6.

[167] Sei gesegnet das Haus und gesegnet die Flur,

Wo ein Herz einst das Wunder, zu lieben, erfuhr!

Denn die Lieb' ist der Strahl, der aus Eden uns blieb,

Als der Engel des Schwertes den Ahnherrn vertrieb.


O selig Geheimnis, das keiner errät,

Wenn, was jüngst noch so fremd war, sich schauernd versteht,

Und erlöst von dem Selbst, das in Asche verstiebt,

Sich die Seele der Seele zu eigen ergibt!


Da weht es wie Frühling vom Himmel ins Herz,

Und es blühn die Gedanken wie Veilchen im März;

Du vollendest im Spiel, was dir nimmer gelang,

Und das Auge wird Glanz, und das Wort wird Gesang.


Wohl enteilt sie geflügelt, die köstliche Zeit,

Und mit Scheiden und Meiden kommt einsames Leid.

Doch die Träne der Sehnsucht, entrollt sie auch heiß,

Ist süßer als Lust, die von Liebe nicht weiß.[167]


Drum gesegnet das Haus und gesegnet die Flur,

Wo ein Herz einst das Wunder, zu lieben, erfuhr!

Denn die Lieb' ist der Strahl, der aus Eden uns blieb,

Als der Engel des Schwertes den Ahnherrn vertrieb.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 167-168.
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