32.

[249] Der wiedererstandene Eulenspiegel, das ist wunderbare doch seltsame Historien Tyll Eulenspiegels, eines Bauern Sohn, gebürtig aus dem Land zu Braunschweig, aus sächsischer Sprache auf gut hochdeutsch verdollmetscht, und jetzt wieder aufs Neue mit etlichen Figuren vermehrt und verbessert, sehr kurzweilig zu lesen, samt einer lustigen Zugabe. Jezund abermal ganz frisch gesotten und recht neu gebacken. Cöln und Nürnberg.


Aechter, vierschrötiger, gediegener Bauernwitz; ein Kapital von Spaß und Scherz, das immerfort in der Nationalbank stehen bleibt, aus der dann jede Generation ihre Interessen zieht; eine wahre Hauspostille des Spaßhaften, die den Seelenjubel, und die Freude und die laute Lache im Volke nie versiegen läßt. Das Ganze deutet durch seine rhapsodische Form durchgängig auf ein successives Entstehen in verschiednen Zeiten, und ein Erzeugniß einer ganzen Classe, die es als Denkmal eines nationellen innern Uebermuthes und freudigen Muthwillens nach und nach wie einen Scherbenberg zusammentrug, den nun irgend ein Einzelner vollends ordnete. Was ihm daher die allgemeine Haltung giebt, ist durchaus das immer sich gleichbleibende Gepräge der untern Volksklasse, in der es ursprünglich entstanden war, das man in allen seinen charakteristischen Merkmalen hier wieder findet, bis auf die Ader von boshafter Tücke hin, die durch den ganzen Charakter Eulenspiegels durchläuft,[249] und die man als den teutschen Bauern eigen allgemein anerkennt. Daher das Massive, Ungeschlachte, für die höheren Stände Unflätige des Witzes, der nur gar zu gern in körperliche Effluvien sich ergießt, obgleich niemal in das eigentlich Obscöne sich verliert. Allein wenn man das anstößig finden wollte, dann bedenke man doch, daß der Scherz des Aristophanes durchgängig von nicht viel mehr sublimirter Art erscheint, und daß das ganze atheniensische Publikum keinen Anstand nahm, von den Götterbildern zu der Bühne hinzueilen, und dort an den bizarren Nuditäten des Dichters sich zu ergötzen. Gerade weil unsere einseitige Cultur uns nach und nach auf eine alberne Ziererey hingetrieben hat, die die Natur verläugnen will, und sich der Wohlthaten schämt, die sie von ihr empfängt, weil sich alles gerade eben nicht mit eleganter Sauberkeit abthun läßt; für diese ist eben Eulenspiegel eine sehr gute Gegenwucht, und eine ironirende Apostrophe der Verachteten an die Hoffärtigen, die gegen sie fremd und vornehm thun, damit sie sich erinneren, daß sie auch aus Fleisch und Bein gemacht sind, und der Erde angehören. Nicht immer aber verweilt auch der Witz des Buches auf jener untern Stufe, er erhebt sich auch häufig genug in die höhere Sphäre des reinen Scherzes, und der Schwank mit dem Bienenkorbe, mit den zwölf Blinden, denen E. zwölf Gulden giebt, der mit dem Schneiderconvent, mit den Schneidergesellen auf dem Laden, mit den Hünern der Bäuerin, der er den Hahn zum Pfande läßt, der mit dem Esel, dem er Hafer zwischen die Blätter eines Buches streut, um ihn lesen zu lehren, sind ehrbar, und von gutem Sperlingswitz. Im ganzen Eulenspiegel erscheint der landstreichende Witz personificirt dargestellt, bei allen Ständen und Gewerben wandelt er umher, und indem er durchaus den Ernst ironisch beim Worte nimmt, geht daraus immer ein verkehrtes Thun, und in ihm der Spaß hervor. So treibt er sich durch alle Classen herum, selbst bei den Fürsten, aber nur auf eine kurze Weile; er will keines einzelnen Menschen seyn, sondern er ist allein Schalk auf seine eigne Faust, und daher der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegensatz der früher allgemein üblichen Hofnarren. Als solcher ist er daher auch auf unsere Zeit gekommen, und während die Fürsten die Stelle längst als überflüßig erkannt haben, ist das Volk keineswegs derselben Meinung gewesen, und hat sich seinen plebeyischen Tribun in der Schellenkappe nicht nehmen lassen, und man würde im höchsten Grade Unrecht thun, wenn man von dieser Seite irgend gewaltsam störend eingreifen wollte. Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle einreissen, die der Scherz noch in der großen Menge hat!

Der Eulenspiegel erschien zuerst um 1483 im Plattteutschen, obgleich diese erste Ausgabe sich nicht erhalten zu haben scheint. Als die älteste bekannte Ausgabe führt Koch die Augsburger in 4. von 1540 in der Wolfenbüttler Bibliothek auf. Der Franziskaner Thomas Murner, der zur Zeit der Reformation seine Rolle spielte, soll ihn zuerst ins Hochteutsche übersetzt herausgegeben haben. Die vollständige alte Straßburger Quartausgabe von 1543 schied sich bald mit Teutschland in einen protestantischen und einen katholischen Eulenspiegel, wovon jener, ehrbarer, die stärksten Zoten strich, dafür aber nebst den 92 gewöhnlichen Schwänken noch zehn Andere über[250] Papst und Pfaffenabentheuer enthält. Er wurde, wie v. Murr angiebt, bald in zwei verschiednen Uebersetzungen in lateinische Jamben gebracht, und schon 1559 ins Französische, und später auch in andere Sprachen übertragen. Auch die Holländer haben ihn in ihre Sprache aufgenommen, und er erschien 1613, Rotterdam bei S.v. der Hoeven, unter dem Titel: Historie van Thyl Ulenspieghel van syn sckalcke Boeverijen, die im bedreven heeft see ghe noech lije, met schoone Figuren. Wer ihn aber am liebsten gewonnen hat, das scheinen die Bauern der innern Schweiz zu seyn, jene kräftigen mannhaften Bergbewohner, in denen das Fleisch so mächtig vorwiegt, und der Geist nur gerade eben noch wie jener Witz, der in dem Buche herrscht, über dem straffen Muskel steht, die daher selbst gleichsam Zoten, im guten Sinne des Wortes, sind, die die Natur gerissen hat. Von Eulenspiegel selbst sagt man, daß er um 1350 gestorben sey, und zu Möllen bei Lübeck wird sein Grab unter der Linde gezeigt, mit der Eule und dem Spiegel in den Stein eingehauen. Dies Symbol, und sein allegorischer Name deuten eben auf seine Unpersönlichkeit, und die Eule, die er zum Embleme führt, ist durchaus physiognomisch richtig zur Bezeichnung seines Charakters, bösartig, katzenmäßig, schadenfroh, fratzenhaft, glühaugig, diebskniffig gewählt.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 249-251.
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