren die holden Züge, die ihn träumend so oft entzückten. Der schöne Mund lächelte ihn so vertraut und lebendig an, die ganze Gestalt schien immer dichter und gerundeter aus dem Bilde hervor zu treten, da hörte er tief aus gepreßter Brust seufzen, seine Blicke flogen zu dem Ruhebette, er breitete die Arme aus, er wollte die Scheidewand zersprengen, indem erlosch die Lampe, und er stürzte,[12] halb sinnlos vor Schreck, aus dem Garten. Noch in diesem Augenblick faßte ihn derselbe Schauer, da jene Erinnerungen wieder erwachten, und dennoch wollte er sich nicht davon losmachen, sondern versenkte sich immer tiefer, mit geheimer ahndungsvoller Lust hinein, als Rodrich halb träumend zu ihm aufblickte, und leise wie im Schlafe fragte, warum ist er nicht bei dir geblieben, da ich euch doch bei einander sahe, und er es war, der dich zu mir führte? Florio fühlte bebend, daß derselbe Gedanke sie beide erfüllte. Er wandte sich von dem schlaftrunkenen Freunde, und sang still zur Harfe:


Wenn die Nacht, heraufbeschworen

Von der Erde stillem Ruf,

Nieder ihre Schleier senkend

Zu verhüllen keusche Glut:
[13]

Sterne bald als Liebesboten,

Spielend auf der Tiefe Grund,

Sich in duft'ge Perlen tauchen

Die entquellen innrer Lust:


Alle Farben dann verschwimmen,

Tragend auf bewegter Fluth

Erd' und Himmel im Vereine,

Aufgelöst in sel'gem Kuß:


Dann zerspringen alle Bande,

Freiheit athmet die Natur,

Aus den Wolken, aus den Grüften

Dringt ein geistig leiser Gruß.


Was der Sonne kreisend Walten

Frech getödtet, was der Sturm

Trüber Zeiten längst verwehte,

Paradieses Blüthenschmuck,


Keimt aus wonnevollen Thränen

Zieht heran in Wolkenduft.

Frei gegeben sind die Spiele,

Frei, im innern Heiligthum.


Traum und Schatten zieh'n im Fluge

Durch die offne Menschenbrust,[14]

Grüßen froh die alte Heimath,

Wecken ahndend heißen Wunsch.


Wünsche sind geheime Seufzer

Nach entfloh'ner Götterlust;

Sehnsucht ist die heil'ge Stimme

Die zum Paradiese ruft.


Der Morgen war indeß heraufgezogen, und trieb nach und nach Theresens muntre Gäste zur Stadt zurück. Auf den Straßen wimmelte es bald von bunten Masken, die schwirrend durch einander hinzogen, und ihr muthwilliges Spiel erst in den stillen Wohnsitzen dürftiger Genügsamkeit endeten. Rodrich war auf den wachsenden Lärm herbeigekommen, und lehnte an Florio's Seite im offnen Fenster. Er konnte sich weder des augenblicklichen Rausches noch der phantastischen Gestalten recht erfreuen. Der Tag war zu nahe, er[15] wehete kühl herüber, die ganze Lust schien ihm ein mattes Spiel, die armen Sinne zu betrügen, die beim hellen Licht den engen Kreis bald wieder erkennen, und befangener als je darin athmen würden. Gedankenvoll lauschte er vorüberziehenden Klängen, die endlich vor dem eintönigen Treiben der nahen Werkstätte schwiegen, und mit ihrem Verschwinden fast jeden Zauber der Phantasie lösten. Rodrich blickte auf sich und seinen Freund, der ihm in gewohnter herkömmlicher Tracht nichts als den wohlgebildeten Jüngling dieser Welt zeigte. Der lange Sängermantel hing mit dem weißen Barte und der bleichen Larve neben ihm auf einem Sessel; er spielte nachlässig mit dem reichen Faltenwurf des altväterischen Gewandes, als es unversehens herunterfiel, und wie[16] ein Vorhang zusammenrollte. In dem Augenblick war es Rodrich, als wären alle Träume dieser Nacht versunken. Vergebens suchte er die erwachten Bilder der Kindheit, vergebens die Geliebte in seiner Brust. Miranda war wieder die große herrliche Fürstin, zu der er kaum aufzublicken wagte. Jener einzige unbegreifliche Moment des Entzückens lag weit, weit hinter ihm. Wie ein Blitz hatte ihn diese Seligkeit berührt. Jetzt war alles anders. Die gewohnte Ordnung behauptete ihr Recht. Der gemeßne Gang des Lebens schritt langsam fort, und er stand wie gestern und alle vorhergehende Tage, in den beschränkten, durch fremde Güte erschaffnen Umgebungen, Mirandas Pallast gegenüber. Kaum wagte er es, die schöne Erinnerung festzuhalten, die so[17] unschuldig zu ihm herübersah. Er hatte sich dem Zauber hingeben, er hatte die Welt einen Augenblick vergessen können, ach, und er würde gern gestorben seyn, um noch einmal so selig zu leben, aber der Wahn zerrann, wie leise er ihn auch anfaßte. Was war er, und was konnte er wollen? Das süße Geheimniß seines Glückes war ihm ein kränkender Vorwurf. Frei und festgestaltet sollte es in vollem Glanze des Tages leuchten, in jedem Auge wollte er den Wiederschein desselben lesen. Miranda's Name sollte nicht blos wie ein geistiger Hauch durch sein Innres ziehen, er wollte ihn laut aussprechen, allen Lüften zurufen können! O, er fühlte sich gedrückter als je, seit ihn die heiligste Liebe einen Augenblick über sich selbst erhob.[18]

Wie er sich nun immer fester und fester an jede Widerwärtigkeit seines Lebens hing, und sie so lange betrachtete, bis er, aufs höchste gereizt, die Augen vor den Erscheinungen des wiederkehrenden Tages schloß, rauschte noch der letzte Trupp herumschwärmender Masken die Gasse herauf. Unter tollen Gaukeleien schwirrten sie an den Häusern vorüber, und ehe es Rodrich bemerken konnte, hatte ihm eine derselben ein zusammengerolltes Blättchen in die Hand gesteckt. Er öffnete es schnell, und Florio, der wie ein gutes Kind in des Freundes Hoffnungen und Wünschen lebte, und schon längst die getrübten Augen mit Wehmuth betrachtete, sah zutraulich über seine Schulter, und beide lasen folgende Worte:

»Ich wünsche Ihnen Glück. Der[19] Krieg ist entschieden. In wenigen Tagen ist alles aufgebrochen. Ein neues Licht geht über Ihnen auf, denn eine reiche Natur fodert gewaltsam große und mannigfache Gegenstände, um die immer brennende Frage zu beantworten, sonst erschöpft sich der gereizte Wille in zwecklosen Ausbrüchen, die oft den werdenden Helden in ihren engen Schranken begraben. Lösen Sie die Fesseln. Das Schicksal gab Ihnen viel, machen Sie sich alles zu eigen. Es ist Weisheit, das Höchste aufs Spiel zu setzen, um das Höchste zu gewinnen. Das Schwerdt werde eine Flamme in Ihrer Hand, vor der sich Freund und Feind beuge. Schwanken Sie nie, denn es giebt auf Erden nichts Herrlicheres, als einen Thron frei zu[20] machen und das erkannte Recht behaupten.«

Rodrich faltete das Blatt, ohne etwas Bestimmtes zu denken. Der ernste Zuruf erschütterte ihn! Es war, als dränge ihn das Schicksal mit Gewalt zu einem unbekannten Ziele. Tausend verworrene Ahnungen trieben ihn unsicher umher. Endlich lösten sich die innern Nebel. Er glaubte Miranda's Stimme in jenen Worten, ohnerachtet ihrer strengen Heftigkeit, nicht zu verkennen. Durch sie ward ihm des Himmels Wille kund, und seine früheren stolzen Hoffnungen gerechtfertigt. Zu sich hinauf wollte sie ihn heben, durch die innere Kraft seines Willens! Was lag darin auch Unerhörtes? Sagt nicht die Geschichte aller Völker, daß von jeher ein kühner Flug die armselige[21] Stufenleiter zwerghafter Wünsche hinter sich ließ? Das Außerordentliche tritt die gemeine Ordnung nieder, und eine neue Folgereihe beginnt von dem lichten Punkt, den ein kräftiger Geist über der Erde heraufführt. Der Krieg bahnt dahin den Weg. Hier verschwinden hergebrachte Verhältnisse vor der überwiegenden Gewalt einer großen Seele, die sich in Feuerströmen ergießend, alles wie Gottes Zorn mit sich fortreißt. Darauf deuteten auch die Worte des Briefes, und doppelt war der Sinn zu nehmen, in welchem der Thron befreit werden sollte. Mußte die königliche Natur nicht fühlen, daß sie zum Herrschen geboren, daß sie bestimmt sey, das Wohl der Menschen, wenigstens über die zu verbreiten, die ihr so nahe gerückt waren? Und sagte ihm jene[22] Umarmung nicht, daß er es sey, den sie würdig hielt, ihr zur Seite zu stehen? Er schlug das Blatt noch einmal auseinander, und las immer und immer wieder, was ein leidenschaftliches Verlangen schon bei weitem früher in sein Inneres grub.

Während dieser Betrachtungen hatte er Miranda oftmals laut genannt. Wie, sagte endlich Florio, jene Heilige, zu deren Füßen ich dich gestern fand, hätte diese Worte zu dir geredet? Warum nicht, fiel Rodrich schnell ein, glaubst du, sie sey nicht reich genug, alle Herrlichkeiten der Welt zu umfassen? Ein Auge, das in die Himmel dringt, will ihren Glanz auf Erden erblicken, und soll sie den heiligen Zorn weniger als die Liebe verstehen? Kann sie den Frieden ohne den Krieg wünschen? oder[23] glaubst du, sie gehöre zu den engherzigen Gemüthern, die meinen, mit einem frommen Wunsche die ewige Seligkeit herbei zu rufen? Das nicht, unterbrach ihn Florio, sie hätte, dasselbe fühlend, doch anders gesprochen. Ich weiß es nicht, warum der Klang dieser Worte ein Mißlaut in Mi randa's Munde wäre! Aber in dieser Beziehung fällt er widrig in mein Ohr, und zieht mir das Herz ängstlich zusammen, ach und sie kann es ja nur zu den herrlichsten Gefühlen eröffnen. Hat sie dich so schnell entzündet? fragte Rodrich lächelnd. Ich begreife es wohl, fuhr er fort, daß du sie nur auf deine Weise verstehen, und jedes strenge Wort in ihrem Munde für einen Frevel halten mußt. Die kühnen, männlich gesinnten Frauen, passen in deinen Himmel nicht,[24] du frommer Sänger! O, sagte Florio, des Himmels Braut trug der Welt den Sohn mit dem Schwerdte entgegen, aber die Palme blühete in ihrer Hand, und der Friede strahlte aus ihren Augen! Sie ist mir nicht fremd geblieben, was rechter Art ist, offenbart sich dem Sänger von selbst.

