XVI

[235] Ich habe dir bisher noch nicht erzählt, liebe Graziosa, daß Rosette meinen Aufenthalt ausgekundschaftet hatte und mir einen flehentlichen Brief nach dem andern schrieb, ich möchte sie besuchen. Ich konnte ihr diese Bitte schließlich nicht mehr abschlagen, und so habe ich mich auf den Weg nach ihrem Landgute gemacht.

Rosette hatte sich in Verzweiflung darüber, daß ich sie verschmäht, in das tollste Leben gestürzt, wie das zärtliche Naturen oft tun, wenn sie eine große Enttäuschung erlitten haben. Es dauerte nicht lange, so hatte sie eine Menge Abenteuer hinter sich, und die Liste ihrer Liebhaber ist bereits recht ansehnlich. Die keuschen Josefe kann man ja bekanntlich zählen.

Augenblicklich ist ein Chevalier d'Albert ihr Geliebter. Offenbar habe ich auf diesen jungen Mann sofort einen außergewöhnlich starken Eindruck gemacht. Ich bin im Besitze seiner zärtlichsten Freundschaft. Obgleich er gegen Rosette galant und gentil bleibt, so liebt er sie doch nicht oder nicht mehr. Vielleicht hat er ein unerreichbares Traumbild von Schönheit und Leidenschaft vor Augen, und eine unsichtbare Scheidewand steht zwischen ihm und ihr. Aber statt von neuem zu suchen, harrt er aus in den Fesseln, die ihn bedrücken. Er ist eben empfindsamer und ritterlicher als sonst die Männer. Sein Herz erkennt die Forderungen seines Verstandes nicht an.[236]

Daß mich Rosette einmal geliebt hat und mich jetzt noch über alles liebt, davon weiß er nichts. Kurz und gut, er fürchtet ihr weh zu tun, wenn er ihr merken lassen wollte, daß er sie nicht mehr liebt. Aus so edler Regung opfert er sich.

Mein Gesicht hat es ihm angetan. Er hält merkwürdig viel auf das Äußere des Menschen. Trotz meiner Männertracht und meines fürchterlichen Degens hat er sich in mich verliebt.

Offen gestanden, ich empfand Hochachtung vor ihm, weil er mein Geschlecht sofort herausfühlte. Anfangs glaubte er aber selber nicht recht an seine Ahnung, sondern quälte sich mit tausend Zweifeln, was mich insgeheim höchlichst belustigte. Einen Mann zu lieben, dünkte ihn die größte Verworfenheit. Die so natürliche Neigung, die ihn zu mir trieb, erschien ihm wie Teufelswerk, dem er allen nur möglichen Widerstand leisten müsse. Aus diesem Grunde zwang er sich in die alte Liebe zu Rosette. Umsonst. Sein Begehren nach mir entflammte nur noch heißer. Da kam ihm urplötzlich der Gedanke, ich könne ein Weib sein. Er suchte sich zu überzeugen und begann mich genau zu beobachten und eingehend zu studieren. Ich glaube, er kennt jedes einzelne Haar auf meinen Schläfen, jede einzelne Wimper an meinen Lidern. Alles an mir ist von ihm geprüft, verglichen, zergliedert worden: Hände, Füße, Wangen, Hals, Lippen usw.

Das Ergebnis dieser Untersuchung, bei der den Liebenden der Künstler unterstützte, lautete: »Es ist sonnenklar, daß ich ein Weib vor mir habe, und mehr noch: mein Traumbild, mein Schönheitsideal!«

So etwas muß eine wunderbare Entdeckung sein.

Nun brauchte er mich bloß noch zu betören und seinen Liebeslohn zu erbitten, dann konnte er mein Geschlecht einwandslos feststellen.

Es sollte irgend ein Theaterstück aufgeführt werden. Ich nahm[237] eine weibliche Rolle an. Das brachte ihm die Bestätigung. Im Spiel warf ich ihm ein paar bedeutsame Blicke zu und benützte gewisse Stellen meiner Rolle, die unseren Beziehungen ähnelten, um ihn zu ermutigen und zur Erklärung zu bringen. Wenn ich ihn auch nicht leidenschaftlich liebte, so gefiel er mir doch genügend. Ich nahm mir vor, ihn nicht in Sehnsucht verschmachten zu lassen. Da er der erste war, der mich unter meiner Verkleidung erkannt hatte, schien es nur recht und billig, daß ich ihn in diesem wichtigen Punkte aufklärte. Ich war entschlossen, ihn auch nicht im leisesten Zweifel zu belassen.

Zu wiederholten Malen kam er in mein Zimmer, eine Erklärung auf den Lippen. Aber er wagte sie nicht in Worte zu kleiden. Offenbar ist es nicht so einfach, jemandem eine Liebeserklärung zu machen, wenn der weibliche Teil auch Hosen anhat und noch dazu in Reitstiefeln einherstolziert. Da er also keinen Mut hatte, schrieb er mir schließlich einen umständlichen Brief, in dem er mir lang und breit auseinandersetzte, was ich doch viel besser wußte als er selber.

Jetzt weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll. Ihn erhören oder abweisen? Letzteres wäre ja äußerst tugendsam. Aber es würde ihm Herzeleid bereiten. Wenn wir denen wehtun, die uns lieben, was sollen wir dann denen zufügen, die uns hassen?

