Dritter Akt


[163] Waldgegend.

Timandras liegt seitwärts todt auf der Erde. Ligares betrachtet ihn.


LIGARES.

Er schlummert nicht. Nein, nein, er ist gestorben;

Sein Aug ist tief, und seine Wange bleich.

Kein Odem herbergt mehr in seinem Busen,

Das Triebwerk seines Herzens ist zerstört.

Jetzt hab' ich wieder Raum auf dieser Erde,

Mit ihm zugleich war sie für mich zu eng.

Jetzt darf ich hoffen, ja, sie wird mich lieben;

Gestohlen hat er ihre Neigung mir;

Ich bin der Erbe meines Eigenthumes,

Zwiefachen Anspruch hab' ich nun auf sie.


Er nimmt den Zepter vom Boden und zerbricht ihn.


Ja, Zepter, du hast deinen Dienst geleistet,

Hinab geleitet ihn zur Unterwelt;

Der letzte Wunsch sey's, den du mir erfüllet:

Denn ich entlasse deiner Dienste dich.


Pause.


Es hebt die Brust sich heiter mir und freier,

Des Mordgefährten Reue fühl' ich nicht.

Ist's so entsezlich denn sich Rache nehmen?

Besteht in ew'gen Kampfe nicht die Welt?

Muß Leben raubend Leben sich nicht nähren?[164]

Ich habe was Gemeines nur gethan –

Es wird die That den Schlummer mir nicht rauben;

Gespenster quälen den nur, der verzagt:

Doch sie erschrecket der, der sie nicht scheuet,

Der keck in ihre tiefste Wohnung dringt.


Pause.


Jetzt werd' ich sie, Ladikä, werd' ich sehen,

Die alten Zeiten sind nun wieder da;

Ich schleiche leise mich in ihren Garten,

Und finde den verhaßten Feind nicht mehr.

Auf Erden macht sie keiner mehr mir streitig,

Erkämpfet hab' ich sie, sie ist nun mein.

Wie klopft mein Herz! ich soll sie wieder sehen,

Vernehmen ihrer holden Stimme Laut;

Vor Lust und Freude mögt' ich fast verzagen,

Zu großes Glück wirkt großem Unglück gleich.


Ab.

Zeno, und der Knabe kommen.


KNABE.

Des Weges ging er, wie mir heute däuchte;

Wo mag er doch wohl hingekommen seyn?

ZENO.

Wo mag er seyn? Mir ist so bang im Herzen,

Ich mögt' ihn Einmal, Einmal noch ihn sehn;

Des Abschieds bittre Wonne noch genießen,

Und seines lezten Wortes mich erfreun.

Was er auch that, was er mag Böses sinnen,

Mit seinen Thaten hab' ich nichts gemein;[165]

Ich will mich nur an seine Liebe halten,

Nur denken, daß er mein Ligares sey,

Mein Zögling; und was er sonst noch seyn möge,

Was geht das mich und meine Liebe an;

Wenn er mich liebt, ist er mir kein Verbrecher,

Wär' er mit schwerer Blutschuld auch befleckt.

KNABE.

Er will dich, Zeno! niemals wieder sehen,

Daran erkennen sollst du seine Gunst.

So sprach er, dieß sind seine eignen Worte,

Die ich in meinem Busen wohl behielt.

Und traurig sah er aus, und tief beweget;

Doch ich verstand nicht seiner Rede Sinn.

ZENO.

Ich habe sie nur gar zu gut verstanden;

Schon wähnt' ich sicher und gerettet ihn.

Doch rückwärts müssen ihn die Wellen tragen,

Zu diesem Ufer drohender Gefahr.


Pause.


Wir wollen gehn, Alkmenes zu begraben,

Und fromme Thränen seinem Tode weihn. –

Vergib es mir, o vielgeliebter Schatten!

Daß ich getheilten Schmerz nur bringe dir;

Von banger Sorge ist mein Geist beklommen,

Daß ich nicht ruhig, würdig trauren kann. –

Wir wollen, Knabe! seiner Leiche pflegen,

Nach der Aegypter heiligem Gebrauch.

Mit duft'ger Naphta seine Glieder salben,[166]

Und reiben mit dem feinen Nardenöl;

Mit würzigem Gekräute ihn erfüllen,

Mit Spezereien aus Arabia.

Wenn dieß geschehn, nach dreier Monde Wechsel,

So nehmen köstliche Gewande wir,

Und tauchen sie in Wachs und Myrrhensalben,

Und schlagen um den Leichnam sie herum,

Wie es die Sitte der Aegypter heischet.