Hier stürzte Stephano wie ein freigelassener Löwe herein. Es ist Krieg, rief er mit gepreßter Stimme. Die Marsch-Ordre ist da, wir beide sind des Grafen Adjutanten. Ich bitte dich, komm, den Jubel der Regimenter zu sehen! Die ganze Stadt ist schon in Bewegung, jedes Herz zittert vor Freude. In der Nacht ist der Courier gekommen. Man sagt laut, der Fürst sey empört, über die frechen Anforderungen des Feindes. Alles theilt sein Gefühl.[25] Jung und Alt strömt herbei. Niemand will zurückbleiben, von allen Seiten erschallen Kriegslieder. Herr Gott im Himmel, rief er mit zusammengeschlagenen Händen, so habe ich es doch endlich erlebt! Es wird ein großer Tag über diesem Lande aufgehen. Es ist, als blitzte Eine Flamme aus aller Augen, sogar die Weiber, fuhr er fort, fühlen was ein Vaterland sey! Sogar die Weiber, wiederholte Rodrich, den Stephano's Glut unwillkührlich erkaltete, ich verstehe dich nicht wohl, es gab eine Zeit, wo du mit Alexis über den Wahn so einseitiger Anhänglichkeit strittest, und diese Mißgeburt veralteter Zeiten, als längst abgefallen und verwittert ansahest. Ich erinnere mich genau, von dir gehört zu haben, daß jetzt weder von dem Menschen noch dem[26] Staate, als Individuen, die Rede sey. sondern daß die allgemeinen Strebungen das Ganze umfaßten, und das Leben daher weniger in hervorleuchtenden Momenten, als in einem gleichmäßigen Fortschreiten still in einander greifender Kräfte bestehe. Diese weltbürgerliche Gesinnungen halten dennoch wohl die Probe bei ähnlichen Veranlassungen nicht aus, das gleichgefühlte Recht des Eigenthums drängt jeden zu Vertheidigung und Rache. – Ich bin zu befangen, erwiederte Stephano, um mich jetzt vor dir behaupten zu können, und ich gestehe dir auch, daß mir alles, was ich sonst dachte und sprach, in diesem Augenblick sehr schaal und leer erscheint. Ich mag gar nicht untersuchen, was mich jetzt so über allen Ausdruck bewegt, was, wie tausend zuckende[27] Blitze meine Brust durchfährt, und mich in freudiger Wuth fortreißt, so daß ich nirgend Ruhe finde, und selbst Hand an mich legen möchte, um die innern Vulkane auszuströmen. Wer kann jetzt motiviren und klügeln? Es mag seyn, daß die bloße Kampflust mich und Alle treibt, daß die große Reibung gesammter Kräfte die innern Schwingen hebt, und Vaterlandsliebe und Eigenthumsrecht weit überflügelt, es mag auch anders seyn, ich weiß nichts, gar nichts, als daß ich endlich einmal messen und prüfen will, was ich vermag. Der Schneckengang nüchterner Thätigkeit trennte ja alle freie Bewegung, Niemand weiß was er soll und kann, so lange die ungeübte Kraft wie ein blödes Kind in die Welt hineinsieht, und jede kühne Regung gefangen[28] hält. Jene erschöpfenden Definitionen fallen von selbst, sobald das rechte Leben anhebt. Die alten Helden, sagte Florio mit bescheidener Stimme, die noch einen Glauben und eine Liebe kannten, wußten, meine ich, trotz aller wilden Streitlust, dennoch warum sie fochten, und ich dächte, wer das Recht und die Wahrheit nicht von Angesicht zu Angesicht schauete, der könne nie auf Sieg hoffen. Stephano, der in seiner Freude den Jüngling bis dahin nicht bemerkt hatte, ward seltsam durch die Milde seiner Stimme getroffen; er betrachtete ihn aufmerksam, dann sagte er, den Kopf in beide Hände stützend, ich mag jetzt über nichts streiten, Gott weiß es, wie verworren und wild es in meiner Brust tobt. Sie sollten mit uns gehen, fuhr er nach einer Weile,[29] Florio die Hand reichend, fort; ihr Anblick müßte jedem wohlthun, und die unruhigen Begierden sänftigen. Ich folge meinem Rodrich überall, erwiederte dieser, wohin sein Schicksal ihn führt. Rodrich, den die letzten Worte wieder in seine gewohnte bessere Stimmung hinüberzogen, drückte ihn gerührt an sein Herz, indem er sagte, jetzt, mein guter Junge, darfst du mich nicht begleiten, das verbietet die hergebrachte Ordnung. Manches rohe Wort könnte dich treffen, was mich und dich kränken würde. Aber nahe wollen wir einander dennoch bleiben, und ich will zu dir wie zu meinem guten Engel flüchten, wenn das Leben mich wieder so kalt anfaßt und die innere Lust erstarrt. Ein Himmelsbote sollst du mir in trüben Augenblicken erscheinen. Mein Florio,[30] sieh mich nicht so wehmüthig an. Gewiß, du folgst mir bald, recht bald. Wie könnte ich mich denn auch aufs neue von dir losreißen wollen, dein frommer Blick soll sich schirmend zwischen jeden wilden Gedanken legen, und ihn auf ewig von mir abhalten. Jetzt erlaube mir indeß, daß ich dich zu einer Freundin führe, der du ein lieber Trost seyn wirst, und die dich wohl selbst, wenn es sich anders fügen will, zu uns begleitet. Bis dahin sey ruhig Lieber, Seraphine wird dich gern aufnehmen, und du wirst bei diesem leichten, tändelnden Gemüth, deine Kinderwelt am ersten wiederfinden. Ach, du fühlst es nicht, sagte Florio, mit abgewandtem Gesicht, wo meine Welt blühet, du und wenige wissen, wie ein Gedanke das ganze Leben umfassen,[31] und jede andere Rücksicht vernichten kann, darum begreifst du auch nicht, was mir es kostet, ohne dich zurück zu bleiben. Du sprichst so ruhig davon, als gälte es irgend einer andern Vorkehrung deiner Reise. Es muß ja wohl so seyn. Ich bleibe, weil du es willst, und wo du willst. Mir gilt jeder Ort gleich, seit du mich aufs neue von dir verbannst. O seht doch, seht, rief Stephano, auf eine nahe gelegene Hauptwache zeigend, da wird der Ausmarsch recht anmuthig gefeiert. Das Cithermädchen saß in den Zweigen einer schattigen Linde, und sang und spielte, während die Krieger im Kreise um den Baum standen, und still auf folgende Worte lauschten:


Auf jener Wiese glühen

Die Blumen purpurroth,[32]

Die allesammt erblühen

Aus vieler Helden Tod.


Es sind die blut'gen Wunden,

Die auf zum Himmel seh'n,

Im Sonnenlicht gesunden,

Verkünden, was gescheh'n.


O, sagt nun, heil'ge Zungen,

Wes Thaten feiert ihr?

Wer hat den Tod bezwungen?

Wer ruht verklärt allhier?


Da weht es in den Halmen,

Da rauscht es in der Luft,

Die Erde will's zermalmen,

Es sprengen aus der Gruft.


Die kühnen Reiter alle,

Auf weiß und goldnem Roß,

Die einst im herben Falle

Besiegt der Feinde Troß.


Wir, tönt es aus der Ferne,

Der Länder Wehr und Zier,

Glüh'n nun als Himmelssterne,

Erblüh'n als Blumen hier.
[33]

Der Zauber ist verschwunden,

Die alte Schuld gelöst.

Die haben Ruh' gefunden,

Die kämpfend sich erlöst.


Als sie geendigt, schallte es wie aus einem Munde:


Die kühnen Reiter alle,

Auf weiß und goldnem Roß,

Die einst im herben Falle

Besiegt der Feinde Troß.


Das Mädchen wiegte sich indeß in den Zweigen, und weigerte sich herunter zu kommen. Da schwang sich ein schlanker Cürassier zu ihr auf, und sie umfassend: sang er:


Der Krieg löst alle Bande,

Der Krieg trennt Seel' und Leib,

Er zieht in ferne Lande

Den Mann vom Eheweib.


Nun ist die Lust gestorben,

Gewelkt der Myrtenkranz,[34]

Um sie hat Tod geworben

Im frischen Minneglanz.


Da sitzt sie in der Kammer

Und weint in Todesnoth,

Ach, und im herben Jammer

Glüht ihr das Morgenroth.


Des Hauses Thür verschlossen

Seit jener trüben Zeit,

Wo Thränen nur geflossen,

Geschwiegen Gastlichkeit.


Die hört sie jetzt erklingen,

Die thut sich plötzlich auf.

Wer mag ihr Freude bringen?

Wer hemmt der Thränen Lauf?


Ein Pilger thut sich neigen

Und spricht: Euch grüße Gott;

Wollt mir den Ring wohl zeigen,

Den ihr jetzt tragt zum Spott.


Und auch das Tuch von Seide

Gebleicht im Mondenschein,

Das ihr im tiefen Leide

Bewahrt im goldnen Schrein.
[35]

Es fodert diese Gaben

Der Eheherr zurück;

Ich muß sie wieder haben,

Spricht er mit zorn'gem Blick.


Zu lösen das Verbrechen,

Zu löschen wilde Glut,

Die stummen Zeugen rächen

Zu laut den Wankelmut.


Sie giebt den Ring ihm willig,

Sie öffnet still den Schrein,

Was er verlangt ist billig,

Ich will'ge in Demuth ein.


Und wie sie dies gesprochen,

Sinkt sie erbleichend hin;

Das Herz ist ihr gebrochen,

Entschwunden Welt und Sinn.


O Jesus, meine Wonne!

Ruft laut der Pilgersmann,

Blick auf, du reine Sonne,

Sieh, Angst und Weh zerrann.


Wirf ab, wirf ab die Sorgen,

Dein ist das treu'ste Herz;[36]

Auf Abend folgt der Morgen,

Lust keimt aus Liebesschmerz.


