Immortalita

[38] Ein Dramolet


Personen


Immortalita, eine Göttin


Erodion


Charon


Hekate


Erste Scene


Eine offene schwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im Hintergrunde der Höhle sieht man den Stix und Charons Nachen der hin und her fährt, im Vordergrund der Höhle ein schwarzer Altar worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am Eingang der Höhle sind alle Feuerfarb und schwarz, so wie die ganze Dekoration, Hecate und Charon sind schwarz und Feuerfarb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie ein römischer Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange die sich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, dessen Raum Immortalita nie

überschreitet.


Immortalita (wie aus einer Betäubung erwachend.)


Charon! Charon.


Charon (seinen Kahn inne haltend.)


Was rufst du mich?


Immortalita.


Wann kommt die Zeit?


[38] Charon.


Sieh die Schlange zu deinen Füßen an, noch ist sie fest geschlossen, der Zauber dauert so lange dieser Kreis dich umschließt, du weißt es, warum fragst du mich?


Immortalita.


Ungütiger Greis, wenn es mich nun tröstete, die Verheißung einer bessern Zukunft noch einmal zu vernehmen, warum versagst du mir ein freundliches Wort?


Charon.


Wir sind im Lande des Schweigens.


Immortalita.


Wahrsage mir noch einmal.


Charon.


Deute meine Geberden, ich hasse die Rede.


Immortalita.


Rede! Rede!


Charon.


Frage Hekaten


(er fährt hinweg.)


Immortalita (streut Weihrauch auf den Altar.)


Hekate! Göttin der Mitternacht! Enthüllerin der Zukunft die im dunklen Schoße des Nichtseyns schläft! Geheimnißvolle Hekate! Hekate! erscheine.


Hekate.


Mächtige Beschwörerin!


(sie kömmt hinter dem Altar halb hervor.)


Was rufst du mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht; dies Ufer ist mir verhaßt, sein Dunkel zu helle, ja mir däucht ein niedriger Schein aus dem Lande des Lebens habe sich hierher verirrt.


Immortalita.


O vergieb Hekate! und erhöre meine Bitte.


Hekate.


Bitte nicht, du bist hier Königinn, du herrschest hier und weist es nicht.


Immortalita.


Ich weiß es nicht! warum kenne ich mich nicht?


[39] Hekate.


Weil du dich nicht sehen kannst.


Immortalita.


Wer wird mir einen Spiegel zeigen, daß ich mich darin anschaue?


Hekate.


Die Liebe.


Immortalita.


Warum die Liebe?


Hekate.


Weil nur ihre Unendlichkeit ein Maas für die deine ist.


Immortalita.


Wie weit erstreckt sich mein Reich?


Hekate.


Ueber jenseits, einst über Alles.


Immortalita.


Wie? wird einst diese undurchdringliche Scheidewand zerfallen, die mein Reich von der Oberwelt scheidet.


Hekate.


Sie wird zerfallen, du wirst wohnen im Licht, und alle werden dich finden.


Immortalita.


O wann wird dies geschehen?


Hekate.


Wenn glaubige Liebe dich der Nacht entführt.


Immortalita.


Wann? in Stunden, Jahren?


Hekate.


Zähle die Stunden nicht, bei dir ist keine Zeit. Siehe zur Erde! die Schlange windet sich ängstlich, fester beißt sie sich ein, vergeblich will sie dich gefangen halten in ihrem engen Kreis, dein Reich erweitert sich, vergeblich ist ihr Widerstand, die Herrschaft des Unglaubens, der Barbarei und der Nacht sinkt dahin.


Sie verschwindet.


Immortalita.


O Zukunft wirst du der Vergangenheit gleichen! jener seligen fernen Vergangenheit, wo ich mit Göttern in ewiger Klarheit wohnte.[40] Ich lächelte sie Alle an, und mein Lächeln verklärte sich auf ihrer Stirne in einem Glanz den ihnen kein Nektar geben konnte. Hebe dankte mir ihre Jugend, Aphrodite ihre immer blühende Reize, aber ein finsteres Zeitalter kam, von ihren Thronen wurden die seligen Götter gestoßen, ich wurde von ihnen getrennt, ihr Leben war dahin, sie giengen zurück in die Lebenselemente aus denen sie entsprungen waren, ehe mein Hauch ihnen Dauer verliehen hatte; Jupiter gieng zurück in die Kräfte des Himmels, Eros in die Herzen der Menschen, Minerva in die Gedanken der Weisen, die Musen in die Gesänge der Dichter. Und ich Unglücklichste von allen! ich wand den Helden und Dichtern keine unverwelklichen Lorbeern mehr, verbannt in dies Reich der Nacht! dies Land der Schatten! dies düstere Jenseits! muß ich nur der Zukunft entgegen leben.