Dann legen wir ihn nächtlich in den Sarg,

Und räuchern ihn, und beten die Gebete,

Die dort der Todten Seelen noch erfreu'n,

Daß nicht sein Geist uns leicht getröstet wähnet,

Und unmuthsvoll auf uns hernieder sieht. –

Auf seinem Grabe will ich immer wohnen,

Einsiedlerisch mich seinen Manen weih'n,

Und so ihn trösten, daß Ligares Liebe

Ihm keine frommen Todtenopfer bringt.

KNABE.

Ja oft an seinem Grabe will ich beten,

Auch für Ligares, meinen guten Herrn.


Sie wollen gehen; der Knabe wird Timandras gewahr.


Sieh doch, o Zeno! wie hier dieser schlummert;

Wer mag es seyn? Fürwahr sein Schlaf ist tief –

ZENO.

Timandras ist es! Götter! wie erblasset!

Sein Schlaf ist schrecklich, er sieht Todten gleich.

Das Zepter hier! – Das Zepter ist zerbrochen –

O meine Ahndung! mein weissagend Herz![167]

Komm, Knabe! laß uns diesen Ort verlassen.

O hätt' ich dieses Schreckniß nie geseh'n!


Beide ab.

Ein Garten.

Ladikä und Mandane.


LADIKÄ.

Es ist der Thau schon gänzlich aufgezehret,

Die leichten frischen Lüfte sind verscheucht.

Sie schlüpfen flüsternd nur durch diese Wipfel,

Und flüchten in die dunklen Grotten sich;

Dort spielen sie mit klaren Felsenquellen,

Und baden in des Springbrunns Boden sich,

Dort ist ihr Reich in ewig frischer Kühle,

Von Phöbus heißen Pfeilen unverletzt,

Dort flüstern sie der Liebe Melodien

In keuscher Oreaden Felsenohr.

Verborgen so entfliehen sie der Sonne,

Den Tag verweilend in der Klüfte Nacht.

Doch hat sich Helios zum West gewendet,

So schlüpfen sie aus ihrer Einsamkeit,

Und wandern hin und wieder durch die Erde,

Und selbst die starken Eichen beugen sich,

Die Wolken müssen ihren Spielen dienen,

Und ihrer Herrschaft unterwerfen sich.

MANDANE.

Die Hyacinthen senken ihre Knospen,

Und die Narcisse neigt ihr strahlend Haupt.[168]

LADIKÄ.

Sie schließen blinzlend ihre kleinen Augen,

Geblendet von der Sonne hellem Schein.

Laß hier uns weilen, sieh, aus dieser Laube

Hab nach der Sonne ich so oft gesehn,

Ob sie zum Meere sich nicht neigen wolle,

Und unerträglich langsam war ihr Schritt;

Und wann sie endlich nun den West berührte,

Wie jauchzt ich da, wie war mein Herz so froh!

Denn nur der Abend brachte den Geliebten

In diesen Garten an mein sehnend Herz.

Wie anders nun, mich quälet keine Stunde,

Und keine wünsch' ich zur Vergangenheit,

Ich liebe jede, jede wird genossen;

Es ist der Tag ein anmuthsvoller Kreis

Von holden Schwesterstunden, all' erwünschet,

Und jede spendet eignen süßen Reitz. –

Schön ist es zwar ersehnen, hoffen, träumen,

Doch seliger ein ruhiger Besitz.

MANDANE.

Die Dichter sagen, daß Besitz ermüde,

Daß Zweiflen, Hoffen Liebesnahrung sey.

LADIKÄ.

In ew'ge Strahlen kleidet sich die Sonne,

Und ohne Wandel ist der Sterne Licht,

Olympos' Höhen stehn in ew'ger Bläue,

Die Götter ewig in der Schönheit Schaun;

Unwandelbar ist alles Wahre, Schöne,[169]

Ist alles, was von göttlicher Natur.

Im Himmlischen ist ewiges Bestehen,

Die Flamme, die ein Gott entzündet, glüht,

Wenn alle ird'sche Gluthen auch verglimmen:

Denn sie entzündet, was vergänglich ist;

Und solche Liebe will ernähret werden,

Und neu erzeugt durch Hoffen oder Furcht.

Doch, sieh die Sonne! ewig aus ihr selber

Und ohne Wandel quillt ihr Feuermeer.


Pause.


Doch ich verliere glückliche Minuten,

Indem ich rechne, wie ich glücklich sey.

Geh! suche den Timandras, liebes Mädchen,

Und sag ihm, daß ich warte hier auf ihn.


Mandane ab, Ladikä bleibt nachdenkend stehen, nach einer Weile kommt Ligares.


LIGARES.

