6.

[42] O wüßt' ich's nur zu sagen,

Was mich in diesen Tagen

Bedrückt mit solcher Pein!

In Lieder wollt' ich's bannen,

Da trüg's der Wind von dannen,

Und wieder könnt' ich heiter sein.[42]


Doch was unausgesprochen

Im Herzen fort muß pochen,

Was stumm und unreif wühlt,

Das ängstigt mich als Kummer,

Das hab' ich stets im Schlummer

Als einen schweren Alp gefühlt.


Drum frommt dir kein Zerstreuen,

Es wird sich nur erneuen,

O Herz, warum du zagst;

Du mußt es ganz durchdringen,

Damit du's frisch bezwingen

Und im Gesang versühnen magst.


Dein Gram muß unter Tränen

Sich zeit'gen erst und dehnen

Im Wachen und im Traum;

Dann kommt ein himmlisch Wallen,

Und von dir wird er fallen,

So wie die reife Frucht vom Baum.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 42-43.
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