Die kleine Sängerin hatte sich vertraulich an ihn gelehnt, und sah ihm zufrieden in die freundlichen Augen; aber die Alten lachten, und meinten, sie solle sich darauf nur verlassen, dann sei sie gut berathen; das Herz habe im Kriege nicht Platz für derlei Erinnerungen. Solche weiße Täubchen, wie sie, flögen hinein und heraus. Das mache den rechten Soldaten, daß er zu jeder Zeit mit frischem Herzen liebe und hasse, wie das veränderliche Leben es von ihm fodre. Nun, nun, fuhr der Eine fort, und reichte ihr gutmüthig die Hand, werde nicht böse, Kleine, es ist nicht so ernstlich gemeint, und als sie ihm dennoch die Hand verweigerte, sang er im tiefen Baß:
[37]

Hab' ich dir was zu Leide gethan,

Rufe Dich um Vergebung an,

Reiche mir deine Hände,

Weil es geht zum Ende.


Sie sprang behend auf seine Schulter, und er trug sie unter lustigem Zuruf der Andern davon.

Wenn marschiren wir, fragte Rodrich, dessen Herz immer unruhiger klopfte. Übermorgen, erwiederte Stephano. Deine Frage, setzte er hinzu, erinnert mich an alle die tausend Kleinigkeiten, die uns in dieser Zwischenzeit genugsam beschäftigen werden. Nun, es gehört ja auch dazu, darum laß uns nur immer frisch Hand anlegen. Sie sprachen hier weitläuftig über die nöthigen Einrichtungen, und trennten sich endlich, damit jeder das Seinige besorge. Vor allem mußte Rodrich zum[38] Grafen. Er eilte zu ihm, und erhielt dort Aufträge, die ihn eine Zeitlang von sich und seinen schwankenden Vorstellungen der Zukunft abzogen.

Florio sah ihn kommen und gehen, ohne gleich wohl sein geschäftiges Treiben durch irgend eine Beziehung auf sich zu unterbrechen. Nur am Abend, als Rodrich einen Augenblick neben ihm ruhete, und schweigend seine Hand drückte, brach der innre Schmerz hervor. Wie seltsam, sagte er, spielt das Schicksal mit mir! Nachdem ich leichtgesinnt alle Hindernisse überflogen, alles verlassen habe, was mich von dir zurückhielt, unbekannte Gegenden durchstreifend, die Welt wie eine liebe Heimath begrüßte, weil ich dich überall ahnete und sahe, muß ich dich endlich finden, um dich gleich darauf zu[39] verlieren! Soll denn das Leben wie ein buntes Spiel an mir vorüberziehen, und darf ich nie bei einer Freude verweilen? – Rodrich eröffnete ihm beruhigend eine bessere Zukunft, ohnerachtet er selbst den eignen Wünschen keine bestimmte Richtung zu geben wußte. Er bat ihn darauf um nähere Auskunft seines vergangenen Lebens. Darüber, erwiederte jener, weiß ich wenig Deutliches anzugeben. Das Meiste liegt wie ein Traum hinter mir, wo sich die Erscheinungen in einander verlieren, und das dunkle Gefühl der Wehmuth oder Freude uns allein übrig bleibt. Auch habe ich weniger mit Menschen als mit der Natur gelebt. Nicht daß ich jene nicht unaussprechlich liebte, oder daß ich kalt von ihnen zurückgewiesen wäre, allein Vieles in[40] ihren Verhältnissen ist mir fremd geblieben, oder erschien mir doch schwer und drückend. Späterhin zogen mich die Klöster, ihres herrlichen Gesanges und der wundervollen Gemälde wegen, zu sich hin. Die alten frommen Sagen, die Gebilde der Vorzeit, das heimliche, innerliche Leben, das sich nur dann und wann in Klängen verkündet, alles dies fesselte mich oft viele Tage hindurch, und ich verstand die Natur nie besser, als wenn ich so aus dieser abgeschlossenen Welt zu ihren wechselnden Spielen zurückkehrte. Ich erkannte hier den heiligen Ernst, wie er in bunten Kleidern an den Menschen vorübergeht, die ihn lieben, ohne ihn zu kennen, und oft dachte ich des Abends, wenn der lustige Farbenschmuck zerrann, und Hain und Wälder schwiegen, die frommen[41] Brüder träten zu mir hin, und sagten mir dasselbe, was jene zuvor in tausend Weisen verkündeten. Mir ward es in solchen Augenblicken klar, daß wir, so wie die Nacht, auch das innere Walten des Geistes, verträumen, und daß es recht schwer ist, sich selbst in den einzelnen Lauten zu verstehen, die, gerade wie der Traum, zu uns heraufdringen, und dann wieder lange Zeit hindurch schweigen. Ich habe in ähnlichen Stimmungen viel gedichtet, aber es war so lose und unzusammenhängend, daß es dem Gedächtniß entfiel, und ich darüber die schönsten Erinnerungen einbüßte. Ich verlor mich dann auch wieder in große Städte, bei festlichen Aufzügen, Versammlungen, überall, wo ich dich zu finden hoffte. Gesang und Musik verschaffte mir leicht[42] Zutritt. Dies sind Bande, die überall die Menschen vereinen. Es ist wohl sicher Gottes Stimme, die Niemand überhört. Viele reden freilich mehr davon, als sie empfinden; aber es geht ihnen damit, wie mit der Tugend. Sie ahnen ihre Göttlichkeit, und möchten sie doch zum Scheine lieben, und ohne daß sie es glauben, werden sie, wenigstens für Augenblicke, durch sie bezwungen. Wie viel kalte Herzen sah ich durch die Gewalt der Töne erweicht und belebt, die sich dann wohl wieder verschlossen, aber doch eine Sehnsucht nach jenem seligen Vergessen ihrer einengenden Rücksichten behielten. So habe ich den Cardinal, und durch ihn dich gefunden. Wie, unterbrach ihn Rodrich, diese Hand hätte dir den Weg zu mir gebahnt? Ich weiß nicht, erwiederte jener,[43] wie es kam, daß mich sein kalter Blick nicht schreckte, und ich darein willigte, ihn hieher zu begleiten. Mich bestimmte weder ein lebhafter Gedanke an dich, noch irgend eine andre Hoffnung. Ich gab mich dem Schicksale ganz rücksichtslos hin, da mir überdies alles gleich unwichtig schien, so lange du mir fehltest. Ach und sieh, die Menschen denken und sinnen, erwägen und messen, und am Ende thun sie doch auch nichts anders, als sich gläubig in Gottes Arme werfen. Es giebt immer einen Punkt, wo die menschliche Klugheit nicht zureicht. Zuweilen ahnen wir ganz dunkel, daß diese uns überall mißleiten könne, und werfen uns getrost in das offne Meer des Lebens. Wie thöricht das auch von fern aussieht, so ist es dennoch schön, daß man sich[44] überall gehalten fühlt. Mein Cardinal war wohl ein trocknes Reis, aber es hielt mich dennoch, und ich kam bis zu dir. Wer möchte auch über die Mittel rechten, die uns die Vorsehung sendet! Fürchte übrigens nicht, fuhr er fort, als Rodrich gedankenvoll vor sich hin sahe, daß mich irgend ein Band an ihn kettet. Ich habe immer die Freiheit über alles geschätzt. Beschwerden achtete ich nie, Bedürfnisse kenne ich nicht, was sollte mich daher fesseln, wenn es nicht die unendliche Liebe ist, die ich von jeher zu dir im Herzen trug. Wie kam es aber, sagte Rodrich, noch immer das Bild des Cardinals festhaltend, daß ihr euch traft? Süd und Nord dürfen die je einander berühren? Es war um Mitternacht, hub Florio erzählend an, als er eben die[45] Messe gehalten, und sein Herz vielleicht in Demuth zu Gott gewendet hatte, daß er nicht eben weit von der Kirche, vor einem kleinen Hause vorüber ging, an welchem ich singend lehnte. Es war ein heilig Lied, das in frommer Andacht aus meinem Innern drang. Er blieb einen Augenblick, mich betrachtend, stehen. Da schwieg ich ehrerbietig, und er ging still vorüber, wandte indeß mehreremale den Kopf, und sah immer wieder zu mir hin. Ich hatte ihn schon vergessen, als wir bald darauf einander in der Kirche trafen. Ich weiß nicht, was er sich bei meinem Anblick denken mochte, allein er stutzte anfangs, und doch konnte er seine Augen nicht von mir wenden. Mir kam er seltsam vor. Ich hatte kein rechtes Herz zu ihm, indeß folgte ich wenige[46] Tage darauf seiner Einladung, die mich zu ihm führte. Er empfing mich mit mehr Güte, als sein stolzes Ansehen erwarten ließ, doch sahe er vornehmer als in der Kirche auf mich hin. Nach einigen Worten über mein Talent, das, wie er versicherte, ihn überrascht habe, fragte er nach meinem Vaterlande, meiner Herkunft, den Ursachen, die mich zu dieser Stadt geführt hätten, in welcher ich augenscheinlich als Fremder ohne sonderlichen Anhang lebe? Ich hatte viel Muth, allein ich empfand eine innere Scheu in seiner Gegenwart, unsrer frühern Verbindung, meiner kindischen Wünsche und unsichern Hoffnungen zu gedenken. Es wäre mir unmöglich gewesen, deinen Namen auszusprechen, und doch hing er mit allen geheimnißvollen Regungen, mit dem[47] verwischten Glanz meiner Jugend, ach, mit jedem Gedanken, der mich von da an begleitete, zusammen. Ich sagte daher, mein einfaches Leben sey nicht werth von ihm beachtet zu werden. Ein Hirtenknabe wandre ich unstät durch die Welt, die mir von meinen Thälern aus so lockend erschienen sey. Ich freue mich Sprache und Sitten der Völker in ihren Gesängen zu erkennen, und finde meine Heimath überall in der Zauberwelt der Klänge. Er schien unbefriedigt, und ich fühlte mich unsicher und ängstlich. Nach einem augenblicklichen Schweigen trat er auf mich zu, und fragte mit gespannten zweideutigen Mienen, ob ich meine früheren Jahre nicht in einem Kloster verlebt habe? Es war sichtlich, daß ihn irgend eine falsche Vermuthung mißleite; indeß[48] war mir aller Irrthum von jeher zuwider, mich befiel eine peinliche Angst, und ich mochte wohl betroffen aussehen, als er mich gütig bei der Hand nahm und sagte, er wolle nicht in mich dringen, wenn diese Erinnerungen mich schmerzten; er wisse überdem jetzt genug, es würde sich alles aufklären. Dies gab mir die nöthige Zuversicht wieder, und ich versicherte ihm sehr unbefangen und ehrlich, daß ich wohl in Klöstern gelebt, sie aber erst in spätern Jahren aufgesucht und in ihnen gelernt habe, daß die Wahrheit überall siegen müsse. Er ließ meine Hand fahren, und ging schweigend im Zimmer aus und nieder. In mir war alles wieder ruhig und still, und ich ergötzte mich an den reichen Verzierungen, die uns umgaben, als er mit vieler Heftigkeit[49] ein Seitenzimmer öffnete, mir einen reich gestickten Mantel mit goldnem Ordenskreuz zeigte, und mich ernsthaft fragte: ob ich dies Gewand nie als Kind gesehen und im Spiele getragen habe? Mein Gott, was erwiedertest du? sagte Rodrich in der heftigsten Bewegung. Ich mußte wirklich lachen, entgegnete Florio, seine Unruhe nicht beachtend, da unsre Hütte solchen Reichthum wohl nie umfaßte. Der Cardinal konnte auch meine Aufrichtigkeit nicht länger bezweifeln, denn er sagte gerührt: nein, so lügt man nicht in der Jugend! Als wir bald darauf von einander schieden, hörte ich im Weggehen, daß er laut ausrief: es ist unbegreiflich, daß diese Züge mich täuschen konnten! Wir sahen einander oftmals wieder. Das Geheimnißvolle in seinem Betragen hatte[50] etwas Anziehendes für mich, und da er sich immer bei meinem Anblick zu erweichen und zufriedner zu seyn schien, so willigte ich ein, ihn hieher zu begleiten. – Es ist klar, sagte Rodrich nach einem kurzen Schweigen, mich, mich will er haben! O jetzt treten die allerfrühesten Erinnerungen hervor. So könnte ich denn mein dunkles Schicksal aufdecken! Gott weiß es, welche peinliche Angst mich zurückhält! aber ich kann nur mit Schrecken daran denken, den Schleier zu heben. Wer weiß, was darunter liegt! Ich zittere wie ein Kind, etwas Ausserordentliches zu sehen, und am Ende ist es wohl nichts, als das Allergemeinste, was mich spottend ansieht, und die stolzen Hoffnungen in den trüben Strom bedürftiger Wünsche zurückwirft. Jetzt, nur jetzt, muß[51] ich den glänzenden Wahn noch festhalten! mögen dann die Zeiten alles zerstörend berühren, wer kann wissen, wie es über kurz oder lang endet! – Was redest du für seltsame Dinge? unterbrach ihn Florio. Dich suchte der Cardinal? warst du denn jemals im Kloster? und mich soll er für dich angesehen haben? Ach du weißt es nur nicht, erwiederte jener, ich schwieg ja in eurer Gegenwart von allem, was mir das Herz zusammenzog. Ja, ich war im Kloster lange Jahre hindurch, und wie auch der Cardinal mit meinem Leben zusammenhängt, ich glaube ihn dort gesehen zu haben, doch so früh, daß mir nur das Schreckende seines Anblickes geblieben ist, und er, die kindischen Züge leicht vergessend, sie überall in jedem fremden Gesicht zu finden glaubt.[52]

