Zweiter Auftritt

[480] Frau Richardin. Lorchen.


LORCHEN. Herr Simon läßt ...

FRAU RICHARDIN. Herr Simon mag hingehen, wo er hin gehört. Bei mir hat er nichts zu schaffen. Wollen Sie nunmehr die Unterhändlerin werden? Wollen Sie meine Tochter auf Ausschweifungen führen, wenn sie nicht von sich selber darauf geraten kann? Das gefällt mir. Zum Beten und Singen zwingen Sie meine Tochter nicht; aber zur Liebe. Das schickt sich für ein lediges Frauenzimmer, die von nichts als Unschuld wissen und reden sollte. Wenn sehn Sie denn dergleichen Aufführung von mir? Meine Übungsstunden besuchen Sie nicht; aber wenn Herr Ferdinand und Herr Simon da sind, so ... ich mag nichts weiter sagen.

LORCHEN. Frau Richardin, ich habe Sie mit Fleiß ausreden lassen, um mein Verbrechen zu hören; allein ich weiß bis diese Stunde noch nicht, warum Sie so ungehalten auf mich sind. Meinen Sie denn, daß ich Christianen verführe? Diese Beschuldigung ist zu entsetzlich, als daß ich Ursache hätte, mich deswegen zu verteidigen. Solange mir mein Herz keine Vorwürfe macht: so werde ich die Ihrigen mit Gelassenheit oder doch wenigstens mit Stillschweigen anhören.

FRAU RICHARDIN. Nur fein höhnisch! Nur mit einer frommen alten Frau noch gespottet! Bin ich gut genug, daß Sie mich ins Gesicht Lügen strafen? Ist das der Dank für die Sorgfalt, die Sie dreizehn Monate in meinem Hause genossen haben? Ich werfe Ihnen meine Wohltaten nicht vor, so unverschämt bin ich nicht. Ich vergesse es, daß Sie so lange in meinem Hause Brot gehabt haben; aber daß Sie es vergessen, das ist nicht recht. Undank, alter Laster Anfang und Fortgang! Ich habe meinem eignen Maule den Bissen abgedarbt, damit ich –

LORCHEN. Ich bitte Sie um alles in der Welt, Frau Richardin,[480] martern Sie mich nicht mit solchen entsetzlichen Vorwürfen. Ich habe ja für den Unterhalt, den Sie mir zeither gegönnet haben, die Aufsicht im Hause geführt. Sie haben es ja selber verlangt, daß ich zu Ihnen ziehen sollte. Gesetzt, Sie hätten mir mehr erwiesen, als ich verdiente: so haben Sie sich doch den Augenblick für alle Wohltaten bezahlt gemacht, da Sie mir sie alle vorgeworfen haben. Wenn ich Ihrer Güte unwert gewesen bin: so bin ich bestraft genug, daß ich's anhören muß, ohne mich rechtfertigen zu dürfen. Ich will Ihnen weiter keine Unruhe machen. Erlauben Sie mir oder befehlen Sie mir vielmehr, daß ich Ihr Haus noch heute verlassen soll. Es soll gewiß an meinem Gehorsam nicht fehlen.

FRAU RICHARDIN. Seht doch! Gleich den Stuhl vor die Türe gesetzt! Ein nackend Mädchen, die in ihrem Leben nichts als ein Paar weltliche Augen und ein Paar weiße Hände hat, die darf auch so trotzig tun. Ich habe noch keinen gesehen, der sich aus Liebe zu Ihr um das Leben bringen wollen. Sage Sie mir doch, worauf Sie so stolz tut?

LORCHEN. Ich bin nichts weniger als stolz. Sie haben recht, wenn Sie mir meine Armut vorrücken. Es ist auch wahr, daß ich noch keinen Mann habe; allein beides fällt mir sehr erträglich. Indessen kann ich Sie aufrichtig versichern, daß ich in kurzer Zeit einen liebenswürdigen Mann und ein großes Vermögen besitzen wollte, wenn ich mich entschließen könnte, weniger großmütig zu handeln.

