Der Königsstuhl bei Rhense

[30] Weise: »In des Waldes düstern Gründen.«


Neu gebaut beim alten Rhense

Steht der Wahlstuhl wiederum,

Aber Enten, ach! und Gänse

Weiden schnatternd drum herum.


Wo einst Wahlen hielt das Wahlreich,

Und der Reichsaar trotzig schrie,

Dorten, feierlich und zahlreich,

Grast nun zahmes Federvieh.


Ach! und aus den Weidenbüschen

Eilt kein Kurfürst mut'gen Schritts;

In den sieben hohen Nischen

Leer und öde jeder Sitz!


Dennoch freut es, ihn zu schauen,

Stattlich, wie er vormals stand,

Als aus nah und fernen Gauen

Deutschland Boten ihm gesandt;


Als man Kampf beriet und Schlachten

Hier im offnen Steingemach

Und geschickt mit selbstgemachten

Kön'gen spielte hohes Schach;


Als ins Banner schwarzrotgolden

Frisch und frei der Rheinwind blies;

Als man einen Trunkenbolden

Nach Verdienst vom Throne stieß.


Fauler Wenzel! nimmer sehnen

Wir uns heut nach dir zurück!

Auch am Königsstuhl zu lehnen,

Deucht uns kein besonder Glück!
[30]

Unterdessen, da bei Rhense

Er zu schaun ist wiederum,

Nehmen willig, trotz der Gänse,

Wir ihn als Augurium;


Als ein Zeichen, uns zum Frommen

Aufgericht't am Rheinesstrand:

Daß du wirst zu Stuhle kommen

Sonsten auch, o deutsches Land!


St. Goar, Oktober 1843.


Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 30-31.
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