11.

[45] O wie floß mir beglückt der Tag,

Als ausrastend ich weiland

Unter deinen Zypressen lag,

Naxos, blühendes Eiland!


Ach, noch hatte des Lebens Joch

Wund mich nimmer gerieben;

War im Hoffen ein Knabe noch

Und ein Jüngling im Lieben.


Eins nur kannt' ich als hohe Pflicht,

All mein Sinnen und Denken

Fromm mit jeglichem Morgenlicht

In das Schöne zu senken.[45]


Und so träumt' ich zur Meeresbucht

Täglich nieder vom Riffe,

Droben glühte die goldne Frucht,

Drunten zogen die Schiffe.


Fern um sinkende Tempel lag's

Wie vorweltliche Schauer,

Doch der Zauber des heut'gen Tags

Dämpfte jegliche Trauer.


Und im sinnenden Müßiggang

Zwischen Wogen und Winden

Reifte leise zum Frühgesang

Mein aufblühend Empfinden.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 45-46.
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