Rodrich schüttete nun sein ganzes Herz vor ihm aus, und wie er der Vergangenheit gedachte, konnte er nicht umhin, prophetische Blicke in die Zukunft zu werfen. Florio bat ihn, Gott zu vertrauen, der sich niemals widerspreche, und der Natur eines Jeden gewähre, was sie durch ihr lebendiges Wollen verlange. Ich werde es niemals glauben, setzte er hinzu, daß Mensch und Welt in so argem Widerstreite gegen einander stehen, und die Nothwendigkeit sich gegen den innern Ruf so aufthürmen könne, daß dieser unbeantwortet bliebe, oder der Geist, in eigner Erniedrigung verschmachtend, dahin getrieben würde, sich durch freche That zu befreien. Das hat noch Niemand groß gemacht, daß er mehr gewollt als er gedurft. Wenn[53] man recht zusieht, bietet sich doch alles einander die Hände, und wer zu Gott will, mit dem ist Gott auch sicherlich. Rodrich hörte nicht recht auf das, was er sprach. Sein Denken war überall unstät, oder in Einem Gegenstande befangen. Beides traf hier zu. Mirandas Besitz beschäftigte ihn ausschließend, und doch war es als wenn auf diesem höchsten Gipfel seines Glückes noch tausend andre Wünsche, wie Cristallspitzen, anschössen, die, alle Farben spielend, seine Sinne unruhig umhertrieben. Laß uns noch einmal nach Theresens Garten gehen, rief er aus! ach, es war so unbeschreiblich schön dort! Florio folgte ihm willig. Allein da sie hinaustraten, wehete ihnen ein feuchter frischer Wind entgegen, der Himmel war trübe, hin und wieder fielen einzelne[54] Regentropfen, die sich, je weiter sie gingen, verdoppelten, und zuletzt in Strömen ergossen. Rodrich wollte sein Vorhaben nicht aufgeben, bis er zu der Gartenthür kam, die gerade jetzt wohl durch einen Zufall verschlossen war. Er blieb ganz erschrocken stehen. Soll ich sie denn nicht wieder sehen, sagte er so leise, als wäre selbst der Klang dieser Worte von übler Vorbedeutung. Denn das ist kein Sehen zu nennen, fuhr er unwillig fort, wenn ich morgen mit hundert Andern dahin gelange, einen kalten förmlichen Abschied in des Fürsten Gegenwart von ihr zu nehmen; dieses Menschen, der mir doppelt widrig ist, seit er sich hinter alten Gebräuchen verschanzt, um sein Heer nicht auf dem einzigen Wege zu begleiten, der ihn wenigstens zu einem würdigen[55] Tode führen könnte. Müssen die verhaßten Umgebungen so schneidend zwischen uns treten, und soll ich mit Haß und Widerwillen zu kämpfen haben, wenn ich sie sehe? Der Himmel sollte mir doch wenigstens dies Eine Gefühl rein erhalten! – Schilt den Himmel nicht, sagte Florio sanft. Könnte ein Gefühl deine Brust erfüllen, glaube mir, die Umgebungen hinderten es nicht. Manchem erscheint das Leben wohl nur so störend, weil alles leicht zerstörbar in ihm ist. Komm nur, fuhr er fort, wir wollen die Stadt noch ein wenig durchstreifen, vielleicht zerstreuen dich die lustigen Kameraden, die alle Sorgen hinter sich lassen, und im fröhlichen Rausch nur vorwärts Glück und Wohlleben sehen. –

Sie waren noch nicht weit gegangen,[56] als sie Stephano trafen, der in unglaublicher Bewegung überall war, und sich mit Entzücken in das neue Leben verlor. Es giebt, sagte er, als er sie erblickte, in der Welt keinen kühnern Idealisten, als den Soldaten. Auch der Erfahrenste tritt die oft empfundenen Widerwärtigkeiten lachend nieder, und sieht unverwandt in die Sonne des Ruhmes. Es ist, als wären Mühe und Noth, Gefahr und Wunden gar nicht da, so freudig sieht er darüber hinaus. Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich an allem ergötze, was mich umgiebt. Jeder Krieger ist sicher ein Märtyrer seines unerkannten Gefühls, und eben diese Bewußtlosigkeit giebt ihm das unbefangne Kindliche, die frische Heiterkeit, die ein unversiegbarer Quell wohl ersonnener Späßchen bleibt. Ja wohl,[57] sagte ein Mann in Grau gekleidet, den Stephano ganz dreist für einen Schulmann erklärte, ja wohl gleicht der Soldat dem Kinde, das hundertmal über einen Stein gefallen ist, und ihn doch nicht sieht, wenn die lockende Frucht aus der Ferne winkt. Das ist ja eben das herrliche in ihm, fiel Stephano schnell ein, daß ihn keine niederträchtige Überlegung von einem dreisten Schritt zurückhält. Der Engel mit dem Schwerte leihet dem Krieger seine Schwingen, um ihn über die Erbärmlichkeiten des Lebens hinaus zu tragen. Könnte der Tollkühne, fuhr der graue Mann fort, das glänzende Elend durchschauen, er würde gedankenvoll und mit Weisheit die Bahn betreten, oder mindestens dürften seine Führer den Stein zu umgehen suchen. Nun ich sehe zum[58] Glücke, sagte Stephano, daß ein letztes Fünkchen dieser Tollkühnheit jedem und auch ihnen beiwohnet, da sie so rücksichtslos mit und von den Soldaten reden. Hüten sie sich aber doch vor diesem Stein, ihr kühner Geist mögte sie nicht bei allen auf gleiche Weise empfehlen. Sie wandten sich von dem friedliebenden Lehrer, den ein paar kecke Bursche spottend nöthigten, mit ins Feld zu ziehen. Er werde, meinten sie, in der Schlacht gut thun, da er mit den kurzen Beinen nicht weit laufen könne.

Rodrich's Ahnungen hatten ihn indeß nicht betrogen. Er sahe Miranda erst am folgenden Abend in der großen Hofversammlung. Die Stunden rollten dort quaalvoll in kalter Förmlichkeit hin, ohne daß sich der Augenblick fand, in welchem ein herzliches Wort zu ihm[59] gedrungen wäre. Miranda sprach wenig, sie schien sehr bewegt, ihre Blicke senkten sich oft zur Erde, und einmal glaubte Rodrich eine Thräne in den dunkeln Wimpern zu sehen. Er wußte selbst nicht was ihn zurückhielt, sich ihr wie viele Andre zu nähern. Er zögerte und kämpfte, als plötzlich alles aufbrach, und er in einer kalten Verbeugung sein Blut erstarren fühlte. Die zurückgedrängte Leidenschaft drohete ihn zu ersticken. Er hatte nicht die Kraft den Fuß zu heben, und verweilte in ängstlicher Betäubung einen Augenblick, als die Prinzessin schnell auf ihn zutrat. Ihre Brust hob sich unruhig, als kämpfe sie mit zurückgehaltnen Thränen; stockend sagte sie endlich: Ich habe vergessen, sie von Rosalie zu grüßen, bei der ich diesen Nachmittag war. Die[60] Arme hoffte sie jeden Augenblick zu sehen, um ihnen Lebewohl zu sagen. Ich habe recht mit ihr getrauert, sie hätten sie nicht um diese letzte Freude betrüben sollen. Es war eine von den wenigen klaren Stunden, in denen sie ihr Leben mit Ruhe umfaßt, und still in sich selbst zurückgehet. Vergessen sie es nicht, daß eine bekümmerte Freundin für sie betet, die ihnen dies Andenken, als eine liebe Erinnerung schöner Augenblicke, giebt. Er empfing mit Entzücken einen kleinen Ring aus ihrer Hand, den er noch betrachtete, als sich alles um ihn her verloren und Miranda längst entfernt hatte. So liebreiche Worte durfte er kaum erwarten. Er drückte das Zeichen stiller, heiliger Zuneigung an seine Lippen. Ja, meine fromme Geliebte, sagte er leise, bete[61] nur, daß ich immer so demüthig und rein, wie in diesem Augenblick, zu dir aufsehe! Ist es doch, wenn ich den Ton ihrer Stimme höre, als geböte sie den innern Wogen Stille. Ich gebe mich dann auch so willig hin, und lasse sie walten, als hätten ihr von Ewigkeit alle meine Gedanken angehört. Es war ihm fast lieb, nicht bei Rosalien gewesen zu seyn, so gewiß er auch glauben durfte, daß Miranda ihn dort aufgesucht habe. Dieser plötzliche Wechsel, der geheimnißvoll wehende Liebeshauch, der ihn anrührte, als wolle er die Flammen aus dem Eismeere locken, die unnennbare Freude, die plötzlich durch sein ganzes Wesen zitterte, welche andre Wonnen konnten diese aufwiegen?

