Vierter Auftritt

[453] Lorchen. Ferdinand.


LORCHEN. Wissen Sie wohl, worin der Liebesdienst besteht, den sie der Priesterwitwe erzeigt? Es ist eine rechtschaffene Frau, die keinen Fehler hat, als daß sie blutarm ist. Sie hat eine goldene Kette, als ihren ganzen Reichtum, bei der Frau Richardin für sechzehn Taler versetzt und muß ihr alle Wochen für den Taler einen Pfennig Zinsen geben. In dieser Angelegenheit, nämlich ihre Zinsen abzutragen, kömmt sie alle vierzehn Tage her; denn länger sieht ihr die Frau Muhme nicht nach.[453]

FERDINAND. Ist das möglich, daß Gott erbarm? Meine Frau Muhme soll ein Kapital von dreißigtausend Talern haben, und sie nimmt von so einer armen Frau wöchentlich für sechzehn Taler sechzehn Pfennige Zinsen? Und sie untersteht sich noch, zu beten oder mit dem lieben Gott zu reden?

LORCHEN. Ich glaube auch, daß sie durch ihr vieles Beten sich bloß den Himmel zum Freunde machen will, damit er ihr erlauben soll, nach ihrem Gefallen zu handeln. Soll ich Ihnen etwa weiter erzählen, wie sie den Tag zubringt?

FERDINAND. Ich bitte Sie von Herzen, sagen Sie mir ja nichts mehr! Ich kenne nun meine Frau Muhme völlig, und ich wollte die Ehre, mit einer so heiligen Frau verwandt zu sein, gerne frömmern Leuten überlassen, als ich bin. Wenn es viel solche andächtige Weiber hierzulande gibt: so sollte man erlauben, daß man, der Andacht wegen, auf die Ehescheidung dringen dürfte.

LORCHEN. Ich will es ganz kurz machen. Wir blieben bei den drei Morgensegen stehen. Wenn diese vorbei sind: so liest sie aus den andern Büchern noch drei Gebete, erstlich eins wider die Unkeuschheit, und –

FERDINAND. Meine Frau Muhme muß ja wohl nahe an sechzig Jahre sein?

LORCHEN. Dieses hat nichts zu bedeuten. Ein Gebet also wider die Unkeuschheit, eins wider die Verschwendung, und –

FERDINAND. Eine Frau, die einem Manne, der an Hand und Fuß lahm ist, nicht einen Dreier zu geben sich entschließen kann, betet, daß sie Gott vor der Verschwendung verwahren soll?

LORCHEN. Lassen Sie mich doch ausreden! Eins wider die Verschwendung und eins, daß sie Gott nicht in der Hälfte ihrer Tage wegnehmen soll. Und diese Gebete florieren jahraus, jahrein bei ihr. Und in dieser Andacht darf sie kein Mensch, keine lebendige Seele stören, außer ihr Mops, der hat die Freiheit, auf ihrem Tische und auf den Gebetbüchern herumzuspazieren.

FERDINAND. Hat sie nicht etwa auch die Katze bei sich liegen?

LORCHEN. Jawohl. Die Katze hätte ich bald vergessen. Diese kommt nicht von ihrer Seite. Und die Frau Muhme bleibt beständig dabei, daß das Tier Menschenverstand hätte, weil es ihr im Beten so aufmerksam zuhörte.

FERDINAND. Vielleicht ist es auch die Katze allein, die sie durch ihre Andacht erbaut und betrügt.

LORCHEN. Mit dem Schlage zehn springt sie von ihrem Betstuhle auf[454] und tritt an den Silberschrank und fängt an, aus allen Kräften zu singen. Sie zählt ihr Silberwerk, ihr Geschmeide und ihre Pfänder durch. Sobald sie die geringste Unrichtigkeit findet: so hält sie inne mit Singen und zählt und ziffert mit der Kreide an die Schranktüre. Ist die Sache richtig: so geht ihr holdseliges Singen wieder fort. Nun schlägt es elfe; da nimmt sie einen eisernen Kasten und verschließt sich in ihre Schlafkammer und ...

FERDINAND. Ich höre es schon. Sie wird zählen und dem Himmel ihre Sparsamkeit anpreisen. In Wahrheit, man sollte wünschen, daß die Frau um die Hälfte ihres Vermögens käme, damit sie vernünftig und christlich würde. Es ist ihr größtes Unglück, daß sie reich ist.

LORCHEN. So klingt der Frau Muhme ihre Theologie nicht. Alles, was sie hat, ist ein Segen des Herrn. Und aller dieser Segen ist die sichtbare Belohnung ihrer Frömmigkeit, das ist, ihres Betens und Singens.

FERDINAND. Also ist sie wohl so andächtig, damit der Himmel wieder erkenntlich sein und sie noch reicher machen soll?

LORCHEN. Jawohl. Eben deswegen singt und betet sie alle Stunden, weil sie alle Stunden reicher werden will. Ihre Andacht ist eigentlich ein Vertrag, den sie mit dem lieben Gott in ihren Gedanken gemacht hat, kraft dessen er ihre Kapitalia vermehren, ihre Interessen segnen, und ihr Haus wohl in Acht nehmen soll; dafür will sie ihm den Dienst erweisen, und alle Tage so viel Stunden beten, so viel Stunden singen, und so viel Kapitel in der Bibel lesen.

FERDINAND. Ein solcher Vertrag ist auch recht vernünftig. Auf diese Art weiß man doch, worauf man sich zu verlassen hat, und warum man so andächtig ist. Wir einfältigen Leute sehen die Andacht für ein Mittel an, das uns in der Tugend stärken soll. Allein meine Frau Muhme kennt die Religion besser. Was ist es denn mit der Tugend und mit der Gemütsruhe? Wer kann davon leben? Am besten, wenn man durch seine Andacht die Hand der Vorsicht öffnen kann, daß sie uns Schätze zuwirft.

LORCHEN. Ich wollte auch nicht dafür stehen, daß die Frau Mariane nicht des Tages drei bis vier Stunden von ihrer Hausandacht eingehen lassen sollte, wenn ihr das kleinste Kapital verloren ginge ... Ich höre sie schon reden. Wenn sie wüßte, daß wir von ihrer Andacht sprächen, sie schenkte uns doch ein Gebetbuch.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 453-455.
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