Ihr Götter, ja! sie ist's, die Theure, Holde!

Das sind die lieben Augen, dies ihr Mund;

Die Locken sind's, der dunklen Haare Flechten,

Und ihrer süßen Reitze Fülle ist's.

LADIKÄ.

Ligares du! Was kann hieher dich führen?

LIGARES.

Die Liebe, frage noch, die Liebe thut's.

LADIKÄ.

Ligares höre mich, doch höre mich gelassen:

Von Liebe kann die Rede nicht mehr seyn;[170]

Doch sieh, von Herzen will ich dir begegnen,

Wie einem Freunde, wenn du ruhig bist.

Sag nicht, daß ich die Treue dir gebrochen;

Dein Herz hat meinem Herzen nicht geziemt.

Ich sucht' es lange dir und mir zu bergen,

Wie meine Neigung abwärts von dir rang.

Drum zürne nicht, es hat ein Gott entschieden:

Denn Gottes Wille spricht durch die Natur.

LIGARES.

Auch ich hab einen finstern Traum geträumet,

Als habe sich dein Herz von mir gewandt;

Doch ich erwache zu dem bessern Leben:

Du bist nun wieder und für immer mein;

Der Götter Wille hat dich mir gegeben,

Denn Gottes Stimme spricht im Schicksal auch.

LADIKÄ.

Ich werde diese Sprache nicht mehr hören,

Verändre deine Reden oder geh. –

Du bist noch da? du wartest unentschlossen?

So bleibe dann, ich komme dir zuvor.


Sie will gehen, Ligares hält sie zurück.


LIGARES.

Du bleibst, du bist in meine Hand gegeben.

LADIKÄ.

Du rasest! wahrlich du bist außer dir![171]

LIGARES.

Ja Raserei ist's dir von Treue reden,

Verrath und Untreu nennest du Vernunft.

LADIKÄ.

Laß ab, Ligares! hast du nicht geschworen

Zu meiden immerdar mein Angesicht?

LIGARES.

Du mahnst mich an die Heiligkeit der Eide?

Meineidige! du thust nicht wohl daran.

LADIKÄ.

Du zwingst mich deinem Grimme zu entfliehen,

Wenn du dich selbst nicht zu bezähmen weißt.

LIGARES.

Du zwingst mich dich zur Rechenschaft zu ziehen,

Weil du die Treue nicht zu ehren weißt.

LADIKÄ.

O laß mich! laß mich! wild sind deine Blicke,

Und deine Reden sind entsetzensvoll.

LIGARES.

Weib bleibe, daß ich selbst mich nicht vergesse,

Denn Mitleid ist und Liebe nicht in mir.

Drum bleibe, willst du nicht, daß ich dich tödte,

Ich führe einen festen, sichren Stahl.

Du siehst mich an! ja ich bin schwer verwundet;

Doch schwerer der, der diese Wunden schlug.[172]

LADIKÄ.

O Unglücksahndung! hast du ihn gemordet?

Ja deine Blicke sie verrathen dich.

LIGARES.

Ich that es nicht, und wenn es nun auch wäre,

Hast du nicht Schlimm'res noch an mir gethan?

Du hast mich zehnfach, tausendfach gemordet,

Nicht nur mein Leben, meine Tugend auch;

Den Frieden meiner Brust hast du geraubet,

Die fromme Unschuld hast du mir entwandt,

Und nimmer nimmer kann mir besser werden,

Nicht Lethe's Wasser kühlet meine Gluth,

Und Heilung ist nicht auf der weiten Erde

Für meiner Seele brennend heißen Schmerz.

Ich liebte dich, o schweiget meine Lippen,

Daß sie nicht wisse, wie ich sie geliebt;

Und mich, mein Herz, das konntest du verschmähen?

Nein, solche That ist ewig unerhört,

Ein kleiner Frevel wär' es ihn zu morden,

Verglichen mit so schändlichem Verrath.

Doch that ich's nicht, Weib! laß das Händeringen,

Was soll das Winseln? Ende, sag ich dir.

Du thust nicht wohl, mir einen Schmerz zu zeigen,

Der die verhaßte Neigung mir verräth.

LADIKÄ.

Barmherzigkeit! o höre meine Bitte

Und laß mich gehn, denn ich ertrag es nicht.[173]

LIGARES.

Wie zart du bist, o gute treue Seele!

Du kannst die Quaal des Sterbenden nicht sehn;

Allein ihn morden, langsam todt ihn quälen,

Das kannst du, trefflich hast du es bewährt.

LADIKÄ.

Was willst du mir? Kamst du mich zu ermorden,

So wähltest du die rechten Waffen dir.