Er eilte zu Florio, um in dies treue[62] Herz sein Glück zu ergießen. Als er ihn sah, schloß er, ihn freudig in die Arme, und zeigte ihm den Ring, der ihm sein stummes Entzücken erklären sollte. Florio betrachtete gerührt das Kleinod. Es war eine große Perle, die in einem Blumenkranz von feinstem Golde lag. Je länger er darauf verweilte, je lebhafter ward er an den feurigen Reif auf dem Bilde der Dame erinnert. Er konnte sich kaum der Thränen erwehren, und gab ihm den Ring schweigend zurück. Verzeihe, sagte er, als ihn Rodrich verwundert ansahe, wenn ich dir kalt erscheine, ich bin von allem, was ich heute sehe, auf eine ängstliche Weise ergriffen. Die ganze Welt scheint mir in einer peinlichen Beklemmung zu liegen. Es ist als wenn alle zurückgehaltene Thränen des nahen[63] Abschiedes auf meine Seele fielen. Ich war bei der Gräfin, wie du es wolltest. Sie empfing mich gütig, und meinte: wir müssen beide die Undankbaren vergessen, die uns jetzt mit freudiger Ungeduld verließen; aber sie lächelte dabei so wehmüthig und sah so kummervoll auf den geschäftigen Grafen, daß man wohl fühlte, was ihr jeder Scherz kostet. Sie bittet dich, die letzten Stunden dieses Abends bei ihr zuzubringen. Alle Freunde sind dort. Sie versichert im voraus, daß sie eure Freude auf keine Weise stören, sondern den Augenblick so fest halten wolle, als könne der morgende Tag niemals hereinbrechen. Florio, sagte Rodrich sanft, du entkömmst mir nicht, trotz dem ungewohnten Strom deiner Worte, und den neuen Bildern, die du ängstlich[64] vorüberführst. Beschäftigt auch dich der Ring allein? Sage doch, mein guter Junge, was bewegt dich dabei so seltsam? Hast du nicht in meine offne Seele gesehen? war ich je bemühet, dir selbst die trüben Flecken darin zu verbergen? und darfst du dich gleichwohl vor mir verschließen? Florio widerstand dem sanften Eindringen nicht. Er faßte seine Hand, und vertraute ihm, was er seit jenem Augenblick sorgfältig in seiner Brust verschloß. Sie betrachteten beide den Ring; in dem röthlichen Schein der Perle strahlte Florio jene nächtliche Erscheinung zurück, er senkte den Kopf in beide Hände, und weinte still vor sich hin. Laß nur, sagte Rodrich, die Zeit wird das Räthsel lösen, und mag auch eine blutige[65] Thräne auf die flammende Glut fallen, wer weiß was daraus hervorgeht!

Bald darauf trafen sie bei Seraphinen ein, die sie bleich und mit verweinten Augen empfing. Rodrich faßte gerührt ihre Hand. O, sagte sie halb lachend halb weinend, thun sie sich keine Gewalt an, die Freude glänzt so unverschämt aus ihren Augen, daß jede Bemühung, traurig zu scheinen, vergeblich ist. Nein, nein, fuhr sie fort, als Rodrich im Begrif war zu antworten, laßt uns durch nichts erweichen, der Ton ist der rechte, den ich eben angestimmt habe, die dreiste Fröhlichkeit soll den Schmerz wenigstens für heute verscheuchen. Sie versuchte bald dem Gespräch eine leichtere Wendung zu geben; allein was sie auch that, die Anstrengung war überall sichtbar,[66] und verbreitete eine ängstliche Unruhe, jede Lücke auszufüllen, die das unterdrückte Gefühl nur noch stechender hervorrief. Ihr Kinder, sagte endlich der Graf, so geht es nicht. Das Herz widersteht in ernsten Augenblicken künstlichen Spielereien, darum laßt uns das Übel recht scharf ansehen, man gewöhnt sich ja an den häßlichsten Anblick. Seraphine lehnte sich an ihn, und weinte sanft, während er fortfuhr mit Ernst über den Krieg zu reden, und die Herrlichkeit eines ehrenvollen Todes herauszuheben. Die muthige Seele meiner Seraphine, sagte er, sollte nicht vor dem schönsten Lohne zurückbeben, der einen tapfern Krieger erwartet. Ich habe das Leben immer heiter angesehen, der letzte Augenblick wird mich ja auch nicht tauschen. Gott weiß es, ich[67] denke nicht leichtsinnig daran, ich werde ihn auch nicht vermessen herbeiführen; allein überraschen sollte er wohl Niemand unter uns! Darum laßt uns recht still und innerlich froh seyn, wie Menschen, die am Ziele einer langen Fahrt noch einmal einander die Hände reichen, und wehmüthig und getrost auf die getrennten Lebenswege blicken. Ach, setzte er hinzu, es giebt Leiden ganz andrer Art! Ich habe gestern mein armes Kind gesehen, das in dumpfem Jammer hinwelkt, und den Todeskampf wohl tausendmal besteht. Jugend und Lebenslust ringen wie Gewapnete mit den kalten Stürmen, die über ihre Blüthen hinfahren, und zuweilen dringt ein lauter Schrei aus der Tiefe ihres Elendes, daß man wohl fühlt, wie die Seele noch nicht vom Leibe scheiden[68] will. Ich habe den Anblick nicht ertragen können, am wenigsten aber, wenn in andern Stunden die erschöpfte Natur so in sich abgeschlossen, so kalt und gleichgültig in die dunkle Nacht hinstarrte, und alles, alles in ihr schwieg. Gott! sagte er bewegt, gieb uns einen klaren, besonnenen Tod. Alle Blicke richteten sich auf ihn, wie er mit gefaltnen Händen recht verklärt zum Himmel sah, und eine große Thräne über sein glänzendes Angesicht rollte.

Gewiß, sagte die Gräfin nach einer Weile, ich scheue die Schmerzen nicht, die mich jetzt fast auflösen. Man fühlt in ihnen Gottes Hand, und das Herz wendet sich liebreich und ergeben zu Allem, was einem auf Erden theuer ist; allein mich ängstet im voraus die Unlust, das Einerlei, die rechte innere Müdigkeit,[69] die bei manchen Gemüthern auf solche Erschütterung folgt, und die ich ganz von fern kommen sehe. Denkt euch, wie farbelos alles, in dem grauen Winter vor mich hintreten wird! Kein lebendiger Odem kann die ermüdenden Frauengesellschaften beleben, in denen die Langeweile sich so gern als Kummer und Trübsinn bewähren möchte, wenn die schlaffen Züge nicht unverkennbar ihre Spuren trügen. Manche stille Seele weint dann wohl im Verborgenen, und gedenkt seliger Stunden, aber das entzweiet vollends mit der Gegenwart, die Blicke auf das zu lenken, was nicht mehr ist. Oft, sagte Stephano, der während dem mit dem Gelehrten gekommen war, söhnt man sich aber auch mit ihr aus, wenn man sich lange in andre Zeiten verlor, und nun[70] plötzlich zu ihr, wie zu der alten Heimath, zurückkehrt, in der zwar wenig von der verlassenen Herrlichkeit zu finden ist, die indeß zu uns gehört, und der Leib unsrer Zeiten ist. – Nun, dieser Leib, sagte der Gelehrte, sieht freilich ziemlich zerbrechlich aus; ich wollte das dürre Gerippe zerfiele, und der jugendliche, lebendige Gott schritte wieder wie ein starker und gläubiger Held durch die neuen Zeiten. Das wird er, das wird er, riefen die jungen Krieger! Ja das wird er, sagte der Graf, glauben sie nur, das Alte wird wieder neu, freilich anders, aber was jetzt hier glüht, ist doch auch schön und Gott wohlgefällig. Es regt sich in der Asche, fuhr der Gelehrte fort, vieles kann wieder kommen, was man oft thöricht verloren giebt; ob jetzt? das weiß Gott![71] Allein gewiß ist es, der Phönix hebt die Schwingen, durch einen kühnen Flug kann er sich frei machen! Es ist Schade, fiel Stephano ein, daß der Herzog nicht mitgeht! Warum? unterbrach ihn Rodrich schnell, das Volk liebt ihn nicht, das Heer kennt ihn kaum, was soll er nützen? Nun, erwiederte der Graf, sein Name deutet darauf, in solcher Zeit ziehen sich alle Bande fester, das Vertrauen wächst mit der Gefahr, und: Herren Auge, Gottes Auge! Sonst war es so, erwiederte der Gelehrte, und mich dünkt, der giebt sein Land verloren, der die Armee verlassen kann. Wirklich? sagte Rodrich lächelnd. Der Cardinal, habe ich gehört, hat den Bruder auch heldenmüthig zum Aufbruche ermuntert, und sich edel genug zur Verwaltung des Reiches erboten.[72] Wer weiß, erwiederte Stephano beleidigt, stände es dann nicht gut. Sein fester Blick würde die Frechen und Kindischgesinnten zügeln, die des Herzogs Gleichgültigkeit unbeachtet läßt. – Es sind große Opfer für den Glanz dieses Hauses gefallen, sagte der Graf, dem Cardinal ist nichts zu werth, was er dieser Idee nicht gern unterwürfe. Gewiß ist es, er bleibt den Winter über hier. Ohne Absicht geschieht das nicht. Nun Gott möge alles nach seinem Willen lenken! Der Herzog kann nicht mitgehen, die Stände wollen es nicht, und er darf hoffen, daß er auch unsichtbar bei jedem unter uns ist.

