9.

[105] Nun schwindet allgemach im Blau

Der Feuerglanz der Sterne;

Der Garten liegt im frischen Tau

Und weiß im Duft die Ferne.[105]


Schon singt die Nachtigall im Strauch

Ihr Lied mit leisrer Kehle;

Aus Ost ein wunderkühler Hauch

Durchflutet mir die Seele.


Von allem, was zum Staube zieht,

Im Schlafe reingebadet,

Wie fühl' ich mich zu Tat und Lied

Mit Flügelkraft begnadet!


Mir ist's, als ob mein Genius

Mir Gruß und Handschlag böte –

Und prächtig über Wald und Fluß

Geht auf die Morgenröte.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 105-106.
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