LIGARES.

Warum ich kam? noch weiß ich's nicht zu sagen –

Zum Wahnsinn aufzureitzen meinen Schmerz.

Das ist es, was mir Lindrung noch gewähret. –

Du liebst mich nicht? O sprich's noch einmal aus!

Daß ich verzweiflend wüthend selbst mich morde,

Dir fluchend, meiner Liebe und mir selbst.


Pause.


Du siehst mich an? Kannst du ihn nicht empfinden

Den tiefen Schmerz, der mich zu dir geführt?

O wende ab nicht deine lieben Augen!

Barmherzigkeit gewähren Götter auch

Dem Schlechtesten, der flehend ihnen nahet;

Drum sprich ein Wort von Lieb' und Trost zu mir.

Nur einen Schein der Hoffnung laß mich sehen –

Und wär' er falsch auch – so betrüge mich.

Es ist so süß in Träumen sich zu wiegen;

Und daß sie fliehen vor des Morgens Licht,

Wer könnte das im Schlummer wohl bedenken?[174]

Und dann, wer weiß auch, ob der Morgen kommt.

Ich sterbe wohl, eh mich die Träume fliehen,

Denn meine Seele ist des Glücks entwöhnt.

LADIKÄ.

Umsonst; ich bin für immer dir verloren;

Und bis du ruhig das bedenken kannst,

Wirst du Ladikä's Auge nimmer schauen,

Denn deine Reden hör' ich nicht mehr an.


Sie geht schnell ab.


LIGARES.

Sie geht von mir, und läßt mich unerhöret;

Was will ich ferner auf der Erde noch?

Ich habe nichts, und nichts als sie besessen;

Jedweden Anspruch gab ich willig auf;

Von allen Freuden dieser ganzen Erde

Wählt' ich aus ihrer Fülle Eine mir.


Cassandra kommt, und bleibt im Hintergrunde.


Und diese einzige ist mir versaget,

Und kein Ersatz, so weit der Himmel reicht.

Armseligkeit der reichen Schicksals-Mächte,

Zu dürftig, eines Bettlers heißen Wunsch

Mit einer Gabe göttlich zu erfüllen!


Pause.


Mögt' ich erstarren wie des Nordens Eis,

Vom linden Hauch des Lebens unberühret!

Denn Leben ja ist Lieb', und Lieb' ist Schmerz;

So ist es schmerzlich leben, und die erste Gabe,

Die Mitgift in die Sterblichkeit ist Schmerz.


Er will gehen; Cassandra tritt ihm in den Weg.
[175]

CASSANDRA.

Ich habe dich, o Fremdling! hier belauschet,

Und deiner Werte Sinn hat mich gerührt.

Ja, wunderbar und tief hat's mich ergriffen,

So unbekannt mir auch dein Schicksal ist.

Wenn dir der Himmel vieles auch versagte,

Verschmähe trotzig drum den Antheil nicht,

Den deine Reden mir so tief erreget –

Wohl eine kleine Gabe ist's für dich;

Doch Antheil sollte nie verschmähet werden.

LIGARES.

O seltsame Verkehrtheit der Natur!

Sie, die mein Schmerz und meine Liebe meinte,

Sie hat kein Mitleid mit der bittern Qual;

Und du, die Fremde! du hast sie empfunden,

Und bietest freundlich Trost und Antheil mir?


Pause.


Du bist ein Weib! So seyd ihr Frauen alle;

Stets nach dem Fremden, Fernen neigt ihr euch.

Ihr sucht und liebet, was euch nicht gebühret,

Verschwendet euer Mitleid, eure Gunst,

Indeß ihr sie dem nahen Freund entziehet,

Den darben lasset, der euch treu geliebt.

Ja, auch in dir erkenn' ich eure Weise;

Drum laß' mich, halte mich nicht länger auf.

CASSANDRA.

Nicht solcher Art ist es, was ich empfinde,

Ein wunderliches Mitleid spricht zu mir.[176]

Mir ist, als könnt' ich deine Leiden lindern;

Und wenn ich's kann, o so verhehl' es nicht!

LIGARES.

Du irrest, Frauen können Wunden schlagen,

Doch sie zu heilen das versteh'n sie nicht.

Verschwende drum an mir nicht deine Gaben,

Du raubst sie einem nahen Freunde wohl.

CASSANDRA.

Kannst du so ungerecht uns alle schmähen?

Hat nie der Frauen Liebe dich erquickt?

Hat keine Mutter liebend dich gepfleget?

Kein treues Auge in dein Aug' geblickt?

LIGARES.