Seraphine hatte unterdeß mit Florio geredet, und konnte nicht genugsam ihr Gefallen über ihn ausdrücken. Nein, sagte sie zu Rodrich, es ist etwas so[73] Eigenthümliches, Fremdes, ja Veraltetes in ihm, daß ich bald ein Kind, bald einen Heiligen zu hören glaube, so unschuldig und doch so besonnen, so klar und tief sieht er die Welt an. Ich möchte zuweilen über ihn lachen, und doch muß ich ihn unwillkührlich verehren. Er sagte nur wenige Worte, aber das liegt so rücksichtslos auf gesellschaftliche Formen, so offen da, daß es überall anerkannt werden muß. Ich glaube, sie sollten alles von sich werfen, und mit ihm in ihre Berge flüchten. Aber das Paradies ist nun wohl für sie verschlossen, sie können nicht mehr von der Welt lassen, und doch sind sie weder heiter genug, um unbefangen, noch fest genug, um ruhig in ihr zu leben. Sie wissen, es ist nicht meine Art, Gemüther zu sichten und zu zerlegen, um einen[74] Beitrag meiner Seelenkunde herauszuheben, wobei die Eitelkeit gewöhnlich alle Liebe und Theilnahme niedertritt, und die natürlichsten Gefühle in Kunstworte zwängt; aber sie geben sich dem blödesten Auge preis. Ich kann sagen, es stört mich oft recht wehmüthig, wie bei einem leisen Ruf von außen, ihr wilder Sinn so flammend losbricht, und auch, wenn sie nichts sagen, so schwer und trübe in ihnen arbeitet, daß sie mir wie ein feuriger Berg erscheinen, dessen frische grüne Decke die Menschen vertrauend lockt, sich an ihn zu lehnen, bis er dann unversehens alles in Asche und Glut verschüttet. Ach, und der Augenblick wird kommen, und sie werden mit verloren gehen! Wenn ich denke, fuhr sie nach einer Weile fort, in welcher beide schwiegen,[75] wie es sie und mich treffen kann, wenn ich den geliebten Mann niemals, niemals wiedersehe! Mein Gott, was würde dann auch aus ihnen werden! Sie ständen ganz allein, ach und ich könnte nicht mehr in einer Welt leben, die ohnehin immer trüber wird, und die nur die sanfte Heiterkeit des reinsten Gemüthes erhellt. Sie bog sich zurück, und ließ ihre Thränen still fließen, während Rodrich halb erweicht, halb erbittert, über die eigne feindselige Natur schweigend vor sich hinsah.

Die Stunden waren indeß unbemerkt entflohen. Der letzte Augenblick nahete, ohne daß es Jemand unter ihnen einfiel, den vertraulichen Kreis zu eröffnen. Stephano hörte zuerst das langsame Rollen der schwer bepackten Wagen, die immer häufiger durch die[76] Straßen fuhren. Bald ward nun alles lebendiger. Niemand konnte das verworrene Rufen, das Klirren der Waffen länger überhören. Die Artillerie zog mit klingendem Spiele vorüber, das Geschütz dröhnte dumpf auf dem Steinpflaster. Alle fühlten mit Angst und Freude, daß auch ihre Zeit bald kommen mußte, indeß wagte Niemand die augenblickliche Stille zu unterbrechen, die recht ängstigend fast jede Bewegung gefangen hielt. Endlich stellten sich die Regimenter auf den Straßen. Marketenderinnen und anderes Gesindel lärmte frech vorüber, ihre derben Späße fuhren schneidend durch Seraphinens heilige Wehmuth. Sie verhüllte das Gesicht, und kämpfte sichtlich, die schickliche Haltung zu gewinnen; auch gelang es ihr bald, sich ruhig zu erheben und mit[77] erheiterten Mienen an das Fenster zu treten. Der dämmernde Morgen stritt noch mit dem Mondenlichte. Die Gestalten traten wunderbar aus dem magischen Scheine hervor. Seraphine ward von dem Anblick der rüstigen Schaaren überrascht, die mit ihren glänzenden Waffen so kampflustig da standen, und jeder Trauer zu spotten schienen. Handwerker und Bürger, Männer und Frauen hatten sich herzugedrängt, jeder brachte das Seinige sogleich herbei; manche stille Thräne, mancher laute Zuruf ward gefühlt und erwiedert. Die Offiziere flogen die Reihen herauf, während Blick und Gruß der gläubigen Geliebten Trost verhieß. Alles sah schön aus in dem Augenblick, wo Thorheiten und Fehler vor der beginnenden kräftigen That verschwinden. Solchen Reiz giebt der edle[78] Wille, und so tief lebt Freiheit und Recht in der Menschen Brust. Und als nun die Trommeln gerührt wurden, und ein langes: lebt wohl, lebt tausendmal wohl, nebst dem lauten Hurrah der jubelnden Knaben nachhallte, als die betagten Mütter betend zu dem klaren Himmel aufsahen, und behagliche Krämer und Meister schon in Gedanken den ersten Bericht von der Armee lasen, sagte der Graf fest: Laßt uns thun was seyn muß, die Reihe ist nun an uns. Seraphine wollte den letzten Moment durch keine Schwäche trüben, der Anblick so vieler Tapfern, die heiter und vertrauend dem dunklen Ausgang entgegen sahen, hatte ihr Muth gegeben. Sie wandte sich beherzt zu dem Gemahl, der sie still bewegt an sein Herz drückte; ihre Thränen stockten, sie[79] hatte keine Worte, Alle schwiegen gerührt; da schmetterten die Trompeten, die Pferde stampften wiehernd vor dem Hause, Weiber und Kinder schrien in unvernehmlichen, herzzerreissenden Tönen. Der Graf drückte noch einen Kuß auf Seraphinens bleiche Wange, und eilte, ohne sich umzusehen, aus dem Zimmer. Stephano und der Gelehrte reichten einander die Hände, indem der erstere sagte: es hat Punkte gegeben, wo wir von einander abwichen, allein was mich jetzt durchdringt und fortreißt, das fühlen sie, und das wollen wir in der Erinnerung festhalten und Freunde bleiben. Florio ging schweigend neben Rodrich; nur einmal sagte er mit gefaltnen Händen: Ach! nun fühle ich auf's neue, wie sich Herz vom Herzen reißt, und die Wunde so still[80] ausbluten muß, bis sie in sich selbst heilt. Lebe wohl! sagte Rodrich stockend, schwang sich auf's Pferd, und war bald mit Stephano den Zurückbleibenden aus den Augen.

Der lustige Gruß der Reiter, verwehete schnell die leichten Wolken auf ihrer Stirn. Ihre Herzen waren weich und offen, die klaren Luftströme zogen erfrischend durch sie hin. Alles blickte sie in dem herbstlichen Morgenglanz so reif und kräftig, und doch so scheidend an. Die Erde dampfte und thauete in unzähligen Tropfen nieder, als weine sie ihren Kindern nach. Da hoben die Reiter folgendes Lied an, das, wie ein Gespräch, von dem Einzelnen angefangen, und von der ganzen Schaar beantwortet wurde.
[81]

Was zieht dich so lustig zum Thore hinaus,

Was locket dich über die Brücke?

Was reißt dich von Weib und Kind und Haus,

Zu jagen nach schönerem Glücke?

Der Krieg, der Krieg, der lustige Krieg,

Der locket den Reiter, der ruft ihn zum Sieg.


Ach wende die Augen, sieh jenseit dem Fluß,

Sieh Wellen in Wellen sich kreisen,

Es schäumet die Brandung, es sprudelt der Guß,

Laß schweigen die lustigen Weisen,

Und schlängen die Wellen auch Habe und Gut

Der Reiter blickt vorwärts, lacht spottend der Flut.


Die Brücke sieh fallen, zerbrechen den Steg,

Kannst nimmer zur Heimath nun wandern.[82]

Die Kindlein, sie jammern auf schlüpfrigem Weg,

Die Mutter verhöhnt dich mit Andern.

Laß brechen, laß brechen, was halten nicht kann,

Verloren hat niemals, der wieder gewann.


Halt an die Zügel, halt an, um Gott!

Sieh vor dir die Todten-Gebeine,

Es öffnen die Thüren, dem Frevler zum Spott,

Die Gräber, im stummen Vereine.

Wen kümmern die Gräber, wer achtet den Tod?

Es treibet den Krieger ein göttlich Gebot!