Nach der herkömmlichen Moral wäre es schicklich, noch vier Wochen die Spröde zu spielen und ihn zappeln zu lassen, ehe die Hülle sinkt und der natürliche Mensch erscheint. Aber das fällt mir gar nicht ein. Da ich einmal entschlossen bin, mich ihm zu schenken, so ist es besser sofort als später. Ich habe kein Verständnis für den üblichen mathematisch berechneten Widerstand, der heute einen Finger preisgibt, morgen die Hand, übermorgen den Fuß, dann die Wade, dann das Bein, aber zunächst nur bis zum Strumpfband, und so weiter. Ich will nichts gemein haben mit jenen ungenießbaren Tugendgänsen,[238] die nach dem Klingelzuge stürzen, wenn die amoureuse Attacke einen Zoll die Grenze überschreitet, die auf dem Tagesprogramm steht. Ich lache über die keuschen Frauen, die mit dem gesamten Rüstzeug jungfräulichen Entsetzens wohlbedacht nachgeben und dabei verstohlen über die Schultern blinzeln, ob auch das Sofa, worauf sie fallen wollen, genau hinter ihnen steht. Diese Komödie schenke ich mir.

Ich liebe den Chevalier nicht, wenigstens nicht so, wie ich lieben möchte. Ich finde Gefallen und Geschmack an ihm. Sein Verstand nötigt mir Hochachtung ab. Sein Äußeres ist mir angenehm. Das kann ich nur wenigen Männern nachrühmen. Er hat nicht alles, was er haben könnte, aber vieles. Besonders gefällt mir an ihm, daß er nie brutal ist wie fast alle Männer. Er begehrt das Schöne, wenn auch nur im künstlerischen Sinne. Das ist immerhin genug, um mit ihm in reinen Höhen zu bleiben. Sein Verhalten gegen Rosette beweist inneres Ehrgefühl. Das ist viel rarer und wertvoller als die sogenannte Kavaliersehre.

Und dann will ich Dir gestehen, Graziosa: ich bin die Beute heißester Begierde. Ich verschmachte vor unbefriedigter Wollust. Meine Männertracht verstrickt mich immer wieder in allerhand Abenteuer mit Frauen, schützt mich indessen nur zu gut vor den Angriffen von Männern. Die Wonnen, die mir versagt sind, umgaukeln beständig meine Phantasie. Dieser Liebesträume ohne Fleisch und Blut bin ich überdrüssig.

Viele Frauen im anständigsten Lebenskreise führen ein Dirnendasein. Ich hingegen, die ich inmitten verdorbener Wüstlinge wandle, ich bleibe rein und keusch wie Diana. Ein unberührter Körper im Verein mit einem Geiste, der alles kennt, ist ein elender Zustand. Damit sich mein Fleisch nicht mehr vor meiner entheiligten Seele brüsten kann, soll es auch entweiht werden. Entweiht? Unsinn! Dieses Begehren will genau so[239] gestillt werden wie Hunger und Durst. Mit einem Worte, ich will endlich wissen, was für ein Ding ein Mann eigentlich ist und welche Wonnen er einem Weibe zu gewähren vermag. Und da der Chevalier meine Weiblichkeit trotz meiner Maskerade erspürt hat, so muß er für sein Genie auch belohnt werden. Er soll mir den ersten Liebesunterricht geben.

Es handelt sich nur noch darum, die Gelegenheit fein romantisch herbeizuführen. Ich habe Lust, seinen Brief nicht zu beantworten und ihn ein paar Tage kühl zu behandeln. Wenn er dann recht betrübt und trostlos ist, werde ich ihm unvermutet als Rosalinde erscheinen. Andere Frauenkleider habe ich leider nicht hier. Ich werde in meiner vollen Glorie vor ihn treten und ihm vor die Nase halten, was ich bisher so ängstlich behütet habe. Nichts als loses Spitzengewirr soll meinen Busen bedecken. Und leise werde ich flüstern:

»Idealster und genialster aller Männer! Ich bin wirklich und wahrhaft ein sittsames Jungfräulein, das Dich anbetet und nichts ersehnt, als Dich und mich glücklich zu machen. Bist Du damit einverstanden? Solltest du noch immer an meiner Weiblichkeit zweifeln, so, bitte, greife zu! Habe keine Angst und genieße mich nach Herzenslust!«

Nach dieser trefflichen Ansprache werde ich seufzend in seine Arme sinken, wobei die Spange meines Mieders aufspringen wird, so daß ich mich im sachgemäßen Kostüm befinde, das heißt in Halbnacktheit. Das übrige überlasse ich meinem Ritter. Ich hoffe, am Morgen darauf von all den schönen Dingen Bescheid zu wissen, die mich seit langem beunruhigen. Ich stille meine Neugier und mache obendrein einen braven Menschen glücklich.

Ich habe mir ferner vorgenommen, hinterher im nämlichen Aufzuge Rosetten einen Besuch abzustatten und ihr den Beweis zu geben, daß ich weder aus Gleichgültigkeit noch aus Abneigung[240] ihre Liebe verschmäht habe. Ich möchte nicht, daß sie mich in schlechtem Angedenken behält. Sie verdient genau so gut wie der Chevalier, daß ich meine Maske vor ihr fallen lasse. Was wird sie für ein Gesicht bei der Enthüllung machen? Ihr Stolz wird aufatmen, aber ihre Liebe wird weinen. Lebe wohl, Liebste, Beste! Gebe der Himmel, daß mich die Liebeslust nicht ebenso gleichgültig läßt wie ihre Spender! Mein langer Brief ist voll Übermut und Leichtsinn, aber ich gehe einem ernsten Tage entgegen, der dem Rest meines Daseins seine Farbe aufdrücken wird.

Quelle:
Theophile Gautier: Mademoiselle de Maupin. München 1921, S. 235-241.
Lizenz:
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