Wohl! ja es hat die Liebe mich beglücket;

Doch der Verrath hat tiefer mich geschmerzt.

Ich ward verstoßen, ward verschmäht, vermieden,

Und mußt' erdulden was das Schwerste ist:

Ich mußte einer fremden Liebe weichen,

Die frech sich in mein Eigenthum gedrängt.

Noch mehr: die Mutter selbst hat mich verrathen,

Verlassend ihren Sohn, als Säugling noch;

Verrathend ihren Gatten, der sie liebte,

Hat sie zum fremden Manne sich gewandt.

Entsetzlich ist mein Schicksal so gewesen;

Mein Elend ist der Frauen Wankelmuth.[177]

CASSANDRA.

O Gott! o Gott! was hast du da gesprochen!

Entsetzlich ist dein Schicksal, unerhört!

LIGARES.

Genug davon, und laß mich jetzo gehen.

CASSANDRA.

Nein, um der Götter willen! bleibe noch!

Noch eine Frage! die ich zitternd nenne –

O Gott! wie klopft mein Herz so bang und schwer.

Ich bitte, Jüngling! sage deinen Namen

Und deines Vaters Namen; sprich ihn aus –

LIGARES.

Was kann mein Name dich, die Fremde kümmern?

CASSANDRA.

Mehr als du denkst; ich bitte, sag' es mir.

LIGARES.

Mein Vater starb, Alkmenes war sein Name,

Ligares heiß' ich – aber du erbebst –

Du zitterst, Weib? was ist dir widerfahren,

Was sprach ich doch, das dich so sehr ergriff?

CASSANDRA.

Ligares, du? erkenne deine Mutter;

Cassandra bin ich; o verzeihe mir,

Verwünsche die nicht, die der Pflicht vergessend

Ein Raub erhitzter Leidenschaften ward.[178]

LIGARES.

Du, meine Mutter? kann ich mich noch freuen?

Es ist kein Herz in diesem Busen mehr.

Du, meine Mutter? Ich kann's nicht empfinden,

Ich bin wie Todte starr, wie Gräber kalt.

CASSANDRA.

Mein Sohn! Ligares! Theurer! Vielgeliebter!

Mit heißen Thränen oft Ersehnter! komm

Komm an das Herz der Mutter, und verzeihe

Der Traurenden die schwer bereute That.

Wie viele Nächte hab' ich nicht durchwachet,

Wie viele Jahre hab' ich nicht durchweint?

Nun bist du da, du bist in meinen Armen.

Verdien' ich, Götter! noch ein solches Glück?

LIGARES.

Du bist so ungestümm in deiner Freude,

Ist was auf Erden solcher Wonne werth?

Ich bitte, Mutter! suche dich zu fassen,

Der Freude Anblick selbst verwundet mich.

CASSANDRA.

Sag, starb Alkmenes frühe? darf ich fragen?

Hat meine That sein Leben ihm verkürzt?

LIGARES.

Er starb erst kürzlich, erst vor wenig Tagen,

Und zürnend hat er deiner nie erwähnt.[179]

Er wußte Vieles ruhig zu ertragen,

Nothwendig schien ihm aller Menschen Thun.

CASSANDRA.

Ihr Götter, Dank! ich hab ihn nicht gemordet.

LIGARES.

Gemordet, Mutter! welch ein schrecklich Wort!

CASSANDRA.

Nicht nur die Mutter hast du heut gefunden,

Ich führe dir noch einen Bruder zu;

Wie wird sich nicht Timandras deiner freuen. –

LIGARES.

Timandras, sagst du? dieser sey dein Sohn?

CASSANDRA.

Er ist es, wie, hast du ihn schon gesehen?

LIGARES.

Weh mir und dir, daß ich ihn je gesehn.

Ich sah ihn – doch ich darf – ich wills nicht sagen,

Begraben sey mit mir das Schreckenswort. –

Leb wohl denn, Mutter! lebe wohl auf immer!

Und was du ferner auch vernehmen magst,

So denke, daß Verzweiflung mich getrieben,

Und fluche mir nicht, was ich auch gethan.

CASSANDRA.

Was ist geschehen? sprich, was ist geschehen?

Um aller Götter willen bleib, und sprich.[180]

LIGARES.

Nein! nein! ich darf dein Antlitz nicht mehr sehen,

Ein Ungeheuer würd' ich scheinen dir. –

Doch fluch mir nicht; es hat mich zum Verbrechen

Des Schicksals Wille deutlich selbst geführt,

Und seine Winke hab' ich nur vollzogen:

Drum denke, daß ichs nur gezwungen that.


Geht schnell ab.
[181]

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 2, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 163-182.
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