Charon (fährt mit Schatten vorüber.)


Neigt euch Schatten, dies ist die Königin des Erebos, daß ihr noch lebt nach eurem Leben, ist ihr Werk.


(Chor der Schatten.)


Stille führet uns der Nachen

Nach dem unbekannten Land,

Wo die Sonne nicht wird tagen

An dem ewig finstern Strand. –

Zagend sehen wir ihn eilen,

Denn der Blick möcht noch verweilen

An des Lebens buntem Rand.


Sie fahren weg.


[41] Die vorige Scene.


Charons Nachen im Begriff zu landen. Erodion springt aus dem Nachen. Immortalita im Hintergrund.


Erodion.


Zurück Charon von diesem Ufer, das kein Schatten betreten darf! Was siehst du mich an? Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung, ein träumerischer Glaube haben meines Lebens Funken zur Flamme angeblasen.


Charon (für sich.)


Gewiß ist dies der junge Mann, der die goldne Zukunft in sich trägt.


(er fährt ab mit seinem Kahn.)


Immortalita (tritt hervor.)


Ja du bist der Jüngling, von dem Hekate mir weissagte. Bei deinem Anblick ist mir, als ob ein Strahl des Tages durch diese alte Hallen, durch diese erebische Nacht hereinbräche.


Erodion.


Wenn ich der Mann deiner Weissagungen bin, Mädchen oder Göttin! wie ich dich nennen soll, so glaube mir, du bist die innerste Ahndung meines Herzens.


Immortalita.


Sage mir wer du bist, wie du heissest, und wo du den Weg fandest, in dieses pfadlose Gestade? wo weder Schatten noch Menschen wandlen dürfen, sondern nur die unterirdischen Götter.


Erodion.


Ungern mögt' ich dir von etwas anderm reden, als von meiner Liebe, aber so ich dir mein Leben erzähle, rede ich von meiner Liebe. Höre mich denn: ich bin Eros Sohn und seiner Mutter[42] Aphrodite, diese doppelte Vereinigung, der Liebe und Schönheit, hatte schon in mein Daseyn die Idee eines Genusses gelegt, den ich nirgends finden konnte, und den ich doch überall ahndete und suchte. Lange war ich ein Fremdling auf Erden, und ich mochte von ihren Schattengütern nichts genießen, bis mir durch einen Traum oder Eingebung eine dunkle Vorstellung von dir in die Seele kam. Ueberall geleitete mich diese Idee, dieser Abglanz von dir, und überall verfolgte ich diese geliebte Erscheinung, auch wenn sie mir untertauchte in das Land der Träume folgte ich ihr nach, und erschien so vor den äussersten Thoren der Unterwelt. Aber nie konnte ich zu dir durchdringen; ein unseliges Geschick rief mich immer wieder an die Oberwelt.


Immortalita.


Wie Jüngling, so hast du mich geliebt, daß du lieber Hälios und das Morgenroth nicht mehr sehen wolltest, als mich nicht finden?


Erodion.


So hab ich dich geliebt, und ohne dich konnte mich die Erde nicht mehr ergötzen, nicht mehr der blumige Frühling, der sonnigte Tag nicht, Schönheiten die zu besitzen Pluto sein finsteres Zepter gerne vertauscht hätte. Aber wie eine größere Liebe sich vereint hatte, in den Umarmungen meiner Eltern, als alle andre Liebe, denn sie waren die Liebe selbst; so war auch die Sehnsucht die mich zu dir trieb die mächtigste, und siegreich über alle Hindernisse war mein Glaube dich zu finden; denn meine Eltern, die wohl wußten, daß der, aus Lieb' und Schönheit[43] entsprungen, nichts höheres auf Erden finden würde, als sich selbst, hatten mir diesen Glauben gegeben, damit meine Kraft nicht ermüden möge, nach Höherem zu streben ausser mir.


