Dritter Auftritt

[469] Lorchen. Christianchen.


LORCHEN. Also wollen Sie sich's gefallen lassen und noch ein Jahr bis zur Hochzeit bei mir in Berlin leben?

CHRISTIANCHEN. Ach ja. Warum nicht? Wenn es die Mama und Herr Simon so haben wollen.

LORCHEN. Aber wird Ihnen die Zeit bis zur Hochzeit nicht zu lang werden? Das Verlangen, denjenigen, welchen man liebt, zu besitzen, läßt sich nicht so leicht befriedigen, als wir denken.

CHRISTIANCHEN. Ich fühle kein besonderes Verlangen.

LORCHEN. Wollen Sie ihn denn nicht haben?

CHRISTIANCHEN. Ja, warum nicht? Sie raten mir ja selbst dazu; und ich weiß, Sie meinen's gut mit mir. Ich verlasse mich auf Sie.

LORCHEN. Ich meine es gut mit Ihnen; aber Sie müssen es auch gut mit sich selbst meinen und sich prüfen, ob Sie ihn lieben.

CHRISTIANCHEN. Herr Simon gefällt mir ganz wohl; allein er red't zu hoch mit mir. Ich kann ihm nicht alles verstehen. Wenn ich ihm nur nicht zu ungelehrt bin!

LORCHEN. Machen Sie sich keine Sorge! Ein Frauenzimmer braucht nicht gelehrt zu sein! Wenn wir bei einer zärtlichen Liebe Verstand und Tugend haben: so haben wir alles, was ein vernünftiger Ehemann fordern kann.

CHRISTIANCHEN. Ja, ja, ich will ihn nehmen, wenn er mich verlangt. Will er mich aber auch nicht haben: so bin ich ebenfalls zufrieden. Sie kennen mich ja, wie ich bin. Ich lasse mir alles gefallen.

LORCHEN. O! reden Sie nicht so gleichgültig: es wird mir angst und bange dabei. Ich hörte es lieber, wenn Sie sprächen, daß Ihnen ein Augenblick ohne den Herrn Simon zu lang würde.

CHRISTIANCHEN. Nein, das kann ich nicht sagen. Ich bin zu aufrichtig dazu.

LORCHEN. Aber er liebt ja Sie so zärtlich. Warum empfinden Sie denn nichts, mein liebes Christianchen? Es ist ja ein wohlgebildeter und angenehmer Mann.

CHRISTIANCHEN. Ich versichere Sie, daß ich in meinem Leben noch keine Empfindung gegen eine Mannsperson gemerkt habe. Ich komme ja nirgends hin. Ich darf ja mit keinem Menschen reden, weil es meine Mama nicht haben will. Machen Sie nur, mein liebes Lorchen, daß ich artiger und munterer werde. Ich will Ihnen ja gern folgen. Lesen Sie mir nur oft aus dem »Zuschauer« vor. Es stehen solche artige Historien darinnen. Ich möchte recht[470] gern etwas wissen, wenn nur meine Mama nicht so strenge wäre und mich stets mit dem Nähen und Singen plagte!

LORCHEN. So, haben Sie noch niemals geliebt?

CHRISTIANCHEN. Niemals. Und wenn es mein Leben kosten sollte: so könnte ich nicht sagen, was Liebe oder Haß wäre. Es hat mich auch in meinem Leben noch keine Mannsperson geküßt, außer mein Bräutigam; der hat mir vorhin das erste Mäulchen abgezwungen.

LORCHEN. Aber bei diesem Kusse werden Sie desto mehr gefühlt haben, weil es der erste gewesen ist?

CHRISTIANCHEN. Nichts mehr, als was ich fühle, wenn Sie mich küssen; außer, daß mir das Blut ein wenig ans Herz trat, weil ich mich schämte.

LORCHEN. Ich glaube es gar wohl, daß die Schamhaftigkeit an dieser Bewegung Ursache gewesen ist; aber wer ist Ihnen gut dafür, daß nicht auch die Liebe zu dieser Regung das ihre beigetragen hat? Wir empfinden die Liebe oft, ohne daß wir wissen, daß es die Liebe ist. Das Verlangen nach einer Person ist das sicherste Kennzeichen der Liebe.

CHRISTIANCHEN. Ich habe nach niemanden ein Verlangen, außer nach Ihnen und zuweilen nach meiner Mama. Nehmen Sie meine Schwachheit nicht übel, wenn es eine ist. Nicht wahr, Sie hassen mich nicht, daß ich noch so unerfahren bin?

LORCHEN. Nein, mein liebes Kind. Wollte der Himmel, daß ich Sie recht glücklich machen könnte. Ich habe Sie wegen Ihrer ungekünstelten Aufrichtigkeit von Herzen lieb. Es fehlet Ihnen nichts als die Welt. Ein vernünftiger Umgang und ein gutes Buch werden Sie in kurzem so weit bringen, daß ich von Ihnen lernen muß.

CHRISTIANCHEN. Sagen Sie mir nur, wodurch ich Ihnen gefallen kann. Ich will alles in der Welt für Sie tun. Ich habe Sie weit lieber als meine Mama. Ach, wenn ich nur reden könnte! Wenn Herr Simon wieder kommen wird: so geben Sie nur Achtung, ich kann kein Wort aufbringen. Ich denke stets, ich sage etwas Unanständiges, weil ich nicht weiß, was man reden soll. Da kommen sie und werden mich zum Jaworte holen wollen. Ich will geschwind gehen und mein diamanten Kreuzchen erst umbinden.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 469-471.
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