FRAU RICHARDIN. Wer ist denn der große Mann, der ein Mädchen mit Armut braucht? Er muß gewiß willens sein, ohnedem bald zum Lande hinauszulaufen, und also wird es ihm nichts verschlagen, ob er vor der Hochzeit oder kurz darnach geht. Darf ich's nicht wissen, wer sich so sterblich in Sie verliebt hat?

LORCHEN. Ich könnte es Ihnen leicht sagen, wer mich liebte; allein ich will Sie weder dadurch kränken, noch mich damit groß machen. Weder der Reichtum noch der Mann macht den Wert eines Frauenzimmers aus. Ein Mädchen kann arm sein und doch Verstand, Tugend, Lebensart und Geschicklichkeit im Hauswesen haben. Machen Sie sich keine Sorge, Frau Richardin, ich habe das Vertrauen zum Himmel, daß ich, so lange ich lebe, genug haben werde.

FRAU RICHARDIN. Mache Sie sich immer nicht so groß! Ich dächte, es ließe sich mit Ihrem Verstande noch halten. Von Ihrer Tugend[481] mag ich nicht reden. Ich kann niemanden in das Herz sehen. Ihre Lebensart, ich wills Ihr kurz sagen, ist unwiedergeboren; versteht Sie mich? Halt Sie eine solche Lebensart wohl für gut? Ich bitte Sie sehr, mache Sie sich nur nicht zu einer keuschen Susanna, zu einer andächtigen Maria und zu einer geschäftigen Martha. Ist Sie nicht undankbar gegen mich? Und kann der Undank und die Gottesfurcht beisammen sein? Mit Ihrer Wirtschaft sah es wohl auch nicht so richtig aus, als ich Sie zu mir ins Haus nahm. Wer weiß, ob Sie wußte, daß man die harten Eier nicht salzen darf, wenn man sie zum Feuer setzt? Sei Sie doch nicht so stolz, und wenn Sie in Ihrem Leben noch nichts von mir gelernet hat: so lerne Sie nur dieses, daß der Hochmut vor dem Falle kommt.

LORCHEN. Sie sehen ja wohl, was ich von Ihnen gelernt habe. Wo nähme ich die Geduld her, die größten Beschimpfungen ruhig anzuhören, wenn ich sie nicht in Ihrem Hause gelernet hätte? Was übrigens die Tugend anlangt, die Sie mir absprechen (denn von dem Verstande und der Wirtschaft will ich nicht reden): so nimmt mich's nicht wunder. Ich bin freilich nicht so fromm, als Sie sind. Und wie sollte ich zu dem Glücke kommen, daß Sie mich für tugendhaft hielten, da Sie in der Welt keinen Menschen für fromm halten als Ihre eigene Person. Doch, Frau Richardin, Sie haben mich, dächte ich, genug ausgescholten. Ich werde Ihnen nun wohl weiter zu Ihrer Erbauung nicht nötig sein. Ich will auch den Augenblick gehen. Haben Sie nur die Güte und hören Sie, warum ich hergekommen bin. Herr Simon läßt Ihnen ...

FRAU RICHARDIN. Um mich recht zu erbittern, so fängt Sie wieder von Simonen an, und ich habe es Ihr doch gesagt, daß ich weder seinen Namen noch seine Person leiden kann. Ist Sie nicht selber schuld, wenn mir ein Wort im Zorne entfährt? Bringt Sie mich nicht um alle Seelenruhe?

LORCHEN. Nein, Frau Richardin. Ich glaube, es wird zu Ihrer Beruhigung dienen, was ich Ihnen zu sagen habe. Hören Sie mich nur an. Herr Simon läßt Ihnen sein Kompliment machen.

FRAU RICHARDIN. Er mag sein Kompliment für sich behalten. Von einem Flucher nehme ich keinen Gruß an. Er ist ein ehrvergeßner Mann, ich will ihn nicht geschimpft haben.