Immortalita.


Aber wie kamst du endlich zu mir? unwillig nimmt Charon Lebende in das morsche Fahrzeug, nur für Schatten erbaut.


Erodion.


Einst war meine Sehnsucht dich zu schauen so groß, daß alles was die Menschen erdacht haben, dich ungewiß zu machen, mir klein und nichtig erschien, ein begeisterter Muth erfüllte mein ganzes Wesen: ich will nichts, nichts als sie besitzen, so dacht ich, und kühn warf ich alle Güter dieser Erde hinweg von mir, und führte mein Fahrzeug an den gefährlichen Felsen, wo alles Irdische scheitern sollte. Noch einmal dacht ich: wenn du alles verlöhrst um nichts zu finden? aber hohe Zuversicht verdrängte den Zweifel, fröhlig sagt' ich der Oberwelt das letzte Lebewohl; die Nacht verschlang mich – eine gräßliche Pause! und ich fand mich bei dir. – Die Fackel meines Lebens brennt noch jenseits der stygischen Wasser.


Immortalita.


Die Heroen der Vorwelt haben diesen Pfad schon betreten, der Muth hat Streifereien in dies Gebiet gewagt, aber nur der Liebe war es vorbehalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Bewohner des Orkus sagen, mein Daseyn hauche ihnen unsterbliches Leben ein, so sey denn auch du unsterblich; denn du hast etwas Unnennbares[44] in mir bewirkt, ich lebte ein Mumienleben, aber du hast mir eine Seele eingehaucht. Ja, theurer Jüngling! in deiner Liebe erblicke ich mich selbst verklährt; ich weiß nun wer ich bin, weiß, daß ein sonniger Tag diese alten Hallen beglänzen wird.


Hekate tritt hinter dem Altar hervor.


Hekate.


Erodion! trete in den Kreis der Schlange.


(Er thut es: die Schlange verschwindet.)


Zu lange, Immortalita, warst du, durch die Macht des Unglaubens und der Barbarei, von Wenigen gekannt, von Vielen bezweifelt, in diesen engen Kreis gebannt. Ein Orakel, so alt als die Welt, hat gesagt, der glaubigen Liebe würde es gelingen, dich selbst in dem erebischen Dunkel zu finden, dich hervorzuziehen und deinen Thron in ewiger Klarheit, zugänglich für Alle, zu gründen. Diese Zeit ist nun gekommen, dir, Erodion, bleibt nur noch etwas zu thun übrig.


Der Schauplatz verwandelt sich in einen Theil der Elisäischen Gärten, die Scene ist matt erleuchtet, man sieht Schatten hin und wieder irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und Charons Nachen.


Die Vorigen.


Hekate.


Sieh Erodion, diesen Einsturz drohenden Felsen, er ist die unübersteigliche Scheidewand, der das Reich des sterblichen Lebens von dem deiner Gebieterin scheidet, er verwehrt dem Sonnenlicht seine Strahlen hierher zu senden, und getrennten Lieben sich wieder zu begegnen. Erodion! versuche es, diesen Felsen einzustürzen, daß deine Geliebte auf[45] seinen Trümmern aus der engen Unterwelt steigen möge; daß ferner nichts Unübersteigliches das Land der Todten von dem Lebenden trenne.


Erodion schlägt an den Felsen, er stürzt ein, es wird plötzlich helle.


Immortalita.


Triumph! der Fels ist gesunken, von nun an sey es den Gedanken der Liebe, den Träumen der Sehnsucht, der Begeisterung der Dichter vergönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich herabzusteigen und wieder zurück zu gehen.


Hekate.


Heil! dreifaches, unsterbliches Leben, wird dies blasse Schattenreich beseelen, nun dein Reich gegründet ist.


Immortalita.


Komm Erodion, steige mit mir auf, in ewige Klarheit; und alle Liebe, und jegliche Treflichkeit sollen meines Reiches theilhaftig werden. Und du Charon, entfalte deine Stirne, sey ein freundlicher Geleiter derer die mein Reich betreten wollen.


Erodion.


Wohl mir, daß ich die heilige Ahndung meines Herzens, wie der Vesta Feuer, treu bewahrte; wohl mir, daß ich den Muth hatte, der Sterblichkeit zu sterben, und der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 38-46.
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