Der Graf trabte indeß munter vor seinem Regimente her, welches, ohne achtet er das Haupt-Corps führte, so selten und so spät als möglich, von ihm entfernt seyn durfte. Stephano und[83] Rodrich ritten an seiner Seite. Alle drei hörten dem Liede zu, als der Wind rauschend durch die trocknen Blätter fuhr, und sie kreisend des Grafen Wange streiften. Das ist wohl gar der Tod, sagte er lachend, indem er ein welkes Blatt zerdrückte; nun, setzte er hinzu, das Lied hat Recht, wer achtet den Tod! Die beiden konnten nicht lachen. Seine Worte waren ihnen schwer auf's Herz gefallen. Rodrich dachte an Seraphinens prophetische Klagen; seine Blicke richteten sich wehmüthig auf den heitern Greis. Das mögliche Unglück schien ihm gewiß, schien ihm so nahe, daß er kaum dem innern Drange widerstand, ihn an sein Herz zu drücken. Lieber Sohn, sagte der Graf, der seine Bewegung wahrnahm, laß dich das nicht irre machen, in der Jugend hält[84] man viel auf solche Zeichen, im Alter weiß man, daß sich der menschliche Verstand überall anhängt, wo er nicht hindurch kann, und in den engen Schranken alles zu sehen meint, was ihm Gottes Hand verbarg. Das Geheimniß deuten zu wollen, führt auf böse Trugschlüsse oder kindische Spielereien. Wer nicht alles weiß, darf niemals glauben die dunklen Worte zu verstehen, die wohl zuweilen in und um uns erschallen, und die nur an die unsichtbare Weisheit erinnern, und zur Demuth und Standhaftigkeit ermuntern sollen. Laß jetzt deine Gedanken sich lieber auf die thatenreiche Gegenwart lenken! Viel Sinnen in das Blaue hinein, macht den Blick unsicher und die Tritte schwankend. Kinder, ich kann euch nicht sagen, fuhr er nach einer Weile fort, mit[85] welchem Blick ich die Gegend umher betrachte! Keine frühern Erinnerungen knüpfen mich an sie, ich bin nicht alt geworden mit diesen Bäumen, ihr Schatten und ihre Früchte haben erst spät den Fremdling erquickt, und dennoch hält sie mein ganzes Herz gefangen. Ich könnte die Erde küssen, die mich so gastlich aufnahm, wo mir so viel, so viel Freuden erblüheten! Ja ich will sie schützen als mein köstlichstes Gut! Wir wollen ihr eine Vormauer seyn, an der die räuberischen Hände zerbrechen sollen! Wachend und schlafend habe ich nur den einen Gedanken. Wohl tausendmal schlage ich den Feind im Traume. Nun es wird geschehen, bei Gott, es wird! Jetzt dringen wir in Eilmärschen vor. Rechts deckt uns das Meer, links die feste Gebürgskette, so[86] sind wir über den Gränzen, in Feindes Land, ehe es die weisen Staatsräthe noch ahnen. Die Armee ist frisch, kräftig, zu Anstrengungen gewöhnt, von den Einwohnern geliebt. In solchen Zeiten wird es dem Landmanne erst anschaulich, was der Soldat im Frieden bedeutet. Sie haben einen Respekt vor ihm, der zugleich Liebe ist und Dankbarkeit. Das fühlt der Reiter besonders, der überall einen gewissen Stolz hat, der ihm wohl ansteht, und nur in einzelnen seltenen Fällen Übermuth wird. Rodrich glaubte nichts Herrlicheres gesehen zu haben, als dies wachsende Feuer, das in den schönen, beweglichen Zügen des Grafen spielte. Er selbst ward wie neugeboren, heiter, in sich gewiß. So ging es mehrere Tage. Das thätige Leben, der Wechsel[87] der Gegenstände, die Neuheit der ungewohnten Verhältnisse, alles that ihm wohl, trieb ihn aus sich selbst heraus, und gab seinen Gedanken einen äußern, festen Halt, an dem sie wuchsen und reiften, und eben deshalb beruhigter in sich selbst zurück gingen. Er stieß auf nichts, was ihn zurück drängte, oder feindlich erbitterte. Stephano war ein gefälliger Freund, ihre beiderseitige Wünsche für den Augenblick erfüllt, des Grafen Achtung und Freundschaft zwischen ihnen getheilt, die Unterhaltung durch ihn bestimmt, leicht und unterrichtend. Alles traf zu um das Verhältniß rein zu erhalten, und Rodrich eine thätige Ruhe kennen zu lehren, die seiner Natur eigentlich fremd, und nur durch die Umstände erzeugt war.

Nach mehreren Märschen mußten sie[88] indeß das Regiment verlassen, um die wechselnden Hauptquartiere schicklich und passend wählen zu können. Es ward nun immer reicher, vollwichtiger um sie her. Im buntesten Gewühl fremder und doch innig verbundener Gemüther, in der wilden Lustigkeit und dem Ernste anstrengender Berathschlagungen, in dem Zusammenklang alles dessen, was den Soldaten ausmacht, dehnte sich Rodrichs Seele, die Schranken traten immer weiter und weiter zurück, er umfaßte die Weltgeschichte, in dem lauten, ans Herz dringenden Ruf der Gegenwart. Was längst gewesen, ward ihm wieder neu. Die nie verschollnen Nahmen ewiger Helden erklangen in seiner Brust, der allmächtige Geist hob sich, und trat die nichtigen Wünsche nieder. Was seine Blicke bis jetzt wie Irrlichter[89] verlockt, die schwankenden Vorstellungen unsichrer Größe, drängten sich hier in einen gewichtigen Gedanken zusammen. Das Leben faßte ihn recht herzhaft an, und er begegnete der wohlthuenden Erschütterung mit wachsender Kraft. Überall fühlte er sich wohl, überall blitzten ihm die versprüheten Funken göttlicher Herrlichkeit entgegen, die hier in einer Flamme aufloderten. Er lernte die Welt wieder lieben, die er nie recht kannte, am wenigsten, wenn er sie aus dem Gesichte verlierend, sich selbst überflog. Es sah ihn alles so groß, so neu, wie aus langem Schlaf erwacht, mit frischen, lebendigen Augen an. Alle Klagen über gesunkene Weltherrlichkeit erkannte er als erste Regung des Erwachens. Er glaubte einzusehen, wie das tiefe, bis zum[90] Schmerz beschämender Erniedrigung empfundene Bedürfniß großer Wirksamkeit, die That nothwendig herbei führen müsse, und wie der Geist nie lange in der Hülle schmachte, ohne sie zu sprengen und gewaltsam zu fodern, was ihm werden muß, sobald er es will.

Noch war er nie so bleibend ruhig in sich selbst, so versöhnlich mit der Welt, so zuversichtlich und heiter gewesen, als in den stillen Abenden, die er mit Stephano allein bei dem Grafen zubrachte. Alles, bis auf die unbedeutenden Beschränkungen äußerer Bequemlichkeit, erinnerte sie an das erwünschte Ziel, dem sie mit jedem Tage näher rückten. Der Graf schürte die Flamme noch mehr an, indem er sich selbst wohlthätig erwärmte, und seine Pläne an dem stillen, inneren Lichte reisen ließ.[91]

So waren sie über die Grenzen, dem überraschten Feinde entgegen, in sein eignes Gebiet gerückt. Kaum hatte dieser so viel Zeit gewonnen, sich vor die Festungen zu werfen, und das Innere des Landes mit allen Kräften überwiegender Macht, und allen Vortheilen wohlgelegener, stark befestigter Plätze zu sichern. Der Graf sah mit Freuden, wie sein Gegner, immer stärker und stärker gegen seinen rechten Flügel anrückend, einen Hauptangriff von dieser Seite zu erwarten schien, indeß er sich links nur schwach gegen das Gebirge lehnte, das sich hier stark erhebend, weiteres Vordringen unwahrscheinlich machte. Auch rechtfertigten des Grafen Bewegungen diese Maaßregeln eine Zeit lang, und die Armee selbst glaubte, daß hier der Schlag fallen[92] müsse, bis er durch eine geschickte Stellung den Kern der Truppen plötzlich links wandte, während leichte Corps den Feind von der andern Seite ungewiß hinhielten. Die Regimenter zogen sich, immer vorrückend, dichter und dichter zusammen. Alles ging den festen Gang auf Leben und Tod mit Zuversicht. Endlich kam der große Tag, des Grafen Pläne waren reif, alle Befehle in der Stille gegeben, Maaßregeln und Vorkehrungen getroffen. Das tiefste Geheimniß deckte die Zukunft, Niemand wußte, aber Jeder glaubte und wollte das Beste, darum blieben die Gemüther frei und sicher, und die Herzen voll Kampfeslust. So stand es in und um den edlen Grafen, als er am Abend vor der Schlacht seinen jungen Freunden entdeckte, daß noch in dieser Nacht[93] ein Scheinangriff die feindlichen Anführer täuschen werde, indeß sie wenige Stunden darauf mit zusammengedrängter Kraft von der Gebirgsseite einbrechen, und wahrscheinlich alles aufreiben und sprengen würden, ehe noch ein Mann zu Hülfe eilen könne. Stephano ward deshalb sogleich zur Avantgarde verschickt, um jede Bewegung zu beobachten und dem Grafen nöthigen Bericht abzustatten. Er hatte mit gespannter Aufmerksamkeit jedes Wort in sich gesogen, sein Herz zitterte vor innerm Entzücken, er konnte keine Sylbe hervorbringen, so wogte und brauste es in seiner Brust; unwillkührlich faßte er Rodrich's Hand, um doch etwas in der gewaltsamen Anspannung zu ergreifen, er schüttelte und drückte sie während große Thränen über das glühende, fast[94] verschämte Antlitz des Jünglings rollten. Nun gehen sie mit Gott, sagte der Graf bewegt, und als wäre die Erde unter ihm verschwunden, so pfeilschnell war er ihnen aus dem Gesicht.

Rodrich war heut still und innerlich, wie Jemand, dem das Größte im Leben plötzlich ganz nahe tritt. Der erwünschte Augenblick war anders, als er sich ihn gedacht hatte, unendlich schön, aber ernst und heilig. Er spürte nichts von der leidenschaftlichen Erschütterung, die ihn über sich hinaus zu nie gesehenen Thaten treiben sollte. Weit Geringeres hatte ihn sonst wohl heftiger fortgerissen. Jetzt war er ruhig und sicher, seit sich die großen Bahnen vor ihm erschlossen. Er erschien sich selbst ungewohnt, und was er that und[95] sah, erfüllte ihn mit unbekannter feierlicher Ehrfurcht.

So war ihm ein Theil der Nacht verflossen, als des Grafen Regiment einrückte, das im entscheidenden Augenblick den gewohnten Führer nicht entbehren sollte. Es ward nun alles lebendiger, als der Graf sich auf sein Pferd schwingend den Leuten zurief: nun Kinder in Gottes Nahmen vorwärts! Wie ein freudiger Blitz fuhr es über alle Gesichter, die Alten sahen so vertrauend drein, tausend Grüße flogen ihm zu, sogar die an einander gewöhnten Pferde wieherten sich lustig entgegen. Doch bald ging es still und eilig vorwärts. Rodrichs Herz klopfte jetzt zum erstenmal heftiger. Man hörte stark feuern, des Grafen Blicke flogen nach dem Gebürge hin. Dampf und[96] Rauch hüllten sie in dichte Nebel. Vor und hinter ihnen wimmelte es von heranrückenden Regimentern. Rodrich verlor sich immer mehr in die großen Erscheinungen. Indem ward das Feuer schwächer, als zöge es sich weiter hin, und sie sahen Stephano heransprengen, der ihnen zurief: die Pässe sind frei, die Höhen genommen, der Feind ist geworfen, aufgerieben, doch rechts wälzt es sich wie ein Gewitter heran. Vorwärts, vorwärts, rief der Graf, und alles drang in schneller Ordnung vor. Bald zogen sie zwischen den Gebürgen an Leichen und Verwundeten vorüber. Des Grafen Pferd stutzte und bäumte sich bei dem blutigen Anblick, auf Rodrichs Lippen schwebten jene Worte:


Halt an die Zügel, halt an, um Gott,

Sieh vor dir die Todten-Gebeine.
[97]

Der alte, unerschrockne Held gab indeß dem Pferde unwillig die Spornen, und sie gelangten schnell in die weite unabsehbare Ebne, die sich nun vor ihnen hindehnte. Die Sonne drang am dunkeln Saum des Horizontes herauf, über der Erde schwebte und flimmerte es, wie tausend Luftgestalten, die ein klarer Morgen verjagte, die Trommeln schallten dumpf durch die tiefe Stille, die Infanterie marschirte auf, hell glänzten die polirten Bajonette. Die weißen Federbüsche der Cavallerie wogten wie ein bewegtes Meer im frischen Morgenwinde, alles stand in fester, geschlossener Ordnung zum Kampfe bereit, während ein feindliches Corps wild und verzweifelnd heranstürmte. Da schmetterten die Trompeten, wie Ein Leib bewegte sich die dichte Schaar. Sie[98] stürzten auf einander ein; der Sieg war leicht, der Widerstand schwach, doch bald drängten sich die Haufen immer dichter und dichter heran. Rodrich sah alle Kräfte in einem furchtbaren Momente gegen einander aufsteigen. Der alte heilige Schooß der Erde bebte, und nahm die kreisenden Kugeln mit dumpfem Gestöhne auf, um und neben ihm sank ein blühendes Leben nach dem andern, schwarze Rauchsäulen drängten sich zum Himmel und hüllten die blutigen Gestalten in schattige Wolken, das lichte Gewölbe über ihm war umzogen, die Erde mit Blut und Leichen bedeckt. Unheimlich und beengend trat die grause Wirklichkeit vor Rodrich hin. Wie gebannt mußte er neben dem Grafen halten, der von einer Anhöhe das Ganze scharf und ernst[99] betrachtete. Der Sieg blieb eine Zeitlang ungewiß, Noth und Verzweiflung gaben dem Feinde ungewöhnliche Kräfte. Rodrich sah das, und kämpfte mit der stechenden innern Ungeduld und dem äußern Unvermögen, etwas Entscheidendes zu unternehmen. Jetzt, sagte der Graf, ist es Zeit. Die brennende Mittagssonne strahlt dem ermatteten Feinde entgegen, indeß wir, frisch und stark, ihr den Rücken zuwenden. Er eilte voran und sandte Rodrich, seinem fast umringten Regimente Unterstützung herbei zu führen. Wie eine Flamme riß dieser die Schaaren mit sich fort, durchdrang die Reihen, entwand einem gefallnen, sterbenden Jüngling die Standarte, und stürzte mit den jubelnden Reitern in die dichtesten Haufen. Bald darauf sah man den Feind wanken,[100] die Reihen waren durchbrochen, die Ordnung nicht wieder herzustellen, die wilde Fluth, Gesetz und Maaß überspringend, rann unaufhaltsam aus einander. Mehrere Stunden wurden sie verfolgt, viele gefangen und getödtet, die Meisten retteten sich durch ungezügelte Flucht. Endlich ward alles still, die wachsende Schlachtwuth tobte nur noch im Innern der aufgeregten Gemüther. Bald lagerten sich die siegreichen Truppen auf einem frischen Anger, den Dörfer und klare Bäche durchschnitten. Rodrich hatte indeß mit steigender Angst den Grafen vergeblich aufgesucht. Auch Stephano fehlte. Er eilte unzähligen Todten und Verwundeten vorüber, zitternd, in jedem einen dieser Geliebten zu erkennen. Seine Unruhe ward bald allgemein gefühlt,[101] tausend kreuzende Gerüchte, wo man den Grafen zu letzt gesehen und gesprochen haben wollte, verwirrten nur die Meinungen und erhöheten die laut geäußerten Sorgen. Der Abend brach unter ängstlichen Nachforschungen herein, da sah Rodrich aus der Ferne drei Gestalten langsam zu Pferde herannahen. Er eilte ihnen entgegen, und erkannte, im trüben Dämmerlichte, den schwer verwundeten Grafen, von Stephano und einem Diener unterstützt. Zusammengesunken, mit schlaffen herabhangenden Armen, ließ er sich fast bewußtlos von demselben Pferde schleichend forttragen, das sonst nur in raschen Sprüngen mit ihm über die blühende Erde hinflog. Rodrich weinte laut, als ihn der Tod aus den edlen Zügen so bleich und zerstörend anblickte.[102] Er umfaßte den geliebten Kranken und wollte ihn still und behutsam in eine nahe gelegene Hütte tragen, allein der Graf verlangte in gebrochnen Tönen nach einem Zelte bei seinen Reitern gebracht zu werden. Stephano eilte voran, die nöthigen Anstalten zu treffen, und die Andern zogen schweigend an den bestürzten Regimentern vorüber, die den geliebten Feldherrn mit stummer Ehrfurcht begrüßten. Als sie nun aber vor dem Zelte anlangten, und der Graf in einem rückkehrenden Lebensblitz seine wackeren Kampfgenossen anredete, und sich und ihnen Glück zu dem wohlerfochtenen Siege wünschte, da hielt sich keiner länger; tausend Thränen flossen, Aller Herzen ergossen sich in Klagen über das theure Opfer, das nun so blutend vor ihnen lag. Die[103] alten Krieger drängten sich um ihn her, sie wollten noch einmal in das sterbende Auge blicken, das ihnen so oft Ehre und Sieg verhieß. Er grüßte Alle mit erschöpfender Anstrengung, und wurde dann eilig von herzueilenden Ärzten auf ein bequemes Lager gebracht. Rodrich harrte am Eingange des Zeltes in dumpfer Erstarrung auf den entscheidenden Ausspruch des Arztes. Er kannte sein Unglück, er hatte die tiefe Wunde in der Brust gesehen, er durfte nicht hoffen, und dennoch zitterte er heftig, als Stephano herausstürzte, und die zurückgehaltenen Thränen an seinem Busen ausweinte. Er wagte es nicht, ihn zu fragen, die Gewißheit war ihm schrecklicher, als jene betäubende, hinhaltende Furcht. Beide schwiegen, der Arzt ging wehmüthig an ihnen vorüber.[104] Niemand sagte ihm ein Wort, so traten sie wieder an das Bett des Kranken, der nach dem schmerzlichen Verbande einen Augenblick schlief.

Die Nacht war indeß herauf gezogen. Eine laue, heitre Luft säuselte durch die halb geöffneten Zelt-Vorhänge. Auf der weiten Ebne brannten Wacht- und Lagerfeuer, still und erschöpft ruheten die müden Krieger, über ihnen glänzte der Himmel im heiligen, verklärten Lichte ewigen Friedens. Rodrich und Stephano lauschten auf die stockenden ungleichen Athemzüge des Grafen, der sich öfter regte, und im Schlafe unzusammenhängende Worte und einzelne Nahmen laut werden ließ. Rodrich ward sehr erschüttert, als er ihn mehreremale mit vieler Anstrengung, Eusebio, Eusebio, rufen hörte. Die[105] Vorstellungen verwirrten sich, er glaubte wieder ein Kind, an des sterbenden Freundes Lager zu sitzen, dunkle Ahnungen durchflogen ihn, er beugte sich über das bleiche Angesicht und ihm war, als lägen zwei Gestalten in dem engen Bette. In dem Augenblick erwachte der Graf. Er schien gestärkt, blickte klar und sicher um sich her, verlangte, daß man das Zelt noch mehr öffnen solle, und freuete sich der Ruhe und Ordnung im Lager. Sein heiteres Gespräch goß einen Strahl von Hoffnung in die Herzen beider Freunde, doch bald ward er ganz still, seufzte mehreremale tief, und schien auf's neue zu schlafen. Rodrich hatte seine Hand gefaßt, und als er sah, daß er unverwandt nach dem Lager blickte, wagte er es, ihm einige leise Fragen zu thun.[106] Mein Sohn, erwiederte er, der Tod ist viel mehr, als man glaubt, es sollten sich die Fäden langsam lösen, die uns an die Welt fesseln, oft reißen sie aber gewaltsam, und die Sehnsucht und der Schmerz halten uns hier noch lange gefangen. Vieles bleibt so unvollendet und zerstückt hinter uns liegen, und scheint uns mit tausend Stimmen zurück zu rufen, wenn gleich eine höhere Hand es anders und besser beendigen kann. Auch du liegst mir schwer auf dem Herzen. Ich kann nun wenig mehr für dich thun. Nimm die Schreibtafel, die dort in dem Kästchen liegt. Sie enthält Papiere, die du meinem Freunde, dem General überbringen sollst, er wird weiter für dich sorgen. Rodrich, sagte er nach einer Weile, als Alle um ihn her weinten, den Krieger müssen[107] heitre Blicke zum Grabe geleiten, laß dich nicht so gewaltsam beugen, dir bleibt viel zu thun übrig. Dein Schicksal wird dich noch wunderbar führen. Ich erkannte dich früher. Eusebio war mein Bruder. Zerreiße das bunte Gewebe nicht, laß die Zeiten an dir vorüber gehen, es waltet und wechselt die ewige Gottheit in wunderbarer Gestalt, neige dich vor ihrem unerforschlichen Willen, und trachte nicht vermessen, das Dunkel aufzuhellen. Ich habe in dieser Nacht viel erfahren. Es ist wenig mit diesem Leben, und doch wieder so viel, so unendlich viel! Er schwieg, Rodrich glaubte nichts Neues zu erfahren, ihm war, als habe er immer Eusebio's Bruder in dem geliebten Wohlthäter geehrt, es kam ihm auch alles ganz gewohnt und natürlich vor. Er forschte nicht[108] weiter nach, alle Neugier ward durch den heiligen, verklärten Blick des Sterbenden zurück gedrängt. Er wußte selbst nicht deutlich, was er fühlte und dachte, er sah nichts, als das Eine, was diesen bangen, ängstigenden Augenblick ausfüllte.

So hatten sie mehrere Stunden schweigend neben einander verweilt. Da drang die Trompete, die im Lager zum Satteln rief, schneidend durch die heilige tiefe Stille. Der Graf fuhr gewaltsam empor, er winkte mit der Hand, und blieb einen Augenblick aufgerichtet in einer angestrengten Stellung, als wolle er dem Rufe folgen; wie der schmetternde Ton verhallte, sank er zurück, und lag starr und todt an Rodrichs blutendem Herzen.[109]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Roderich. Ein Roman in zwei Theilen. Teil 2, Berlin 1806–1807, S. 3-111.
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