LORCHEN. Er hat einen großen porzellanen Aufsatz hergeschickt und läßt bitten, daß Sie ihn für das zerbrochene Kaffeeschälchen[482] annehmen sollen. Geben Sie sich doch zufrieden, ich glaube, daß der Aufsatz über fünfzig Taler wert ist.

FRAU RICHARDIN. Nicht doch! Er wird mich gewiß wieder gutmachen wollen. Denkt denn Herr Simon, daß mir so viel an zeitlichen Gütern liegt? Hält er mich denn für so eigennützig, daß ich ein Kaffeeschälchen nicht vergessen kann? Ich dürfte den Aufsatz bald nicht annehmen. Wie hoch halten Sie ihn denn, mein liebes Lorchen?

LORCHEN. Ich glaube gern, daß er fünfzig bis sechzig Taler kostet. Er ist von dem feinsten Porzellan, und die Tassen haben alle Henkel.

FRAU RICHARDIN. Henkelchen? Das ist ja recht hübsch. Nur weil die Schälchen Henkelchen haben, so will ich das Geschenk annehmen. Er wird mir's doch aus gutem Herzen schicken, und da wäre es wohl Sünde: wenn ich's ausschlüge. Ist denn der Bediente von Herrn Simonen noch da?

LORCHEN. Ja, er wird noch zugegen sein, wenn Sie mit ihm reden wollen.

FRAU RICHARDIN. Nein, mein liebes Lorchen, ich möchte mich nicht gerne vor ihm sehen lassen. Wenn ich mit ihm rede: so müßte ich ihm doch ein Trinkgeld geben, und der arme Mensch könnte nachmals bei seinem Herrn Verdruß davon haben, daß er's angenommen hätte.

LORCHEN. Er nimmt nichts, ich habe ihm schon etwas angeboten.

FRAU RICHARDIN. Sollte er nichts nehmen? Wenn ich nur klein Geld hätte, ich wollte ihm doch ein paar Dreier zu einer Kanne Bier geben. Denn wenn man ihm wenig gibt, so kann es sein Herr doch nicht übel nehmen, als wenn man ihm etwan einen halben Gulden gäbe. Es ließe, als wollte man das Geschenke bezahlen.

LORCHEN. Machen Sie sich keinen Kummer, Frau Richardin! Der Bediente des Herrn Simon wird ein Trinkgeld nicht so nötig brauchen.

FRAU RICHARDIN. Ja, das denke ich auch. Ich muß doch gehen, und mit ihm reden. Es dauert mich, daß ich ihm nichts geben darf. Wenn ich nur einzeln Geld hätte!

LORCHEN. Es ist nicht nötig; doch wenn Sie ihm etwas geben wollen, so werden auf dem Fenster in der kleinen Stube noch etliche Groschen von dem Marktgelde liegen, die können Sie ihm geben.

FRAU RICHARDIN. Marktgeld! Das möchte ich nicht gern angreifen.[483] Es ist immer, als wenn kein Segen bei dem Ausgebegeld wäre, wenn man etwas davon nimmt. Sind es denn gute Accisgroschen.

LORCHEN. Nein, es ist nur gemein Ausgebegeld.

FRAU RICHARDIN. Es ist schade. Nein, gemein Geld will sich für einen solchen Bedienten nicht schicken. Es muß also bleiben.

LORCHEN. Vielleicht liegen auch etliche Accisgroschen dabei. Ich weiß es nicht so genau.

FRAU RICHARDIN. Aber, mein liebes Lorchen, es läßt mit dem guten Gelde auch nicht. Es sieht aus, als ob man kein Ausgebegeld in seiner Haushaltung hätte, das möchte ich doch auch nicht von mir gesagt wissen. Ich will ihm lieber nichts geben; so kommt der arme Mensch nicht in Verdruß. Was will denn Christiane? Diese könnte an meiner Statt den Bedienten abfertigen.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 480-484.
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